Diese Reise habe ich lange geplant, zweimal verlegt und einmal abgesagt. Irgendwie hatte ich Bammel davor, weil es ganz schon hoch gehen würde. Aber dann war es endlich soweit. Am 13. August brachen wir auf zu unserer Südamerikatour 2019. Hier ist der Bericht.
Der Flug über Atlantik und Südamerika dauerte 13 Stunden und erforderte wegen der engen Sitzgestaltung bei Iberia erhebliche Leidensfähigkeit. Wir starteten gegen Mittag in Madrid und landeten (nach Ortszeit) gegen 21:00 in Santiago de Chile. Der Flughafen lag etwa 25 km von der Innenstadt entfernt, der Transfer mit dem Taxi kostete umgerechnet etwa 25 USD. Das kam uns zuerst gar nicht so viel vor, rückblickend betrachtet war es der höchste Taxipreis, den wir auf der ganzen Reise bezahlen sollten – wie sich überhaupt Chile als das wirtschaftlich fortgeschrittendste Land Südamerikas als das mit Abstand teuerste herausstellen sollte. In Santiago de Chile blieben wir einen Tag und wohnten in einem Apartmenthaus in der Innenstadt. Diese Unterkunft, ein kleines Appartment mit zwei Zimmern und einer kleinen Küche, kostete etwa 50 Euro die Nacht und war für eine fußläufige Erkundung der Stadt ideal positioniert. Ich war zwar schon 2007 in Santiago de Chile gewesen, hatte aber damals längst nicht alles gesehen. Außerdem ist ein Tag Akklimatisierung nach Langflügen nie verkehrt. Wir spazierten durch die Innenstadt, zur Plaza de Armas und aßen im Mercado eine erstklassige Fischsuppe. Der Höhepunkt des
Tages in Santiago war der Besuch des Conceptionshügels mit der Seilbahn und der Ausblick auf eine von Gebirgsketten umgebende Millionenstadt. Von irgendeiner Unruhe, die sich zwei Wochen nach unserer Abreise in einem gewaltigen Rabbatz entladen sollte, war während unseres Aufenthaltes in Santiago nichts zu spüren.
Schon am nächsten Morgen hieß es in aller Frühe wieder zurück zum Flughafen. Wegen des heftigen Gegenwindes benötigte die voll ausgebuchte Düsenmaschine volle sechs Stunden bis zu den Osterinseln. Die Osterinseln, in der Sprache der Einheimischen Rapa Nui genannt , bilden die östliche Grenze Polynesiens (Die südliche markiert Neuseeland, die nördliche Hawaii und die westliche Samoa). Kein Ort der Welt ist weiter von irgendeinem anderen Ort entfernt als diese Insel. Umso erstaunlicher, dass sich hier die weltbekannte Moai-Kultur entwickelt hat, deren monumentale Kopfskulpturen zu den fremdartigsten Ansichten gehören, die man in der ganzen Welt erleben kann. Bekanntermaßen haben die Bewohner der Osterinseln ihren Lebensraum durch die jahrhundertelange Abholzung in eine ökologische Katastrophe geführt. Deswegen bietet heute Rapa Nui auch alles andere als ein typisch polynesisches Ambiente. Die Insel ist kaum bewaldet, kühl, überwiegend flach und weltenweit entfernt von der Üppigkeit Hawaiis oder Tahitis. Der Hauptort Rapa Nuis ist Hanga Roa, in dem einige tausend Einwohner leben. Hier wohnten wir im Tonjika Ressort für happige 110 USD die Nacht. Das Zimmer war im Grunde unzumutbar winzig, aber es gab eine Gemeinschaftsküche und einen schönen Sitzbereich mit Aussicht auf den Ozean.
Wer die Osterinseln auf eigene Faust bereisen möchte, kann in zwei oder drei Tagen einen durchaus hinreichenden Eindruck gewinnen. Am besten, man mietet sich einen Wagen (45 USD pro Tag, allerdings ohne Versicherung, also keinen Bruch bauen!) und fährt die kleine Insel (mit 117 qkm kleiner als Köln) ab. Die Top Sehenswürdigkeiten waren der Orongo Kultplatz hoch über dem Meer, an dem in den altvorderen Zeiten alljährlich der Vogelmann-Wettbewerb stattfand, der Rao Kano Krater und der geheimnisvolle Steinschlag von Rano Raraku, wo die Mais direkt aus dem Stein herausgeschlagen wurden. Etwas fürs Herz und Gemüt boten die wieder
aufgerichteten Moais von Ahu Tahai in der Nähe von Hanga Roa, an denen man allabendlich den Sonnenuntergang genießen konnte, und der Besuch der Ahu Tongariki zu Sonnenaufgang. Wer sich für die Geschichte der Osterinseln interessiert, den verweise ich auf das entsprechende Kapitel in dem Klassiker von Jared Diamond “Kollaps. Wie Gesellschaften überleben oder untergehen“. Wer es etwas anschaulicher möchte, ist mit Kevin Costners Hollywoodfilm „Rapa Nui“ auch nicht schlecht bedient.
