Gambia

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Gambia – oder: Westafrika zum Kennenlernen

f1 (16)Wer kennt schon Guinea-Bissao? Oder noch besser: Wer weiß, wo es liegt? Wer kennt Ghana, Bukina Faso, Senegal, Sierra Leone oder Togo? Natürlich kaum jemand. Ganz Westafrika ist eine einzige Terra Incognita, von der man nur hört, wenn Kindersoldaten morden, die Ebola-Seuche wütet oder Flüchtlinge nach Norden fliehen. Dabei ist Westafrika als Ganzes fast so groß wie die USA und hat mit 340 Millionen Menschen sogar mehr Einwohner als die Vereinigten Staaten.  Mit einem Satz:  Westafrika ein beachtlich großer Teil der Welt, in dem die meisten Sachen furchtbar schief laufen.

b1 (62)Aber es gibt Ausnahmen, und eine solche Ausnahme  ist Gambia. Jedenfalls, wenn man der Tourismuswerbung glaubt, Denn Gambia, der kleinste Staat Afrikas, der nichts außer Erdnüssen, Fischen und gut aussehenden Menschen exportiert, hat das Glück, einige der schönsten Strände Afrikas zu besitzen, so dass sich in den letzten zwanzig Jahren ein beachtliches Tourismusgeschäft entwickelt hat. Dass es ein Tourismusgeschäft mit einer leichten Schlagseite ist, sollten wir noch lernen müssen.

Zunächst Grundsätzlichen: Gambia ist mit etwa 11.000 qkm Fläche etwa so groß wie Korsika und Mallorca zusammen und hat knapp 2 Millionen Einwohner, von denen die Hälfte unter 18 Jahre alt ist. Das Land  trägt seinen Namen vom Gambia Fluss, der in etwa so lang wie der Rhein ist  und der als Fluss von dem gleichnamigen Staat an seiner Mündung wie ein Kondom umschlossen wird.  Ein unanständiger Vergleich, ich weiß,  b1 (44)

aber er stammt nicht von mir, sondern von den Franzosen, die sich darüber ärgerten, dass ihnen die Briten dieses Territorium und damit die Kontrolle der Flussmündung im 18. Jhdt. entreißen konnten. So ist es bis heute geblieben. Das erheblich größere und französisch geprägte Senegal umgibt Gambia als Staat wie ein Auster die Perle, und wenn ein Sengalese vom Norden in den Süden seines Landes reisen will, muss er in Gambia ein- und ausreisen und –was noch viel zeitaufwendiger ist – den Gambia Fluss auf rostigen Fähren überqueren.

All das wusste ich noch nicht, als ich einen Erholungsurlaub in Gambia buchte. Meinen Plan, durch Bukina Faso nach Mali und von dort den Niger abwärts bis nach Timbuktu zu reisen, hatte ich aufgeben müssen, als die Islamisten begannen, Mali mit Krieg zu über- ziehen und westliche Touristen, derer sie habhaft werden konnten, umzubringen.  Außerdem benötigte meine liebe Frau, die beste aller Gattinnen, dringend Entspannung in einem gediegenen Hotel an einem schönen Strand. Also ab nach Gambia, die scheinbar so glückliche Nussschale in einem unglücklichen Weltenteil.

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Mein erster Kontakt mit Gambianern war aufregend und lehrreich zugleich. Denn auf dem Flughafen in Serekunda, der größten Stadt des Landes, war plötzlich mein Koffer verschwunden. Alle Gepäckstücke waren bereits vom Rollband heruntergenommen worden, nur von meinem Koffern war nichts zu sehen.  Panik kam auf, doch sofort umringten mich hilfreiche Einheimische, die beruhigend auf mich einsprachen. Es waren große, gut gebaute Mandingos und Wolof mit markanten Gesichtern, deren gutturales g1 (41)Timbre die Botschaft enthielt: „Keep cool, alles wird gut.“ Und tatsächlich, ich hatte mich noch gar nicht gefasst, als mein Koffer plötzlich  aus dem Nachbarraum auf das Gepäckband gelegt wurde und allgemeiner Jubel ausbrach. Nun umringten mich alle und gratulierten mir – und wollten für ihre Anteilnahme Bargeld sehen! Ich, von lauter Erleichterung noch ganz benebelt, ließ einen Schein springen, dessen unerhörter landesspezifische Kaufkraftwert mir erst am Ende der Reise klar wurde – ebenso wie die Tatsache, dass dieses Spiel „Der Koffer ist verschwunden“ am Flughafen von Serekunda wohl des Öfteren  erfolgreich abgespielt wird.

