In der Nacht vor unserer Abreise regnete es zum Gotterbarmen. Noch wusste niemand, dass in den nächsten Tagen über Westdeutschland die schlimmste Überflutung seit Menschengedenken hereinbrechen würde. Als wir am Morgen des 13. Juli mit vollgepacktem Wagen aufbrachen, regnete es noch immer, Wir aber gaben Gas, fuhren in den sonnigen Norden und ließen den Regen hinter uns.
Schon hinter Hannover riss der Himmel auf. Fettes, grünes Land und wellige Hügel soweit das Auge reichte. Dann war bereits das Einzugsgebiet Hamburgs erreicht. Der Elbtunnel führte uns unter die Stadt hindurch. Dann weiter nach Schleswig-Holstein.
Am Nachmittag bogen wir in Schleswig ab, um das Wikingermuseum von Haithabu zu besuchen. In frühmittelalterlicher Zeit war Haithabu ein Handelszentrum der dänischen Wikinger gewesen, ein Drehkreuz der Händler und Plünderer, das erst im 11. Jahrhundert zerfallen war. Zu sehen gab es im Haithabumuseum originale Überreste eines Wikingerschiffes, jede Menge Schmuck und Waffen und als Höhepunkt eine Freiluftausstellung mit rekonstruierten Wikingerhäusern. Strohgedeckt mit massivem Holz und Bänken standen sie an einem Binnensee, der früher einen Meerzugang besessen hatte. In den restaurierten Wikingerhäusern standen alte Öfen, grobe Keramik und kantige Stühle, auf denen nur ein Wikingerhintern mit Behagen sitzen konnte. Zwischen den rekonstruierten Wikingerhäusern liefen junge Norddeutsche im Wikinger- Outfit herum und offerieren Fladen mit Wikinger Müsli zum Kauf.
Die meisten Deutschen assoziieren mit Flensburg, Deutschlands nördlichster Stadt, ungute Gefühle. Hier werden bundesweit die Strafpunkte für Verkehrsübertretungen gesammelt, die irgendwann zum Entzug des Führerscheins führen können. Trotzdem war Flensburg. eine überraschend einladende Stadt. Ihr Zentrum bestand aus einer Altstadt und einem Hafen für Fischtrawler und Segelboote. Tausende Flaneure waren unterwegs, saßen an den Kais und ließen die Füße über dem Wasser baumeln. Bei Gosch/Sylt aßen wir das klassische Fischbrötchen. Das Licht der Sonne spiegelte sich im Hafenbecken, die Möwen kreisten über dem Wasser, und die Stimmung war entspannt.
Mir kam der Gedanke, dass der Norden zwei Gesichter hat, ein tristes und ein herrliches. Das triste Regengesicht des Nordens ist so schlimm, dass sich jeder in den Süden wünscht. Das herrliche Sommergesicht mit frischem Wind, blauem Himmel und moderaten Temperaturen ist so wunderbar, dass man froh ist, nicht im Süden zu sein.
Am nächsten Morgen überquerten wir ohne Schwierigkeiten die deutsch-dänischen Grenze. Kein Denken an Einreisekontrollen. Müdes Durchwinken der Autos. Dänemark hat ebenso wie Schweden praktisch alle Corona-Beschränkungen abgeschafft.
Die Landschaft im Süden Jütlands war verbuscht, ob aus Nachlässigkeit oder Nachhaltigkeit musste offenbleiben. Die kleinen Städte an der jütländischen Ostseeküste waren zum Sterben langweilig, Wir machten Station in Christiansfeld, einer Herrenhutter Gemeinde mit getrenntgeschlechtlichen Friedhöfen. Tote Hose in der ganzen Stadt. Welthauptstadt der Langeweile.
Dänemark ist mit ca. 44.000 QuadratKilometern in etwa so groß wie die Schweiz (wenngleich viel flacher) und hat etwa 6 Millionen Einwohner. Das Land besteht aus der Halbinsel Jütland, den beiden großen Inseln Seeland und Fünen sowie den mittelgroßen Insel Lolland, Langeland und Falster und jeder Menge winziger Inseln – unter anderem der „dänische Südsee“ zwischen Seeland und Lowland. Dänemark ist also ein kleines Land, dessen Territorium man an einem einzigen Tag durchqueren kann – aber das auch erst, seitdem die Dänen gewaltige Brücken gebaut haben, die ihr Inselreich vorzüglich erschließen.
Auf der Fahrt über die Insel Fünen zeigte die Landschaft ein sanft geschwungenes Hügelgesicht. Windräder, Kleinbetrieb, flache Häuser, viel kultiviertes Land. Manche Rasen sahen aus wie für ein Tennisturnier gemäht. Dann wieder viel Busch und hohes Gras, als wollten sich die Dänen in ihnen verstecken. Odense, Dänemarks zweitgrößte Stadt ließen wir links liegen. Hier wurde Hans Christian Andersen (1805-1887) geboren, der mit „Prinzessin auf der Erbse“, „Der Däumling“, „Des Kaisers neue Kleider“ und „Die kleine Meerjungfrau“ zu einem der großen Märchenerzähler der Weltliteratur wurde. .
Südlich von Odense machten wir bei Schloss Edeskov Station. Leider war das Schloss in einen großen Park integriert, dessen Eintritt umgerechnet sagenhafte 35 € pro Person kostete. Da wir an diesem Tag nichts anderes mehr vorhatten, zahlten wir zähneknirschend diesen Knochenbrecherpreis. Der Park war gut besucht, ohne dass man das Gefühl hatte, Teil einer Masse zu sein. Im Gegenteil: die Leute benehmen sich so, als wären sie in ihrem eigenen Garten zu Gast und genossen ausgiebig die gepflegten Grünanlagen, Seeufer und Picknickplätze. Das Sahnehäubchen des Parks war das zauberhafte Renaissanceschloss, das von einem Seerosenteich umgeben und über eine steinerne Brücke zu erreichen war. Das Interieur war ein kunterbuntes Gemisch der Jahrhunderte, von rustikalen Tischen über Hirschgeweih an den Wänden bis zu dunklen Gemälden auf denen die Fürsten in Öl streng auf die Besucher herablegten.
