Leseprobe Kapitel 7: Der Kommunismus schreitet voran

   Wie eine Dampfwalze brach die Rote Armee über Polen herein. Eine Stadt nach der anderen wurde von den Russen besetzt und gesäubert, von Kollaborateuren, Klassenfeinden und von den Soldaten der Armia Krajowa, die gejagt wurden, wo immer sie sich zeigten. Auch die Deutschen wurden gejagt, hinterließen aber verbrannte Erde, soweit sie es noch vermochten. Als sie endlich verschwunden waren, lagen Warschawa, Gdanzk, Lodz und die meisten polnischen Städte in Trümmern. Zwischen den Armeen irrten Millionen Entwurzelte durch das Land, suchten ihre Angehörigen oder einfach nur einen Platz, an dem sie überleben konnten. In der Nacht schlichen die Heimatlosen wie Gespenster über die Felder und rissen die unreifen Saat heraus. Überall lagen Tote am Wegesrand, an der Tuberkulose gestorben, am Typhus zugrunde gegangen oder einfach nur verhungert. 

    Das Dorf Zakepie war nur noch ein Schatten seiner selbst. Fast die Hälfte seiner Männer hatte den Krieg nicht überlebt, sie waren auf dem Blutfeld von Jozefuw ermordet worden, als Soldaten gefallen, in der Zwangsarbeit umgekommen, verhungert  oder an Erschöpfung gestorben. Die  Mütter und Kinder, die zurückgeblieben waren, hatten die Felder bestellt, so gut es ihnen möglich gewesen war, hatten alles gegessen, was sich kauen ließ, und wenn es gar nichts zu essen gegeben hatte, hatten sie gebetet.  Die Häuser waren verfallen, die Gatter hingen schief in der Fassung und viele Zäune waren in den harten Wintern verfeuert worden. Die Ställe waren fast alle leer, und das wenige Vieh, das es noch gab, sah fast noch bemitleidenswerter aus als seine Besitzer. 

  Jozef bestand nur noch aus Haut und Knochen, weil er das wenige, das der Hof erzeugte, seiner Mutter und seinen Schwestern zugutekommen ließ. Auf den anderen Höfen sah es nicht besser aus. Einmal war ihm der kleine Janek Kaminski auf der Straße begegnet, ein anämischer Junge an der Grenze der Verwachsung. Immerhin war es etwas besser geworden, seitdem die Deutschen aus Lukow abgezogen und damit die Requirierungen weggefallen waren. Was aber würde die russische Herrschaft bringen? Jozef blickte über den flachen Horizont und sah sie kommen.

  Vor sechs Jahren waren die deutschen Truppen vom Westen aufmarschiert, eine Armee aus Kampfameisen unter der Leitung Hauptmann Ballers. Nun kamen die Russen vom Süden her, unordentlich, aber unbesiegbar, zerfleddert und doch diszipliniert, ein Bataillon furchterregender Gestalten in abgerissenen Stiefeln, nachlässigen Uniformen und mit schief sitzenden Helmen. Ihnen voran fuhren fünf offene Geländewagen mit Offizieren und zwei Mannschaftswagen. Eine Einheit von nicht mehr als einhundert Soldaten inspizierte das eroberte Land. Gesichert waren die Truppen nicht, es gab keine Gegner mehr. 

  Die Russen stoppten auf der  großen Wiese am Ortseingang von Zakepie. Ein Kommando ertönte, die Soldaten legten ihre Waffen nieder und setzen sich ins Gras. Dann öffnete sich der Mannschaftswagen, und eine fünfköpfige Militärkapelle stieg aus. Soldaten schafften Klapptische heran und verteilten auf ihnen Wodkaflaschen und Gläser.

  Inzwischen hatten sich mehrere Dutzend Dorfbewohner vorsichtig am Wiesenrand versammelt,  auch Jozef bewegte sich zum Ort des Geschehens.  Zwei russische Offiziere mit ausgezehrten Raubtiergesichtern  schenkten die Wodkagläser ein und hielten sie den Bauern entgegen. Ein dritter trat hinzu und winkte die Umstehenden näher heran. „Kommt lasst uns trinken“ sagte er in gebrochenem Polnisch. „Russen und Polen sind Brüder. Wir haben jetzt Frieden. Kommt, tretet näher!“

  Woytech Szkip, der Zweite Dorftrinker, nahm das erste Glas Wodka entgegen und stürzte seinen Inhalt mit einem einzigen Schluck herunter. „Uuaah…“ rief er, schüttelte sich und hielt das leere Glas in die Luft. Lachen und Klatschen von Seiten der russischen Soldaten. Nun traten auch andere Bauern näher und nahmen die gefüllten Wodkagläser aus den Händen der Offiziere entgegen. 

