Um den Autor zur Einleitung ein wenig zu charakterisieren, reicht im Grund der Titel seiner Familiengeschichte: „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“, vielleicht noch ergänzt durch eine Sentenz aus dem einleitenden Kapitel des vorliegenden Australienbuches. „Ich merke wieder, dass ich einem begegnen muss, der mich impft. Gegen das brave Leben, die Einluller, merke, dass ich mit zunehmendem Alter wieder Kind werde, das nach Bildern, nach Vorbildern sucht, die es anspornen.“ Man sieht, der Autor leidet an einer besonderen Art des Fernwehs, verbunden mit einer anfallartigen Aversionen gegen das Alltägliche: „ Als der Bus kilometerlang durch die gesichtslosen Vorstädte Sydneys rollt, verstärkt sich dieses Gefühl. Herr im Himmel, wer will hierher ziehen, aus freien Stücken? In diese Öde, in diese Häuser, in denen man nur als Selbstmörder oder Selbstmordattentäter hausen kann.” Dann, an einer anderen Stelle heißt es: „Auf der Gangseite mir gegenüber sitzen zwei 90-Jährige, die mit offenen Mündern wie zwei Tote dasitzen. Vielleicht sind sie tot. Hinter mir ein fettes Proletenweib mit ihren Kindern. Man muss ihr zwanzig Worte lang zuhören, um zu wissen, wo ihre drei kleinen Töchter enden werden.”
Mit dieser komplexen Innenwelt, in der es während der gesamten Reise kräftig rumpelt, bewegt sich der Autor 25.000 km und drei Monate lang durch Australien. Bis auf einen Flug ist er immer nur mit dem Greyhound unterwegs, dem ewigen Geplärre der Bus-Videos ausgesetzt, der Hitze und der Kälte, der Schroffheit der Busfahrer und den unglaublichen Entfernungen. Er bereist Sydney, Brisbane, Bundaberg, Cairns das Great Barrier Reef, das Outback mit Alice Springs und dem Ayers Rock, fährt im „Indian Pacifik Trail“ nach Perth und erlebt die Leere auf diese Reise wie einen Vorgeschmack des Todes, ganz ähnlich wie in Canberra, der langweiligsten Stadt des Kontinents ( das hatte übrigenes auch schon Bryson geschrieben). Er steht am Ufer des Indischen Ozeans und rekapituliert die schreckliche Geschichte der „Batavia.“ Er flaniert durch Adelaide und lässt es sich in Melbourne, „geistigen Hauptstadt Australiens“, gut gehen. Am Ende kommt er wieder in Sydney an, bricht sich am letzten Tag noch zwei Rippen und fliegt heim. Das ist der eine Teil der Reise, Der zweite und interessantere sind seine Begegnungen und Gespräche auf allen Stationen seiner Reise. Jedem rückt der Autor auf die Pelle, ganz gleich ob es sich um Junkies, Obdachlose, Traveller, aber einen vietnamesischer Mönch, ein Preisboxer, gefallene Mädchen oder Aborigines handelt. Aber auch die „normalen“ Australier finden sein Verständnis, jene freundlichen, einfachen Leute, bei denen die „Trägerrakete Jugend, dieses Kraftwerk, um die Welt zu erstürmen, verglühte“ und die sich nun in der „ großen Umlaufbahn namens Routine“ befinden. An einer Stelle heißt es zum Beispiel „Auffällig, dass hier vor allem Frauen über fünfzig arbeiten. Diese Altersgruppe scheint mir die freundlichste von allen. In Cairns wie in Pirmasens wie in Paris. Sie haben ihre Illusionen schon hinter sich, haben schon akzeptiert, dass sie nicht Wirklichkeit wurden. Keine Träume peitschen sie mehr, sie sind `einverstanden´. Das macht sie so umgänglich.” Einer seiner Gesprächspartner verrät ihm das Wesen der Ehe und sagt: »Weißt du, mit der Ehe ist es wie mit einer Opalmine. Du beutest sie aus, beide beuten sie aus und irgendwann findet man nichts mehr. Und so verlässt man die Mine, zieht weiter, sucht nach einer neuen.” Mitunter führen diese Geschichten und Exkurse weit aus Australien heraus, ohne deswegen weniger informativ zu sein.
Die Sprache des Buches fast literarisch, treffgenau, unterhaltsam und voller Empathie. Seine Urteile kommen allerdings manchmal wie Knüppel daher, aber die Art, wie der Autor die Knüppel schwingt, hat etwas ungemein Nachvollziehbares. Überhaupt nichts anfangen kann er mit jeder Form von Religiosität, weder mit Christentum, Islam oder Judentum. Sein uneingeschränktes Mitgefühl dagegen besitzen die australischen Ureinwohner, auch wenn Altmann weit davon entfernt ist, deren Lebensweise zu idealisieren. Die meisten von ihnen „gehen“ nicht, schreibt er an einer Stelle, „nein, sie schlurfen, tippeln, torkeln, stehen wie gestorbene Bäume an den Ecken. Oder sitzen, die Bierdose unterm Hemd versteckt, sabbern, flezen sich auf einer öffentlichen Bank, dösen. Oder liegen da, auf einer Grasnarbe, vollgetankt für die nächsten 48 Stunden.“ Es spricht für die Vorurteilslosigkeit des Autors, dass er es im Unterschied zu Chatwin oder Bryson nicht bei larmoyantem Gejammer belässt, sondern durch auch Reformvorstellungen kommentiert, die mehr Selbstverantwortung der Aborigines einfordern.
Alles in allem handelt sich also um kein klassisches Reisebuch, bei denen der Leser in erster Linie über Sehenswürdigkeiten informiert würde ( das sagt der Autor auch ausdrücklich in der Einleitung), sondern eine Art moderner „sentimental Journey“, bei der die Welt als Resonanzboden der eigenen Subjektivität funktioniert. Außerdem, das soll nicht verschwiegen werden, ist der bevorzugte Gesprächspartner des Autors niemand anderes als er selbst, was aber nichts macht, weil sich der Autor jede Menge zu erzählen hat, das sich nachzulesen lohnt.