Gut zwei Stunden dauerte die Fahrt von Edeskov nach Kopenhagen. Die Störebeltbrücke zwischen Fünen und Seeland war gewaltig, auch wenn sie optisch wenig hergab. Das haben Brücken mit schönen Frauen gemeinsam: am besten sehen sie aus einer gewissen Distanz aus. Wenn man sich auf ihnen befindet, sieht man nichts mehr. Die Storebeltbrücke ist über zehn km lang und kostet etwa 35 Euro Mautgebühr.
Die Zufahrt in die Innenstadt von Kopenhagen war erstaunlich problemlos, auch das Hotel fanden wir schnell. Leider kostet das Parken in Kopenhagen sage und schreibe 295 dänische Kronen am Tag (40 Euro!). Noch schlimmer war, dass in unserem Hotelzimmer die Klimaanlage defekt war und das Thermometer 29° zeigte.
Die Innenstadt, die gleich um die Ecke begann, war laut und schmutzig. Auf dem Boden lag der Unrat des Tages, viele halbseidene Figuren lümmelten sich auf den Bänken herum. Weil wir Hunger hatten, versuchten wir bei McDonalds elektronisch einen Big Mac zu ordern und scheiterten. Das trübte die Stimmung, denn an einem langen Tag mit leeren Magen durch eine Großstadt zu laufen, macht wenig Freude.
Als wir am Abend ins Hotel zurückkamen, waren es noch immer 29° in unserem Zimmer. Ich schlug Rabatz, und wir erhielten ein neues Zimmer, in dem die Zimmertemperatur 26 Grad betrug. Der Fortschritt ist eine Schnecke, hat Brecht gesagt. So kamen wir schwitzend durch die Nacht, und unser einziger Trost war die gut funktionierende kalte Dusche.
Auch der nächste Tag war schweineheiß. Schon am Vormittag kletterte das Thermometer in Kopenhagen auf 30°, und wir konnten uns nur von Schatten zu Schatten durch die Stadt bewegen. Der Rathausplatz sah nun etwas besser aus, weil die städtische Reinigung da gewesen war. Wir passierten zahlreiche Reitermonument vor großbürgerlichen Fassaden und jede Menge monumentale Repräsentationsbauten, als befänden wir uns in der Hautstadt eines Imperiums. In der Nähe des Königsschlosses liefen junge Frauen in Gruppen durch die Straßen. Sie waren miteinander durch eine Kordel verbunden und hatten Binden vor den Augen. Sie wurde von einer altertümlich verschleierten Frau geführt. Als ich fragte, ob das Kunst oder Religion sei, antwortete mir eine Frau: “Politik.“
Vor der kaum noch erträglichen Hitze retteten wir uns auf ein Ausflugsboot, das uns eine Stunde lang durch die Kanäle von Kopenhagen schipperte. Die Fahrt begann an der martialischen Reiterstatue Bischof Absaloms, jedes kriegerischen Priesters, der Kopenhagen im elften Jahrhundert zur Abwehr wendischer Piraten gegründet hatte. Dann fuhr das Boot am Schloss Christiansborg vorbei auf den inneren Hafenkanal. Wir passierten das neue Kongresszentrum und die Oper auf der anderen Seite und tuckerten dann eine Weile durch enge Kanäle, in denen die Leute in ihren Yachten saßen und Wein tranken. Viele Einheimische badeten unterhalb von Containern, die zu Wohnungen umgebaut worden waren. Dann kreuzten wir weiter den Inneren Kanal herauf und herunter, vorbei an zwei Kreuzfahrtschiffen und einem prachtvollen Segler. Herrlich der große Springbrunnen vor dem königlichen Schloss. Am Ende erreichten wir sogar die kleine Meerjungfrau im Norden des großen Kanals, umgeben von Dutzenden von Besuchern, die sich um die Skulptur drängten. Sie erinnert an ein Märchen von Hans Christian Andersen über eine Nixe, die sich unglücklich in einen Menschen verliebte.
An diesem Abend gönnten wir uns ein Essen im Riz-Raz, einem angesagten Lokal in der Innenstadt von Kopenhagen. Wir saßen draußen und bestellten zwei Hamburger mit Bier. Ein bildschöner junger Mann aus Palästina bediente uns formvollendet. Er sah so gut aus, dass sich die Frauen nach ihm umdrehten. Zweifellos ein Gewinn für den dänischen Genpool.
Am nächsten Morgen, dem Tag unserer Weiterreise nach Schweden, erwartete uns eine positive Überraschung. Weil die Ticketmaschine der Tiefgarage defekt war, durften wir uns gratis vom Acker machen und sparten 80 € Parkgebühr für zwei Tage. Die zweite positive Überraschung war die problemlose Passage der Öresund Brücke, eine der längsten Brücken der Welt, die Dänemark und Schweden verbindet. Ich hatte das Ticket bereits zu Hause online erworben und konnte auf einer eigenen Fahrbahn durchfahren. Wie schon bei der Störebeltbrücke war der optische Ertrag der Brückenpassage bescheiden. Es war praktisch nichts zu sehen.
