Abu Dhabi Reisetagebuch

Wieder kam der Winter. Wieder wurde es bitterkalt, trüb und grau. Wieder flohen wir in die Sonne.  Warum gerade nach Abu Dhabi, weiß ich gar nicht mehr. Zuerst bereute ich die Buchung. Jetzt, wo der Winter da ist, bin ich ganz froh, dass wir mit Etihad Airways in die Sonne fliegen. Besonders teuer war es nicht. Wir buchten ein kombiniertes Hotel-Flugangebot m Netz für ca. 980 Euro pro Person  für eine Woche in einem fünf Sterne Hotel.  An Taschengeld und Touren kamen noch pro Person etwa 300 Euo hinzu. Alles in allem zahlte jeder von uns etwa 1.300 Euro pro Person.

Etihad Airways, die Fluggesellschaft von Abu Dhabi, ist ein Langzeitprojekt zur Erringung der Vorherrschaft auf dem internationalen Markt für Flugreisen. Die deutsche Fluggesellschaft Air Berlin ist bereits zum reinen Zubringer degradiert worden. Noch ist Etihad defizitär, und der Emir muss kräftig zubuttern. Vor allem in den Ausbau des Flughafens, der im Vergleich zum Dubai Airport klein und mickrig wirkt. Aber irgendwann wird es sich rechnen.

Langer Transfer vom Flughafen in die Innenstadt von Abu Dhabi. Erstaunlich weitläufige Stadt. Warum dann die vielen Hochhäuser? Das Rotunda Beach Hotel war viel besser als erwartet. Ein Fünf Sterne Hotelkomplex mitten in der Stadt mit einem Privatstrand an einem der Kanal. Monumentale Lobby, gepflegte Rasenanlage. Erstklassiger Service rund um die Uhr. Kalte Tücher wurden am Pool gereicht. Das lasse ich mir gefallen. Das Essen im Rotunda Beach Hotel ist unbeschreiblich. Heute Mittag aßen wir Muscheln, Garnelen, Roastbeef, Steak, Lamm, Chicken Tikka Masala – ohne jede Sättigungsbeilage. Der Pool und der Privatstrand garantieren Entspannung pur. Abends saßen wir in den Liegestühlen und beobachteten, wie auf der anderen Seite des Kanals tausende Lichter angingen. Eine neue urbane Gemengelage. Palmen und Wolkenkratzer.

Viele der Frauen, die uns auf den Straßen begegneten, waren schwarz verschleiert. Ein herber Kontrast zum üppigen Grün der Palmenalleen. Stolz trug der arabische Mann seinen Bauch vor sich her wie eine Schwangere die Frucht. Er liebt das strahlende Weiß seiner Galabija.  Die Hosen, insofern er welche trägt, besitzen messerscharfe Bügelfalten. Die Kopfbedeckung allerdings liegt wie ein Geschirrtuch seinen Schädel. Dabei gilt der Turban im Unterschied zum Fes als ein Zeichen der Würde, etwa wie bei uns der Zylinder.  Eine Anmutung von Energie und Härte geht von seiner Falkennase aus, die ihm wie ein Wegweiser aus dem Gesicht ragt.

Abu Dhabi besitzt nicht das überwältigende Flair von Dubai. Das muss man zugeben. Auf der anderen Seite ist Abu Dhabi breiter angelegt. Ein Spätstarter, der eines Tages Dubai überholen wird.

Wer vom Islam einen zutreffenden Begriff erhalten will, darf sich nicht unsere Parallelgesellschaften ansehen. Er muss nach Abu Dhabi oder Dubai kommen, um zu sehen, wozu er als Ordnungsmodell fähig ist.

Abu Dhabi verdankt seinen Glanz ausländischer Man Power. Für gutes Geld arbeiten in der Stadt ausländische Fachkräfte, ohne die der Wüstenstaat nicht einen einzigen Tag existieren könnte. Für Hungerlöhne schuften südasiatische Lohnarbeiter, ohne die der Glamour der Stadt ebenfalls undenkbar wäre. Die Mehrheit der Nicht-Autochthonen rackert, damit die Einheimischen ein gutes Leben führen können. Polemiker würden behaupten, dass es sich in Deutschland gerade umgekehrt verhält. Hier rackert die Mehrheit der Autochthonen, damit Millionen illegaler Zuwanderer eine kostenlose medizinische und ökonomische Rundumversorgung genießen können. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf meine ankonditonierte deutsche Mentalität, dass dieser politisch unkorrekte Gedanke sofort ein schlechtes Gewissen bei mir hervorruft. Also Schande auf mein Haupt.

