Auch Direktor Zetzek erhielt Post. Ein Kurier überreichte ihm ein Schreiben der vorgesetzten Schulbehörde aus Lublin und bestand darauf, dass der Direktor den Erhalt des Briefes quittierte.
Nach der aufmerksamen Lektüre dieses Schreibens rief Direktor Zetzek sein Kollegium zusammen, seine Frau Cecilia Zetzek, den Musiklehrer Flotow, Renata Wolgata, den Polnischlehrer Marian Wamartzki und den Sachkundelehrer Edwin Halndyn. Auch der Hausmeister Paweltschik war als provisorischer Sportlehrer anwesend. Frau Chlub hatte einen dünnen Weizenkaffe und zwei Kannen Herbata gekocht.
Direktor Zetzek begrüßte das Kollegium und kam gleich zur Sache „Genossen, wie Ihnen allen bekannt ist, steht in diesem Jahr ein bedeutendes Jubiläum an.“
Der Direktor machte eine Pause und suchte in den Gesichtern seiner Mitarbeiter nach Anzeichen dafür, dass sie wussten, wovon er sprach. Aber sie verzogen keine Miene und warteten darauf, dass der Direktor fortfuhr.
„Unser Land, unsere ruhmreiche Nation, feiert Geburtstag“, verkündete der Direktor enthusiastisch und hob die Arme, als wolle er sein Kollegium umarmen. „Und es handelt sich sogar um einen Geburtstag der besonderen Art. Im Jahre 966 der Zeitrechnung wurde unser Vaterland Polen gegründet“, erklärte der Direktor. „Es versteht sich von selbst, dass alle Polen dieses Jahrtausendfest mit Freude und Begeisterung begehen werden.“
„Unbedingt“, „Auf jeden Fall“ tönte es zurück, bis Hausmeister Paweltschik fragte: „Aber was sollen wir tun?“
Der Direktor griff zu dem Brief, der vor ihm lag und hielt ihn hoch. „Heute habe ich ein Schreiben erhalten, in dem uns die Partei dazu einige Hinweise gibt. Es wird erwartet, dass dieses Jubiläum in allen Schulen Polens gebührend vorbereitet und gefeiert wird. Denn, wie der erste Sekretär Gomulka richtig sagte“ – der Direktor blätterte in dem Schreiben, ehe er die Stelle fand: „Durch den Sozialismus wurde die tausendjährige Geschichte Polens auf eine neue Ebene der Zivilisation gehoben. Es ist unverzichtbar, die heranwachsende Generation mit diesem Erbe vertraut zu machen – auf dass jedem einzelnen von ihnen daraus Kraft und Stärke für ihren weiteren sozialistischen Lebensweg erwachse.“
Die Kollegen nickten eifrig, Frau Chlub stand auf und setzte eine neue Kanne Herbata auf.
„Genossen!“ fuhr der Direktor fot. „Eine große Verantwortung liegt also auf unseren Schultern. Wir müssen unseren Schülern die Bedeutung der geschichtlichen Stunde nahe bringen. Die Tausendjahrfeier Polens muss zu einem Höhepunkt ihres Schullebens werden. So wie die Dinge liegen, wird die örtliche Feier für Zakepie und die umliegenden Dörfer hier in unserer Schule stattfinden, was für unser Kollegium eine große Ehre aber auch eine große Verantwortung beinhaltet.
Der Direktor nahm die ungeteilte Zustimmung seines Kollegiums entgegen. Es nickte sein stumpfsinniges Weib, das ihn jeden Tag mehr zur Weißglut brachte, der melancholische Musiklehrer Flotow und die schöne Kollegin Wolgata, auf die der Schulleiter wütend war, weil ihre Schönheit für ihn unerreichbar blieb.
