Niederberger: Trumpland

  Das vorliegende Buch ist ein gutes Beispiel dafür, dass es sich immer auch lohnt Bücher zu  lesen, deren Autoren  eine vollkommen andere politische  Position vertreten als man selbst. Man lernt davon mehr als durch Bücher, die die eigene Position nur bestätigen. Deswegen sollte man sich an dem Trump-Bashing in dem vorliegenden Buch nicht stören. »Donald Trump ist ein Serienlügner, ein ungezügelter Fremdenhasser, ein Rassist, ein ›Birther‹ (ein Leugner des amerikanischen Bürgerrechts von Präsident Obama) und ein Rüpel, der wiederholt geschworen hat, alle Muslime aus den USA zu verbannen.“ Dieses Zitat, das die linkslastige Huffington Post allen ihren Trump-Berichten wie ein modernes ceterum censeo beifügte, beschreibt ziemlich genau die Haltung Niederbergers zu seinem Protagonisten.

 Soweit, so langweilig. Was das Buch allerdings lesenswert macht, ist die Beschreibung von „Trumpland“, die der Autor seinen Lesern bietet, wobei seine  dezidiert trumpkritische Haltung  die Fakten, die er vorstellt, nur umso glaubwürdiger macht. Die USA erscheinen als eine  Weltmacht jenseits ihres ökonomischen und politischen Zenits, ein zutiefst fragmentiertes, heruntergekommenes,  von Arbeitslosigkeit, Terrorismus, Drogen und Kriminalität  bedrohtes Land.  Ehemalige Kraftzentren der  amerikanischen Industrie in den Staaten New York, Pennsylvania, Ohio und Michigan waren im Zuge der neoliberalen Globalisierungspolitik von Clinton, Bush und Obama zusammengebrochen. Die allgemein bejubelten Freihandelsabkommen mit Mexiko und den pazifischen Staaten bedeuteten für viele „blue collar workers“ Arbeitsplatzverlust und sozialen Abstieg, ohne dass sie in der Lage gewesen wären, auf dem schrumpfenden amerikanischen Arbeitsmarkt eine neue Beschäftigung zu finden. Fast 15 Millionen Amerikaner hatten bis 2016 ihre Jobs durch chinesische Exporte und die Auslagerung von Produktionsstätten nach Mexiko und andere Billiglohnländer verloren.   So betrug der chinesische Überschuss im Warenaustausch mit den USA vor 2016 sage und schreibe 334 Milliarden Dollar. Dieses Geld, das früher außenwirtschaftlich neutral von den Chinesen in den Kauf amerikanischer Staatsanleihen gesteckt wurde, wird heute dazu verwendet, in der ganzen Welt, namentlich in Europa, Firmen aufzukaufen. Der Aufstieg Chinas wird also finanziert durch die Arbeitslosigkeit amerikanischer Arbeiter, was umso problematischer ist, da er sich auf der Basis unfairer protektionistischer Schranken von Seiten Chinas vollzieht. Dagegen nichts unternommen zu haben und die arbeitende amerikanische Bevölkerung mit diesen weltwirtschaftlichen Schleusenöffnungen allein gelassen zu haben, war die größte Hypothek der Obama-Clinton Regierung.   Insofern traf Trumps Wahlkampfslogan „Make America great again“ genau den Nerv eines gesamtamerikanischen Bevölkerungskonglomerats,  das  sich dem sozialen Abstieg gegenübersah. Nur vor diesem Hintergrund sind der  erstaunlichen Erfolgsgeschichten von Trump bei den Republikanern und Sanders bei den Demokraten innerhalb der Vorwahlen des Jahres 2016 überhaupt zu verstehen.  Wen es interessiert, über das Lebensgefühl dieser Menschen auf  literarisch auf hohem Niveau zu lesen, dem sei Phillip Meyers Roman „Rost“ empfohlen.