In Schweden angekommen ließen wir Malmö rechts liegen und machten uns sofort auf in den Norden. Von irgendeiner Grenzkontrolle war nirgendwo etwas zu sehen. Auch in Schweden wird die Corona Pandemie ganz anders gehandhabt als in Deutschland. Schweden hat sich von Anfang an auf den Schutz der Risikogruppen konzentriert und die brutalen Lockdowns, die in Deutschland so großen Schaden angerichtet haben, vermieden. Dabei liegen beiden Länder, was die Zahl der Corona-Toten pro einer Million Einwohner betrifft, fast gleichauf. In Deutschland sind etwa 1.100 Menschen auf eine Million Einwohner gestorben (0,11 %), in Schweden liegt der Wert bei 0,14%.
Eine Warnung unseres Navigators veranlasste uns zu einem Umweg durch das Hinterland, der sich als unerwartet lieblich herausstellte. Weizenfelder kurz vor der Heuernte wogten in einer hügeligen Landschaft. Kleine Baumgruppen standen am Rande goldgelber Felder wie freundliche Wachsoldaten. Ab und an ein Hof in rostroten Farben gestrichen, umgeben von Hafer, Roggen, Rüben, Raps und Hirse. Schwedens Süden, dachte ich, eine Landschaft, so proper, als würde man sie jeden Tag durch die Waschstraße schieben.
Am frühen Nachmitttag erreichten wir Tylosand, die so genannte „schwedische Riviera“, einen kilometerlangen Sandstrand zwischen Helsingborg und Göteborg auf der Halbinsel von Halmstad. Das Wetter war bilderbuchmäßig, und ein frischer Wind sorgte dafür dass es trotz 33° sogar in der Sonne gut auszuhalten war. Der Himmel war makellos blau, und wir fühlten uns sauwohl. Aber nur, bis wir nach anderthalb Stunden zu unserem Auto zurückkamen und feststellen mussten dass wir eine Knolle von sage und schreibe 90 € verpasst bekommen hatten. Schweden ist für Parksünder und Schnellfahrer ein Land ohne Gnade – das lernten wir auf diese Weise schon am ersten Tag.
Der Rest des Tages verging mit der Reise nach Norden. Die schwedischen Autobahnen ähneln den amerikanischen, mehr als 110 oder 120 Stundenkilometer darf man auf Ihnen nicht fahren. Da sich aber alle an diese Geschwindigkeitsvorgaben hielten, ging es gut voran. Wir verzichteten auf einen Stopp in Göteborg und fuhren weiter nach Uddevalla in Richtung norwegischer Grenze. Uddevalla ist eine hässliche Industriestadt mit schönem Meereszugang, die ich als Übernachtungsetappe nur deswegen ausgewählt hatte, weil ich von hier aus die Küste bereisten wollte. Immerhin entpuppte sich das „Hotel Viking“, das von einem britischen Ehepaar geführt wurde, als ein wahres Juwel. Jeder Raum war mit Liebe und Geschick im britischen Landhausstil eingerichtet. Es gab sogar eine Bibliothek und einen Schachtisch. Am Abend aßen wir im zauberhaften Garten des Hotels einen leckeren Salat, den Lilia angerichtet hatte. Übrigens leben wir von nun an zum größten Teil von unseren eigenen Nahrungsmittelvorräten und gehen nur selten essen.
Die Küste zwischen Göteborg und Oslo wird als „Bohüslan“ bezeichnet. Sie besteht aus unzähligen steinernen Inseln und kleinen Fjorden, die tief ins Land reichen. In den siebziger Jahren hatte ich wohl ein halbes dutzendmal als Pfadfinder an dieser Küste gezeltet. Es dauerte etwas, ehe ich den Zeltplatz meiner Jugend in der Nähe des kleinen Ortes Ljungskile wiederfand. Zahlreiche Ferienhäuser, ein neuer Campingplatz und eine asphaltierte Straße hatten das Gelände komplett verändert. Endlich, nach fast einer Stunde Fußmarsch, erreichten wir den Eingang zum KFUM Camp von Sparreviken. Ich erkannte das alte Saunahaus am Wasser wieder, nicht aber den Zeltplatz, der in Teilen überwachsen und verlegt worden war. Da, wo früher unsere Koten gestanden hatten, erhob sich nun hohes Gras. Geblieben waren nur die Felsen, auf denen ich Erinnerungen an längst vergessene Gesichter und Geschichten nachhing. Im Abstand eines halben Jahrhunderts erblickte ich schwarze Koten, ein großes weißes Versammlungszelt und ein Fahnenmast unter einem bedeckten Himmel. Wenige Meter abseits befand sich das Ufer des Fjords, an dem wir uns allmorgendlich gewaschen hatten. Weit schweifte der Blickt über das Wasser hinweg, über kleine Inseln bis zum anderen Ufer. Ich weiß noch, wie beeindruckt ich von den Koten gewesen war, schwarzen Zelten, die an drei Stangen hingen und in deren Innern man um ein Lagerfeuer herumliegen konnte, während sich der Rauch durch eine Öffnung im Zeltdach verzog. Morgens versammelten wir uns zum Fahnenappell, bei dem wir stramm in einer Reihe standen, die Morgenlosung hörten und im Hinblick auf ordentliches Aussehen und Sauberkeit kontrolliert wurden. Möglich, dass meine lebenslange Vorliebe für Hierarchie und Ordnung auf diesen frühen Erfahrungen beruht.
Nach dem Besuch von Sparreviken fuhren wir nordwärts in die Schären nach Smögen, einem landesweit bekannten Fischerdorf, direkt auf Felsen am Meer gebaut. Von einem Hügel aus überblickten wir die gesamte Küste, die roten Häuser Smögens und weißen Segelboote, die im Hafen dümpelten. Auf dem höchsten Felsen saß ich eine Weile und blickte auf das glitzernde Meer im Gegenlicht. Das Leben ist wie eine Uhr, dachte ich die abläuft. Keiner weiß, wann sie stehen bleibt.