„Natürlich wissen wir alle um die Fallstricke dieses Projektes“, fuhr der Direktor fort. „Ich darf hier ganz offen sprechen. Wie soll man die Rolle der katholischen Kirche beschreiben, die trotz ihres reaktionären Charakters aus der polnischen Geschichte nicht wegzudenken ist? Und wie die Bedeutung Russlands in der tausendjährigen Geschichte unseres Volkes? Wie leicht könnten hier Irritationen entstehen. Deswegen werde ich selbst, ihr Einverständnis, liebe Genossen, vorausgesetzt, die Vorbereitung der Schüler übernehmen und mit dieser Aufgabe von Klasse zu Klasse gehen.“
Dieser Vorschlag stieß auf einhellige Zustimmung, denn alle waren froh, dass ihnen zusätzliche Arbeit erspart blieb. Der Direktor verkündete, er werde schon ab der nächsten Woche mit seinem Rundgang durch die Klassen beginnen. Allerdings wolle er es bei dieser Vorbereitung nicht bewenden lassen, fuhr der Direktor fort. „Wenn tatsächlich Amtsträger aus Lukow an der geplanten Feuer teilnehmen würden, sollten sie auch einen hinreichenden Eindruck vom hohen Stand des politischen Bewusstseins unserer Schülerschaft erhalten. Wer hat eine Idee, wie wir das dokumentieren können?“
Verwirrung auf den Gesichtern der Kollegen. Diese Frage überraschte alle. Als erster meldete sich Musiklehrer Flotow zu Wort: „Eine Gesangsdarbietung der Nationalhymne, mehrstimmig von Schülern aller Klassen gesungen“ schlug er vor.
„Nationalhymne geht gar nicht“, wehrte der Direktor ab. „Zu viel Altpolnisches, das mit dem Geist der neuen Zeit über Kreuz steht. Aber was ist mit der Internationalen?“
„Zur Feier des tausendjährigen Bestehens der polnischen Nation?“ fragte Flotow erstaunt.
„Warum nicht. Behalten wir diesen Gedanken im Auge“, gab Zetzek zurück, um sich an den Sportlehrer zu wenden. „Genosse Paweltschik, wie wäre es mit einer Sportvorführung, die den guten körperlichen Zustand unserer Schüler beweist?“
„An was haben Sie dabei gedachten, Genosse Direktor?“
„Vieleicht an einen Millenniumspokal, einen Wettbewerb zu Ehren des Jubiläums.“
„In welchen Sportarten, Genosse Direktor?“
„Weiß ich doch nicht“ gab Zetzek zurück. „Überlegen Sie sich was!“ Der Direktor zeigte ein verkniffenes Gesicht, er war mit seinem Kollegium nicht zufrieden. Schließlich unternahm er einen letzten Anlauf. „Ich habe auch an etwas Darstellerisches gedacht, vielleicht ein Theaterstück über eine der großen Schicksalsstunden unserer Nation.“
„Zum Beispiel?“ fragte Cecilia Zetzek. Nun fiel ihm auch noch sein Weib in den Rücken.
„Ein Beispiel? Hm, ich weiß nicht. Doch, jetzt fällt mir etwas ein: die Hochzeit der polnischen Erbprinzessin Hedwiga mit dem litauischen Herzog Jagiello, die zur Entstehung des polnisch-litauischen Großreiches führte.“
„Wann soll denn das gewesen sein?“ fragte Paweltschik.
„Im Mittelalter“, antwortete Zetzek
„Ganz schön lange her“, kommentierte Hladyn. „Und heikel, denn haben die die Polen-Litauer nicht irgendwann Moskau erobert? Ob man das nicht falsch auffassen kann?“ warf Hladyn wieder ein.
„Ich habe vielleicht eine Idee“, meldete sich Renata Wolgata, die bisher geschwiegen hatte. Sie sah etwas übernächtigt aus, nicht mehr ganz so tadellos wie sonst, war aber noch immer eine Augenweide, stellte der Direktor fest.
„Man konnte aus der Hochzeit von Jagiello und Hedwiga mit den Kindern ein kleines Theaterstück improvisieren. Ich kann mir vorstellen, dass ihnen das Freude bereiten könnte. Eine Szene, in der sich die Prinzessin und der König sich kennenlernen, eine zweite Szene, in der Hedwiga ihrem Jagielle vom Christentum erzählt und eine dritte Szene, in der sie heiraten und alle jubeln.“
„Unmöglich“, widersprach Cecilia Zetzek. „Das hieße ja, den Katholizismus ungebührlich hervorheben. Mit der Kirche haben wir schon genug Probleme, da brauchen wir sie nicht auch noch bei unserer Feier hervorzuheben.“
„Also ich finde die Idee nicht schlecht“ widersprach der Direktor. „Ich denke, wir sollten sie weiter verfolgen. Mehr noch: wir alle sollten überlegen, welche Beiträge zur Millenniumsfeier wir aus der Perspektive unserer Schulfächer vorbereiten könnten“, fügte er hinzu und schloss seine Mappe. “Ich erwarte ihre Vorschläge.“
Konkret geschah aber nichts. Die Schüler hatten zwar erfahren, dass in diesem Jahr eine große Feier anstand, verstanden aber nicht wirklich, was sie sich darunter vorstellen sollten. Renata Wolgatas Idee eines Theaterstücks scheiterte schon an der Rollenbesetzung. Andre Gontasch bestand darauf den Jagiello zu spielen, worauf sich die Mädchen weigerten, die Rolle der Jadwiga zu übernehmen.