Nur am Rande: Seit einigen Jahren kann man einmal wöchentlich von Rapa Nui weiter nach Tahiti fliegen. Die Distanz beträgt wieder etwa viertausend Kilometer, die in fünf bis sechs Stunden Flugzeit zurückgelegt werden. Wir aber hielten uns wieder ostwärts und flogen nach drei Tagen auf den Osterinseln zurück nach Santiago de Chile Da wir spät am Abend ankamen, übernachteten wir in einem erstklassigen Flughafenhotel und genossen wieder reichlich Auslauf zwischen Bett und Badezimmer. Schon am nächsten Morgen flogen wir weiter nach Antofagasta, Chiles zweitgrößter Stadt im Norden. Da man nach einer Reise immer alles besser weiß als vorher, hier eine Anmerkung zur Reiseplanoptimierung. Wir hätten von Santiago aus auch gleich nach Calama fliegen können, der Kupferstadt im nordchilenischen Inland in der Nähe der großen Kupfermine von Chuquiquamata, weil es von Calama aus nur noch etwa einhundert Kilometer bis San Pedro de Atacama ist. Auf der anderen Seite war das Erlebnis des rauen Antofagasta durchaus eine Reise wert. Die Stadt gleicht einem lang gestreckten schmucklosen urbanen Lindwurm unter einem ewig bedeckten grauen Himmel. In ihre Nähe befanden sich das Felsenmonument von La Portada vor der Küste und der Artefakt „El Desierto“ achtzig Kilometer weiter südlich. Ansonsten gab es in der Stadt nichts weiter zu erleben als das Gefühl einer weltverlassenen Melancholie, der man sich aus Gesundheitsgründen nicht länger als ein oder zwei Tage lang aussetzen sollte Wir machten schon am nächsten Morgen, dass wir weiterkamen und nahmen den Bus zuerst nach Calama, wo wir in einen zweiten Bus nach San Pedro umstiegen. Einen Direktbus von Antofagasta nach San Pedro de Atacama gab es nicht. Diese Reise dauerte insgesamt etwa fünf Stunden, die wir größtenteils im Obergeschoss eines erstklassigen Doppeldeckerbusses zurücklegten. Schon in dieser Phase der reise konnte ich feststellen, dass das Busreisen in Südamerika noch komfortabler geworden war. Die Busse, mit denen wir unsere Reisen in Chile, Bolivien und Argentinien absolvierten, waren fast alle großzügig ausgestattete Doppeldecker, vorbuchbar pünktlich, geräumig und mit Toiletten versehen.
San Pedro de Atacama lag 320 km von Antofagasta entfernt in einer etwa 2600 Meter hohen bizarren Wüstenlandschaft in der Nähe der bolivianischen Grenze. Geschichtsinteressierte wissen, dass die Chilenen den gesamten Norden Chiles im 19. Jhdt. im Rahmen des Salpeterkrieges (1878-1882) von Bolivien abgetrennt hatten. Im Grunde legten die Chilenen damals mit der Okkupation dieses extrem rohstoffreichen Gebietes den Grundstock für die wirtschaftliche Blüte ihres Landes. Verständlicherweise sind die Bolivianer bis auf den heutigen Tag sauer über diesen Verlust und fordern ihren Meereszugang zurück.
San Pedro de Atacama hat sich in den letzten Jahren zu einem Top-Anlaufpunkt des internationalen Backpackertums entwickelt. Der kleine Ort liegt pittoresk am Fuße des fast sechstausend Meter hohen Vulkans Lecancabour, bietet Unterkünfte in allen Preisklassen und eignet sich hervorragend als Ausgangspunkt zur Erkundung des nordchilenischen und südbolivianischen Hochlandes. Ich rate allerdings dringend, an den Unterkünften in San Pedro nicht zu sparen. Ein Traveller erzählte mir, wie er sich in einem Dormitorium ohne Heizung und nur mit einer dünnen Decke versehen allnächtlich buchstäblich den Hintern zufror. Wir hatten es mollig warm in unserer schönen Unterkunft Hostel Etnica, zahlten dafür aber auch einen stattlichen Preis.
Ich hatte schon von Deutschland aus Kontakt zu den Reiseagentur El Relincho aufgenommen und die Tour zum Taito Geysir und die Salar de Uyuni Tour nach Südbolivien gebucht. Für Leute die n unseriösen Agenturen fürchten, kann ich diesen Anbieter vorbehaltlos empfehlen. Für die Tour zum Taito Geysir und die Reise nach Südbolivien zahlten wir etwa 180 USD pro Person, Verpflegung und Unterkunft inklusive.
Zum Taito Geiser, dem höchstgelegenen Geysir der Welt, startete die Exkursion gegen 4:00 Uhr in der Nacht (!), was selbst für einen Frühaufsteher wie mich eine Herausforderung darstellte. Dafür erreichten wir den Taito Vulkan mach einer rasanten Nachtfahrt von anderthalb Stunden noch in der Dämmerung und hatten Gelegenheit, dem Sonnenaufgang bei 20 Grad unter null entgegenzufrieren. Dann wurden wir Zeuge, wie über einem Hochplateau mit Dutzenden blubbernder Geysire langsam die Sonne aufging. Wie sich die weißen Dampfschwaden sich in den eiskaltem Himmel verloren während die aufgehende Sonne scharfe Konturen in die Berge fräste, hatte etwas, doch ob es sich wirklich lohnte, sich dafür grün und blau zu frieren, will ich mal offen lassen.