  Jozef sah, dass sich auch die Gontaschbrüder nach vorne drängten.  Sie waren nach der Räumung des Lukower Ghettos abgetaucht und erst vor kurzem wieder im Dorf erschienen. Nun wohnten sie bei ihrer Großmutter, der alten Gontasch, ohne dass man wusste, wovon sie lebten. Niemand wusste, was sie in der Besatzungszeit getrieben hatten, niemand ahnte, was sie im Schilde führten, so dass die meisten Dorfbewohner um die Brüder einen großen Bogen machten. Auch Jozef und Maria waren ihnen seit ihrer Rückkehr ins Dorf aus dem Weg gegangen.

  „Nastowje“ grölte Boris Gontasch und leerte das Glas in einem Zug. Dann kam sein Bruder an die Reihe und tat es ihm gleich. Hendryk und Boris Gontasch waren größer und  älter geworden, aber die Grobheit ihrer Züge hatte sich erhalten.

  Inzwischen hatten sich noch mehr  Männer und Frauen auf der Wiese versammelt. Der Wodka floss, die Kapelle spielte die Internationale, die russischen Soldaten klatschten und riefen den Polen Scherzworte zu. 

  Jozef stand abseits neben dem Priester Antek Konklowski, der in seiner Feldarbeiterkluft  erschienen war. Antek Konklowski war der geblieben, der er gewesen war, als er zum ersten Mal im Dorf erscheinen war. Allenfalls die Falten in seinem Gesicht hatten sich zu regelrechten Kerben entwickelt. Auch Maria Kaminska näherte sich der Versammlung, sie trug Gummistiefel, ein Tuch über ihren Haaren und eine Schürze mit geblümtem Muster. Maria hatte alles Mädchenhafte abgestreift und war eine Bäuerin geworden, deren Alter sich im Ungefähren verlor. In den letzten beiden Jahren hatte sie den Hof trotz der Krankheit der Bäuerin am Leben gehalten. Gelungen war ihr das nur mit Hilfe ihres Onkels und ihrer Geschicklichkeit in allem, was Tausch und Handel betraf.  

  Als Maria an Jozef und Antek herantrat, grüßte sie kurz und  wies sie mit dem Kopf auf die Soldaten. „Schaut, wer im zweiten Wagen sitzt.  Es ist Szmul Goldstyn. Er trägt eine Uniform.“ 

  Es stimmte. Die Person mit Segelohren und dem leichtem Silberblick, die auf der Rückbank eines offenen Wagens saß, war Szmul Goldstyn. Vor einem Jahr war er verschwunden, um sich zu den Russen nach Lublin durchzuschlagen. Seitdem hatte ihn keiner mehr gesehen. Nun war er also wieder da.  

  Einer der russischen Offiziere hob die Hand, und es wurde ruhiger. Er zeigte auf den Wagen, in dem Szmul Goldstyn saß und begann zu klatschen. Einige Bauern klatschten zögerlich mit, als sich Szmul Goldstyn erhob. Er trug eine olivgrüne Uniform, die die ganze Gestalt straffte. Sein Gesicht hatte das  Ängstliche verloren, die Haltung war nicht mehr so gebuckelt wie in seinen Kindheitstagen. Szmul Goldstyn stand nun auf der Seite der Macht und war sich dessen bewusst.

 „Polnische Brüder und Schwestern“, begann er mit lauter, klarer Stimme und stand auf. „Mein Name ist Szmul Goldstyn, ich stamme aus der Gegend von Bielany, wo meine Eltern einen kleinen Hof besessen hatten. Wie fast alle Juden des gesamten Bezirks wurden sie von den Deutschen umgebracht.“

  Die Zuhörer zeigten keine Regung.

„Furchtbare Zeiten liegen hinter uns, in denen Polen und Juden gleichermaßen den Faschisten zum Opfer gefallen sind“, rief Szmul. „Aber viele haben auch überlebt, denn ich sehe bekannte Gesichter vor mir.“ Szmul blickte sich um und zeigte in die Menge. „Da ist der Bolk, dort steht der Wolek und auch die Kaminska ist da. Sie alle, wir alle, haben Schreckliches erlebt, doch nun stehen wir an der Schwelle einer besseren Zukunft.“ 

   Noch immer zeigten die Bauern keine Regung. Mit stierem Blick hielten viele ihre leeren Wodkagläser in der Hand. War diese Rede der Preis für den Wodka? 

