Die Autorin, Absolventin der Henri Nannen Schule und freie Journalistin, hat Indonesien zunächst als Touristin kennengelernt und ist, wie das vielen jungen Leuten ergeht, schließlich in der Fremde hängengeblieben. Inzwischen lebt sie in Jakarta mit ihrer Familie und arbeitet als freie Journalistin für verschiedene deutsche Zeitungen und Zeitschriften. Die vorliegende Landeskunde ist im Moment das meistverkaufte Reisebuch über Indonesien und wurde mit dem Preis der ITB in Berlin ausgezeichnet. Grund genug, in der Vorbereitung meiner dritten Indonesienreise dieses Buch zu lesen. Hier ist mein Bericht.
Gut gefallen haben mir zuerst ganz allgemein die Einfühlung und Zuneigung, mit der sich Christina Schott ihrem Gegenstand nähert. Unverkennbar: die Autorin liebt das Land und die Menschen, die sie beschreibt. Wer also über den indonesischen Großstadtalltag, auch über das Leben im Kampong (die indonesische Dorfgemeinschaft), über das Essen und die Feste etwas erfahren möchte, ist mit dem vorliegenden Buch bestens bedient. Aus eigener Anschauung weiß sie, dass die Mittelschicht in Indonesien, namentlich in Java, zwar zahlenmäßig wächst, aber in ihrem Alltag nichts zu lachen hat. Oft arbeiten Vater und Mutter von morgens bis abends, stehen manchmal fünf Stunden im Stau stehen und bezahlen mit einem Teil des Doppelverdienstes das Dienstmädchen, das tagsüber die Kinder beaufsichtigt. In den Einkaufzentren von Jakarta fallen der Autorin die „Jilboob“ Damen auf, das sind junge Frauen, die auf ihre Art gegen den islamischen Rigorismus mit Kopftuch, körperbetonter Kleidung und hochhackigen Schuhen demonstrieren. Es existiert zwar eine Krankenversorgung, doch sind die Beträge für Normalverdiener fast unbezahlbar. Deswegen erfreuen sich die „jamu“-Heiler großer Beliebtheit. Auch was die Korruption und die Diskriminierung der Chinesen betrifft, nimmt die Autorin kein Blatt vor den Mund, viele ihrer Anmerkungen, etwa zur „Gummi-Zeit“, dem „Richtergeld“ oder dem, „Zigarettengeld“ für Polizisten und Behördenvertreter sind sogar noch zurückhaltend formuliert. Immerhin existiert in der Hauptstadt ein interessantes Nachtleben, mit den unterschiedlichsten Facetten, was die Autorin zu dem Bonmot verleitet, Jakarta sei eine Stadt wie eine Durianfrucht – stinkig und herrlich zugleich. Herrlich aber wahrscheinlich nur für diejenigen, die etwas Geld besitzen, um sich bei ernsten Erkrankungen nach Singapur ausfliegen zu lassen, fügt sie an einer andern Stelle hinzu.
Indonesien besitzt zwar keine Staatsreligion, ist aber auch kein säkularer Staat, denn Atheismus ist streng verboten. Es sind im Rahmen des „Pancasila“-System zwar fünf Religionen erlaubt (Islam, Buddhismus, Hinduismus, Katholizismus, Protestantismus, Konfuzianismus), aber die zunehmende Intoleranz des Islams ist unverkennbar. Es existieren nicht nur die Almahdiyya-Sektenmitglieder (Moslems, die in Mohammed nicht den letzten Propheten sehen) und der Schiiten, die heftig verfolgt werden, sondern innerhalb des erlaubten Islams noch mindestens zwei Hauptrichtungen: der fundamentalistische Islam wie er in der Provinz Banda Aceh ( wo die Scharia herrscht!) und der Volksislam, der jede Menge Geister und Totenkulte aus Altindonesien in seine religiöse Praxis mit aufgenommen hat. Auch die Benachteiligung von Christen ( etwa 8 % der Bevölkerung) nimmt zu. An vielen Unis müssen christliche Studentinnen Kopftücher wie ihre muslimischen Kommilitoninnen tragen, ein Religionswechsel vom Islam zum christlichen Glauben wird behindert, und bei offenen Pogromen in den Randprovinzen schreitet die Polizei oft nicht ein.
Gut gelungen finde ich den Abriss der holländischen Kolonialgeschichte. Hier ist der Autorin auf engem Raum eine präzise Darstellung geglückt. Etwas ungenauer wird es bei der Nachzeichnung der chinesischen Einwanderung im 13. Jahrhundert. Nach Meinung der Autorin waren die Chinesen vor den Mongolen geflohen, die „ab 1297“ China verwüsteten. Die Mongolen herrschten aber schon seit 1215 in Nordchina, und was die Autorin meint, ist wahrscheinlich der Untergang der südlichen Song Dynastie 1279 ( nicht 1297 – ein Dreher), der zu einer Fluchtbewegung führte.
Das größte Manko in der ansonsten gut lesbaren und informativen Länderkunde ist allerdings die völlige Unterbelichtung der Ökonomie als Movens der jüngeren Geschichte. Von der Hyperinflation der späten Sukarnozeit erfährt man praktisch nichts, ebenso wenig von der Wirtschaftspolitik Suhartos, die die Preise stabilisierte und trotz aller Korruption und Umweltfrevel den Lebensstandard der Gesamtbevölkerung anhob. Wenn man die Autorin liest, dann hat man das Gefühl, nur die Freiheitsliebe hätte die Menschen 1998 gegen Suharto auf die Straßen getrieben. In Wahrheit waren es die vom IWF erzwungene Sparmaßnahmen und die Beendigung der Benzinsubventionierung. Merkwürdig finde ich, nebenbei bemerkt, die harsche Kritik der Autorin am neugewählten Präsidenten Widodo, weil er die Gnadengesuche von 60 rechtskräftig zum Tode verurteilten Drogendealern ablehnte.
Aber alles in allem sind das nur Kleinigkeiten gegenüber der Vielzahl der Facetten und Perspektiven, die die Autorin in ihrer Landeskunde entfaltet. Die Sprache, in der das Buch verfasst ist, liest sich angenehm, sie ist flott, ohne oberflächlich zu sein. Die Aufmachung des Buches ist tiptopp. Es passt in jeden Rucksack und man kann, wenn man das Buch ausgelesen hat, es in einem Travellershop gegen einen anderen Reiseführer tauschen.