Erster Abend auf unserem Balkon im 17. Stockwerk. Ein Lichtermeer tief unter uns, futuristische Klötze in blau flackernden Farben, das Rauschen des Verkehrs, das sich anhört, als würde die Stadt ein- und ausatmen. Scheinwerfer tasten den Himmel ab. Man möchte sich festsaugen, an diesen  Bildern.

Ein lebloser Flecken, vom salzhaltigen Sand zerfressen, von der Sonne ausgedörrt – das waren die Randgebiete des Rub-al-Khalil  einer der lebensfeindlichsten Wüsten der Erde. Hier lebten die Bani-Yas, vom Scheichs der Nahyan Familie regiert. Im Jahre 1791 wurde an der Küste eine Quelle gefunden, in der Sprache des Mythos:  der Scheich beobachtete eine Gazelle, die Wasser trank. Schon zwei Jahre später wurden die Nomaden sesshaft und gründeten Abu Dhabi, was nichts weiter bedeutet als „Vater der Gazelle“. Das Wasser war Allahs erstes Geschenk. Das zweite war das Öl, das unter der Oberfläche Abu Dhabis in kaum vorstellbaren Mengen gefunden wurde.  Experten sprechen von 10 % der weltweiten Ölreserven. Ein ungeheurer Reichtum ergoss sich ab den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts über den Wüstenstaat, und wie es aussieht, wurden diese Mittel nicht verprasst sondern in die Zukunft investiert. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche wurde verzwanzigfacht, sechzig Millionen Bäume wurden angepflanzt, Staudämme, Brunnen, Straßen, Krankenhäuser entstanden – all das kontrolliert und synchronisiert mit eiserner Hand durch Scheich Zayed, den Vater der Nation. Undenkbar, dass in Abu Dhabi jemals Zustände herrschen könnten wie im Westen mit seiner überbordenden Kriminalität, seiner Verschuldung, seiner sexuellen Libertinage, dem Drogenmissbrauch oder dem Auseinanderbrechen der Familien. Man mag den Islam mögen oder nicht. Als Ordnungsmodell unter einem verantwortlich agierenden strengen Herrscher ist er wahrscheinlich in den Augen seiner Anhänger das allergrößte Geschenk Allahs.

Drei vorherrschende Arten der Fortbewegung gibt es in Abu Dhabi. In dicken Karossen fährt die einheimische Oberschicht durch die Gegend, die Touristen werden in Taxen transportiert, und die südasiatischen Gastarbeiter gehen zu Fuß – wenn man sie überhaupt auf den Straßen sieht.

Wenn ich Moslem wäre, sähe ich keinen Grund, mich von meinem Glauben abzuwenden. Ich würde auf die arabischen Staaten am Golf verweisen, die prosperieren und in denen 80 % ausländischer Arbeitskräfte für 20 %  der Einheimischen schuften.  Sicher, in Syrien, in Afghanistan oder Kaschmir fließt noch Blut, aber nur, so die Protagonisten des Islam, weil sich gewissenlose Potentaten mit Ungläubigen zusammengetan haben, um das Volk zu knechten. Ein Blick auf die Gesellschaften dieser Ungläubigen kann einen gläubigen Moslem regelrecht das Fürchten lehren. Drogensucht, Sittenlosigkeit, Verschuldung und die Mentalität ängstlicher Hunde kompilieren sich zu einem bemitleidenswerten Bild des Verfalls. Die Freiheit, auf die sie sich so viel zugutehalten, ist das Gift des Satans, der damit ihre Gesellschaften zersetzt. Vielleicht ist es auch die von Allah verhängte Strafe für ihren Unglauben. Diese Gesellschaften haben keine Zukunft. Sie werden im „Dar al Islam“, im Haus des Islams verschwinden. Inschallah!

Gedanken beim Anblick einer Touristenfamilie im Rotunda Hotel. Der Mann ist voll im Saft, die Frau stark gealtert. Das hatte der Ehemann bei der Hochzeit nicht erwartet. Nun muss er Jahr für Jahr den Verfall mit ansehen. Ganz unglücklich sieht er aus. Das Leben meint es nicht gut mit ihm. Nebenan sitzt eine arabische Familie. Auch hier steht der Mann voll im Saft, aber über seine Gattin hat er ein schwarzes Tuch geworfen.