Am nächsten Morgen verließen wir Uddevalla in Richtung Trollhättan. Wieder lag ein makelloser Sommerhimmel über Schweden. Wir passierten Trollhättan, die bedeutendste Schleusenstation des Götakanal. Hier bringen sechs Schleusen die Frachtschiffe von Vänersee aus auf Meereshöhe. Wie aber kam es zu diesen Höhenunterschieden? In der Eiszeit, als Schweden von gewaltigen Gletschern bedeckt gewesen war, hatte sich das Land unter dem Gewicht des Eises abgesenkt. Als das Eis zurückgegangen war hob es sich wieder, ein Vorgang, der bis heute anhält.
Nach Trollhättan fuhren wir weiter nach Norden die Küste des Vänersees entlang. Der Vänersee ist mit einer Fläche von 5640 Quadratkilometern, 2000 km Küstenlänge und 200 Inseln der größte See Schwedens (und der der drittgrößte See Europas). Er befindet sich 35 m über dem Meeresspiegel und hat eine durchschnittliche Tiefe von 100 m.
Die beliebteste Sehenswürdigkeit im Südosten des Vänersees ist Schloss Läckö auf der Halbinsel Kalla. Dieses Schloss war wie eine schöne leere Auster, denn kaum eines der 200 Räume war möbliert. Dafür, dass Läckö sein mittelalterliches Aussehen bewahrte, war die notorische Geldnot der Schlossbesitzer verantwortlich, die immer zu knapp bei Kasse gewesen waren, um das Schloss im barocken Stil umzugestalten. Gottseidank, kann man dazu nur sagen. Heute liegt Schloss Läckö als spektakulärer weißer Landschaftsschmuck am Ufer des Sees in mitten von Gras und Schilf und wirkt wie ein Stück Geschichte auf dem Rückweg in die Natur
Zwischen der Halbinsel Kalla und Mariestad am Südostufer des Vänersees befindet sich Kinnekule, eine Landschaftserhebung direkt am Vänersee, die man gar nicht bemerken würde, würde sie nicht von Hinweisschildern so aufdringlich angekündigt, als handele es sich um eine Weltsensation Eine Straße direkt am Wasser führte an mittelalterlichen Kirchen vorbei, lauter wuchtigen Steingebilden, hart und rau wie das frühe Christentum, das den alten Glauben mit Stumpf und Stiel ausrottete. Alte Runensteine neben Findlingen aus Eiszeittagen erinnerten an die altvorderen Zeiten. Weit schweifte der Blick über die Unendlichkeit des Vänersees.
Unterwegs hörten wir Selma Lagerlöfs „Die wundersame Reise Nils Holgersson mit den Wildgänsen“ als Hörbuch. Die Schweden erkennen in dieser märchenhaften Reise eines kleinen Jungen durch ganz Schweden den Lobgesang ihrer Heimat. Kein Wunder, dass sie ihrer Nationaldichterin dafür im Jahr 1909 den Nobelpreis verliehen. Im Norden des Vänersees und der Stadt Karlstad befindet sich übrigens Selma Lagerlöfs Gut „Märbacka“, auf dem sie ihre Werke verfasste. Zeitweise hatte ich geplant, auch diese Gegend zu besuchen, dann fiel diese Idee der Zeitknappheit zum Opfer.
Ziemlich genau in der Mitte der Reise hatten wir ein kleines Ferienhaus am Skagensee in der unmittelbaren Nachbarschaft des großen Vänersees gemietet. Das Haus lag kitschig schön in der Nähe des Wassers und am Rand eines Waldes, besaß allerdings wie die meisten schwedischen Ferienhäuser nur einen klassischen „Donnerbalken“, den wir selbst mittels Sägespänen und Eimern bearbeiten und pflegen mussten.
Die Inhaber des Ferienhauses waren zwei Norddeutsche, deren Geschichte mir interessant und exemplarisch vorkam, weswegen ich sie hier ohne Namensnennung kurz wiedergebe. Das bemerkenswerte an beiden war zunächst, dass sie den Mut gehabt hatten, ihre Träume von Wandel und Neuanfang tatsächlich in die Tat umzusetzen. Beide hatten vor 12 Jahren das große Grundstück am Skagensee erworben, um sich hier, abseits der städtischen Hektik und der deutschen Gesamtidiotie, ihr privates Shangri-La zu errichten. Langfristig sollten Landwirtschaft und Ferienhaus-Tourismus die wirtschaftliche Basis dieses Neustarts sichern. Damit finanziell auch nichts anbrannte, hatte sie zunächst ihren gut bezahlten Job bei Radio Bremen behalten, während er ganz nach Schweden umzog. Beide mussten also über Jahre hinweg eine Fernbeziehung führen, was sich auf die Dauer als schwierig erwies. Denn monatelang alleine im schwedischen Winter ohne Frau zu verbringen, machte ihn mürbe. Der Ausbruch der Corona-Pandemie hatte die Situation aktuell etwas entspannt, weil es ihr nun möglich war, im home office zu arbeiten und länger in Schweden zu bleiben. Trotzdem war die Begeisterung der beiden Auswanderer etwas abgeklungen. In Schweden alt zu werden konnten sich beide nicht vorstellen, denn das Gesundheitssystem in Schweden ist viel schlechter als sein Ruf. Man wird hier bei einer Krankmeldung erst einmal von einer Krankenschwester interviewt und dann erst von ihr an einen Arzt weitergeleitet, den man sich nicht aussuchen kann. Während ich mich mit ihr unterhielt, blieb er im Haus. Dafür saß der schwarze Kater auf Lorettas Schoß. Wenigstens er fühlte sich in Schweden sauwohl.