Als der Bus vom Flughafen zum Kombo Beach fuhr, war es 5.00 Uhr in der Frühe. Stockdunkle Nacht über Afrika  – dachte ich, aber nur so lange, bis der Bus die Strandbezirke des Kombo Beachs erreichte, in dem die Straßen hell erleuchtet waren, die Musik dröhnte und alle Bars, Restaurants und Biergärten schier aus allen Nähten zu platzen schienen. Es wurde getanzt und geschäkert, gesoffen und antichambriert, als sei der letzte aller Tage angebrochen. Europäische Touristen in mittleren Jahren torkelten, nur mit ihrer Turnhose bekleidet, angetrunken über die Straße, Männer und Frauen grüßten uns mit erhobenen Bierflaschen wie  präsumptive Saufkumpane, die sich bald auch in diesem Inferno tummeln würden. Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, weil ich fürchtete, unser Hotel könnte sich in der Nähe dieser Rotlichtstraße befinden.   Doch gottlob, unser Hotel, das „Kombo Beach Hotel“ lag in einem abgelegenen, ruhigeren c1 (5)Bezirk, es war sauber und ruhig,  und es wurde im Unterschied zu vielen Unterkünften an der Küste vor allem von Paaren im mittleren und gehobenen Alter frequentiert. Für einen kleinen Aufpreis erhielten wir noch vor dem Frühstück ein Zimmer und schliefen uns erst einmal aus.

Als wir am Vormittag erwachten, wölbte sich ein perfekter Himmel über der Küste. Noch an die trüben Tage des deutschen Novembers gewohnt, mussten wir die Augen d1 (6)zusammen- kneifen, als wir den strahlend weißen und schier endlosen Strand zum ersten Mal erblickten. Wie wir zu unserer Freude sahen, lag das Kombo Beach Hotel direkt am Meer und  besaß einen eigenen Strandabschnitt, an dem sich die Hotelgäste auf bequemen Liegen unter Palmen an der  Brandung des Atlantik ergötzen konnten. Die gute Nachricht war, dass die Gäste dabei offiziell durch hotelangestellte Aufseher vor allzu aufdringlichen Strandverkäufern abgeschirmt wurden. Die schlechte Nachricht war, dass sich dies als reine Theorie erwies, denn kaum erschien ein neues Gesicht mit kalkweißen Beinen zum ersten Mal im Strandbezirk, da stürzten sich Masseure, Textilverkäufer, Musiker und Dienstleister aller Art auf den Novizen, um ihn so schnell wie möglich abzuzapfen. Kein Denken daran, diese unerbetenen Störer einfach  wegzuschicken, dafür waren die d3 (3)Leistungsträger vom Kombo Beach viel zu selbstbewusst, viel zu sprachbegabt, und vor allem auch mit einem so beachtlichen persönlichen Standing begabt, dass die Ablehnung ihrer Angebote nicht unheikel war. Soweit ich beobachten konnte, fuhr man am besten mit freundlichem Kopfnicken und Sprüchen wie „Very interesting“, „I´ll keep you in my Mind“ oder „May be tomorrow“.  Auf der Straße vor dem Hotel habe drei große Kerle, die uns mit ihren Angeboten bedrängten  auch schon mal mit dem Spruch „Please be sensible, my wife ist afraid of the big black man“ zum Lachen gebracht. Und wenn die Afrikaner lachen, ist alles gut. Sie klatschen dich dann ab, klopfen dir auf die Schulter und trollen sich. Manche durchhauen das Spiel und zeigen verhaltenen Ärger, aber auch dann gilt es , höflich zu bleiben, denn es ist die Not, und nicht die Kontaktfreude, die die stolzen Gambianer zu ihren Geschäften zwingt. Einer der Händler kam in den ersten Tagen mehrfach vorbei und stellte sich als „Kevin Costner“ vor, woraufhin ich mich als „Frank Sinatra“ zu erkennen gab. Er spielte mit und spielte auf Zeit, irgendwann, so dachte er wahrscheinlich, würde er mich schon weichkochen.