Der einzige, der die Vorbereitung ernst nahm, war der Direktor. Er ging von Klasse zu Klasse und sprach mit den Schülern über die polnische Geschichte.
An dem Tag, an dem Direktor Zetzek in Lilias Klasse kam, hatten die Schüler gerade eine Stunde Mathematik bei Cecilia Zetzek erduldet. Wieder hatte die Lehrerin schlecht erklärt und die Fehler der Schüler bissig kommentiert. So waren die Kinder nervös und gereizt, als der Direktor die Klasse betrat. Schon die schlampige Art, wie sie sich erhoben und bei der Begrüßung des Direktors schief und krumm in den Reihen standen, hatte etwas Aufsässiges.
Die Schüler setzten sich wieder, und der Direktor ging einige Schritte schweigend durch die Klasse. „Wer von euch weiß, was demnächst für ein bedeutsames Ereignis begangen wird?“ begann er.
Andre Gontasch meldete sich. In den letzten Jahren hatte sich seine Spötterintelligenz voll entfaltet, und er wusste inzwischen damit umzugehen.
„Sprich, mein Junge“, sagte der Direktor.
„In England findet die Fußballweltmeisterschaft statt und Russland wird Weltmeister.“
Kichern in der Klasse.
Direktor Zetzek verrutschte das Gesicht. Mühsam brachte er ein Grinsen zustande und sagte: „Ja, ja, das stimmt natürlich. Da wollen wir unseren russischen Genossen die Daumen halten. Aber es gibt noch etwas Wichtigeres. Na, wer weiß es?“
Krystyna meldete sich und sagte brav: „Polen wird tausend Jahre alt.“
„Stimmt. Sehr gut, mein Kind“, bestätigte Zetzek und wiederholte mit stolzer Stimme: „Polen wird tausend Jahre alt. Aber woher weißt du denn das?“ fragte der Schulleiter.
„Wir haben es im Religionsunterricht vom Priester erfahren“ gab Krystyna zurück.
„Aber tausend Jahre, wie lange ist denn das?“ rief Zusanne plötzlich in die Klasse.
Zetzek rieb sich das Kinn. „Hm. Wie soll ich euch das erklären?“ Dann hatte er eine Idee und fragte Zusanne: „Wie alt ist denn deine Großmutter?“
Zusanne erstarrte. Gegenfragen schätzte sie gar nicht. „Ich weiß nicht, zweihundert Jahre?“ antwortete sie unsicher.
Gelächter
„Nein so alt ist sie natürlich nicht, du Dummchen. Das ist übertrieben. Unsere Großmütter in Zakepie sind meistens fünfzig Jahre alt“, verkündete der Lehrer. „Und wenn ihr zwanzig Großmütter mit ihren fünfzig Jahren aneinanderreiht, dann habt ihr tausend Jahre.“ Diese Rechnung hatte der Direktor spontan entwickelt, nun kam ihm die Zahl der Großmütter erstaunlich gering vor. Aber jetzt musste er bei diesem Gedankenmodell bleiben.
„Ja, aber in Zakepie gibt es doch viel mehr als zwanzig Großmütter“, widersprach Laura.
„Das ist doch auch egal“, gab Zetzek etwas unwirsch zurück. „Wir reden doch von der Vergangenheit. Also: Vor zwanzig Großmüttern wurde Polen gegründet.“
Die Kinder zeigten unzufriedene Mienen. Das Unterrichtsgespräch drohte zu verebben.
Dann meldete sich Emilia und fragte: „Was war denn, bevor Polen war?
„Hm, da gab es auch schon Menschen, aber die nannte man noch nicht Polen.“
„Was bedeutet denn `Polen´ fragte Adam.
Nun war der Direktor in seinem Element. Schließlich hatte er sich gut vorbereitet. „Die Polen wurden nach ihrer Landschaft `polani´ genant. Und `polani´ bedeutet: Land der Flachen.“
„Waren die ersten Polen denn flach?“ fragte Andre Gontasch mit erheucheltem Interesse.