In den nächsten Tagen ließen wir es ruhig angehen. Lilia legte sich tagsüber zum Sonnen auf die Decke, ich vertiefte mich in die schwedische Geschichte. Langsam gewannen auch die Städte Kontur und Bedeutung: Lund ist die Stadt der Christianisierung, Trollhättan die Stadt der Schleusen. Karlskroga im Norden des Vänersees ist mit dem Namen Alfred Nobels verbunden. Jörnköpping ist die Zündholzstadt, Ystad die Heimat Kommissar Wallanders, Göteborg eine Gründung von Gustav II Adolf als das Tor zum Westen. In Lorettas Ferienhausbibliothek entdeckte ich außerdem Michael Niemis „Populärmusik aus Vittula“, einen extrem unterhaltsamen Roman, der mir die Abende verkürzte.
Geographisch ist der Skagensee nur ein kleiner Bruder des Vänersees, auch wenn er selbst so groß ist, dass man kaum auf die andere Seite sehen kann. Abends entfaltete der See ein kanadischen Flair, wenn das Licht des späten Tages das Wasser tintenblau kolorierte. Der Wind strich sanft durch die Bäume, das Rauschen der Blätter und das Plätschern des Wassers vollführten ein Duett, und die Schatten der Tannen wanderten über die Wiesen.
Manchmal empfingen wir auch Nachrichten von den schrecklichen Verwüstungen, die die Sturzfluten zuhause angerichtet hatten. Menschen, die plötzlich vor den Trümmern ihrer Häuser standen, blickten fassungslos in die Kamera. Die Politiker, die den ganzen Tag vom Klimawandel schwafeln, es aber versäumten, für Abwasserkanäle und Ablaufbecken zu sorgen, soll der Teufel holen.
Endlich rafften wir uns zu einem Ausflug in den Tiveden Nationalpark auf. Er befand sich etwa 70 km von unserem Ferienhaus entfernt, wofür wir anderthalb Stunden Anfahrt benötigten. Endlos erstreckten sich die Tannenwälder zu beiden Seiten der Straße. Eine Tanne ist ein stolzer Baum zweifellos, aber seine abwechslungslose Massierung deprimiert. Die Tanne, der Protestant unter den Bäumen. Vom Eingang des Nationalparks, der direkt neben einem Bilderbuchsee lag, führten Wanderwege in die umgebenden Wälder. Manche waren nur anderthalb, andere vier bis fünf Stunden lang. Alle boten eine Kombination von Wasser, Wald und Felsen, Bei den Felsen handelte es sich riesige Findlinge, die in der letzten Eiszeit von den Eismassen nach Süden mitgeschleppt worden waren und die dann, nach dem Schmelzen des Eises, einfach liegen geblieben sind. Heute bilden sie in ihrer außerweltlichen Klobigkeit die Attraktion des Waldes.
Als wir am Abend zurückkamen, fuhr mir kurz vor dem Ferienhaus auf einer schmalen Straße ein großer Bus entgegen. Ich versuchte mein Bestes, ihn zu passieren, rutschte dabei aber in einem Graben und kam nicht mehr hinaus. Ehe wir uns versahen, standen die Bewohner des Nachbarhofes mit Auto und Abschleppseil auf der Matte und befreiten uns aus dem Graben. Bezahlung wollten sie nicht. Man sieht, der Schwede ist ein hilfsbereiter Mensch. Erstgrüßen allerdings ist seine Sache nicht, im Gegenteil, schalmeienhaftes Getue, wie es dem Rheinländer eigen ist, kommt ihm aufdringlich vor. Zu Hause trinkt er wenig, weil die Alkoholpreise zu hoch sind. Dafür lässt er sich im Urlaub etwa in Spanien oder Griechenland gerne verlaufen so dass er insgesamt, was seinen Alkoholkonsum betrifft dem europäischen Durchschnitt entspricht.
Am letzten Abend im Ferienhaus gab es ein Festessen mit köstlichen Schafswürsten unserer Vermieterin.. Zu letzten Mal spazierten wir anschließend das Ufer des Skagensees entlang. Lilia sichtete die Hörbücher, der Wagen wurde entrümpelt, es wurde Zeit für die Weiterreise.
Der lange Weg vom Skagensee nach Stockholm begann am frühen Morgen mit der Passage Dutzender Radarkontrollen, die in Gestalt schlanker, dunkler Metallstäbe die schwedischen Straßen säumen. Einen Augenblick fantasierte ich, es wären Wach- und Beobachtungsstationen von Aliens, die auf diese Weise die Welt kontrollieren. Wir passten auf wie die Luchse, aber einmal blitzte es trotzdem, was wieder zu einem herben Stimmungsknick führte, der uns den Rest der Fahrt nach Örebro beschäftigte.
Die gewaltige Burg von Örebro war berühmt für ihre wuchtigen Türme. Dabei war die Wuchtigkeit der Türme vergebliche Liebsmüh´ gewesen, denn militärtechnisch waren sie schon zum Zeitpunkt ihrer Erbauung überholt gewesen. Beim Wettlauf zwischen Artillerie und Festungsbau hatten die Burgen spätestens seit dem 17. Jahrhundert das Nachsehen, ganz egal, wie dick ihre Mauern waren. 1809 wurde der Franzose Bernadotte in Schloss Örebro zum König der Schweden gewählt. Übrigens regiert diese Dynastie noch heute. Die Amouren, für die der aktuelle König Karl Gustav seine Landsleute unterhält, mögen auf sein französisches Erbteil zurückgehen.
Schon anderthalb Stunden später erreichten wir Schloss Gripsholm, das in Deutschland vielleicht bekannteste schwedische Schloss. Bekannt deswegen, weil Kurt Tucholsky hier den Roman „Schloss Gripsholm“ schrieb. Ich hatte im Vorfeld der Reise versucht, das Buch zu anzulesen, hatte aber das Handtuch werfen müssen, weil ich mit dem süßsauren Tucholskystil nicht zurechtkam. Ich vermute, dass 90 % der Leute, die dieses Buch preisen, es nicht gelesen haben. Das Schloss dagegen war keine Enttäuschung. Es lag auf einer kleinen Insel, die über eine Brücke erreichbar war und glänzte in einem milden aristokratischen Rot unter der gleißender Sonne. Umgeben war das Schloss von gepflegten Rasen und Blumengärten. In seinem Innern enthielt es eine Galerie von 4000 Adelsgesichtern. Aber wer wollte die sehen?
