Tesson: Der Schneeleopard

  Die Welt ist schön und stumm. Die Sprachmächtigkeit eines Reisenden bringt sie zum Klingen. Dieser Gedanke mag jedem kommen, der sich mit Sylvian Tessons Buch über den Schneeleoparden beschäftigt. Es weckt im Leser das Fernweh und beschenkt ihn mit dem Trost der Weisheit.

 Nur noch fünftausend Schneeleoparden gibt es in den zentralasiatischen Gebirgen und Hochebenen zwischen Altai, Kunlun Shan und Qinghai. Hier regiert der Schneeleopard wie ein König, der sich nicht zeigen muss oder besser noch: wie ein Chiffre für die Geheimnisse der Natur, deren Schönstes im Verborgenen verbleibt. An der Seite des Tierfotografen Vincent Münter reiste der Autor in die hintersten Winkel Tibets, um dem Schneeleoparden nachzuspüren, irgendwo in das Mündungsgebiet des Mekong, dessen genaue Ortsangaben der Autor wohlweislich verschweigt. Dort existiert noch das unverfälschte Tibet jenseits chinesischer Durchgangsstraßen und Eisenbahnen, eine Region von Menschen, die in den Tieren nicht Untertanen sondern Brüder sehen. Auf langen Wanderungen erschließen sich dem Autor Berge, Hochebenen, Vögel und Pflanzen, ehe er endlich den Schneeleopard erblickt. Diese Begegnung wird wie eine  Epiphanie beschrieben: „Er trug das Wappen der tibetischen Landschaft. Sein Fell, Intarsien aus Gold und Bronze, gehörten dem Tag, der Nacht, dem Himmel und der Erde. In ihm spiegelten sich die Keime, der Schnee, die Schatten der Schlucht und das Kristall das Himmels, der Herbst der Berghänge und die Artemisia Sträucher, das Geheimnis der Gewitter und silbernen Wolken, das Gold der Steppen und das Leichentuch des Eises, der Todeskampf der Mufflons und das Blut Der Gänse. Er trug das Fell der Welt.“  (…) Seine Gesichtszüge liefen in Kraftlinien auf die Schnauze zu. Er hob den Kopf und sah frontal zu uns darüber. Die Augen fixierten mich. Zwei Kristalle der vor Achtung, blühend und eisig zugleich.“

  Die gehobene poetische Sprache, die in diesem Zitat zum Ausdruck kommt, prägt das ganze Buch, das dem Autor in Frankreich den renommierten „Prix Renaudet“ eingebracht hat. Aber es ist nicht nur der Schneeleopard, der dem Leser bei der Lektüre begegnet. Auch das Schicksal des Autors schimmert durch die Geschichte hindurch wie das Wasser unter dem Eis. Eine verflossene und noch immer nicht ganz überwunden Liebe, die Sehnsüchte und Obsessionen seiner Begleiter, die Yaks und die Falken, der Klang der Gebetstrommeln und das Spiel der Kinder verschwimmen ineinander und verbinden sich zu pantheistischen Eindrücken von einer all-einen Welt. 

Ein wunderbares Buch für Fernwehkranke und Coffee Table Reader gleichermaßen. Wer es noch etwas genauer wissen will, der klicke Thaler Schneeleopard