Erste Stippvisite zur Corniche, der sieben Kilometer lange Küstenstraße von Abu Dhabi. Erbaut wurde in Corniche in einer Dimension, als handele es sich bei Abu Dhabi schon heute um eine Zehnmillionen Stadt. Umso mehr verblüffte ihre Leere. An diesem Morgen war praktisch kein Fußgänger unterwegs. Ab und zu begegnen wir einigen pakistanische Gastarbeitern, die an der Brüstung lehnen und sehnsüchtig über das Meer blickten. Woher mochten sie kommen? Aus Karachi, aus Multan oder Lahore? Im  Osten erkannten wir die Umrisse des Hafens und einer Ölplattform. Weit Westen waren die Hochhäuser des Stadtzentrums und die Konturen des Emirate Palace zu sehen.   Ein Einheimischer fuhr auf einem Fahrrad vorbei. Auf Kamelen machen Araber eine bessere Figur.  Dann setzte der morgendliche Verkehr ein.  Wie Geschosse aus einer anderen Zeitdimension rasten die Fahrzeuge die Corniche entlang. Der Muezzin rief zum Gebt, war aber wegen des Verkehrslärms kaum zu hören.

Kamelrennen sind die große Leidenschaft der Golfaraber. Der regierende Scheich besitzt viertausend Kamele und eigene Kamel-Veterinäre. Bei den Rennen werden siebenjährige Knaben aus Indien oder Pakistan als Jockey eingesetzt, um die Tiere nicht allzu sehr zu beschweren. Vielleicht werden sie bald durch Miniaturroboter ersetzt. Die künstliche Intelligenz kennt halt keine Grenzen. Auch für die Falkenzucht und die Falkenjagd ist Abu Dhabi eine erste Adresse. Es existiert sogar ein eigens Falkenhospital.   

Nikolausfeier im Rotunda Beach Hotel. Hunderte Kinder von ausländischen Arbeitskräften oder Touristeneltern warten zu Füßen eines zehn Meter hohen Weihnachtsbaumes. Dann erscheint ein stilechter Nikolaus im roten Umhang und mit weißem Bart und entzündet unter dem Jubel der Kinder die Lichter des Weihnachtsbaumes. Für den gläubigen Moslem ist dergleichen kein Problem, denn es handelt sich um reinen Kirmes ohne jeden religiösen Bezug. Der vorauseilende Gehorsam unserer Gutmenschen, die den deutschen Kindergärten ihre Nikolausfeiern streichen, wirkt vor diesem Hintergrund grotesk.  

Stadtrundfahrt durch Abu Dhabi für 106 Euro pro Person. Meine liebe Frau wollte es so. Die Stadtrundfahrt bestand aus einer halben Stunde Heritage Village, einer Stunde Emirates Palace, eine Stunde Scheich Zayed Moschee und eine halbe Stunde Viceroy Hotel im Ferrari World Komplex. Die Klientel: Deutsche, Österreicher, Schweizer. Der Guide: ein bräsiger Araber mit Glatze und Bart, dem es kaum gelang, die  Geringschätzung für seine Klientel zu verbergen.  „Im Koran steht so viel geschrieben“, sagte er. „Darum fragen wir gar nicht danach, was im Koran geschrieben steht sondern tun es einfach und suchen dann die entsprechenden Suren.“ War das nun freigeistig? Oder einfach herablassend? Ein anderes Beispiel aus dem Munde unseres Guides: „In Dubai lässt der Herrscher jeden Freitag Essen für sein Volk servieren. Wer also Freitags nichts zu tun hat, der sagt zu seinen Kumpels: Komm, gehen wir zum Scheich.“ Ein anderer Spruch lautete: „Wenn man bei uns ein Loch in die Erde gräbt, kommt Öl raus.“  

Das Abu Dhabi Heritage Village lohnt den Besuch vor allem wegen der Aussicht auf die Skyline von Abu Dhabi und die Corniche. Wir betraten den Nachbau einer afrikanischen Moschee, einen Handwerker-Souk, in dem fleißig mit Hämmerchen auf Kupfer geklopft wurde und einen Teppichladen. Als Beduinen drapierte Einheimische saßen  fotogerecht im Sand neben ihren Kamelen und ließen sich für einen kleinen Obolus mit den Besuchern zusammen ablichten.  Am besten gefielen mit die alten Dhaus vor der Kulisse der Stadt.