Da es noch früh am Tag war, entschlossen wir uns, Schloss Drottningholm im Osten Stockholms zu besuchen. Leider war dieses Schloss nur über eine Reihe ineinander verschlungener Autobahnen zu erreichen, auf denen ich mich zweimal verfuhr. Als wir das prächtige Schloss endlich erreichten, war es bereits geschlossen, und wir mussten uns mit der Parkansicht begnügen. Dafür kämpften wir über eine halbe Stunde mit der App eines Parkautomaten, der meine Kreditkarte nicht annehmen wollte. Hoffentlich schickt uns der schwedische Staat keine Knolle nach Deutschland. Zweifellos befindet sich Schweden in digitaler Hinsicht bereits in einer anderen Epoche. Bei McDonald’s werden die Hamburger am Automaten bestellt, Fahrkarten in Bussen und Bahnen werden nur bargeldlos bezahlt. Selbst für das Pinkeln braucht man eine App.
Der letzte Teil der Tagesreise verlief einfacher als erwartet. Ein Tunnel führte uns unter die gesamte Stadt hindurch in den Westen zum Näcka Strand. Unser Hotel lag hoch über dem Schärenkanal und bot einen wunderbaren Blick auf Wasser und Land. Im Garten des Hotels waren Stühle und Tische aufgestellt, an denen man nachmittags kostenfrei Kaffee oder Tee genießen konnte. Für uns gab es zum Abendesse allerdings nur Knäckebrot und Dosenfleisch aus eigenen Beständen. Merkwürdig, wie gut solch karge Mahlzeiten munden, wenn man Hunger hat.
Zwei voll Tage blieben wir in Stockholm. Die Fahrt vom Näcka Strand nach Stockholm mit dem regulären Boot dauerte eine halbe Stunde und führte an den Anlegestellen großer Kreuzfahrtschiff, an edlen Hotels, Museen und Freizeitparks vorüber. An der Endhaltestelle Nybroplan mitten in der Innenstadt stiegen wir aus. Auf den ersten Blick erinnerte mich das Stadtbild an Luzern, nur mit weniger Menschen und flacherer Topografie. Überall sausten junge Männer und Frauen auf E-Bikes durch die Gegend, während der Autoverkehr erfreulich bescheiden war. Das Wetter war grandios, die Luft frisch und der Menschenandrang überschaubar. Wir liefen zuerst zur Sankt Jakobs Kirche und standen vor der überlebensgroßen Statue Karls XII, Schwedens Heldenkönig, dessen Schlachten den Zenit und das Ende der schwedischen Großmachtstellung markierten. Als ein junger Alexander war Karl XII am Beginn des 18. Jahrhunderts in die Tiefen Russlands gezogen, nur sein Darius war ein anderer gewesen. Pater der Große, der Reformator Russlands, mache damals im Nordischen Krieg (1700-1721) der schwedischen Großmachtstellung ein Ende.
Wir liefen weiter zu Stockholms historischer Hauptinsel Gamla Stan und saßen eine Weile vor dem Königsschloss, dem größten bewohnten Königs Schloss der Welt. Vor seinem Eingang wachte Marschall Bernadotte als König Karl Johann riesengroß in Stein auf seinem Pferd und wies ist mit der Hand in eine imaginäre Ferne. Zufällig wurden wir an der königlichen Wache hinter dem Schloss Zeuge der Wachablösung. Eine beträchtliche Menschenmenge hatte er sich vor dem Eingang versammelt, um diesem Schauspiel beizuwohnen. Die Soldaten bewegten sich wie die aufgezogenen Spielzeugpuppen, was vor allen den Kindern gefiel. Ein wenig vom Marionettenhaften aller Tradition wurde bei diesem Zeremoniell sichtbar.
Einige Ecken weiter befand sich der Storteget, der mittelalterliche Marktplatz der Stadt mit seinen roten, gelben und ockerfarbenen Häuserfassaden. Rechter Hand erhob sich das Gebäude des schwedischen Akademie für Literatur, in dem das neue Nobelpreismuseum untergebracht war. Ursprünglich hatten die Nobelpreise nur die Naturwissenschaften betroffen. Erst später waren Wirtschaft und Literatur, schließlich sogar der Friede hinzugekommen. Allerdings war, was den Friedens- und Literaturnobelpreis betraf, das Renommee´ des Nobelpreiskomitees inzwischen reichlich ramponiert. Man denke nur an die Friedensnobelpreise für einen Terroristen wie Jassir Arafat oder die Literaturnobelpreise für Jelinek, Fo und Tokaczuk. Das typisch skandinavische Missverständnis, Gerechtigkeit und Leistungen hätten etwas mit Proporz zu tun, hatte diese Preise ruiniert.
Wir spazierten weiter zum Denkmal des Stadtgründers Jarl Birgers vorbei und ein von kleinen Bäumen und Sitzbänken gesäumtes Ufer, von dem aus sich eine schöne Panoramaaussicht auf das Stockholmer Rathaus auf der anderen Seite des Kanals bot. In seiner klotzigen, fast sozialdemokratischen Eckigkeit veranschaulichte es die ästhetische Fallhöhe, die mit dem Übergang vom aristokratischen zum demokratischen Zeitalter verbunden gewesen war. Immerhin lagen einige halbnackte Schöne am Ufer und ließen sich von der Sonne bescheinen.
