Der kolumbianische Nobelpreisträger Gabriel Garcia Márquez veröffentlichte im Jahre 2002 seine Autobiografie unter dem Namen „Leben, um davon zu erzählen“. Aber ist auch alles, was erlebt wurde, wert, erzählt zu werden? fragte daraufhin ein Kritiker. Möglich, wenn der Autor Garcia Márquez heißt. Bei anderen mag ein solcher Anspruch als überambitioniert verstanden werden.
Dann kam Karl Uwe Knausgaard mit seinem autofiktionalen Projekt „Min Kamp“ in dem er die Gesamtheit seines Lebens zum Gegenstand einer „persönlichen Enzyklopädie“ machte. Ist ein solches Werk überhaupt möglich? fragten manche. Und nötig? fügten andere hinzu. Beide Fragen erledigten sich, weil Knausgaards persönliche Enzyklopädie „funktionierte“, wie man heute sagt. Das Leben eines jungen norwegischen Schriftstellers, in dem wahrlich nichts Weltbewegendes geschieht, wurde ein weltweit gelesener literarischer Page-Turner, und man begann zu begreifen, welche Kraft eine reflektierte Subjektivität besitzt, die es erlaubt, alles und jedes „erzählbar“ zu machen.
Ähnliches hatten, bezogen auf die Gesamtheit der Weltgeschichte, bereits früher Will und Arielle Durant versucht. Sie veröffentlichten zwischen 1927 und 1967 in vierzig Jahren in ungeheurer Detailarbeit ihre „Story of Civilisation“, eine bis heute lesenswerte Weltgeschichte aus einem Guss. An diesem Werk kann man mehr noch als an Knausgaard lernen, dass es nicht unbedingt das Thema, sondern die Perspektive ist, die den Umriss eines Werkes konstituiert. Ganz gleich, wie man den Erfolg eines solchen Projektes bewerten mag, die Ambition als solche verdient Respekt.
Der Reiseschriftsteller Ludwig Witzani würde sich dagegen wehren, in diesen Kontext eingeordnet zu werden, aber sein reiseerzählerisches Weltreiseprojekt ist vor diesem Hintergrund am besten zu verstehen: als der Versuch einer Gesamtschau, nicht der eigenen Person, nicht der Weltgeschichte, sondern der bereisbaren Welt in den Grenzen einer Lebensspanne, soweit dies aus einer einzigen Perspektive möglich ist.
Ludwig Witzani ist sein Leben lang kreuz und quer durch die Welt gereist und hat in jüngeren Jahren regelmäßig in den Reisefeuilletons von ZEIT und FAZ und anderen Periodika veröffentlicht, eher er kurz nach der Jahrtausendwende mit der Arbeit an seinem reiseerzählerischen Weltreiseprojekt begann. Dieses Projekt fußt auf einer dreistelligen Zahl von lebenslang mit einer gewissen Obsession verfassten Reisetagebüchern, die bei der Überarbeitung, einem Diktum von Ernst Jünger zufolge, die wunderbare Eigenschaft besitzen, „die Erinnerung zu öffnen wie Teeblüten“.
Dieser über die Spanne eines Lebens festgehaltene unmittelbare Blick auf die Welt, ergänzt durch immer neue, aktuelle Reisen bildet die Grundlage eines reiseerzählerisch-autofiktionalen Werkes, das inzwischen auf 22 Bände angewachsen ist. Es handelt sich um ausführliche Reiseerzählungen aus Tibet, Indien, Argentinien und Chile, Osteuropa, Indochina, Iran und Usbekistan, über den gesamten Norden und Süden Afrikas, aus der indonesischen Inselwelt, über Pakistan und die Seidenstraße, über die Südsee, Australien, Kanada und die Vereinigten Staaten, Brasilien, Paraguay, Uruguay, die arabische Halbinsel, den Indischen Ozean und China. Weitere Werke über den Andenraum und Russland befinden sich in Arbeit.
Ist ein solches Werk möglich, ohne in Oberflächlichkeiten abzugleiten? Ohne durch die Standortgebundenheit der eigenen Urteile schiefe Perspektiven zu produzieren? Die Antwort auf diese Fragen überlässt der Autor dem Leser, der auf Bücher trifft, in denen es nicht nur um das Beschreiben, sondern auch um das Verstehen geht, um den Spagat zwischen dem nacherzählten Reisedetails und der Reflexion – wobei die Welt nicht nur als Resonanzboden der eigenen Subjektivität verstanden wird, sondern als Aufforderung, sich selbst in einem größeren Ganzen aufzuheben. An den verschiedensten Stellen des Gesamtwerkes, zu Füßen des heiligen Berges Kailash, in den Ruinen von Angkor Wat, auf der Kumbh Mela, der größten Wallfahrt der Erde oder in den großen Städten der Welt sucht der Autor nach dem „Petrarca Moment“, d.h. einem Gesamterlebnis, dass der altgriechischen ek-stasis gleicht, einem Heraustreten aus den Beschränkungen der eigenen Person und dem glückhaften Aufgehen in einer Entität, die Person und Welt gleichermaßen umfasst und transzendiert.