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Kein Gambiaurlaub ohne „Bumsters“. Das hatte ich zwar nicht gewusst, das musste ich aber sehr schnell lernen. Bei den Bumsters handelte sich um junge, extrem gut gebaute und meist auch relativ höfliche und sprachgewandte Männer, die versonnen an den Hotelabschnitten vorübergingen, im Meer badeten, ihre herrlichen Körper reckten und streckten und halb scheu, halb gezielt, europäische Frauen ansprachen (wenn diese das nicht schon von sich aus erledigten). Mit gewohnheitsrechtlichen Einverständnis der Strandaufsicht wurden sie von mittelalten Frauen auf die Hotelliegen eingeladen und  mit Drinks und Speisen verwöhnt – ehe man zu gegebener Zeit die Gegenleistung einfordern würde. Wer wollte darüber mosern, dass sich europäische Frauen in den besten Jahren nun in Afrika das holen, was die europäischen Männer sich schon lange  in Thailand oder auf den Philippinen besorgen? Besonders schön sieht weder das eine noch das andere aus, doch wer bin ich, hier zu rechten?

d3 (43)Die jungen Frauen, die am Kombo Beach ihre Massagen, Drinks oder ihre Kuchen offerierten, hatten mit diesem Geschäften nichts zu tun. In berückender Schönheit und in farbige Gewänder gehüllt, beweg- ten sie sich im vornehmen Wiegeschritt durch den Sand, ihre Gesichter waren edel und lang, ihre Nasen europid, die Augen und die Zähne weiß wie Schnee, und hohe turbanähnliche Kopfbedeckungen gaben ihnen das Aussehen von Königen. Wo in der Welt gibt es schönere Menschen? dachte ich, sagte es aber nicht, weil meine Frau, die beste aller Gattinnen, ein wachsames Auge auf mich hatte.  Erst als  ich am Nachmittag den Strand ein wenig weiter nach Süden lief, lernte ich auch ganz andere Einheimische kennen. Unter kleinen Palmenhainen waren Bretterbuden aufgebaut, vor denen korpulente Frauen auf Kunden warteten. Sofortaquise und Spontabeschlafung waren kein Problem, wohl aber die Ablehnung solcher Angebote, denn dann konnten die Damen Gift und Galle spucken. An einer besonders exponierten Stelle zwischen dem Kombo Beach Hotel und dem Senegambia Hotel war eine regelrechte Orgie im Gange: laute Trommelmusik, d3 (30)europäi-sche Frauen, die mit ihren Bumstern tanzten, männliche Sextouristen beim Anbahnungs-gespräch mit schwarzen Prostituierten und dahinter die Baracke mit ihren Holzverschlägen, in denen man sofort zum Vollzug schreiten konnte. Möglich, dass ich mich irrte, aber soweit ich erkennen konnte, gab es kaum gut aussehende Prostituierte, was in Westafrika nicht weiter verwunderlich war, denn schöne Frauen fanden auch auf normalem Weg einen Mann, der für sie sorgte. (Was bei uns natürlich ganz anders ist!) In unserem Hotel logierten sogar einige gemischte Paare, d. h. europäische Männer mit schwarz-afrikanischenen Frau und schokobraunen Kindern, die zum Entzücken der älteren Gäste laut krähend durch die Gegend liefen.

 

Nur etwa gut zwanzig Kilometer vom Kombo Beach entfernt befindet sich Banjul, das alte b1 (9)Bathhurst, die Hauptstadt Gambias.  Einen regelmäßigen Busverkehr nach Banjul gab es nicht,  und wer versuchte, mit nicht lizensierten Fahrzeugen nach -Banjul zu fahren, riskierte, dass ihn die  Polizei aus den Wagen holte und zu einer deftigen Strafe verknackte.  So suchten wir auf der Hauptstraße von Kota gleich vor unserem Hotel unter den anwe- senden Taxifahrern den augenscheinlich Vertrauenserweckendsten heraus und zahlten ihm 700 Dalasi (etwa 14 Euro)  dafür, dass er uns mit seinem Taxi nach Banjul bringen, dort herumfahren und wieder zurückfahren würde. Der Name unseres Taxifahrers

b1 (11) war Makali (alias „Sea Boy“) , er trug eine Ballonmütze über seiner Rastafari-Frisur, sprach fließendes Englisch, war 31 Jahre alt, unverheiratet und  für einen Westafrikaner relativ klein aber sehr gut gebaut. Wie er erzählte, hatte ihm ein Finne sein Taxi finanziert, wofür er ihm eine regelmäßige Pacht nach Helsinki überwies. Auch eine Form des internationalen Kapitaltransfers. Übrigens kann ich ihn nur wärmstens empfehlen, er war humorvoll und flexibel, kenntnisreich und unaufdringlich