Ein Besuch des Hochlands von Bolivien zählt neben Patagonien, Amazonien und dem Inka-Trail zu den Höhepunkten jeder Südamerikareise. Sie wird als „Salar de Uyuni Tour“ von San Pedro aus meist als viertägige Exkursion angeboten, wobei der vierte Tag nur in der Rückreise von Uyuni in Bolivien nach San Pedro in Chile besteht. Wir hatten nur eine dreitätige Tour gebucht und vereinbart, dass wir die Gruppe in Uyuni verlassen würden, um selbstorganisiert nach Potosi und Sucre weiterzureisen. Die Exkursion vollzog sich in einem Toyota Jeep mit Allradantrieb und drei Sitzreihen. Zu unserer Gruppe gehörten die beiden Spanier Manuel und Rodrigo, zwei Studenten, die trotz der Kälte niemals ihre gute Laune verloren, Melania und Federico aus Norditalien und Bernhard und ich als Oldies. Unser Führer war der Bolivianer Saul, ein kleiner, kompakter, ungemein kompetenter Mann in den Vierzigern, der uns in den drei Tagen sicher annähernd tausend Kilometer kreuz und quer durch Südbolivien kutschierte. Auch ihn kann ich vorbehaltlos empfehlen, seine Mail-Adresse ist saul.cayoquispe@gmail.com. Als die Fahrt in das Hochland noch vor Morgengrauen begann, ahnten ich allerdings noch nicht, wie strapaziös diese Tour werden würde. Mein Kardiologe hatte mir Höhen von 4000 Metern erlaubt dass wir bis auf fast 5000 Höhenmetern fahren würden, wusste ich noch nicht. Rückblickend würde ich sagen, dass es nur das Koka war, das uns über die härtesten Passagen hinweghalf. Saul hatte eine Türe voller Koka Blätter bereitgelegt, aus dem sich jede bedienen konnte, wenn das Herz gar zu sehr raste oder der Atem stockte. Auch die Unterkünfte waren eher etwas für hard-core-Traveller.
Am ersten Tag passierten wir die bolivianische Grenze im Schatten des mächtigen Lecancabour und besuchten die Lagunen des Südens, die Lagune Blanca, die Laguna Verde und vor allem die weltberühmte Laguna Colorado, deren Wasser wegen der Algen, die im See leben, rot gefärbt ist. Im Kontrast zu den abgefrästen Steinlandschaften und den erloschenen Vulkanen, die die gesamte Landschaft säumen, bilden sie diese Lagunen der faszinierendsten Kulissen des Kontinents. Der zweite Tag, so Saul war der „Tag der Steine“. Wir fuhren zu diversen Steinlandschaften, die mit einiger Fantasie „Ciudad“ oder
als „Copa del Mundo“ bezeichnet werden konnten. Wir blickten in den Schlund des gigantischen „Canyon del Inca“ und wanderten einmal rund um eine Lagune und am Ende quer durch eine Vicunyaherde.
Der dritte Tag führte uns zur Salar de Uyuni, einer der größten und hochgelegendsten Salzwüsten der Erde, eine absolut unwirkliche Welt in der sich die Wahrnehmung von Weite und Horizont verwirrt, eine Endlosigkeit von Salz mit einzelnen „Inseln“ voller Riesenkakteen
Am Nachmittag des dritten Tages hieß es, Abschied von der Gruppe zu nehmen. Saul fuhr uns mit dem Jeep in das Stadtzentrum von Uyuni, wo wir in einer Art fliegendem Wechsel aus dem Jeep in den Fernverkehrsbus nach Potosi umstiegen. Früher benötigte man für die Strecke von Uyuni nach Potosi mit dem Bus sechs Stunden, seit dem Bau der neuen Hochgebirgsstraße bewältigt man die 200 km lange Distanz in drei Stunden. Man kann über Boliviens linkspopulistischen Diktator Evo Morales sagen was man will, die Infrastruktur jedenfalls ist unter einer Ägide besser geworden. Allerdings klagten die Leute, mit dneen wir ins Gespräch kamne, über Korruption und Selbstherrrlichkeit des linkspopulistischen Regimes. Als Morales vier Wochen nach unserer Reise auch noch versuchte, die Wahlen zu fälschen, wurde er im November 2019 gestürzt. Wer sich übrigens landeskundlich für Bolivien interessiert, dem empfehle ich das Buch von Katharina Nickoleit: „Bolivien. ein Länderportrait.“
Potosi liegt in 4300 Höhenmetern zu Füßen des „Cero Rico“, des reichen Silberberges, der wie ein Schweizer Käse von Abertausenden Stollen durchlöchert ist. Seit 1545 wurden die Erträge der Silbermine von Potosi mit den spanischen Silberflotten nach Europa gebracht, wo sie einen Nachfrage- und Wachstumsschub (aber auch die erste Inflation) auslösten. Potosis Innenstadt mit ihren Plazas, bunten Fassaden und Kirchen erinnerte mich an La Paz, das Museum „Casa Nacional de Moneda“ war leider geschlossen. Das war misslich, aber noch viel misslicher war, dass die Heizung in unserem Hotel nicht richtig funktionierte, so dass wir auch in Potosi erbärmlich froren. Unser Hotel „El Libertador“ war ein totaler Schuss in den Ofen, das Frühstück das kümmerlichste meines Lebens.
