Yates: Easter Parade
Seit dem Film „Zeiten des Aufruhrs“ mit Leonardo di Caprio und Cate Blanchett ist Yates plötzlich in Mode. Der zurückgezogen lebende amerikanische Autor, der bis zu seinem Tod im Jahre 1992 sieben Roman und zahlreiche Erzählungen verfasste, wird plötzlich gelesen wie niemals zuvor. Woran liegt das?
Yates hat in der Mitte des letzten Jahrhunderts in seinen Romanen gleichsam an einer Zeitenwende den endgültigen Zusammenbruch der bis dahin unhinterfragten sozialen Primärbeziehungen beschrieben. Mann und Frau, Eltern und Kinder, Ehe und Familie, Nachbarschaft und Beruf – all diese fest gefügten Fixsterne der traditionellen gesellschaftlichen Galaxis der USA begannen sich aufzulösen und in Ellipsen zu drehen, die keiner mehr so recht verstand. Plötzlich galt es die sozialen Rechnungen für die Liberalisierung und Emanzipation der modernen Gesellschaft zu bezahlen. und keiner wusste so recht, wer und was hier am Werke war. In unserer Gegenwart, knapp zwanzig Jahre nach Yates Tod, in der die Auflösungserscheinungen zum Normalfall des gesellschaftlichen Zusammenlebens geworden sind, ist es fast makaber zu lesen, wie ein Autor diesen Prozesse im Moment seines Entstehens mit geradezu prothetischer Kraft beschreibt.
Die Familie, anhand derer diese Auflösung der sozialen Kohäsion über nahezu ein ganzes Leben hinweg beschrieben wird, sind die Grimes, genau gesagt: „Pookie“ Grimes, die etwas abgedrehte Mutter und ihre beiden Töchter Sarah und Emily, dazu am Rand auch Vater Grimes, in dem ein wenig von der Biographie des Autors selbst erkennbar wird. Nach der Scheidung der Eltern tingelt die Mutter mit ihren beiden Töchtern durch die verschiedenen Orte der Ostküste, immer auf der Suche nach „Flair“ und sozialem Aufstieg, doch ohne Erfolg, denn alle ihre Ambitionen scheitern kläglich. Sarah heiratet früh den schönen Mechaniker Tony und bekommt drei Söhne. Emily, die begabtere der beiden, die sogar mit einem Stipendium das College besucht und als die „brillante Schwester“ gilt, macht eine Karriere als Werbetexterin und durchlebt nach einer Kurzehe die Höhen und Tiefen des Singlelebens zu einer Zeit, als dies noch keineswegs der Standard war. Ihre Unschuld verliert sie an einen dahergelaufenen Soldaten im Park, ihre Partner sind entweder impotent (Andrew), unkreativ ( Jack ) oder – wenn sie sowohl potent als auch kreativ sind – dann lieben sie die arme Emily nicht (Howard) – kann man eine moderne weibliche Singleexistenz exemplarischer beschreiben? Die ältere Schwester Sarah aber hat es wahrscheinlich noch schlechter getroffen. Sie lebt in kläglichen Verhältnissen auf dem Land und wird von ihrem Mann, einem „Neandertaler“, regelmäßig zusammen geschlagen, bis sie sich wie ihre durchgeknallte Mutter schließlich dem Alkohol ergibt und unter nicht ganz geklärten Umständen stirbt.
Das hört sich schrecklich und düster an, wird aber in einer solch kristallenen Klarheit erzählt, dass der Leser lange Zeit gar nicht glauben kann, dass alles ein derart desolates Ende nehmen wird. Doch je weiter der Roman voranschreitet, desto deutlicher wird die Schräge, auf der sich alle Menschen befinden und die sie oft kaum merklich, aber auf Dauer unentrinnbar abwärts zieht. Langsam und unerbittlich entwickelt der Autor seine Geschichte seiner Figuren, deren Geschick sich wie eine Krankheit entfaltet, deren Keim sie schon seit in ihrer Jugend in sich tragen. Ein inhaltliches, formales und sprachliches Meisterwerk, das ich von der ersten bis zur letzten Seite in atemloser Spannung gelesen habe. Meiner Ansicht einer der exemplarischen Romane der gesellschaftlichen Gegenwart und die kongeniale Ergänzung zu „Zeiten des Aufruhrs“.