Zuerst passierten wir in Makali-„Sea Boys“ Taxi das Staatsgefängnis von Gambia, in dem aber – so „Sea Boy“ – kaum Gefangene einsäßen, weil Gambia die niedrigste b1 (12)Kriminalitätsrate in ganz Afrika habe. Vielleicht aber war das Gefängnis aber auch nur deswegen so leer, weil Präsident Jammeh im Ruf stand, immer dann, wenn die Zellen mit Kriminellen überfüllt waren, durch spontan angesetzte Massenhin-richtungen Raum zu schaffen. Daraufhin befragt, verweigerte Makali-Sea Boy allerdings die Auskunft. „No Politics“, sagte er und gab Gas. An der Stadtgrenze von Banjul stoppte Makali-„Sea Boy“ am sogenannten „Arch“, einer Art ungefügem Triumphbogen, den Präsident Jammeh zur Erinnerung an seine Machtergreifung im Jahre 1996 und als Fanal einer neuen, besseren Zeit hatte errichten lassen. Unbeleuchtete Treppen, beschädigte Wände und Türen, die schräg in b1 (13)ihren Angeln hingen, zeigten allerdings, wie mühelos der Zahn der Zeit in Afrika alles zernagt – zuerst und vor allem die Hoffnung. Immerhin bestand die Möglichkeit, von der Aussichtsempore des Arch die Stadt Banjul zu überschauen. Ich erblickte den christlichen Friedhof vor dem Ortseingang, die Umrisse der Freitagsmoschee und im Hintergrund den mächtigen Gambia Fluss, der in hier in den Atlantik mündet. Ansonsten wirkte die Stadt klein und grün, vom sechsmal größeren Serekunda im Süden war vom Arch aus nichts zu sehen.

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Die Straßen Banjuls waren gesichtslos und hässlich. Afrikanisches Ambiente gab es nur im Schatten der überdachten Märkte, auf denen die Einheimischen ihren Tagesbedarf b1 (1)einkauften: Gewürze, Fisch, Fleisch, Gemüse, Tücher, Töpfe und jede Menge Erdnüsse, den Grundstoff der Erdnusssoße, die in Gambia über alles gegossen wird, was man auf einen Teller legen kann. Überall ratterten die Nähmaschinen, es wurde gebügelt, gekocht, gebürstet, gegessen – und geschimpft, wenn man versuchte, ein unerlaubtes Foto zu schießen.

Der beeindruckendste Anblick Banjuls bot der  Banjul Harbour. Hier verengte sich die Mündung des Gambia auf drei Kilometern Breite, so dass von dieser Selle aus zu allen Tageszeiten vollgepackte Langboote, deren Reling kaum über das Wasser reichte,  zum anderen Ufer aufbrachen. Die Boote waren bunt bemalt und mit winzigen b1 (70)Außenbordmotoren versehen, von de-nen man sich fragen mochte, wie man mit solchen Rasenmähermotoren den Riesenstrom überqueren wollte. Außerdem schien keines der Boote, die voll beladen ihre Reise zum anderen Ufer antraten, wirklich dicht zu sein, denn kaum, dass die Boote, die Brandung verlassen hatten, mussten die Passagiere bereits mit dem Wasserschippen beginnen. Vom anderen Ufer des Gambia sollte es übrigens nur drei bis vier Autostunden nach Dakar sein, der Hauptstadt des Senegal, die ich liebend gerne besucht hätte, was mir aber meine Frau, die beste aller Gattinnen, strikt verbot. Östlich der schmalen Gambiamündung verbreitete sich der Fluss fast zu einem Binnenmeer, dessen gegenüberliegende Ufer nicht mehr zu sehen waren. Noch weiter im Osten, landeinwärts und jenseits des Mündungsmeeres, befand sich die alte Sklavenstation Fort James. Weil Alex Haleys seinen Roman „Roots“ unter anderem in Fort James beginnen ließ, hat man den Ort übrigens in „Kunta Kinte Fort“ umbenannt.b1 (53)

Der Gambia ist einer fischreichsten Ströme Afrikas, und nur ein kleiner Ausschnitt dieser Fülle wurde auf dem Fischmarkt von Banjul angeboten. In allen Größen und Verwesungstatdien brieten hier die Fischkadaver zur Freude der Fliegen in der prallen Sonne. Der Großteil des Fischfangs aber wurde im b1 (71)benachbarten Cargohafen in Kühlcontainer gepackt und exportiert. Kräne und Maschinen sah ich nirgendwo, alle Lasten, Kisten und Karren  wurden mit Muskelkraft bewegt.