Wiederum nur drei Stunden dauerte die Busreise von Potosi nach Sucre. Die wenigsten wissen, dass Sucre die nominale Hauptstadt Boliviens ist (auch wenn faktisch die Regierung in La Paz sitzt). Die gute Nachricht war, dass wir langsam wieder tiefer kamen, nämlich auf 2800 Höhenmeter, und dass es unverkennbar wärmer wurde. Sucre war eine bezaubernde Kolonialstadt, die man sich eher in Argentinien als in Bolivien vorgestellt hätte. Der Anteil der Indios, die in Potosi die Mehrheit gestellt hatten, war in Sucre niedriger. Sehenswert waren herrliche große Platz des 25. Mai, die strahlend weißen Klöster, Konvente und Kirchen. Wir wohnten optimal im Villa Antigua Hotel, nur wenige Gehminuten vom Platz des 25. Mai entfernt.
Der nächste Reiseabschnitt hatte mir schon bei der Planung Kopfschmerzen bereitet. Denn südlich von Sucre führten nur zweifelhafte Serpentinenstraßen kreuz und quer durch die Berge, nach Süden – entweder nach Tarija, dem Weinanbauzentrum Boliviens oder nach Tupiza, der Hauptstadt der bolivianischen Rinderzucht. Nach meinen Schätzungen wären wir von Sucre aus zwei Tage mit dem Bus nach Süden unterwegs gewesen, was den ganzen Zeitplan gefährden würde. Um uns das zu ersparen, liefen wir in Sucre als erstes ins Reisebüro, wo es uns mit etwas Glück gelang, für den übernächsten Tag den Inlandsflug mit Air Boliviano von Sucre nach Tarija zu ergattern. Diesen Flug hätte ich in Deutschland für 192 Euro buchen könne, vor Ort erhielten wir ihn pro Peron für 45 USD.Der Flug selbst dauerte eine gute Stunde. Als wir in Tarija das Flugzeug verließen, begrüßte uns ein überlebensgroße Pappmonument Papst Johannes Pauls II mit ausgebreiteten Armen. Wir hatten endlich die warme Zone erreicht und genossen auf 1900 Höhenmetern und die mollige Temperaturen der Subtropen. Ansonsten war Tarija eine quirlige Stadt, deren Unordentlichkeit
sympathisch wirkte. Wirklich sehenswert waren die Weinfelder des nahegelegenen Valle de la Conception, auf denen die höchstgelegenen Weine der Welt wachsen sollen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: herausragende Gran Cru wachsen hier nicht, und das, was wir probierten, schmeckte etwas säuerlich.
Der Nachtbus von Tarija nach Salta kostete so viel wie ein Flug, bot aber Ledersitze wie in der First Class im Flugzeug und so viel Platz, dass man während der Fahrt bequem und tief schlafen konnte. Auch diesen Bus hatten wir bereits in Sucre vorgebucht, was überhaupt kein Problem gewesen war. Wieder wunderte ich mich über die Fortschritte, die Boliviens Infrastruktur in den letzten Jahren gemacht hatte. Außer der Stunde an der bolivianisch-argentinischen Grenze habe ich die Nachtfahrt wieder komplett verschlafen. Ich erwachte erst, als der Bus in aller Frühe um 5:00 Uhr auf dem Busbahnhof von Salta stoppte. Für eine Handvoll Dollar (wir besaßen noch keine Pesos) fuhr uns der Taxifahrer zum Hotel , das wir einen Tag vorher gebucht hatten. Übrigens war die tageweise Vorbuchung von Hotels per Handy anhand der booking.com-App kein Problem, weil praktisch alle Hotels auf unserer Reise über W-Lan verfügten. Das Hotel Brizo Salta erwies sich als durchaus kulant, ließ uns schon um 6:00 Uhr in der Frühe auf das Zimmer und erlaubte uns am Abreisetag bis 3 Uhr zu bleiben.
Die Stadt Salta trug ihren Beinamen „Die Schöne“ zu Recht. In ganz Argentinien habe ich keinen einladenderen Platz gefunden wie den zentralen „Platz des 9. Juli“ mit seinen Brunnen, Palmen, Standbildern und großbürgerlichen Fassaden. Umgeben war der Platz von der großen Kathedrale, dem Stadthaus und dem „Museum des Nordens“, in dem sich die drei berühmten Kindermumien aus den Anden befinden. Den ganzen Tag lang kann man durch Salta flanieren, sich in kleinen Restaurants bei Tangomusik verwöhnen lassen oder sich einfach nur am Ambiente laben. Was uns in Salta allerdings auch auffiel, waren die langen Menschenschlangen vor den Banken, denn die Bewohner der Stadt versuchten, angesichts der aktuellen eskalierenden Staatspleite, ihre Dollars abzuheben. Es war ein Jammer, diese bedauernswerten Menschen zu sehen, die praktisch alle paar Jahre durch eine korrupte Politik um die Früchte ihrer Arbeit gebracht wurden. Wen dies länderkundlich interessiert, den verweise ich auf das Buch von Peter Waldmann „Argentinien. Schwllenland auf Dauer“. Während unserer Anwesenheit in Argentinien stürzte der Peso Kurs ins
Bodenlose, bis wir schließlich über 60 Pesos für einen Dollar erhielten. Auf meiner letzten Argentinienreise vor fünf Jahren waren es noch 15 gewesen. Schwarz zu tauschen, bereite keinerlei Schwierigkeiten. Ganz offen standen die Schwarzmarkthändler mit ihren Peso-Bündeln unter den Arkaden der Innenstadt und sprachen die Touristen an. Ein gutes Abendessen kostete auf der Grundlage des Schwarzmarktkurses nicht mehr als vier oder fünf Dollar, und die teuren Bustickets fielen angesichts des täglich fallenden Peso Kurses nicht ins Gewicht. Dementsprechend preiswert waren auch die Touren, die wir in von Salta aus unternahmen.