„Nein, das Land, in, dem sie lebten, war flach.“
„Ja, aber wie genau wurden denn aus den Einwohnern von Polani die ersten Polen?“ wollte Lilia wissen. „Da muss doch irgendetwas Wichtiges passiert sein.“
„Endlich einmal eine Frage, die uns weiterbringt“, lobte Zetzek und breitete die Arme aus. „Zwei Dinge mussten geschehen, damit Polen entstand. Zuerst wurde das Gebiet durch einen mächtigen Herrscher geeint. Sein Name war Miezko der Alte.“
„Wie, der alte Mirko?“ wunderte sich Waldemar Tusla. „Den kenne ich. Der wohnt in der Nähe der Grabuffka.“
„Nein, nicht der alte Mirko“, knurrte Zetzek. „Es war Miezko der Alte. Und der lebte schon vor tausend Jahren oder – wie wir eben sagten – vor 20 Großmüttern.“
„Was war denn das Zweite, das passiert ist?“ fragte Zusanna.
„Das zweite war, dass die Polen das Christentum annahmen.“
„Und woher kam das Christentum?“
„Aus Bethlehem“, rief Andre. „Aus dem Stall mit den heiligen drei Königen und den Kühen.“
„Ja, nein, das ist nur halb richtig“, widersprach Zetzek. „Das Christentum kam tatsächlich aus dem Heiligen Land. Aber nach Polen kam das Christentum aus dem Westen. Aus Deutschland und Italien. Fromme Männer kamen aus diesen Ländern und predigten den Ureinwohnern unserer Heimat die Erlösung.“
„Woran haben denn die ersten Polen vorher geglaubt?“ fragte Adam.
An Hexen und Trolle“, gab der Schulleiter vielsagend zurück.
„Ja, aber die gibt es doch noch heute“, behauptete Emilia.
„Nein, die gibt es heute nicht mehr.“
„Doch, die gibt es“, beharrte Emilia. „Meine Tante kennt sogar eine Hexe.“
In diesem Augenblick sprang Andre Gontasch auf, zog sich seinen Pullover über den Kopf und schrie: „Huh, huh, Ich verhexe dich, ich verhexe dich.“
„Ruhe!“ brüllte Direktor Zetzek und griff zum Lineal.“ Noch ein Wort, und ich haue euch die Pfoten grün und blau. Und jetzt merkt euch einfach: „Polen wurde vor zwanzig Großmüttern gegründet und damit basta!“
Die Großmütter-Chronologie des Direktors machte schnell die Runde, und die älteren Schüler machten veralberten diese Zeitrechnung. „Ein Schwein wird zwanzig Jahre alt“, krähte Wojchiech Joz in die obersten Klasse. „Polen ist also 50 Schweine alt“.
Für diesen Vergleich erhielt Wojchiech Joz vom Polnischlehrer Marian Wamartzki eine Ohrfeige. „Wenn du schon mit Tieren rechnen willst, du Idiot, dann nimm doch wenigstens Adler. Die werden auch 20 Jahre alt, dann ist Polen eben 50 Adler alt.“
Eine Woche verging, bis der Direktor wieder in Lilias Klasse kam. Erneut stand das Fach „Tausend Jahre Polen“ auf Lilias Stundenplan. Direktor Zetzek musterte die Schüler mit strengem Blick. Heute würde er sich durch die Zwischenfragen der Schüler nicht mehr aus dem Konzept bringen lassen.
„Heute wollen wir uns wieder mit der Geschichte Polens beschäftigen“, begann er. „Vor tausend Jahren, das heißt: vor zwanzig Großmüttern ist Polen entstanden.“
„Ja“, rief Andre Gontasch, „Und Mirko der Alte hat Polen geeint,
„Nein, nicht Mirko es war Miezko der Alte“, korrigierte Zetzek und schrieb den Namen an die Tafel. Dann drehte er sich wieder zur Klasse und sagte: „Als die Polen vereint waren, wurden sie Christen. Sie bestellten ihr Land und lebten glücklich und zufrieden.“
Pause. Erwartungsvolle Gesichter bei den Schülern. Das kann doch nicht alles gewesen sein.
„Bis die bösen Nachbarn kamen“, fuhr der Direktor fort. „Mit vielen tausend Kriegern kamen sie von Osten und von Westen und fielen über unser Land her. Aus dem Osten kamen die Mongolen, aus dem Westen die Deutschen. Aber der polnische König, der inzwischen in Krakuw wohnte, wusste Rat. Er sammelte ein Heer und besiegte alle Feinde.“
„Wie hat er das denn gemacht?“ fragte Zusanne.