Nach unserem Besuch in Banjul vergingen die Tage mit Lesen, Schlafen, Essen, Trinken und Baden, dem modernen Fünfkampf des Ferntourismus. Weil das aber auch die Dauer langweilig war, buchten wir gegen Ende unseres Gambiaurlaubs für 160 Euro pro Person eine zweitägige Reise nach Georgetown, einem Ort am Oberlauf der Gambia, in dem

e1  (25)Mungo Park im Jahre 1795 seinen berühmten Marsch zum Niger begonnen hatte. Fünf  Deutsche, acht Holländer und zwei Briten hatte die gleiche Idee, so dass sich inklusive unseres Führers und Fahrers insgesamt 19 Personen in aller Frühe mit kleinem Gepäck in einem Reisebus auf den Weg nach Osten machten. Ibrahim, unser glatzköpfiger Reiseleiter, sprach Deutsch und Englisch und kommentierte alles, was g1 (54)es am Wegesrand zu sehen gab: Baobab- äume, Schulen, Märkte, Polizeistationen, aber auch jede Menge Schulkinder, die zu dieser Uhrzeit in die Schule gingen.  Unser Fahrer Jeffrey hielt sich viel darauf zugute, dass er wie Spike Lee aussah. Allerdings fuhr er auch wie ein Blade Runner, so dass er schon nach einer Stunde Fahrt eine Großmutter, die die Straße überqueren wollte, glatt über den Haufen raste. Es gab einen gewaltigen Bumms, als der Spiegel des Busses die alte Frau am Kopf traf und sie im hohen Bogen auf die Straße flog. Sofort war der Unfallort von Hundert Menschen umringt, die aus allen Häusern e1  (17)herangelaufen waren. Auch unter den Touristen herrschte große Bestürzung, nicht nur aus Sorge um die alte Frau, sondern auch, weil man nicht wissen konnte, wie sich die Situation weiter entwickeln würde. In manchen Ländern hätte nun Lynchjustiz in der Luft gelegen, doch stattdessen erschien nach kurzer Zeit ein Krankenwagen angebraust, um die alte Frau, die erstaunlicherweise überlebt zu haben schien, in das nächste Krankenhaus abzutransportieren.

Wer dachte, dass nach diesem Unfall die weitere Busfahrt etwas moderater vonstattengehen würde, hatte sich getäuscht, denn nun musste die Verzögerung aufgeholt werden, so dass Jeffrey-Spike Lee erst recht Gas gab. Im Highspeed sausten westafrikanische Ansichten vorüber: Flussufer, Polizeiposten, Rinder auf kargen Feldern, ausgedörrte Buschlandschaften, Dörfer, und Lehmhütten, bis wir am frühen Nachmittag f1 (18)den Busbahnhof der  Stadt Soma am Gambia erreichten. Ein Gewusel aus schwarzer Haut und bunten Gewändern wogte zwischen den Bussen hin und her, quälte sich aus einem Bus heraus und in einen anderen herein. Gesichter wie dem Holozän blickten mich an, kleine Kinder so liebreizend und drollig, dass man sie auf der Stelle hätte einpacken können, liefen über die Straße, Frauen balancierten Eimer auf ihren Köpfen, Rastafaris lagen im Staub und beschimpften die Passanten.

