Leseprobe 2: Bali (Einleitung)

  Wollte man eine Insel auf dem Reisbrett des Tourismus-Managements entwerfen, deren Landschaft nicht nur von himmlischer Fruchtbarkeit, sondern auch noch unsagbar schön ist, in der die Menschen nicht nur tolerant und freundlich, sondern auch noch so fleißig sind, dass sie ihre Heimat mit ihren Reisterrassen, Badeplätzen und Tempeln  schmücken, auf der die Preise traumhaft niedrig und die Monsunzeit gottseidank nicht mit den europäischen Ferienzeiten kollidiert: das müsste Bali sein.

  Georg Krause hat es 1920 in seinem Bali-Buch etwas gehobener ausdrückt. Es gibt Landschaften, schrieb er, die den Menschen nicht brauchen, weil sie einfach schön sind für sich selbst. Die meisten Landschaften verlieren ihren Zauber, wenn die Menschen wie Heuschrecken über die herfallen. Es gibt aber auch Landschaften, die auf den Menschen zur Vollendung ihrer Schönheit angewiesen sind, in denen, so Krause,  „Mensch und Natur ineinander verwoben sind  in einem blendenden, unergründlichen Muster.“

  So etwa lauten die Einleitungssentenzen der Bali-Kapitel in Reiseführern und Landeskunden. Und das Erstaunliche ist: Es stimmt. Es stimmt noch immer. Bali ist im Zusammenklang von Landschaft, Architektur und Menschenschlag tatsächlich ein Weltwunder, eine der  Gischtkronen auf den höchsten Wellen der Schöpfung. 

  Es beginnt schon bei der Größe und der Bodengestalt der Insel. Der geografische Umriss Balis gleicht dem eines nach Osten schwimmenden Fisches. Die Ost-Westerstreckung umfasst gut einhundertsiebzig  Kilometer. Von Norden nach Süden sind es an der breitesten Stelle zwischen Singaraja und dem internationalen Flughafen von Denpasar neunzig Kilometer. Bali ist also groß genug, um Naturenormitäten wie dem Gunung Agung Raum zu bieten, aber klein genug, dass niemand den Überblick verliert. Erheblich größer als Mallorca oder Korfu, aber etwas kleiner als Korsika umfasst Bali eine Fläche von 5.633 qkm, auf der eine Bevölkerung von über vier Millionen Menschen lebt. Das ist der dreifache Wert der Bevölkerungsdichte eines so dicht besiedelten Raumes wie Deutschland. Wenn man bedenkt, dass jedes Jahr noch einmal vier Millionen Touristen Bali besuchen, gewinnt man eine annähernde Vorstellung von der enormen Fruchtbarkeit der Insel. Es ist die Schönheit der Insel, der die Besucher anzieht, aber es ist der Fleiß der Balinesen, der sie auch ernähren kann.

    Wie fast überall im asiatischen Archipel ist die extreme Fruchtbarkeit Balis vulkanischen Ursprungs. Auf gut dreitausend Höhenmetern bringt es der Gunung Agung, der wie ein König über der Insel thront. Über zweitausendeinhundert Meter misst der benachbarte Gunung Abang.  Im Übergangsfeld zwischen diesen Vulkanen und dem Tiefland befindet sich Balis größter Schatz: die Wunderwelt seiner Reisterrassen. In ihnen verbinden sich Schönheit und Effektivität zu einer neuen Stufe der Landschaftsästhetik. Zusammen mit den Tausenden von Dörfern, die am Rand dieser Reisterrassen liegen, und den Tausenden von Tempeln, die über ganz Bali verteilt sind, zählt Bali zu den schönsten Inseln der Welt – wenn es nicht überhaupt die Schönste ist. Selbst die ausufernden Touristenbezirke im Süden Denpasars haben den Reiz der Insel nicht wirklich beschädigen können. Denn wer ihren Zauber kennenlernen will, braucht nur wenige Kilometer ins Landesinnere zu fahren, und der touristische Rummel verschwindet wie der Nebel an einem Frühlingsmorgen.

  Aber Fruchtbarkeit, Bodengestalt und Siedlungsformen sind nur das eine. Das andere, ohne dass Bali nicht Bali wäre, ist seine kulturelle Sonderstellung –  nicht nur innerhalb Indonesiens sondern ganz Südostasiens. Um diese Sonderstellung zu verstehen, mag die folgende Fiktion hilfreich sein. Man stelle sich einen Augenblick vor, dass Europa am Beginn der Neuzeit der mohammedanischen Expansion erlegen wäre. Die Türken hätten tatsächlich Wien erobert und wären weitergezogen nach Amsterdam, Paris und Madrid.  Der ganze Kontinent wäre moslemisch geworden, nur eine kleine Minderheit aus Angehörigen der alten europäischen Aristokratie wäre zusammen mit ihrer Gefolgschaft nach Irland geflohen, um dort, am Rande Europas, das christliche Erbe zu bewahren. Geduldet durch den Islam, der den Rest des Kontinentes beherrschte, wäre in Irland ein intensiveres, exotisches Christentum entstanden.

  Nach diesem Drehbuch muss man sich die Entstehung des hinduistischen Bali vorstellen. Als der Islam im 15. Jahrhundert seinen Siegeszug durch Java und die angrenzenden Inseln vollendete, flüchtete die Oberschicht des letzten Hindu-Reiches von Majapahit im Jahre 1473 von Ost-Java nach Bali, um hier ihre eigenen Göttern weiter zu verehren. Auf Bali entstanden neue Hindu-Königreiche, prachtvolle Tempel wurden gebaut, und selbst die Ankunft der holländischen Kolonialherren in der Mitte des 19. Jahrhunderts konnte diese Kulturblüte nicht knicken. Im Gegenteil: am Ende verzauberte das besiegte Bali den holländischen Sieger und die Karriere Balis als eines europäischen Sehnsuchtsortes begann.

  Doch es gibt  nichts Vollkommenes, das ewig währt. Das trifft auch für Bali zu, selbst wenn die Insel noch immer ihre Besucher mühelos verzaubert. Die eine Bedrohung ist die Geißel der Gegenwart: der islamistische Terrorismus, der mit einer Serie brutaler Attentate am Beginn der Nuller Jahre hunderten von Menschen das Leben nahm. Davon hat sich die Insel erstaunlich schnell wieder erholt. Wie sie allerdings mit einer weiter fortschreitenden Islamisierung des gesamtindonesischen Staates fertig werden wird, steht in den Sternen. Die zweite und vielleicht langfristig sogar gefährlichere Bedrohung ist die Bevölkerungsexplosion. Jedes Jahr wächst Bali um 100.000 Menschen, jeden Tag werden unzählige wunderbare Kinder auf Bali geboren, doch so erfreulich das im Einzelnen auch sein mag – in der Summierung droht Bali an diesen Zuwächsen zugrunde zu gehen. In einer Generation werden nicht vier sondern acht Millionen Menschen auf Bali leben. Das wird selbst für diese gesegnete Insel der Götter zu viel sein. 

          

                       

 

 

 

 

 

 

 

                                

 

Barong