Westafrika war die längste Zeit seiner Geschichte für Europa ein Buch mit sieben Siegeln. Allenfalls die Küsten des Gambia, Senegal und des Niger waren ansatzweise bekannt, weil die europäischen Sklavenhändler hier ihre Opfer von afrikanischen Zwischenhändlern ihre Opfer abholten.
Erst in den 1820er Jahren brachen ein Engländer und ein Franzose von entgegengesetzten Punkten Afrikas aus, Westafrika zu durchqueren und den sagenhaften Ort Timbuktu zu erreichen, einen Schnittpunkt von Mythos und Geschichte, mit dem man in Europa die abenteuerlichsten Vorstellungen verband
Der Engländer Gordon Laing beginnt seine Expedition als englischer Major im libyschen Tripolis, während der französische Schuster und Abenteurer René Caillié, getarnt als mohammedanischer Abdallah mit einer erfundenen Vita, vom Senegal aus alleine nach Mali reist. Berichtet wird dabei vornehmlich aus den Innenperspektiven der Reisenden: die immer düsterer wird, je tiefer sie sich in das Innere Afrikas verlieren. Weite Passagen des Werkes bestehen schließlich nur aus der Beschreibung der Qualen, die die beiden Forschungsreisenden zu erleiden haben, und was es da über Eiterwunden und Skorbut (S.105), Delirium und Durstphantasien zu lesen gibt, wird keinen Leser ungerührt lassen.
Während Caillié vom Senegal aus schließlich Djenne erreicht, die große Stadt am Niger, reist Laing von Tripolis nach Ghadames, dann nach In Salah mitten in die Sahara. Zwischen In Salah und Timbuktu werden Laing und seine Gefährten in den Krieg der Hoggar Turegg verwickelt, in deren Verlauf sich einige Tuaregg unter die Karawane mischen, ehe sie sich eines Nachts um Laings Zelt versammeln und aus allen Rohren auf den schlafenden Engländer feuern. Nur noch als ein zerschmetterter Leib wird Laing nach Sidi Mohammed geschafft, fünf Tagesreisen von Timbuktu entfernt, wo er in der Obhut des Cherifen Mohammed Muktar unwahrscheinlicherweise wieder zu Kräften kommt. Nach einer letzten Reiseetappe erreicht Laing schließlich Timbuktu (S. 312), ebenso wie Caillié, der nach einer wundervoll beschriebenen Flussreise (S. 283-295) die Tore des „einzigen Ortes“ passiert. Danach verknäuelt sich die Darstellung des Buches – Laings und Cailliés Impressionen gehen ineinander über, obgleich Laing Timbuktu 1826 und Caillié die Stadt erst 1828 erreichte. Beide durchstreifen wie beträubt den „einzigen Ort“, der sich als eine unbedeutende Lehmstadt erweist, erspüren aber auch die Stimmung einer anwachsenden Bedrohlichkeit und reisen schließlich ab – Caillié im Rahmen einer fast tödlich verlaufenden Wüstenreise nach Marokko(S. 350-55), Laing mitten hinein in einen von Mörderhand verursachten Tod, dessen Einzelheiten letztlich ungeklärt bleiben (S.376,379).
Nur neun Jahre nach seiner abenteuerlichen Heimkehr nach Frankreich, wenige Jahre nach der Veröffentlichung der drei Bände seiner „Voyages“ stirbt auch Caillié an den gesundheitlichen Folgen seiner Reise.
Zurück bleibt ein Leser, der von dem Buch fast so erschöpft ist wie die beiden Hauptprotagonisten – erschöpft, weil er ein anspruchsvolles, ein stellenweise überaus anstrengendes, aber auch ein packendes und faszinierendes Werk gelesen hat, ein Buch, das sich mit seinen komplexen Textreliefs gegen jedes Überfliegen wehrt und das den Leser am Ende in einer zwiespältigen Befindlichkeit zurücklässt: einerseits ist er der Zeuge eines dramatischen Doppelabenteuers geworden und hat bei aller Psychologisierung auch tief hineinblicken dürfen in eine grandios präsentiertes Afrika – zugleich aber erkennt er aber auch, dass die Suche nach dem einzigen Ort letztlich an Verruchtheit grenzt, ist sie in der Perspektive des europakritischen Autors doch nur die Vorstufe der Umwandlung eines Mythos (der uns zum Träumen bringt) in einen heruntergekommenen kolonialen Besitzstand.