  „Zwei volle Jahre habe ich mich unter der Erde vor den Deutschen verstecken müssen. Erst nach der Befreiung Polens durch die ruhmreiche Rote Armee konnte ich nach Lublin fliehen und mich der kommunistischen Partisanenarmee anschließen. Im Bund mit der Roten Armee ist uns die Befreiung unseres Vaterlandes gelungen. “

   Einige der Zuhörer hielten den Kopf schräg, als verständen sie nichts. Von einer kommunistischen Partisanenarmee hatten noch niemand etwas gehört. Andere ließen sich Wodka nachschenken und blickten den Redner mit glasigen Augen an.

  „Nun ist das Land frei und bald werden die ersten Wahlen stattfinden, in denen wir über die Zukunft unseres Vaterlandes entscheiden werden.“ Szmul Goldstyn spielte auf die bevorstehenden Wahlen an, auf die sich die politischen Gruppierungen in Warszawa geeinigt hatten. 

  „Aber wen wollt ihr wählen?“ fragte Szmul und blickte langsam in die Runde, als wüsste er es selbst nicht. „Die alten Bonzen, die Großgrundbesitzer, die Kapitalisten, die korrupten Geschäftemacher? Die interessieren sich doch nur für sich“, rief Goldstyn und machte eine wegwerfende Handbewegung.

  Neue Wodkaflaschen wurden auf den Tisch gestellt. Eine Schlange bildete sich vor zwei Soldaten, die den Wodka ausschenkten.

  „Ich habe mich für die Kommunistische Partei entscheiden“, bekannte  Goldstyn und wies mit der ausgestreckten Hand in eine imaginäre Ferne. „Das ist die einzige Partei, der das Wohl des Volkes am Herzen liegt. Im Bündnis mit der Roten Armee werden wir ein neues Polen schaffen!“

  Auf einen Wink des Offiziers sprangen die Soldaten auf und begannen zu klatschen.

  Nur vereinzelt  klatschten auch die Zuhörer.

  „Und ihr könnt dabei sein“, fuhr Goldstyn fort und zeigte auf seine Zuhörer. „Du, und du, und auch du“ stieß er hervor und blickte die einzelnen Bauern an. „Ich bin hier, um euch dazu einzuladen. Tretet unserer Partei bei. Wir allein bringen Frieden und Wohlstand. “

  Ein zweiter Mannschaftswagen wurde geöffnet und Soldaten trugen Körber voller Speck, Wodka und Brot heran.

  „Und damit ihr seht, dass diesmal dem Volk nichts genommen wird, sondern nur gegeben werden soll, haben wir euch Wodka, Speck und Eier mitgebracht“, erklärte Goldstyn und deutet auf die Körbe zu seinen Füßen. „Hier ist unser Begrüßungsgeschenk für jeden, der sich an diesem Neuanfang beteiligen will und in unsere Partei eintritt.“

  Szmul Goldstyn stieg vom Wagen herab und trat an den Tisch. Er griff zu einem Papierstapel und hielt ihn in die Höhe. „Hier sind die Aufnahmeanträge für die kommunistische Partei“, verkündete er feierlich. „Wer ist dabei? Wer will zu uns gehören?“

  Einen Augenblick herrschte Ratlosigkeit. Dann teilte sich die Menge. Die Gonatschbrüder, Woytech Skipp und einige der zugewanderten Männer aus Sandomiercz drängten sich nach vorne. Der erste, der einen Aufnahmeantrag entgegennahm, war Hendryk Gontasch. 

  „Der kann den Antrag doch überhaupt nicht lesen“, sagte Maria zu Jozef. Der Priester Antek Konklowski schaute mit unbewegter Miene auf die Szene und schwieg.

  Hendryk Gontasch unterschrieb, ohne den Antrag gelesen zu haben und schaute sich um. Wieder klatschten die russischen Soldaten. Szmul Goldstyn schüttelte dem Gontasch die Hand. Wie hatten die Zeiten sich doch geändert. In der Schule beim alten Kattanski hatte Hendryk Gontasch den Szmul regelmäßig verdroschen. Nun nahm er aus seiner Hand den Begrüßungskorb entgegen.

