BAND I – Immer, wenn man in der Geschichte etwas tiefer gräbt, wird man zweierlei finden: noch mehr Massaker und Niedertracht – aber auch Beispiele von Heldenmut und Aufrichtigkeit, die gerade vor diesem Hintergrund umso deutlicher werden. Das ungefähr ist mein Gefühl nach der Lektüre des ersten Bandes von Horst Geerkens „Hitlers Griff nach Asien.“ Zwischen diesen beiden Polen ein fairer und objektiver Chronist zu sein, ist die Aufgabe, die sich der Autor gestellt, und die er – das ist mein Eindruck nach dem ersten band des Gesamtwerkes – auf einem erstaunlichen Niveau gelöst hat.
Horst Geerken beginnt sein Werk mit einer biografischen Perspektive. Er beschreibt aus seiner Sicht, der eines heranwachsenden Schülers in den dreißiger Jahren, die Faszination, die damals von „Niederländisch Ostindien“ ausging, verschweigt aber auch nicht die äußerst erfolgreiche Manipulation der die Jugend im Dritten Reich unterworfen war. Dann wir die Perspektive ausgeweitet. In gut lesbaren und prägnant präsentierten Abrissen werden die allgemeingeschichtlichen Abläufe entfaltet (z. B. die Entwicklung der deutsch-britischen Beziehungen, die Position Japans vor Pearl Harbour oder die personellen Verbindungen Deutschlands zu Niederländisch-Indien. Der Hauptverdienst des Buches besteht aber aus meiner Sicht in den überall eingestreuten Detailbetrachtungen, die die allgemein skizzierten Konturen auf der Ebene persönlicher Schicksale verdeutlichen. Viel Verständnis erfährt die japanische Position, wenngleich die Kriegsverbrechen der Japaner keineswegs verschwiegen werden ( etwa das Massaker von Nanking). Trotzdem trifft es zu, dass die südostasiatische Entkolonialisierung ohne die bereits eingeleiteten Autonomiemaßnahmen der Japaner in Burma, auf den Philippinen oder in Indonesien nicht denkbar gewesen wären. Nationalhelden wie Aung San Kyi oder Sukarno begannen ihre Karrieren an der Seite der Japaner. Neu war mir die Härte und Brutalität, die die Holländer in ihrer Ostindienkolonie gegen Einheimische und Kriegsgefangene an den Tag legen. Selbst Volksdeutsche, die längst niederländische Staatsbürger geworden waren, wurden von ihren Arbeitsplätzen weg verhaftet und mitsamt ihren Familien in Gefangenenlagern interniert.
Am meisten habe ich persönlich von den zahllosen Details und Exkursen profitiert, die der Autor in seinem geschichtlichen Überblick ausbreitet. Erschütternd etwa der Untergang des holländischen Gefangenenschiffes Van Imhoff, bei die Holländer die meisten gefangenen Deutschen (unter ihnen Walter Spieß und Hans Overbeck) dem Tod überließen oder die Liste der maritimen Katastrophen, die zeigt, dass die U-Bootbesatzungen oft Schiffe mit ihren gefangenen Landsleuten versenkten. Wer sich über die Erfolge des deutschen Bootkrieges bei der Operation „Monoton“ im Indischen Ozean wundert, der erfährt, dass sie auf Informationen indischer Hafenarbeiter beruhten, die Chandra Boses antibritischen Aufrufen folgten und sich als Spione betätigte. Es ging aber auch andersherum. Dass die Reifen z B. beim Afrikafeldzug Rommels viel zu häufig platzten, ging auf die Sabotage eines deutschen Chemikers bei den IG Farben zurück. Spannend zu lesen sind die Geschichten der deutschen Dampfer „Montevideo“ und Bremen“, deren Kapitäne es zum Teil durch Befehlsverweigerung gelang, viele jüdische Flüchtlinge zu retten. Ein Hauch von der Vergeblichkeit, die aller Geschichte innewohnt wird deutlich in der Schilderung des Tages, als die Japaner die letzte Schiene der Transsumatra-Eisenbahn genau an dem Tag einsetzten, an dem der Tenno kapitulieren musste.