Das Emirate Palace Hotel von Abu Dhabi beansprucht den gleichen Rang wie das „Sieben Sterne“  Hotel Burj al Arab in Dubai. Wie immer man dazu stehen mag, der Bau als solcher war beeindruckend genug. Es handelte sich um einen honiggelben Palast mit einer 42 Meter hohen Kuppel und zwei je achthundert Meter langen Seitenflügeln. Im Zentralgebäude befinden sich die Suiten der Scheichs, in den Peripherien die Zimmer für die normalen Gäste. Dazu muss man wissen, dass die Vereinigten arabischen Emirate aus sieben Emiraten bestehen, deren mit Abstand größtes Abu Dhabi ist. Deswegen ist der Scheich von Abu Dhabi immer der Vorsitzende im Konsilium, der Emirate. Der Emir von Dubai ist sein Stellvertreter, und die andern fünf müssen gucken, wo es lang geht. Immerhin erhalten sie im Emirates Palace Hotel auf jeden Fall erstklassige Suiten, wenn sie mal nach Abui Dhabi kommen.  Selbstverständlich wurde für den Privatstrand des Hotels nur algerischer Sand verwendet, weil von ihm behauptet wird, er klebe beim Verlassend es Wassers nicht so sehr an den Füßen. Umgeben war der Emirate Palace von zahllosen Springbrunne, Aufgängen, Gärten und Treppen. Der honiggelbe Ton dominierte auch im Innern, wobei man nie recht wusste, wo der Marmor endete und der Goldbezug begann.  Die 45 US Dollar, die ein Besuch des Hotels kostet, waren im Preis für die Stadtrundfahrt enthalten. Der Kuchen, der uns im Hotel serviert wurde, war mit Goldstaub überzogen, was man allerdings nicht schmeckte. Dafür aber war der Kaffee eine Wucht. Besonders wohl gefühlt habe ich mich übrigens in diesem Hotel nicht. Der ganze Besuch atmete den Geist von Die arme Verwandtschaft besucht den reichen Onkel und muss den Hintereingang benutzen. 

Abu Dhabi tut viel für den Tourismus, hinkt Dubai aber noch immer gewaltig hinterher. Während Abu Dhabi im Jahr von etwa einer Million Reisenden besucht wird, denen einhundertfünfzig Hotels zur Verfügung stehen, kommt Dubai auf 17 Millionen Touristen, die in über achthundert Hotels logieren. Auch die Fluggesellschaft Emirates ist um ein Mehrfaches größer als Etihad Airways, aber, so unser bräsiger Gide, Abu Dhabi ist viel reicher als Dubai und wird den Nachbarn bald überholen.   

Die Sheik Zayed Moschee befindet sich im Süden von Abu Dhabi. Mit einer Fassungskraft von 55.000 Menschen gehört sie zu den größten Moscheen der Erde, wobei ich aber die Erfahrung gemacht habe, das das von nahezu jeder großen Moschee behautet wird. Allerdings war die Sheik Zayed Moschee wirklich eine Nummer für sich. Sie besitzt vier einhundert Meter hohe Minarette, eine 83 Meter hohe Kuppel und wurde mit einem derart weißglänzenden Marmor erbaut, dass man glatt die Augen schließen muss, wenn man vor ihr steht. Der Grundriss war quadratisch, der marmorgepflasterte Innenhof, der von den Besuchern nicht betreten werden durfte, mündete in den überdachten Betraum. Selbstverständlich war der Betraum, so unser Führer, mit dem größten Teppich der Welt ausgelegt, von den Decken hingen die größten Lüstern der Welt, und an den Marmorwänden konnte jeder, der arabisch lesen konnte, die 99 Namen Allahs studieren. Am bezauberndsten fand ich die Galerie, die um den Innenhof herumführte. Sie war von schlanken weißen Säulen gesäumt, die mit Einlegearbeiten geschmückt und deren Kapitele vergoldet waren. Alles in allem war es ein triumphales Gotteshaus, gebaut, um der Welt zu zeigen: seht her, so großartig ist der Islam. Kein Denken daran, sich etwa wie in Agra, Istanbul oder Isfahan in eine Ecke zu setzen und die Stimmung auf sich wirken zu lassen. Als ich die Moschee verließ, blickte ich mich noch einmal um. Das Gebäude war grandios und erhaben, aber sein Geist blieb dem verschlossen, der kein Moslem war. 