g1 (23)Aber wir waren nicht wegen des Busbahnhofes nach Soma gekommen sondern wegen der  einzigen Gambia Fähre im Umkreis von Hunderten von Kilometern, einem echten afrikanischen Nadelöhr, durch das alles, was aus Nigeria, Ghana oder Liberia überland in den Senegal oder nach Mauretanien wollte, hindurch musste. Die Schlange wartender Fahrzeuge war deprimierend lang, und wir hätten hier eine halbe Woche warten müssen, hätte es nicht Ibrahim geschafft, mit einem dicken Bündel Dalasi-Scheinen uns sogleich an die Spitze der Fahrzeugschlange zu bugsieren. Der Gambia bei Soma ist nicht breiter als der Rhein bei Köln, doch die Fähren, auf denen Mensch, Auto und Waren übersetzten, g1 (24)schienen aus Urzeiten zu stammen, eigentlich waren sie nichts weiter als Stahlplattformen mit einer kleinen Brüstung und einem Dieselmotor, der so jämmerlich röchelte, das ich mich nicht gewundert hätte, wenn er mitten auf dem Fluss abgesoffen wäre. Doch oben auf der Empore der Stahlfähre stand der Kapitän vor seiner kleinen Steuereinheit und lenkte sein Schiff selbstbewusst und sicher wie Hnery Mortin Stanley seine Schaufelraddampfer über den Kongo. Als ich die Empore  erkletterte, forderte mich der Kapitän kurz und herrisch auf, ihm ein Geschenk zu überreichen. Ich hatte aber nichts dabei, außer meinen Ohrstopfen, die er gerne annahm.

Auf der anderen Seite des Gambia führte uns die Reise weiter nach Wassu, laut Reiseführer dem Ort einer Gambianischen Topsehenswürdigkeit, die von UNICEF Gutachtern in den h1 (6)Rang eines Weltkulturerbes erhoben worden war. Es handelte sich um eine etwa 500 Jahre alte Begräbnisstätte,  die aus nichts anderem bestand, als zwei Dutzend rostroter Steine, die ohne erkennbares Muster oder System aus dem Boden ragten. Ein Holländer, der sich als Reiseschriftsteller ausgab, der über seine Gambiatour in einer großen holländischen Zeitung berichten würde, konnte sich gar nicht fassen vor Begeisterung  über diesen Anblick. Mir kam es eher so  vor, als würde an diesem Ort nur eine geschichtliche Atmosphäre  beschworen, verbunden mit der bloßen Aufforderung, sich etwas zusammenzufantasieren, ohne dass die materiellen Objekte am Ort diese Erinnerung in irgendeiner weise stimulierten.

Am späten Nachmittag stoppten wir an einer Anlegestelle erreichten, an der wir in einen kleines Boot umstiegen, dass uns den Gambia aufwärts bis nach Georgetown bringen i1 (23)sollte. Nun war es also endlich soweit, die Sonne versank rotglühend hinter dem Horizont, die afrikanische Nacht brach herein, und wir fühlten uns so, als führen wir auf dem großen Strom ins Innere Afrikas. Störche kreisten über dem Wasser, hier und da hob ein Flusspferd seinen mächtigen Schädel aus dem Fluss, während sich die Reisegruppe an einem deftigen Abendessen gütlich tat. Soweit ich mich erinnere gab es Reis mit Fleisch. Oder war es Reis mit Fisch? Genaueres konnte ich nicht erkennen, weil es inzwischen dunkel geworden und die gesamte Pampe mit Erdnussbutter bedeckt war. Die Geräusche des nächtlichen Dschungels schallten über den Fluss, Afrika umfing uns, und  ich schlief ein.

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Es war schon nach 2100 Uhr als wir ein Dschungelcamp direkt am Ufer des Gambia erreichten, das ganz ohne Elektrizität und nur mit Generatoren und Kerzen auskommen j1 (4)musste. Übernachtet wurde in Rundhütten, in denen sich auf festgestampfter Lehmerde massive Betten unter mückensicheren Moskitonetzen befanden. Ob diese Netze in den Rundhüten aber wirklich nötig waren, bezweifelte ich, denn in diesem Dschungelcamp

j1 (2)wurde offenbar so flächendeckend und ausgiebig DDT und ähnliches Vertilgungsgift benutzt, dass Mücken, Schaben, Käfer, Spinnen  und welches Insektengetier sich auch immer in das Rundhaus verirrt haben mochten, bereits massenhaft tot auf dem Rücken lagen, als wir die Hütte betraten.j1 (33)