Alles in allem hat Horst Geerken ein Geschichtswerk von hohen Graden vorgelegt. Es gelingt ihm nicht nur die großen Zusammenhänge aufzuzeigen, sondern sie mit der Darstellung unzähliger Detailabläufe auf das Anschaulichste, wenngleich nicht immer auf das Erfreulichste zu illustrieren. Seine Urteile sind um Ausgewogenheit bemüht, was mehr ist, als man heute von vielen geschichtlichen Darstellungen erwarten kann. Er nennt Helden Helden ( wie etwa den balinesischen Maler Affandi ) und Schurken Schurken ( wie die holländischen Kapitäne Hoeksema und Beverling), ist sich aber im Klaren darüber, wie grau die Zwischenstufen der moralischen Verantwortung in Kriegszeiten sind. Oder in den Worten des Autors: „Bei jedem krieg fallen die Sitten auf einen nicht für möglich gehaltenen Tiefpunkt – bei allen Nationen. Disziplinlosigkeiten der kämpfenden Truppen zieht sich wie ein Faden durch die Geschichte, von den unbeschreiblichen Verbrechen der Deutschen im Dritten Reich, der Russen und so weiter bis in die heutige Zeit während der Kriege im Irak und Afghanistan.“ (S. 186)
BAND II Wie schon der erste Band überzeugt auch das vorliegende zweite Band durch die souveräne Verklammerung von Detaildarstellungen und geschichtlichem Überblick. Neu für mich waren die Intensität des deutschen U Bootkrieges im Indischen Ozean, aber auch das Zögern Hitlers, aufgrund von rassistischen Erwägungen die indische Widerstandsbewegung gegen die britische Herrschaft entschlossener zu unterstützen. Tatsächlich lag ein Paradoxon darin, dass die Deutschen dazu beitrugen, „die Herrschaft des weißen Mannes“ in Asien zu beenden. Wer will, kann darin eine geschichtliche Dialektik erblicken. Hochinteressant zu lesen sind die Portraits von Chandra Bose, dem heute im Westen weitgehend vergessenen Antagonisten Gandhis und der Aktivitäten von Richard Sorge in der deutschen Botschaft in Tokyo. Wieder scheut sich Horst Geerken nicht, auch die Kriegsverbrechen der Alliierten klar aufzuzeigen, vor allem die brutale Härte, mit der Briten und Holländer nach der japanischen Kapitulation mit den Indonesiern umgesprungen sind. Die meisten Leser werden wahrscheinlich noch nie etwas vom „bengalischen Holocaust“ gehört haben, an dem Winston Churchill eine wesentliche Mitschuld trägt. Auch die Informationen über die „Schlacht von Surabaya“ mit ihren Zigtausenden Opfern waren mir neu. Empörend, wie die Holländer, gerade erst von der Herrschaft des übermächtigen Gegners befreit, nach 1946 versuchten mit brachialer Gewalt ihre Kolonie zurückzuerobern. Auch hier nennt Geerken Schurken ( Westerling, den „Schlächter von Sulawesi“) und Helden (den Deserteur und Friedensaktivisten Pocke Princen) klar und deutlich beim Namen. Nicht unwichtig auch die deutschen Waffenbestände, die den indonesischen Freiheitskämpfern nach dem Ende des Weltkrieges in die Hände fielen.
Am Ende hat aber alles nichts genutzt. Indonesien wurde ebenso frei wie die meisten asiatischen Länder, wenngleich, auch das ist eine der weniger erfreulichen Pointen der Geschichte, ohne die Freiheit auch allen anderen Ethnien (wie etwa den Papua oder den Dayaks ) zu gönnen.
Mein Letzter Gedanke nach der Lektüre: Worin liegt der Wert eines guten Buches? Es zeigt einem, wie viel man noch lernen kann. Ich dachte immer, ich sei geschichtlich ganz gut unterwegs, doch das vorliegende Werk von Horst Geerken über „Hitlers Griff nach Asien“ hat mich eines Besseren belehrt. Selten habe ich eine historische Monografie mit so vielen anregenden und sonst nicht verfügbaren Informationen gelesen. „Hitlers Griff nach Asien“ hat das Zeug zu einem Standardwerk. Nach der Übersetzung ins Englische liegt nun auch eine Übersetzung ins Indonesische vor. Alles in allem ein mitreißendes, aufwendig recherchiertes und spannendes Buch. Die ideale Vorbereitung für Indonesienreisende, die es etwas genauer wissen wollen.