Die Stadtrundfahrt endete im Viceroy Hotel im Ferrari Komplex vor den Toren der Stadt. Hier befand sich die Formel Eins Rennstrecke, auf der deutsche Rennfahrer Niko Rosberg zwei Wochen vorher Formel Eins-Weltmeister geworden war. Ehrfürchtig blickten wir auf den leeren Parcours und nuckelten an dem Freigetränk, das wir auf der Terrasse des Viceroy Hotels bestellen durften. Dann war die Stadtrundfahrt zu Ende und wir fuhren zurück zum Rotunda Hotel. 

Zwischen Hotel und Strandbereich hatten das Management des Rotunda Beach Hotels eine Art Weihnachtsmarkt aufgebaut, lauter Buden, in denen  Tand aus der ganzen Welt verkauft wurde.  Und um den Eklektizismus auf die Spitze zu treiben, musizierte dazu allabendlich eine bayrische Combo in Leerhosen vor der internationalen Laufkundschaft. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen feiert ihre Apotheose im Orient-Tourismus.

Al Ain ist eine Wüstenoase etwa 175 Kilometer östlich von Abu Dhabi. Die Oase liegt am  Fuß eines Gebirges, dass Abu Dhabi von Oman trennt. Al Ain direkt zählt etwa 130.000 Einwohner, in ihrem weiteren Umkreis leben sogar ein halbe Million Menschen.   Al Ain von Abu Dhabi aus mit dem Bus zu besuchen, ist kein Problem, doch wieder erhob meine Gattin Einspruch. Sie wollte es etwas bequemer, so dass wir für 98 Euro pro Person eine organisierte Tagestour buchten.  Erste Folge: wir kurvten erst einmal anderthalb Stunden durch das Umland von Abu Dhabi, ehe wir alle Teilnehmer der Tour im Bus hatten. So erreichten wir erst gegen Mittag die Oase, um dann schon gegen 16:00 wieder abzureisen. Die Schnellstraße zwischen Abu Dhabi und Al Ain war eine lückenlos von Palmen gesäumte Autobahn, die sich durch malerische Dünenlandschaften dahinzog. Manche von ihnen waren über einhundert Meter hoch und erinnerten mich an die Anblicke des Grand Erg Okzidental, wie ich sie in Algerien gesehen hatte, auch wenn sie die rötliche Farbe des namibischen Sussuvleis besaßen. Erster Anlaufpunkt in Al Ain war das Scheich Zayed Museum, das Geburtshaus des großen Scheichs. Lehmmauern mit restaurierten Blockzinnen, dunkle Räume mit jeder Menge Kissen auf dicken Teppichen, Brunnen, Leitern, Tore – das war´s. Im Nationalmuseum wurde dokumentiert, wie innerhalb eines halben Jahrhunderts aus einem mickrigen Platz am Ende der Welt eine der modernsten Städte der Gegenwart wurde. Öl, politische Intelligenz und ethnischer Egoismus erwiesen sich als das Erfolgsrezept Abu Dhabis. Von Anfang an wurde das Geld, das durch das Ölgeschäft ins Land kam, für die Modernisierung der Infrastruktur ausgegeben. Wie das Museum keineswegs verhehlte, nahmen die Einwohner Abu Dhabis die Segnungen des Wohlstands zwar gerne hin, genossen Grundeinkommen und kostenlose Sozialversicherung,  verharrten aber ansonsten auf dem Niveau von Dattelhändlern, Taxifahrern und Teppichhändlern.

Auf dem Kamelmarkt von Al Ain konnte man Kamel in allen Altersgruppen studieren. Ein wenig verstand man die Liebe des Arabers zu  seinen Kamelen, wenn man die Gatter entlangging und in die großen, bewimperten Augen weiblicher junger Kamele blickte. Werden die Tiere älter, erwartet sie Ernst des Lebens, d. h. sie werden als Männlein und Weiblein in ein Gatter gesperrt, wo sie sich vermehren sollen. Über den ganzen Markt schallte das Röhren einer Kamelkuh, der es ein Kamelhengst in einem der Gatter des Marktes gerade besorgte. Noch haarsträubender war der letzte Eindruck: die Schreie eines gefesselten Kamels in Todesangst, das auf seinen Abtransport  zur Schlachterei wartete und genau wusste, was ihm bevorstand. Diese Schreie  werde ich so schnell nicht vergessen. 