Gemächlich schlenderten wir weiter und nahmen in dem Garten gleich neben dem Mittelaltermuseum einen kleinen Mittagssnack. Wieder genossen wir einen grandiosen Sommertag, und die Stadt präsentierte sich wie auf einem Hochglanzprospekt. Rechter Hand erhob sich das monumentale Reichstagsgebäude, jenes Parlament, in dem bereits in der frühen Neuzeit auch die Bauern vertreten gewesen waren. Höhepunkt unseres Stockolmbesuches aber war das Vasa-Museum auf der Insel Skeppsholmen, in dem wir den ganzen zweiten Tag in Stockholm verbrachten. Dieses Museum kann ich nur jedem aus Herz legen. Es entführt den Besucher in faszinierend anschaulicher Weise in eine gänzlich andere Epoche. Wer mehr darüber, erfahren will, der klicke hier.
Nach drei Nächten nahmen wir Abschied von Stockholm und dem Näckastrand. Früh am Morgen brachen wir auf und erreichten schon am Mittag Motola, die sogenannte „Hauptstadt des Götakanals“ am Vättersee. Im Reiseführer las ich, dass der Götakanal inklusive der Fluss- und Seepassagen fast 400 km lang ist und mit Hilfe von 58 Schleusen einen Höhenunterschied von 90 Metern überwindet. Er verkürzt die Seestrecke von Stockholm zur Nordsee ganz erheblich, ist aber mittlerweile mehr eine touristische als eine ökonomische Ressource. Auf dem Götakanal als Tourie durch Mittelschweden zu dümpeln, gilt unter gesetzteren Semestern als der letzte Schrei und kommt gleich hinter der Durchquerung des Panamakanals. Viel gesehen haben wird davon nicht. In Motola spazierten wir das Ufer eines Auffangbeckens entlang, aßen ein Eis, vertraten uns die Beine und machten das wir weiterkamen.
Von Ödeshög bis Jonköpping führte die Autobahn über siebzig Kilometer lang direkt am Ufer des Vättersees entlang. Der Vättersee ist von Nord nach Süd etwa 130 Kilometer lang und 1900 qkm groß. Am Nachmittag machten wir ein stopp hoch über dem See und gönnten uns einen Milchkaffee mit Kuchen für 100 schwedische Kronen. Danach gab ich Gas und fuhr mit dem Bleifuß die restlichen 350 Kilometer bis Malmö in einem Rutsch durch.
Unser „Hotel One“ in Malmö befand sich direkt in der Innenstadt und besaß einen Parkplatz gleich unter dem Hotel. Die Zimmer waren kaum größer als Japanische Schlafröhren, aber funktional und sauber. In der Innenstadt, die gleich hinter dem Hotel begann, beeindruckte uns das prachtvolle Rathaus, dessen Wirkung aber durch einen benachbarten Rummelplatz beeinträchtigt wurde. Die Stadt als solche war unansehnlich und – ich traue mich gar nicht, es niederzuschrieben – die dreckigste Stadt, die wir in Schweden bisher gesehen hatten. Überall lagen Abfälle, Mulch und Müll auf den Straßen, und auch die Leute, die an uns vorüberspazierten, waren weniger proper als die Gestalten, die uns in Stockholm oder Örebro begegnet waren. Dafür sonnte sich die Stadt im Regenbogenoutfit. Mülleimer, Parkbänke, Fahnen, sogar das Verpackungsmaterial des Hamburgers waren in Regenbogenfarben gehalten. Bei Burger King kam ich mit einem jugendlichen Libanesen ins Gespräch, der ganz begeistert darüber war, in mir einen Deutschen zu treffen. Ganz im Unterschied zu dem, was uns unserer heimischen Medien erzählen, sind die meisten Migranten im Ausland auf Deutschland gut zu sprechen. Schweden hat übrigens im Zuge der Massenzuwanderung des Jahres 2015 an seiner Bevölkerung gemessen eine ähnlich große Zahl von Migranten aufgenommen wie Deutschland, Gemerkt haben wir davon nichts, ganz im Gegenteil: die Migranten, die uns begegneten waren fleißig, zuvorkommend und gut integriert. Wenn sie alle so wären, könnten gerne noch ein paar Millionen kommen.
Am nächsten Morgen fuhren wir nach Ystad, die Stadt Kommissar Wallanders. Sie war gesichtslos und grau wie die Stimmung der Romane, mit denen Henning Mankell weltberühmt wurde. Auch die schönen Uferstraßen, auf denen Kommissar Wallander den Übertätern nachspürt, haben wir nicht gefunden.
Eine halbe Stunde östlich von Ystad befindet sich Ale Stenar, das „germanische Stonehenge“, eine frühmittelalterlichen Steinsetzung, die entweder einen Kultplatz oder ein Schiff darstellen soll. Ale Stenar lag auf einem Hügel oberhalb der Ostsee und bestand aus 59 etwa zwei Meter hohen Felsblöcken, die auf einer Fläche von ca. 60 mal 20 Metern wie die Umrandung eines großen Kultplatzes aufgestellt worden waren. Was immer diese Steinsetzung auch dereinst bedeutet haben möchte, an diesem Sonntag strömten tausende Schweden von den Parkplätzen auf den Hügel, fotografierten sich, das Meer und die Steine, um dann als Bestandteile eines menschlichen Lindwurms wieder zu ihren Fahrzeugen zurückzuströmen.