  Etwa ein Dutzend Männern tat es ihm gleich. Die Mehrheit jedoch rührte sich nicht und blieb stehen.

  „Was ist mit euch?“ fragte Szmul Goldstyn in aufgesetzter Verwunderung

  Als niemand antwortete wandte er sich an den nächststehenden Mann, einen Bauern mit schadhaftem Hemd und zerschlissener Hose. „Und was ist mit dir?“ fragte er ihn direkt.

  „Ich halte nichts von Politik“, gab der Mann unsicher zurück und zog die Schultern hoch.  „Alles, was ich will, ist Land, das ich in Frieden bestellen kann“, fügte er hinzu. 

   „Ich kenne dich nicht“, sagte Goldstyn.  „Woher kommst du?“

    „Mein Name ist Damian Kolk, Ich bin aus der Gegend von Zamosc“, antwortete er. „Dort wurden meine Familie und ich vertrieben. Seit einem halben Jahr lebe ich in Zakepie.“  Sein Gesicht war gerötet, die Stimme klang trotzig.

  „Und? Hast du genügend Boden, um deine Familie zu ernähren?“ fragte Szmul.

 „Nein“, gab der Bauer zu. „Ich bin nur als Landarbeiter zu Diensten.“

 „Und? Hättest du gerne Land?“

  „Selbstverständlich.“

  „Und du sollst es haben“ rief Szmul Goldstyn und riss jubelnd die Arme hoch.  Jozef erkannte ihn kaum wieder. Als Verkünder froher Botschaften war Szmul Goldstyn ein anderer Mensch geworden. „Die Kommunisten werden eine radikale Landreform durchführen. Das Land soll in Zukunft allen gehören“, fügte er hinzu,

  „Und wo soll das Land herkommen?“ fragte Damian Kolk skeptisch.   

  „Von den Reichen. Und vor allem: von den Deutschen! Endlich sind sie weg. Und zwar für alle Zeiten. Nun wird das geraubte Land dem Volk zurückgegeben. Nicht nur hier, auch in den zurückgewonnen Gebieten im Westen.  Wenn die Kommunisten die Wahlen gewinnen, wird jeder notleidende Kleinbauer Land erhalten.“ 

  Das machte Eindruck, und die Menge geriet in Bewegung. Ein Stimmengewirr setzte ein. Einige nickten. Also stimmte es tatsächlich. Die Kommunisten forderten eine Landreform. Ein weiteres halbes Dutzend Männer trat vor, nahm die Antragsformulare entgegen und erhielt einen Verpflegungskorb.  

  „Und nun trinkt noch einen Wodka, und feiert die Wiedergeburt unseres Vaterlandes“, schloss Szmul und blickte nachsichtig auf die Gruppe der Zögernden. „Überlegt es euch in Ruhe. Ihr könnt auch noch in den nächsten Wochen der Partei beitreten.“

  Ein kurzes Handzeichen des Offiziers, und die Kapelle intonierte erneut die Internationale.   

  Szmul verließ den Tisch und mischte sich unter die Menge. Kein Zweifel, die  angekündigte Landreform hatte die Stimmung gedreht, viele Bauern nickten Szmul Goldstyn zu und erwiesen ihm Respekt. Nun war er nicht mehr der kleine Jude aus Bielany, sondern  ein Mann mit Macht und Einfluss, mit dem man es nicht verderben durfte. 

  Als Szmul Goldstyn Jozef und Maria am Rande der Menge sah, steuerte er geradewegs auf sie zu.   „Ich freue mich, euch zu sehen“, rief er und deutete eine Umarmung an.

   „Gut ist es dir ergangen bei den Russen“, sagte Jozef und blickte Szmul an. „Wer hätte gedacht, dass du so bald und so herrlich wiederkehrst.“

  „Von herrlich kann nicht die Rede sein. Ich arbeite am Wiederaufbau unseres Landes mit“, erwiderte Szmul. „Wenn du willst, kannst du das herrlich nennen.“

  Jozef und Maria schwiegen.

  Szmul stockte. „Du hattest doch einen Bruder?“ sprach er Jozef an. „Wie hieß er gleich? Edmund, ja, Edmund. Was ist mit ihm? Ich sehe ihn nicht.“

  „Edmund wurde zur Zwangsarbeit eingezogen“, gab Jozef sofort zurück. „Nach dem Abzug der Deutschen hätte er zurückkehren müssen, aber wir haben nichts mehr von ihm gehört.“

    Antek und Maria hörten mit unbewegten Gesichtern zu.  