- Eine Tagestour in die Quebrada de Humahuaco im Norden von Salta mit einem
Besuch von Humahuaco, der Inkaruinen von Tilcara und der Indiostadt Purmamarca. Sie dauerte 10 Stunden, umfasse eine strecke von 600km und kostete 1200 Pesos – umgerechnet gut 20 Dollar. Diese Schlucht hatten wir schon während unserer nächtlichen Anreise aus Bolivien im Tiefschlaf durchfahren.
- Eine Tagestour ins Indiodorf Cachi in die Nähe der chilenischen Grenze für 1000 Pesos pro Person (acht Stunden, 1000 Pesos) und als Höhepunkt:
- eine Fahrt mit dem „Tren alas Nubes“ auf über viertausend Höhenmetern zum Viadukt von La Polvorilla. Diese Fahrt mit dem Tren alas Nubes gilt als eine der ultimativen Reiseerfahrungen überhaupt. Schon in Deutschland hatte ich mit Hilfe des Kölner Reisebüros Distinctravel die Zug-Agentur in Salta kontaktiert und eine Vorabreservierung vorgenommen. Als wir in Salta eintrafen, war es kein Problem,
die Tickets auf der Stelle einzulösen (Kostenpunkt: knapp viertausend Pesos, das waren 60 bis siebzig Dollar.) Allerdings wäre dieser Vorlauf gar nicht nötig gewesen, weil noch reichlich Plätze verfügbar waren. Außerdem, das war die zweite Erkenntnis, lief die Exkursion ganz anders ab, als erwartet. Ich hatte gedacht, wir würden in Salta in den Zug steigen und langsam immer höher „in die Wolken“ fahren. Es verhielt sich aber so, dass wir von Salta aus erst einmal stundenlang mit einem Bus durch die Quebrada de Tores fuhren, eine einhundertfünfzig Kilometer lange unterhört malerische Schlucht, ehe wir das Hochland und den Ort San Antonio de los Cobres erreichten, wo der Zug auf uns wartete. Die eigentliche Zugreise hin und zurück zum Viadukt La Polvorilla dauerte
dann knapp drei Stunden. Sowohl die Busfahrt wie die Zugreise waren ihr Geld wert. Das Besondere an der Quebrada de Tores (wie auch schon an der Quebrada de Humahuaco) waren die farbig gescheckten Berge, die monumentalen Ausmaße der Schlucht sowie die weltabgelegene Stimmung der kleinen Orte am Wegesrand. Die Eisenbahnreise über die nach Tibet zweithöchste Hochebene der Welt war ein unvergessliches, wenn auch kräftezehrendes Erlebnis, denn wieder quälte uns die Höhe. Zwei ältere Reisende mussten während der Zugfahrt mit Sauerstoffmasken versorgt werden. Als wir schließlich ganz langsam über den Viadukt furhen, wurde mir doch etwas schummrig.
Insgesamt haben wir uns eine gute halbe Woche in Salta aufgehalten. Leider quälten mich die Nachwirkungen einer schweren Erkältung, die ich mir im Hochland von Bolivien geholt hatte. Kaum war die Erkältung abgeklungen, überfiel mich ein gnadenloser Zahnschmerz, den ich mit starken Schmerztabletten und Antibiotika bekämpfte. Erst alswir Salta verließen, ging es mir aber wieder einigermaßen.
Der folgende Reiseabschnitt führte uns durch den Chaco, eine zentalsüdamerikanische Region aus flachem Trockenwald und Buschland. Der Chaco bildet als Wärmezentrum des Kontinents den Übergang von Amazonien und dem Pantanal zur Pampa des Südens. Nordargentinien, Ostbolivien und fast ganz Paraguay werden durch die Landschaftsform des Chaco geprägt. Zwischen 1932 bis 1935 massakrierten sich Bolivianer und Paraguayaner gegenseitig zu Zigtausenden im „Chaco Krieg“, weil man Chaco (fälschlicherweise) ergiebige Ölfelder vermutete. Zu sehen gab es im Chaco nichts, so dass wir nichts verpassten, als wir wieder den Nachtbus nahmen. Über achthundert Kilometer führte die Nationalstraße 35 durch plattes Land von Salta nach Resistencia. Diese Strecke haben wir im Wesentlichen verschlafen. Wir wachten gegen 5:00 Uhr in der Frühe aus dem Busbahnhof von Resistencia auf, packten unser Gepäck und rannten zur Nachbarrampe, wo bereits der Anschlussbus nach Posada an der argentinisch-bolivianischen Grenze
wartete. Wir überquerten den Rio Paraguay, passierten die große Stadt Corrientes und erlebten nach zwei weiteren Stunden einen wunderbaren Sonnenaufgang über der argentinischen Provinz Misiones, ehe wir gegen 11 Uhr am Vormittag nach insgesamt 19stündiger Busreise in die Stadt Posada am Parana einfuhren. Die meisten Leute haben vom Parana noch niemals etwas gehört, dabei handelt es um einen der drei gewaltigen Ströme, die zusammen mit dem Rio Paraguay und dem Rio Uruguay den gesamten Kontinent südlich Amazoniens entwässern.