Kein Wunder, dass wir am nächsten Morgen zwar nicht an Mückenstichen, aber unter herben Kopfschmerzen litten. Benebelt wie ich war, passte ich beim Frühstück einen Augenblick nicht auf, und schon hatte mir einer der Affen das Brot vom Teller stibitzt. Alle sahen reichlich mitgenommen aus, als wir schließlich mit dem  Bus weiterfuhren und nach einer kurzen  Fährpassage  Georgetown erreichten. Georgetown, das heutige Jajanbureh, war ein abgelegenes Provinznest mit einigen tausend Einwohnern, das sich auf einer Insel am Oberlauf des Gambia befand. Eine verfallene Sklavenhalle, vergammelte Holzhäuser k1 (17)im Kolonialstil und eine verschlammte Anlegestelle, mehr war von dem einstmals afrikaweit bekannten Sklavenmarkt nicht geblieben. Die Gegenwart gehörte den Mandingo und den Wolof, die auf den Straßen und unter den Markthallen ihre Waren verkauften. Wieder empfand ich Respekt vor diesen groß gewachsenen stolzen Menschen, den Angehörigen eines fremden Weltteiles, die es so unendlich viel schwerer hatten als wir, auch nur die einfachsten Lebensannehmlichkeiten zu erwerben. Etwas Distanziertes, k1 (9)Höfliches ging von den älteren Männern aus, die auf Stühlen unter den Arkaden saßen und das Treiben beobachteten.  Ein Jugendlicher mit einem Fahrrad hielt neben mir und fragte mich in holprigem Englisch, ob ich ihm eine Klingel für sein Fahrrad spendieren könne. 50 Dalasi sollte die Klingel auf dem Markt kosten, da konnte ich ihm helfen, und er fuhr von dannen.

Sintu Balke war eine 85 Jahre alte Gambianerin, die mit ihren Söhnen und deren Frauen samt einer kaum überschaubaren Enkelschar in einem Kral westlich von Georgetown l1 (18)lebte. Der Kral war von einer Mauer aus Zweigen und Dornen umgeben und bestand aus sieben Rundhütten, in denen sich nur Schlafstellen und einige persönliche Sachen befanden. Gedeckt waren die Rundhütten mit pyramidalen Dächern aus Elefantengras, die alle zwei bis drei Jahre erneuert werden müssen. Das gesamte Leben des Krals vollzog sich im Innenhof, dem so genannten „gambianischen Wohnzimmer“, in dessen Mitte sich eine große Feuerstelle befand. Ibrahim wusste unseren Besuch mit Würde zu gestalten, er hielt vor der versammelten Großmutter-, Schwiegertöchter- und Enkelschar eine eine kleine Rede, als er unsere Gaben – Brot, Reis und Zucker –  überreichte. Anschließend übersetzte er auch die Dankensworte der alten Dame, die sich dafür entschuldigte, dass ihre Familie nicht vollständig angetreten sei, denn ihre Söhne und ältesten Enkel befänden sich auf den Feldern. Dafür war jede Menge jüngerer Enkel und Enkelinnen anwesend, die von den weiblichen Besuchern so innig gefingert und geherzt wurden, als befänden wir uns in einem Streichelzoo für Kuscheltiere.

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Am letzten Abend im Kombo Beach Hotel wurden afrikanische Tänze vorgeführt. Im Unterschied zum Tango, Walzer oder Bossa Nova aus unseren Breitengraden handelte es sich nach meinem Eindruck bei dem westafrikanischen Tanz, den wir zu sehen bekamen, um eine Kunstform mit drei  Hauptelementen: Trommeln, Trillerpfeifen und Stampfen. Maßgebliches Bewegungselement dieses Tanzes war eben dem rhythmischen Stampfen auf dem Boden ein propellerartiges Kreisen mit den Armen einerseits und ein lüsternes Wackeln mit dem Hinterteil andererseits, was, immer neu variiert, die Zuschauer in eine regelrecht promiskuitive Stimmung versetzte. Als sich schließlich zwei gerade eingetroffene  Touristinnen dazu hinreißen ließen, ihrerseits coram publico zum Trillern und Stampfen der Einheimischen mit den Armen zu schlenkern und mit ihren Hinterteilen zu wackeln, gingen wir schlafen.

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2 Gedanken zu „Gambia

  1. Hallo Ludwig,du bist schon ein toller Typ.

    Deine Aufzeichnungen über Gambia sind Super.

    Wir freuen uns ,Euch bei einem kleinen Teil der Reise begleitet zu haben.

    monika u. rolf

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