Franzen: Die Korrekturen
Ich habe dieses Buch schon einmal vor acht Jahren gelesen und habe es nun, nach der Lektüre der anderen drei großen Romane von Jonathan Franzen ( „Die 27ste Stadt“ „schweres beben“ und jetzt „Die Freiheit“) noch einmal zur Hand genommen. Mit war das Grundgefühl meiner damaligen Lektüre noch durchaus erinnerlich, ein satter, großer Roman mit eindringlich geschilderten Charakteren und einem Handlungsverlauf, der die Lamberts zu einem amerikanischen Paradigma der Jahrtausendwechsels machte.
Ich las nur ein wenig hier und da, und schon war ich wieder drin – war wieder zu Gast bei Enid und Alfred Lambert und ihren so unterschiedlichen Kindern Gary, Chip und Denise, deren Schicksal wie ein Menetel die Grundproblematik auch meiner eigene Generation kennzeichnet. Ehe ich mich versah, hatte ich das Buch noch einmal gelesen – und zwar mit einem Gewinn, den ich nicht erwartet hätte. Es war nicht nur die Dialektik von Wiedererkennen und Neuheit, die diese Lektüre für mich so faszinierend machte, auch die Schwerpunkte des Romans wirkten diesmal ganz anders auf mich als bei der ersten Lektüre.
Inzwischen bin ich fast ein Jahrzehnt älter geworden, und lese nun die beschriebenen Agonien der Alzheimer Erkrankung mit ganz anderen Augen. Ich bin inzwischen von einem Chip –Existenz in das von Gary und zurück gewechselt und habe vieler meiner Gefühlszustände auf eine so präzise Weise beschrieben gefunden, dass ich mich neu verstehen lernte. Und ich habe so viele Frauen wie Denise kennen gelernt, dass mir ihr Schicksal fast wie eine chronische Krankheit erscheint, die die tüchtigen Frauen unserer Zeit befallen hat. Die Lambert-Mutter Enid, die mir bei der ersten Lektüre noch wie eine Nervensäge vorkam, habe ich in ihrer duldenden Würde und lebenswerten Beschränktheit erst jetzt schätzen gelernt. Und last not least: wieder war ich wie verzaubert von der unglaublichen erzählerischen Kraft, mit der Franzen seine Figuren portraitiert.
Und noch eine Erfahrung habe ich gemacht. Wer wissen will, wie gut Bücher wirklich sind, sollte sie nach einer gewissen zeit ein zweites mal lesen. Dann geht es ihnen wie mit gutem und schlechtem Wein, der über Nacht dekantiert – entweder sind sie so sauer, dass man sie in den Ausguss schüttet oder sie haben erst ihr volles Aroma entfaltet. Franzen Werk gehört natürlich zur zweiten Sorte. Dass das Buch gut war, hatte ich nie vergessen – dass es aber so gut ist, war mir entfallen.