Wer den Film „The Mission“ mit Jeremy Irons und Robert de Niro kennt, weiß, dass in dieser abgelegenen Region am Parana im 17. und 18. Jhdt. die Jesuiten Dutzende blühender Missionszentren gegründet hatten. Diese Reduktionen waren selbstverwaltete Wirtschaftseinheiten in denen die Jesuiten die Guarini Indianer in Landwirtschafft und Viehzucht, aber auch in Musik und Kunst unterrichteten. Diese Kulturzentren mit ihren teilweise prächtigen Barockkirchen waren einmalige und bewundernswerte Schöpfungen menschlicher Humanität, und es ist eine Schande, dass die europäischen Aufklärer in völliger Verkennung der Sachverhalte, mit dafür sorgten, dass die Jesuiten 1767 Südamerika verlassen mussten, womit die Reduktionen zusammenbrachen.
Während der Reiseplanung hatte ich nicht abschätzen können, wie schwierig der Besuch der vier großen Jesuitenreduktionen und der Grenzübertritt von Argentinien nach Paraguay sein würden. Die Reiseführer berichteten von horrorartigen Zuständen und langen Warteschlangen an den Grenzen. Dann aber stellte sich alles als sehr einfach heraus. Yacare Travel in Posada, die ich schon von zuhause aus kontaktiert hatte, organsierten uns einen Taxifahrer, der uns einen Tag lang zu den vier großen Reduktionen links und rechts des Parana fuhr. Der Taxifahrer war ein fideler Frühsechziger, der seine jugendliche Geliebte mit auf Tour nahm und mit ihr herumschmuste, während wir uns
Kultur reinziehen mussten. Aber er machte seinen Job tadellos, holte uns am Hotel ab, organisierte den Grenzübertritt und die Fährfahrt über den Parana und brachte uns mitsamt unserem Gepäck am Ende zu unseren Hotel in der paraguayiscchen Grenzstadt Encarnacion. Der Preis für diesen umfassende Rundumservice betrug 3600 Pesos pro Person, was einem Betrag von gerade mal 60 USD entsprach. Den Besuch der Jesuitenreduktionen kann ich unbedingt empfehlen. Sie gehören vielleicht zu den unbekanntesten der wirklich herausragendsten großen Reiseziele Südamerikas.
In Encarnacion hätten wir locker ein oder zwei Tage am goldgelben Flussstrand direkt am Parana abhängen können. Der mächtige Strom war hier kilometerbreit, und man konnte am anderen Ufer die Skyline von Posada erkennen. Aber mittlerweile drängte die Zeit, und da wir noch einen Abstecher nach Asuncion unternehmen wollten, packten wir schon am nächsten Morgen unsere Sachen. Der Busbahnhof von Encarnacion lag mitten in der Stadt, auf den Bänken saßen die Schwarzmarkthändler und boten miserable Kurse für den lokalen Guarini. In der Wartehalle trafen wir vier junge Missionare aus den USA, die in Paraguay als evangelikale Missionare unterwegs waren. Es waren freundliche, junge Burschen, die wie Pinguine in weißen Hemden und dunklen Hosen im Dienste der „Church of Jesu Christ“ unterwegs waren.
Paraguay gilt machen als das langweiligste Land Südamerikas, so langweilig, dass es fast schon wieder eine Reise wert ist. Außerdem soll das Land einen der höchsten Indio-Anteile Lateinamerikas haben. Keines von beiden stimmte. Für mich war Paraguay ein Argentinien im Bonsai-Format mit farbenfrohen Märkten, freundlichen Menschen und extrem günstigem Preisniveau. Und besonders viel Indios habe ich in Paraguay auch nicht gesehen. Entweder hielten sie sich von der Hauptstadt fern oder sie waren inzwischen mit den eingewanderten Weißen zu einer mehr oder weniger homogenen Mestizen Bevölkerung verschmolzen. Sieben Stunden dauerte die Busreise von Encarnacion quer durch das Land nach Asuncion. Der Bus durchquerte eine intensiv landwirtschaftlich genutzte Region, deren Ortsnamen anzeigten, dass hier auch viele Deutschstämmige lebten. Vor Asuncion wurden wir Zeuge eines prächtigen Sonnenuntergangs, den wir vom ersten Stock unseres Doppeldeckerbussses wie auf einer Leinwand beobachten konnten. Dann quälten wir uns fast eine ganze Stunde lang durch die Peripherie eines urbaner Molochs am Rande des Verkehrskollapses. Eine weitere Stunde dauerte die Fahrt vom Busbahnhof von Asuncion zu unserem Hotel Las Margaritas in der Innenstadt. Diese Unterkunft war ihr Geld wert, sie war optimal in der Innenstadt gelegen, besaß eine Sauna und einen Pool auf dem Dach und bot ein erstklassiges Frühstück für umgerechnet schlappe 20 USD.
Sehenswürdigkeiten nennenswerter Art gab es in Asuncion allerdings nicht. Die Stadt erstreckte sich über mehrere Hügel am Ufer des Rio Paraguay und umfasste als Großraum über drei Millionen Einwohner. Allerdings besaß ihre Verfallenheit im Zentrum durchaus morbiden Charme, und es war kein Problem, einen Tag lang durch ihre Gassen zu schlendern, auf den Stufen der Kathedrale zu sitzen oder auf der Plaza de la Independencia an einem Straßenfest teilzunehmen.