  „Zwangsarbeit?“ widerholte  „Hm, das ist bedauerlich. Hoffen, wir dass er bald heimkehrt.“ 

  Jozef nickte und war sich nicht sicher, ob Szmul Goldstyn wusste, wie viele polnische Bauernsöhne sich aus dem Bezirk Lukow der Armia Krajowa angeschlossen hatten. Nun, da die Heimatarmee in großen Teilen zerschlagen war, suchten sie einen Weg zurück in die Dörfer. Wenn sie den Russen in die Hände fielen, würde es ihnen übel ergehen.  

  „Und wo ist dein Onkel Marek Plewka?“ fragte Szmul an Maria gewandt.   

  „Marek ist in Lukow“, antwortete Maria. „Er wurde von den Russen als Klassenfeind verhaftet. Ich wundere mich, dass du das nicht weißt.“

  „Ich kam erst gestern Abend aus Lublin in Lukow an“, erklärte Szmul. So ganz bin ich mit den neuen Verhältnissen noch nicht vertraut.“

  „Mareks Haus wurde beschlagnahmt“, erklärte Maria.

  „Alle Häuser in Lukow wurden beschlagnahmt, damit die Wohnungsnot gemildert werden konnte“, versuchte Szmul zu beschwichtigen. „Selbst ein Held wie Marek Plewka muss hier seinen Beitrag leisten. Sicher wird er bald freigelassen.“ 

  Maria antwortete nicht. Szmuls Übergriff im Ghetto und seine Flucht mit dem Kartoffelsack  fiel ihr wieder ein. Aber ihm das unter die Nase zu rieben, war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. 

  Szmul erkannte, woran Maria dachte und versuchte das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. „Sag Jozef, willst du nicht auch zusätzliches Land beantragen?“ fragte er. „Euer Hof ist wahrscheinlich klein genug, dass ihr noch etwas bekommen könntet.“

  „Uns fehlen die Werkzeuge, das Zugvieh und das  Saatgut, mehr Land zu bestellen“ antwortete Jozef ausweichend.

  Szmul vollführte eine vage Geste, die alles Mögliche bedeuten konnte und wandte sich Antek Konklowksi zu. Er schien genau zu wissen, wen er vor sich hatte und deutete eine Verbeugung an. „Ich sehe euch im Bauernkittel, Vater“, begann er. „Das ist doch nun nicht mehr nötig. Nun, wo die Deutschen besiegt sind, ist auch die Kirche wieder frei. Wann wollt ihr euren  Priesterornat wieder anlegen?“

 „Beizeiten, mein Sohn“, antwortete Antek mit seiner dunklen Stimme. „Im Augenblick ist  Arbeiten dringender als Beten. Außerdem kann niemand wissen, welche Rolle die Kirche unter der Herrschaft der Russen spielen wird.“

  „Von der Herrschaft der Russen kann ja wohl keine Rede sein“, widersprach Szmul. „Das Lubliner Komitee und die Rote Armee regieren das Land ja nur vorläufig. Viele Spitzenpositionen wurden mit Polen besetzt. Und jeder  Pole weiß, was er der katholischen Kirche schuldig ist.“

  „Auch die Juden?“ fragte der Priester.

  „Gerade die! Denn viele Juden verdanken ihr Leben der Unterstützung, die ihnen die Kirche in der Stunde der Not hat zukommen lassen.“

   Die Soldaten hatten sich von der Wiese erhoben, der Aufbruch nahte. Die Musiker packten ihre Blasinstrumente ein, die Wodkagläser wurden wieder eingesammelt und die Tische abgebaut. Szmul Goldstyn nickte in die Runde und ging zurück zum Geländewagen.

  „Gehabt euch wohl Brüder“, rief er, schon auf der Stiege des Wagens stehend „Denkt daran, eure Anträge zu stellen. Die Arme der kommunistischen Partei sind für euch weit geöffnet.“  Er blickte sich um und sah auf die leicht beschwipste, hin und her wogende Dorfgemeinschaft. So hatte er sich das vorgestellt. Nur Jozef, Maria und der Priester standen nüchtern abseits.

  „Es lebe Polen“ rief Szmul Goldstyn zum Abschied.   „Es lebe Polen“, schallte es etwas unsicher zurück

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