Die letzte Station führte uns hoch in die Berge zu einigen Aussichtspunkten, von denen sich ein Panoramaausblick auf die gesamte Oase von Al Ain ergab. Ein großer grüner Lebensfleck in einer sandigen Unendlichkeit. Hier beginnt die Rub el Khalil, die größte Sandwüste der Erde. Die Sahara ist als Wüste zwar größer, besteht aber überwiegend aus Stein. Von hier aus wären es nur wenige Kilometer bis zur omanischen Grenzstation. Ein andermal.

Unser Guide in Al Ain war ein indischer Christ aus Kerala. Er sprach Deutsch, Englisch, Arabisch und Hindu erzählte, dass er mit zwei Landsleuten ein einziges Zimmer an der Peripherie von Abu Dhabi bewohnte. In Kerala hat er eine Frau und eine Tochter, die studiert, und so schickt er jeden Pfennig nach Hause. Sollte er einmal arbeitslos werden oder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, würde er innerhalb weniger Tage aus dem Land fliegen. Für das, was derzeit in Deutschland abging, hatte er nur Kopfschütteln übrig. 

Für den Fall der Fälle kann Abu Dhabi sein Öl über eine Pipeline, die durch den Indischen Ozean führt, nach Fujian in China transportieren und die Straße von Hormuz umgehen.

Aufruhr auf der Damentoilette einer Tankstelle in Al Ain. Als Lilia aus der Damentoilette kam, erlangte eine Frau, die vollkommen verschleiert in einer schwarzen Burka daherkam, die vollständige  Desinfektion der Toilette.  

Lesefrüchte: Rahmani A.: Allahs Geschenk. Eigentum des Mannes. Die Geschichte der jungen, intelligenten Sahira aus Afghanistan, die ihr Abitur ablegt und nach dem Willen des Vaters studieren soll. Als der Vater stirbt, wird der missgünstige Bruder Familienoberhaupt und zwangsverheiratet seine Schwester. Insgesamt drei Zwangsverheiratungen muss Sahira  durchmachen, wobei sich jeder Partner als noch schlimmer erweist als der vorhergehende. Endlich gelingt ihr mit einem Geliebten die Flucht in den Iran. Hier wird sie Ärztin und heiratet ihren Gefährten. Ihrem Schicksal entgeht sie trotzdem nicht. Als sie wegen einer Familienangelegenheit nach Kandahar in Afghanistan zurückkehrt, wird sie vom Bruder eines ihrer Ex-Ehemänner erschossen. Das Buch ist nichts für literarische Gourmets sondern bezieht seine Attraktion alleine aus seinem Inhalt. Der aber hat es in sich. Wer sich für die Zigtausende junger männlicher Afghanen interessiert, die zurzeit unkontrolliert nach Deutschland einreisen, dem sei dieses Buch empfohlen. Es bietet die  erschütternde Biografie einer Frau, die unter drei Regimes (Kommunismus, Taliban, Nach-Taliban), ein Mensch zweiter Klasse geblieben ist.

Ein Nachmittag am Strand von Abu Dhabi. Für achtzehn Dirham fahren wir im Taxi zum Damm, der die Corniche mit der Marina Mall und dem Heritage Center verbindet. Auf einem kreisrunden Platz in Ufernähe sitzen die Familien und genießen den späten Nachmittag beim Anblick ihrer Stadt. Dieser Anblick ist ein absoluter Augenöffner.  Die Skylines in New York oder Dubai mögen beeindruckender  sein, in Abu Dhabi besticht das menschliche Maß, die Balance von Vertikalität und Horizontalität und das Potenzial, das überall spürbar ist.  Vor der Küste fand ein fetziges Motorbootrennen statt. Umweltbelastung, Wasserverschmutzung kein Thema. Einheimische grillten auf der Wiese. Schwarz verschleierte Großmütter hielten knallbunt ausstaffierte Kleinkinder im Arm. In langen Reihenstanden die südasiatischen Gastarbeiter abseits auf dem Damm und angelten.