Das so genannte „Gimmlinghus“ war unser nächstes Ziel. Es handelte sich um ein großes, dreißig Meter hohes Gebäude mit wenig Fenstern, das ganz klar als Verteidigungsgebäude konzipiert worden war. Da der König im Spätmittelalter den Bau von Burgen verboten hatte, verkrochen sich die Adelsfamilien in hohen, festen fensterlosen Häusern. Im 15. Jahrhundert waren ganz Schweden und Dänemark voll derartiger „Stronghus“-Festungen. Ein wenig erinnerten mich diese Häuser an die fensterlosen Geschlechtertürme der oberitalienischen Städte. Geschlechterturm und Stronghus waren der architektonische Ausdruck für eine Krise des Adels, der sich vom König (Strong aus) oder den städtischen Bürgern (Geschlechterturm) bedrängt fühlt.
Meine Idee, am Ende unserer Reise gemütlich die südschwedische Küste entlangzufahren und uns an den Stränden zu erholen, erwies sich als ein Schuss in den Ofen. Denn es war Sonntag, und die Straßen waren verstopft mit einheimischen Ausflüglern. Wir passierten hässliche Rummelplätze, auf denen sich tausende Schweden vergnügten, als gäbe es kein Morgen. Das vielgerühmt Ahus entpuppte sich als ein verdümpeltes Ufer im Schatten einer , das trotzdem überlaufen war. Wir machten das Beste draus, nahmen unser Picknick auf einer Bank direkt am Wasser und fuhren die restlichen 200 km direkt bis Kalmar
Kalmar in Südostschweden gehört zu den geschichtlich bedeutendsten Städten des Landes. Hier wurde die Kalmarer Union geschlossen, die zwischen 1397 und 1521 ganz Skandinavien unter dänischer Führung vereinigte. Die Stadt brillierte durch das prächtige Wasserschloss gleich an der Ostsee, eine Stadtmauer und einen großen Hauptplatz mit Rathaus und Dom.
Weil wir es am Ende der Reise bequem haben wollten, hatte ich für 200 € die Nacht eine Unterkunft im sogenannten „Schlosshotel“ gebucht. Es stellte sich aber heraus, dass das Schlosshotel kein Schloss war, sondern seinen Namen nur wegen seiner Nähe zum eben erwähnten Wasserschloss trug. Es gab weder Aircondition noch Room-Service. Das Frühstück war nichts Besonderes, und den ganzen Tag dudelte aufdringliche Schlagermusik über das Gelände.
Früh am nächsten Morgen machte ich mich bereits vor dem Frühstück zur anderen Seite der Bucht von Kalmar auf, von der aus sich das Schloss im optimalen Morgenlicht präsentierte. So betrachtet, ohne das Gewusel der Menschen, besaß der Bau etwas Magisches. Früher war das Schloss der Schlüssel zur dänisch-schwedischen Grenze gewesen. Nach dem Frieden von Roskilde, als 1658 ganz Südschweden von Dänemark nach Schweden kam, verfiel das Schloss. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wurde es renoviert und gehört seitdem zu den touristischen Kronjuwelen der Nation.
Öland, Schwedens zweitgrößte Insel(nach Gotland), liegt wie eine flache Flunder vor der Küste des Festlands. Die Insel ist 140 km lang und 11-17 km breit, und eine 6 km lange Brücke verbindet die Stadt Kalmar mit der Insel. Auf der Hauptstraße Ölands herrschte eine Verkehrsdichte wie früher auf dem Autoput zwischen Österreich und Griechenland. Borgholm die hochgelobte Hauptstadt der Insel, war ein überlaufenes Kaffee- und Kuchennest. Wieder kämpften wir mit den Park Apps und schafften es wieder nur mit Hilfe der Einheimischen. Als die ersten Regentropfen fielen, fuhren wir in den Süden, besichtigen die Überreste einer nordischen Fliehburg aus der Frühphase des mittelalterlichen Christentums und fragten uns vergeblich, was an dieser Insel Besonderes sein soll. Wir dangen noch weiter in den Süden Ölands vor, bis der Baumbestand ganz verschwand und sich vor unseren Augen eine regelrechte Steppe ausbreitete. Wäre ich ein Grüner, würde ich mir so Europa in zwanzig Jahren vorstellen, falls das 1,5 Grad Ziel verfehlt werden sollte. Am Meer besuchten wir einen tristen Campingplatz mit einem stinkenden Strand und kümmerlichen Bäumen. Der Ort war derart herbe, dass er fast schon wieder etwas Spektakuläres besaß. Wer hier alleine zelten kann, hat eine Seele aus Stahl.
Langsam ging die endlose Gutwetterperiode zu Ende zu gehen, und es wurde Zeit für die Abreise. Unsere Fähre nach Polen startete in Karlskrona, einer in Schweden hochgeschätzten Stadt, die sich weitflächig über mehrere Inseln erstreckte. Das Zentrum von Karlskrona bestand aus einem völlig zugeparkten Hautplatz, einigen Denkmälern und einer großen Kirche, die wir nicht besuchen konnten, weil wir ums Verrecken keinen Parkplatz fanden.
Deswegen standen wir schon Stunden vor der abendlichen Abfahrt vor dem Hafenterminal der Stena Line und warteten, dass die Zeit verging. Lange blieben wir alleine, als wolle an diesem Tag außer uns kein Mensch nach Polen reisen. Dann wurde es doch noch voller als erwartet. Plötzlich waren wir von regelrechten Blechlawinen umgeben, und hunderte LKWs und PKWs stauten sich gegen 20:00 Uhr vor den Auffahrtsrampen. Aber alles funktionierte wie von Geisterhand geleitet, und auch noch der dickste Brummer fand Platz im Schiff. Pünktlich um 21:00 legte die Fähre ab. Der Blick über die Inseln von Karlskrona war unser Abschiedsblick auf Schweden, beschwingt genossen mit zwei großen Karlsberg Bier, die wir uns zur Feier des Tages gönnten. Wir schliefen tief und fest in unserer Kabine und erwachen am nächsten Morgen vor der Küste der polnischen Stadt Gdingen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
(PS: Hier einige Details über die Reiseroute und die Kosten der Schwedenreise ).