  Trotzdem bleibt es erstaunlich, wie Donald Trump, der in dem vorliegenden Buch als eine Mischung von Alien und Depp dargestellt wird, gelingen konnte, republikanischer Kandidat und schließlich Präsident der USA  zu werden – und dass, obwohl ihn der tonangebende Teil der amerikanischen Massenmedien geradezu mit einem Vernichtungsfeldzug überzog. Deutsche Beobachter mag es wundern, warum diese Kampagnen in den USA nicht einen vergleichbaren Erfolg erzielten wie in Deutschland, wo die AfD von den zwangsfinanzierten Staatsmedien inzwischen fast vollständig stigmatisiert wurde. Ganz einfach, weil es in den USA seit der Deregulierung der Medien in der Reagan Ära keinen öffentlich-rechtlichen Staatsfunk mit Mainstreamorientierung gibt. Bei dem Autor als  einem typischer Vertreter des linksliberalen Lagers, der die eigenen Positionen in einem erschütternd naiven Sinne für „wahr“ hält, hört sich das dann so an  „Ein staatlicher Informationsauftrag wie in der Schweiz oder Deutschland fehlt in den USA:” Konkreter gesagt: Der amerikanische Wähler ist keiner einseitigen Fernsehberichterstattung ausgesetzt sondern kann sich in einem Trommelfeuer linker und rechter Medien  seine Meinung erheblich freier bilden als in den meisten europäischen Ländern.

   Niederbergers Darstellung der amerikanischen Medienlandschaft ist also ein Beispiel für einen doppelten Vorteil des Buches: erstens für sein lobenswert – üppiges Informationsangebot und zweitens für eine freimütige Naivität der Urteile, die dem Leser Gelegenheit gibt, diese Informationen  „gegen den Strich“ zu lesen.  Dafür ein weiteres Beispiel: Nach der „Voting Right Act Entscheidung“ des Obersten Gerichtshofes  war den Bundesstaaten das Recht zugesprochen worden,  eigene Maßstäbe für die Wahlregistrierung, Identitätsnachweise und den Ausschluss bestimmter Personengruppen von der Wahl zu entwickeln. Niederberger findet das empörend, weil nun viele republikanisch regierte Staaten Straftäter vom Wahlrecht ausschlossen, was die Republikaner  begünstige, weil Straftäter zu 90 %  demokratisch wählten. So wurden etwa 600.000 verurteilte Straftäter bei der Bush Gore Wahl von 2000 in Florida von der Wahl ausgeschlossen. Da Bush nur mit einem Vorsprung von 537 Stimmen Florida und damit die Präsidentschaft gewann, hätte die Wahlbeteiligung von Vergewaltigern, Dieben und Mördern  Amerika einen Präsidenten Gore beschert (Das sagt der Autor zwar nicht, denkt man sich aber als Leser unwillkürlich). Es geht aber auch andersherum, wie der Autor fairerweise bemerkt. Unmittelbar vor den Wahlen in Virginia, einem typischen (umkämpften) „Swing State“ gab die demokratische Gouverneurin  200.000 verurteilten Straftätern das Wahlrecht zurück. (Ein Schelm, wer hier an die aktuelle Entscheidung der Großen Koalition denkt, nun auch in Deutschland Straftätern das Wahlrecht zuzuerkennen.)

  Das vorliegende Buch ist voller solcher Details, die jeder anders bewerten mag, die die Lektüre trotzdem zu einem Gewinn machen. Es endet 2016 vor den eigentlichen Präsidentschaftswahlen und prophezeit  für den Fall einer Trump-Präsidentschaft einen brutalen Zusammenbruch der Gesamtwirtschaft. Davon ist kurz vor dem Ende der ersten Präsidentschaft Trumps nichts zu bemerken. Im Gegenteil, die Kurse stehen auf Rekordhöhe, der Arbeitsplatzabbau ist gestoppt, die Zeichen stehen auf Wiederwahl.  Trotzdem (vielleicht gerade deshalb) für Trump-Fans und Trump Hasser gleichermaßen eine lohnende Lektüre.