Am Nachmittag traf ich Enrique Ballasch, den Vetter einer guten Bekannten aus Bonn, dessen Adresse ich mir besorgt hatte, um auch einmal mit einem Auswanderer aus Deutschland zu plaudern. Enrique Ballasch war ein sympathischer, gut erhaltener Mitsechziger, dessen Vater in den frühen Dreißiger Jahren nach Paraguay ausgewandert war. Als Facharbeiter im Maschinenbau hatte er schnell eine gute Stellung gefunden und mit zwei Frauen im Laufe seines Lebens neun Kinder gezeugt, unter ihnen Enrique Balllasch, der seinerseits mit zwei Frauen vier Kinder in die Welt gesetzt hatte (oder waren es sechs?). Enrique selbst hatte als junger Mann vom Parkplatzwächter bis zum Lufthansa-
Angestellten alle möglichen Jobs ausgeübt, bis er sich nach einem Deutschland-Aufenthalt selbständig machte. Mittlerweile handelt er mit Autoersatzteilen im brasilianisch-paraguayischen Grenzverkehr und lebt in einem Vorort von Asuncion. Nach Deutschland wollte er nicht zurück, das Wetter sei zu schlecht und was derzeit an Massenzuwanderung nach Deutschland ablaufe, könne keiner verstehen. Vielleicht würde er demnächst seinen Grundbesitz in Paraguay liquidieren und sich in Barcelona zur Ruhe setzen. Leider sei die wirtschaftliche Lage in Paraguay gerade nicht optimal, woran seiner Ansicht nach die notorische Korruption der Politiker Schuld sei. So hätte der Bürgermeister von Asuncion in den letzten vier Jahren keinen Finger gerührt, um das triste Erscheinungsbild der Stadt zu verbessern. Es stimmte zwar, dass die Leute in Paraguay kaum Steuern zahlten – für das wenige, das sie zahlten, erhielten sie aber praktisch nichts.
Vom Busbahnhof in Asuncion fuhren wir wieder sechs bis sieben Stunden lang durch das ganze Land in Richtung Osten. Besonders viel zu sehen gab es nicht, im Grunde sah es genauso aus wie auf unserer Reise von Encarnacion nach Asuncion zwei Tage vorher. Schon fast am Ziel der Reise gerieten wir in der paraguayischen Grenzstadt Puerta del Este in einen zweistündigen Stau, in dem es nur zentimeterweise voran ging. Endlich in Foz de Iguacu in Brasilien angekommen, tauschten wir erst einmal Geld und fuhren mit dem Taxi ins Zentrum. Der Taxifahrer war ein Schlitzohr und setzte uns einfach vor irgendeinem Hotel ab, so dass wir uns unsere vorgebuchte Unterkunft zu Fuß erlaufen mussten.
Foz de Iguacu war eine moderne gesichtslose Großstadt, die man nur wegen der benachbarten Iguacu-Wasserfälle besuche. Von der Innenstadt aus fuhren halbstündlich Busse zum etwa 25km entfernten Nationalpark Iguacu. Der Iguacu ist ein etwa 1300 km langer Fluss (etwa so lange wie der Rhein), der im in der Nähe der brasilianischen Großstadt Curitiba entspringt und im Dreiländereck Paraguay-Argentinien-Brasilien in den Parana mündet. Kurz vor seiner Einmündung stürzt er in mehreren Stufen und in kilometerlanger Breite in eine fast einhundert Meter tiefe Schlucht. Gemessen an der herabstürzenden Wassermenge gelten die Wasserfälle von Iguacu neben den Victoriafällen in Südafrika als die größten Wasserfälle der Erde. Besichtigen kann man die Wasserfälle in zwei Tagesexkursionen. Von der brasilianischen Seite aus ergeben sich die
schönsten Panoramaaussichten, auf der argentinischen Seite kommt man den eigentlichen Abstürzen sehr nahe. Ich hatte die Wasserfälle von Iguacu schon einmal 1989 besucht, hatte aber die Details komplett vergessen und erlebte die Wucht und überwältigende Präsenz der großen Fälle wie zum ersten Mal. Am zweiten Tag unseres Aufenthaltes in Foz de Iguacu wollten wir eigentlich die argentinische Seite erwandern, aber wir waren mittlerweile so groggy, dass wir eine Pause einlegten und uns einen faulen Tag am Pool gönnten.
Einmal erschlafft, verspürten wir plötzlich auch keine Lust mehr, von Foz de Iguacu aus vierzehn Stunden lang weitere tausend Kilometer bis zu Atlantik mit dem Bus zu fahren. So bequem die südamerikanischen Busse auch sein mochten, inzwischen reichte es uns. Deswegen besorgten wir uns am Flughafen ein Flugticket nach Rio. Auch das hätte ich für 325 Euro in Deutschland bereits vorbuchen könne, vor Ort erhielten wir es auf der Stelle für 170 Euro pro Person.
Über eine der schönsten Regionen Südamerikas flogen wir deswegen nur hinweg. Der ganze Südbrasilienteil außer Rio, den ich ursprünglich hatte mitnehmen wollen, war also gestrichen. Allerdings hatte ich diese Strecke von Curitiba über Sao Paulo, Parati und die gesamte Küste bis nach Rio de Janeiro bereits auf meiner ersten Brasilienreise erkundet. Ich erinnerte mich an Kolonialstädte im Donrößchenschlaf, malerische Strände, ein mildes subtropisches Klima und eine bizarr fragmentierte Küstenlandschaft. Ich blickte aus dem Flugzeugfenster auf den Atlantischen Ozean und dachte mir: die Tour von Buenos Aires und Montevideo bis nach Rio ist eine eigene Reise wert.
