Unmittelbar vor der Abreise: RTL RUFT AN
(1) Reinke Wed, 21 May 2014 14:00:26 +0000Lieber Herr Witzani, durch Zufall sind wir auf Sie gestoßen. Gerne würde mein Fernseh-Team einen Beitrag zu den meist gereisten Personen aus NRW über Sie drehen.Wir würden uns freuen möglichst bald von Ihnen zu hören, E. Reinke |
Etwas Merkwürdiges hat sich ereignet. RTL nahm Kontakt mit mir auf, weil ich auf der Reiseseite „mosttraveledpeople.com“ sehr weit oben rangiere. Man suche Menschen in NRW, die den Anspruch erheben könnten, am meisten in der Welt herumgekommen zu sein. Und da sei man auf mich gestoßen.
Wer würde sich durch eine solche Ansprache nicht geschmeichelt fühlen?
Die Redakteurin am Telefon gab sich freundlich, interessiert und aufgeschlossen. Sie fragte mich nach meinen „Traumreisen“ und ob ich mir manchmal auch etwas aufschriebe, ob ich Bilder und Videos hätte und ob ich alleine oder mit Freunden reisen würde.
Ich erzählte von Tibet und Patagonien, der Seidenstraße und Afrika, von dem Reisen als Lebensform, von der emotionalen Ergiebigkeit des Alleinreisens und kam so richtig in Rage.
„Toll“, „toll“ rief die Redakteurin beständig dazwischen. „Das hört sich total spannend an. Daraus können wir was machen.“
„Ich bin aber in drei Tagen weg“, wandte ich ein. „Ab Sonntag befinde ich mich auf einer fünfwöchigen Reise in den USA.“
„Macht nichts“ antwortete sie. „Wir können Sie am Freitag zuhause in Bonn besuchen und abdrehen. So was geht bei uns sehr schnell, wir kommen, drehen, schneiden und senden dann schon am Abend zwischen 1800 und 1830 Uhr.
„Hm“ sagte ich, inzwischen schon wieder etwas mehr heruntergekommen, denn der Mangel an wirklicher Rückmeldung von Seiten der Redakteurin verwunderte mich. „Aber können Sie mir nicht etwas genauer erklären was das Konzept ihrer Reihe ist? Suchen Sie besonders Weitgereiste? Suchen sie das Gespräch über die Gründe des Reisens? Wollen sie interessante Geschichten aus der Fremde hören?“
„Ja, ja“, entgegnete die Redakteurin. „Das wollen wir alles hören, aber wir wollen Sie auch als Menschen portraitieren.“
„Mich als Menschen portraitieren? Wie darf ich denn das verstehen?“
„Ich habe zum Beispiel auf Ihrer Homepage gelesen, dass Ihre erste Reise ein Ausbruch aus dem Jugendheim war, das hat doch was. Das können wir ausbauen.“
„Wie denn ausbauen?“ fragte ich. „Etwa: Witzani, der Mann auf der Flucht? Zuerst die Regenrinne runter und dann nach Asien?“
„Vielleicht…“
Ich lachte. „Ist vielleicht gar nicht so schlecht, immerhin war ich auch bis 48 Jahren Single“.
„Aha“, sagte die Redakteurin, „Sie sind also verheiratet. Was sagt denn Ihre Frau zu Ihren Reisen?“
„Ehrlich gesagt, so gerne sieht sie meine Backpackertouren nicht. Letztes Jahr hatte ich einen Herzinfarkt, und als ich unmittelbar nachher nach Indien gefahren bin, ging es zuhause schon hoch her.“ Komisch, dachte ich. Wie treuherzig man private Details zum Besten gibt, wenn das Fernsehen in der Leitung ist.
„DAS IST ES!“ rief die Redakteurin, „DAS IST ES. Das ist ein Konflikt, in dem wir Sie als Menschen darstellen können.“
„Ich denke, Sie wollen mich als Reisenden darstellen.“
„Natürlich auch, aber wir möchten auch die Familie und die Konflikte mit einbeziehen. Kann Ihre Frau bei dem Gespräch nicht dabei sein und ihre Bedenken kundtun?“
Allmählich wurde mir mulmig. Eigentlich kam ich erst jetzt so richtig zur Besinnung, worum es wahrscheinlich ging. Konnte es sein, dass man mich im Rahmen einer RTL Pseudodoku zwischen einen Alki und einen Obdachlosen als den reisegeilen Opa ins Programm schieben wollte, der gegen den Willen seiner keifenden Ehefrau in der Welt herumirrte? Mir kam Zweifel. „Ich weiß aber nicht, ob meine Frau dazu bereit ist“, wandte ich vorsichtig ein.
