David Peace beschreibt in dem vorliegenden Kriminalroman das zusammengebrochene Japan in der „ Stunde Null“, eine geschlagene, gedemütigte Gesellschaft, in der alle vor den „Siegern“ kuschen und um das nackte Überleben kämpfen müssen. Alles liegt in Trümmern, die Menschen verhungern oder sterben an Seuchen, die Kriminalität explodiert, während die Ordnungskräfte von Säuberungswellen der Sieger überzogen werden. Frauen, deren Männer im Krieg gefallen und deren Kinder bei den Luftangriffen verbrannt sind, müssen sich prostituieren, die Städter ziehen aufs Land um zu hamstern, und viele fühlen sich schuldig, überhaupt überlebt zu haben. Ein solcher Überlebender ist Inspektor Minamo, ein nervlich vollkommen zerrütteter Mensch, der mit seinen 100 Yen Monatslohn weder seine Familie noch seine Geliebte („Ich bin eine Frau. Ich bin aus Tränen gemacht.“) unterhalten kann und sich deswegen korrumpieren muss. Kommissar Minami untersucht eine Serie von Morden, der mitten in der nationalen Agonie junge Frauen zum Opfer fallen, bei denen zunächst gar nicht klar sind, ob sie verhungert, verbrannt oder ermordet worden sind. Parallel zu den ungeklärten Mordfällen toben Bandenkriege im Rotlichtmilieu, in denen japanische, koreanische und chinesische Banden um die Kontrolle der Schwarzmärkte kämpfen. Während alte Geschichten aus der Kriegsvergangenheit Japans immer wieder im schlaflosen Inspektor Minami hochkochen, wird er von seinen Vorgesetzten wegen Erfolglosigkeit auf demütigende Weise degradiert. Sein psychischer und körperlicher Verfall schreitet immer weiter fort, bis er am Ende einem Mordanschlag entkommt, einen Yakuza-Boss erschießt, seine Geliebte tötet und im Irrenhaus verschwindet. Die Stimmung ist über das ganze Buch hinweg düster und deprimierend, und die Handlungsführung fordert vom Leser ein beachtliches Ausmaß an Konzentration. Der Hauptwert des Buches liegt in einer für den Leser schockierenden Darstellung der zusammengebrochenen japanischen Gesellschaft am Ende des Zweiten Weltkrieges. Dazu einige Zitate:
„Die Nacht weicht dem Tag, dunkelgraue Wolken hängen am ausgebleichten Himmel. Ich übergebe mich auf der Toilette des Polizeireviers Atago. Wieder schwarze Galle. Neue Warnschilder hängen am abblätternden Putz, ich beuge mich über das Waschbecken. Warnende Hinweise der Lokalverwaltung vor Cholera. Ich spucke aus. Anweisungen, kein Frischwasser zu trinken, vor allem kein Brunnenwasser und keine rohen Speisen zu sich zu nehmen, vor allem keinen rohen Fisch. Ich wasche mir das Gesicht. Ich starre in den Spiegel.“(198)
„Eine letzte Zigarette in einer anderen Ruine auf einem anderen Trümmerhaufen. Zwei streunende Hunde umkreisen mich, beobachten, wie ich rauche, warten darauf, dass ich verrecke. Zwei Köter mit verdrecktem Fell und dürren Beinen, blasse Zungen baumeln aus ihren dunklen Mäulern. Der Spatz singt, die Nachtigall tanzt. Diese Ruine war einmal das prachtvolle Haus der Satsuma-Samurai-Dynastie, einer Familie, die dem Land einst Minister und Generäle geschenkt hat.“(282)
Oder: „Wir warten zwei Stunden lang auf einem Bahnsteig, der überlaufen ist von Männern und Frauen, mitsamt ihren Kindern und ihre Habe. Es juckt und ich kratze mich. Gari Gari. Viele tragen schreiende Babys auf dem Rücken, andere tragen die stummen Knochen ihrer Toten in Schachteln um ihren Hals, Rückkehrer aus der Mandschurei, Flüchtlinge aus dem ganzen Land. Es juckt und ich kratze mich.“ (304f)
Eine nicht ganz einfache, aber eine lohnende Lektüre, die zum Verständnis Japans nach dem zweiten Weltkriegs mehr beiträgt, als manches Sachbuch.