Eine Funktion ernsthafter Literatur besteht sicher auch darin, Empathie auch für das Leid der anderen zu wecken, anderer Menschen, anderer Völker und Kulturen. Japan ist in diesem Zusammenhang allerdings eher bekannt, als ein Akteur, der im Verlauf des Zweiten Weltkrieges unermessliches Leid über große Teile Asiens brachte. Dass die einfachen Menschen dieses Landes aber auch einen hohen Preis für die chauvinistischen Verirrungen ihrer Elite zahlen mussten, ist dem allgemeinen Bewusstsein nicht geläufig. Akiyuki Nosakus „Das Grab der Leuchtkäfer“ leichtet diese etwas ungewohnte Perspektive in beeindruckender Weise aus. Auf eine unprätentiöse, akribisch und zugleich schockierende Weise beschreibt der Autor die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges, als die amerikanischen Bombengeschwader von Okinawa aus eine japanische Stadt nach der anderen in Schutt und Asche legen. Bei einem solchen Bombenangriff auf Kobe verbrennt die Mutter des kleinen Seiko, sein Vater ist wahrscheinlich längst auf irgendeiner Insel im Pazifik gefallen. All das erfahren wir erst nach und nach, denn die Geschichte wird rückwirkend erzählt, sie beginnt mit dem elenden Tod Seikos und entfaltet den vergeblichen Überlebenskampf, den er mit seiner keinen Schwester Setsuko unmittelbar vor und nach dem Atombombenabwurf von Hiroshima führt. Alles, was sie besitzen, müssen sie verkaufen, sie irren von Ruine zu Ruine, finden Unterschlupf bei Verwandten und werden wieder herausgeworfen und vegetieren schließlich in einer Erdhöhle dem Hungertod entgegen. Bald ist ihr Körper von Geschwüren bedeckt, sie leiden an Unterernährung und Durchfall, und als einziger Trost bleibt ihnen nur das Flimmern der Leuchtkäfer in der Nacht, aber auch die liegen am nächsten Morgen tot auf dem Boden. Völlig verlaust und entkräftet stirbt die kleine Setsuko an Hunger, kurz darauf verendet auf Seiko in einer Lache von Kot am zerbombten Hauptbahnhof Sannomyia in Kobe. Zusammen mit zwanzig oder dreißig anderen Kriegswaisen wird er verbrannt. „Die Knochen wurden dem Totenhaus des Tempels übergeben als Überrest eines namenlosen Toten.“ Die Diktion der Erzählung ist unsentimental, sachlich und präzise, was ihre Wirkung nur noch steigert. Sie besitzt übrigens einen biografischen Hintergrund, denn Nosaka hatte in den letzten Kriegstagen den Tod seiner Mutter und seiner Schwester miterlebt und nur durch Zufall überlebt.