„Könnten Sie sie nicht einmal fragen? Bitte – das wäre eine Story, damit würde die Sache rund.“
Erwartungsgemäß weigerte sich meine Gattin bei diesem Dreh mitzumachen. Sie schüttelte nur kurz den Kopf und zeigte mir einen Vogel. Als ich das der Redakteurin die Ablehnung mitteilte, war ich sogar fast erleichtert. „Na wenn es an der Story liegt, dann wird es wohl nichts“, fügte ich hinzu.“
„Nein, nein“ widersprach sie. „Haben Sie denn keine Kinder. Können die denn nicht dabei sein?“ Ich erkannte, da saß ein Profi am anderen Ende der Leitung.
„Ich habe eine Tochter“, antwortete ich zögernd, ohne die komplexen Familienverhältnisse genauer zu erklären.
„Können Sie denn ihre Tochter nicht fragen, ob sie bei dem Dreh dabei sein möchte? Junge Menschen sind für solche Aktionen meiner Erfahrung nach sehr offen.“
„Meine Tochter ist gerade bei einem Vorsingen in Köln.“
„Und morgen?“
„Morgen hat sie einen Gesangsauftritt in Gummersbach“, antwortete ich. Ein phantastisches Szenario entrollte sich plötzlich vor meinen Augen. Ein Skript für eine deftige RTL-Pseudodoku. Ich konnte nichts dafür, die Phantasie ging einfach mit mir durch: Ich empfange das Fernsehteam als durchgeknallter Reiseopa unrasiert und im Unterhemd. Meine Tochter Milena ist meterdick geschminkt und sitzt als die Katalogbraut aus Weißrussland mit einem Cocktail am Wohnzimmertisch und keift. „Iccch binn nicccht aus Minsk gekommmen, damit Duh in derr Welt herumrreist. Werrr solll denn die Miete zahlen, wenn Du im Mississippi ertrrinkst?“ Kameraschwenk zum alten Witzani „Halts Maul, alte Schlampe, ich hau ab, wohin und wann ich will.“ Wodka ex und hopp. Rülps. Erneutes Kreischen von Seiten der weißrussischen Geliebten.
Die Stimme der Redakteurin rief mich in die Wirklichkeit zurück. „Rufen Sie ihre Tochter doch mal an und fragen Sie sie. Das können Sie doch machen.“
Nun war mein Kopf wieder klar. Reality-Check war angesagt. „Ehe ich das mache, würde ich gerne eine andere Frage klären. Wieviel zahlen sie denn für ein solches Interview?“
„Wie bitte? Ich verstehe nicht.“
„Na, welches Entgelt zahlen sie den Mitwirkenden ihrer RTL-Show? Sie verkaufen doch auch Sendezeit, diese Frage ist doch nur recht und billig.“
„Wir zahlen nichts“, kam die kurze Antwort
„Nichts? Das kann ich nicht glauben“, gab ich zurück. „Wenn ich irgendeine Dienstleistung in Anspruch nehme, dann muss ich doch auch bezahlen. Als ich von SWF III im Radio interviewt worden bin, gab es 140 Euro.“
„Na, das tut mir leid, wir zahlen prinzipiell nichts. Wir dokumentieren nur.“ Die Begeisterung der Redakteurin war merklich abgekühlt.
„Vielleicht ein Vorschlag zur Güte, “ lenkte ich ein. „Wenn Sie nichts zahlen, dann könnten wir ja in dem Beitrag über mich meine EBooks erwähnen. Mit ein wenig Promotion wäre ich auch zufrieden. Wäre das ein Weg?“ Schon als ich den Vorschlag machte, wurde mir klar, welchen Quatsch ich da vortrug. Der durchschnittliche Konsument von RTL Explosiv oder ähnlichen Sendungen interessiert sich für alles – nur nicht für Reisebücher – wenn er überhaupt las.
„Na, ehrlich gesagt, habe ich von dem geplanten Dreh doch eine andere Vorstellung“, gab die Redakteurin kühl zurück. „Ich finde inzwischen sogar, es sollte weniger um ihre Reisegeschichten gehen als um den familiären Konflikt, der mit Ihren Reisen zusammenhängt. Und dazu passen eigentlich keine Buchempfehlungen.“
„Wie? Kein Entgelt und keine Werbung?“
„Ich fürchte nein. Aber bedenken Sie, Sie erscheinen im Fernsehen. Zu einer optimalen Sendezeit, am frühen Abend. Stellen sie sich nur vor, wie viele Menschen, die Sie kennen, Sie sehen werden.“
„Darauf bin ich nicht scharf, vor allem deswegen nicht, weil ich merke, dass es Ihnen gar nicht um das Reisen geht.“
„Doch, es geht auch um das Reisen oder besser gesagt, um Reisende aus NRW mit ihren besonderen Problemen.“
„Ich habe doch überhaupt keine Probleme.“
So endete mein erster und einziger Kontakt zum Sozialfernsehen von RTL. Wir kamen nicht ins Geschäft und wünschten uns gegenseitig einen guten Tag.