„Na, er hat sie eben besiegt.“
„Ja, aber wie?“
„Das ist doch egal. Er hat die Feinde davongejagt, vor allem die deutschen Ritter, die an der Baltischen See saßen und unserem Land den Zugang zum Meer versperrten.“
Wieder meldete sich Zusanne, der Direktor verzog das Gesicht.“
„Wenn die Deutschen besiegt waren, warum wohnten denn früher so viele in unserem Dorf? Ich habe von meinem Vater gehört, dass es früher viele Bauernhöfe mit Deutschen in Zakepie gab.“
„Ja, aber das war viel später.“
„Wieviel später? Neun oder zehn Großmütter später?“ frage Zusanna.
Der Direktor straffte sich. Schon wieder entgleiste die Stunde. „Also passt auf“, begann er, „die polnischen Könige besiegten die Feinde aus dem Osten und dem Westen. Polen besaß also viel Land, das sie alleine gar nicht bestellen konnten. Deswegen holte man Einwanderer aus anderen Ländern, die das polnische Land bearbeiteten.“
„Also auch die Juden? Die sind nämlich auch verschwunden“, warf Adam ein. „Nicht nur Deutsche lebten früher in Zakepie, auch viele Juden, vor allem in Adamaow und Bielany.“
„Ja, auch die Juden kamen aus dem Ausland nach Polen“, bestätigte der Schulleiter. „Da könnt ihr mal sehen, wie beliebt Polen war.“
„Und wo sind sie jetzt hin?“ frage Lilia.
„Die Deutschen haben sie umgebracht.“.
„Welche Deutschen? Die, die hier in Zakepie lebten?“
„Nein nicht die, sondern Deutsche, die in Polen einmarschiert sind.“
„Aber wie kann das denn sein“, protestierte Zusanne. „Eben haben Sie erzählt, dass die Polen die Deutschen verjagt hätten.“
Nun platze dem Direktor der Kragen. „Frag doch nicht immer so ein dummes Zeug, du blöde Pute. Die Deutschen, die verjagt wurden, kamen eben später wieder zurück. Merkt euch einfach: Polen wurde nach seiner Gründung ein großer und mächtiger Staat und verjagte alle Eindringlinge. Der polnische König herrschte in Krakuw und sein Machtbereich erstreckte sich bis an das Baltische Meer.“
„Aber er hat den Bischof erschlagen“, rief Emilia in die Klasse.
„Welchen Bischof?“ fragte der Direktor überrascht
„Den heiligen Stanislaus“
„Aber das ist doch eine ganz andere Geschichte“, widersprach Zetzek.
Unzufriedene Blicke bei den Schülern. Diese polnische Geschichte stimmte doch hinten und vorne nicht. Zusannne lief eine Träne über die Wange, weil er Lehrer sie blöde Pute genannt hatte.
„Aber ich habe eine gute Nachricht für euch“, versuchte es der Direktor erneut. „In einigen Wochen, wenn wir das Jubiläum begehen, wird hier in der Schule ein Film über Polen gezeigt.“
„Ein Film?“ fragte Emilia. „Was ist denn ein Film?“
„Ein Film ist eine Geschichte aus bewegten Bildern, die auf einer Leinwand gezeigt wird.“
„Wieso bewegen sich denn die Bilder?“ fragte Laura.
„Weil wir uns doch auch bewegen, der Film ist ein Abbild unseres Lebens. In Krakuw oder Warszawa werden Filme in besonderen Häusern gezeigt, die man Kinos nennt. War schon jemand von euch in einem Kino?“
„Wir haben ein Kino zuhause“, rief Andre in die Klasse. Alle drehten sich um. Emilia zischte „Du Angeber, du spinnst ja.“
„Doch, mein Vater hat von einer Reise nach Warszawa einen Kasten mitgebracht, in dem bewegte Bilder laufen.“
„Du meinst einen Fernseher“, präzisierte Direktor Zetzek. „Immerhin ist es nicht ganz falsch, was du sagst. Ein Fernseher ist ein kleines Kino, das man zuhause aufstellen kann. In eine paar Jahren werden wir alle kleine Kinos zuhause haben.“
„Was für Bilder zeigt denn dieses kleine Kino bei euch zu Hause?“ fragte Adam in Richtung Andre.
„Gestern zeigte es den ersten Sekretär Gomulka.“ Das ist der Mann auf dem Bild da vorne, erklärte Andre und zeigte auf das Wandbild. „Er sprach darüber, dass zu wenig Kartoffeln geerntet wurden.“
„Wie langweilig“, tönte Waldemar Tulsa.
„Das ist nicht langweilig“ rügte Direktor Zetzek. „Das ist sehr wichtig. Und jetzt ist die Stunde zu Ende.“