Heute wollten wir uns das Fort Al Hosn ansehen, die historische Keimzelle der Stadt aus dem Jahre 1793. Was wir antrafen, war ein unscheinbares Fort in einer Seitenstraße, dessen Türme und Mauern nur hinter Bretterzäunen zu sehen waren. Immerhin existierte gleich nebenan eine Art Stadtmuseum, das didaktisch extrem gut aufbereitet war. Zuerst betrat man einen Raum, in dem uralte Männer und Frauen von den alten Zeiten vor dem Ölboom erzählten. Dann folgten Informationen zur Stadtgeschichte, zu Salzgewinnung und Perlenfischerei. Am eindrucksvollsten war eine Bildfolge, die im Stil eines Zeitraffers das Wachstum Abu Dhabis zeigte, immer mit dem Fort Hosn in der Mitte – vom Beginn an, als es alleine im Wüstensand stand bis zur Gegenwart, wo es nichts weiter als ein kümmerliches Relikt inmitten von Wolkenkratzern darstellt.

Langer Fußmarsch über die Sheik Zayed Road. Es wäre orientalisch gewesen, wenn die Häuser kleiner und mehr Kinder auf den Straßen gewesen wären. Auf jeden Fall herrschte in den Seitengassen, in den die südasiatischen Gastarbeiter leben,  erkennbar mehr Trubel. Überquerungen der breiten Straßen aber kosten Zeit. Ewiges Rotlicht für die Fußgänger, „grüne Welle“ als Menschenrecht für die Autobesitzer. Kleine Zeichen des Verfalls aber auch hier. Schadhafter Bodenbelag auf den Bürgersteigen, schiefe Bänke, der eine oder andere Eckensteher kratzte sich gelangweilt im Gemächt. Aber alles nur am Rande, so dass man schon genau hinsehen muss, um es zu sehen.  

Wenn es einen konkreten Beleg für die vollständige Ortlosigkeit der Globalisierung gibt,  dann ist es Abu Dhabi. In einer der trockensten Regionen der Welt wurden alle Ressourcen des Planeten zusammengezogen: das Geld aus dem Ölgeschäft, die Manpower des Westens, die Sklavenarbeiter Südasiens und sogar im Bereich der Kunst funktioniert dieses Prinzip. Auf Saadiyat Island, wo noch nie ein Werk von Weltrang entstanden ist, soll nach dem Willen des Scheichs ein großes Weltbegegnungszentrum der Kulturen entstehen. Das  Louvre in Paris und das Guggenheim Museum in New York haben sich bereiterklärt, für ganz dickes Geld einen Teil ihrer Sammlungen in einem „Abu Dhabi Louvre“ bzw. einem „Abu Dhabi Guggenheim“ auszustellen. Der Treibsatz dieser Plänen ist das Tourismusmarketing.  Abu Dhabi soll ein Kulturreiseziel erster Güte werden. Schon heute kann auf Saadiyat Island auf wandgroßen Bildern ein Vorgeschmack dieses künftigen Glanzes besichtigt werden. Obwohl für 2015 angekündigt, ist aber noch nichts fertig, alles befindet sich noch im Bau. Das Zayed Nationalmuseum war geschlossen, ebenso wie der Pavillon der Vereinigten Arabischen Emirate  von der letzten Weltausstellung in Shanghai. Dafür gab es im Manarat  Saadiyat Museum schon heute einige Kostproben jener modernen Kunst zu besichtigen, um die ich zuhause einen weiten Bogen mache:  eine Installation aus lauter Löffeln, von der Decke hängende Bongo Trommeln und eine Computersimulation des Wachstums und Verschwindens von Hochhäusern. Höhepunkt der Ausstellung war die Darstellung eines zwei Meter langen Schamhaargekräusels einer alten Bäuerin aus Abu Dhabi, die ein Künstler  als gerade Kräusellinien auf zwei Dutzend Bildrahmen verteilt hatte. Da kann man nur sagen: Wer einem Einheimischen die totale Dekadenz des Westens demonstrieren wollte, der brauchte ihm nur eine Freikarte für diese Ausstellung zu schenken.  

Eine Einsicht nehme ich aus Abu Dhabi mit. eine multikulturelle Gesellschaft mit verschiedenen Ethnien und Religionen ist möglich – wenn klare  Regeln gesetzt werden und sich die Regierung bereit und in der Lage ist, diese Regeln auch anzuwenden und durchzusetzen. Also auf keinen Fall ein Modell, das im Westen anwendbar wäre.

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