Rio de Janeiro ist für mich die schönste Stadt der Welt. Bei aller Fragwürdigkeit im Detail ist die Verklammerung von Meer, Bergen und Urbanität einfach einzigartig. Allerdings will ich nicht verhehlen, dass wir uns wegen der Kriminalität Sorgen machten. Von den hundert gewalttätigsten Städten der Welt liegen fünfzig in Brasilien. Im Jahre 2002 hatte die Mordrate in Rio 60 auf 100.000 Menschen betragen, womit die Stadt neben Johannesburg die gefährlichste Stadt der Welt gewesen war. Inzwischen, so war jedenfalls zu lesen, war die Mordrate auf 19 pro 100.000 Einwohnern gesunken. Dass das keine wirklich gute Nachricht war, kann jeder verstehen, der bedenkt, dass die Mordrate in Deutschland nur 1 auf 100.000 beträgt. Wir nahmen deswegen vom Flughafen aus ein teures lizensiertes Taxi, das uns sicher zur Copacabana brachte. Aber auch hier mussten wir unsere Erwartungen korrigieren. Von irgendeiner Bedrohung war weder am Stadtstrand von Copacabana noch
im Umkreis von Zuckerhut und Corvovado etwas zu spüren. Überall war Polizei präsent und kontrollierte jeden, der auch nur ein wenig abgerissen daherkam. Man mochte zu dieser Art von „racial profiling“ stehen wie man wollte, die Brasilianern in ihrer Mehrheit störte es nicht, wenn dadurch die Zahl der Morde und Überfälle zurückging.
So waren die letzten beiden Tage in Rio Erholung angesagt. Das Wetter war mild und frühlingshaft (obwohl kalendarisch Winter war), die Strände waren gut besucht, und es war die reine Freude einen Capirinha in einem der zahlreichen Strandrestaurants zu trinken und dem Strandleben zuzusehen. Wir wohnten in unmittelbarer Meeresnäher im Acapulco Copacabana Hotel, das ich ebenfalls empfehlen kann. Allerdings sollte man bei der Buchung darauf bestehen ein Zimmer mit Ausblick auf den Strand der Copacabana zu erhalten.
Weil ich Rio bei meinem letzten Besuch eine ganze Woche lang kreuz und quer erkundet hatte. beschränkte ich mich während der beiden Tage auf den Besuch des Zuckerhutes und des Corcovados. Von unserem Hotel war der Zuckerhut in fünf bis zehn Minuten für umgerechnet vier oder fünf Dollars zu erreichen. Der Besuch des Cocovados war inzwischen vollkommen professionalisiert worden. Für 63 Reales (unter 15 USD) bestieg man direkt am Strand von Copacabana einen Bus, der einen in einer guten halben Stunde direkt bis unterhalb der großen Christusstatue fuhr. Übrigens passierte der Bus bei der Auffahrt zum Corcovado mehrere Favelas, die sich abseits vom Zentrum die Moros
hochzogen. Wie wir hörten, war dieser Transport erst möglich geworden, seitdem die Armee das Kommando in den Favelas übernommen hatte. Inzwischen konnte man sogar im Rahmen respektvoll durchgeführter Touren Tagesausflüge in die Favelas unternehmen. Das hätte mich interessiert, leider entdeckte ich diese Möglichkeit zu spät. Der Blick von der Aussichtsplattform des Corcovado unterhalb des Cristo Redentor über die gewaltige
Guanabarabucht war der letzte Höhepunkt dieser Reise. Wenige Anblicke gibt es in der Welt, die diesem Ausblick gleichkommen. Die Heimreise klappte wie am Schnürchen. Inklusive der Zeitverschiebung waren wir am Samstag, dem 14.9. gegen 18:00 wieder in Frankfurt.
Rückblickend würde ich die Reise als Erfolg bewerten – Erfolg in erster Linie im Hinblick auf das, was wir erlebten, Erfolg auch im Hinblick auf Transport und Unterkunft – und, last not least, auch im Hinblick auf den Reisepartner. Da dies ein heikles Thema des selbstorganisierten Reisens ist, dazu eine Anmerkung. Ganz allgemein würde ich sagen: Sehr lange mit einem Reisepartner auf sehr engem Raum und unter gelegentlichem Stress zusammen zu sein, ist wie Tag und Nacht Bratwurst essen. Im Grunde mag man die Wurst, aber irgendwann hat man sie auch mal über. So ist der Mensch, und da macht niemand eine Ausnahme. Daran gemessen war die Reise mit dir, lieber Bernhard, ein uneingeschränkter Erfolg. Im Nachherein bewundere ich deine unerschütterliche Gelassenheit („Master of Tranquility“) und wohltuende Selbstkontrolle und danke dir für diese Reisepartnerschaft.
Last not least die Kosten. Wer wissen will, was die Reise gekostet hat, klicke hier. Wer den genauen Reiseverlauf erfahren möchte, kann sich hier informieren. Und allen, die Ähnliches planen, wünsche ich: Gute Reise.