Nicoola Kaulich-Stollfuß: Ein Jahr in Singapur

Ein Jahr in SingapurDie Zukunft der Welt lässt sich heute schon anhand der großen Städte besichtigen: da gibt es zunächst das durchkriminalisierte Modell „Gotham City“, auf das sich Caracas und Johannesburg zubewegen,  dann ausufernde Riesenstädte wie Casablanca oder Dhakka, in denen der religiöse Fundamentalismus wie ein Krebsgeschwür wuchert, die desaströs-endzeitliche Variante wie Kalkutta oder multikulturelle Städte am Rande des Zusammenbruchs wie London oder Brüssel. Neben ihnen stehen strikt autoritär regierte Städte wie Dubai oder Singapur, in denen das Leben auf eine ganz andere Weise funktioniert als es der westliche Mensch gewohnt ist – mit mehr Kontrolle und Ordnung, klaren Regeln und genau definierten Grenzen des Privatbereiches.

Unter westlichen Intellektuellen haben Dubai und vor allem Singapur gerade deswegen eine schlechte Presse. Dass man in der Öffentlichkeit nicht ungehindert die Sau rauslassen darf, dass Verschmutzung und Vandalismus streng bestraft werden. stört das eigene Freiheitsverständnis. Dass es demgegenüber in diesen Städten fast keine Kriminalität gibt, fällt demgegenüber merkwürdigerweise kaum ins Gewicht. Im Falle Dubais kommt die berechtigte Kritik an der Ausbeutung der südasiatischen Arbeitskräfte hinzu. Aber was gibt es an Singapur zu meckern?

Das ist eine der neugierigen Fragen, mit der die Autorin einen einjährigen Aufenthalt in Singapur beginnt. Der Leser folgt ihr dabei zwölf Kapital lang ( je  pro Monat) auf einer Reise durch den Alltag einer „Expat“, das heißt einer Zeitweise in Singapur lebenden Ausländerin. Auch wenn in dieser Perspektive sicher nicht alle Aspekte der Stadt in den Blick geraten, ist das, was die Autorin dabei erlebt und beschreibt, eine absolut interessant zu lesende und unprätentiös geschriebene „Einführung in Singapur“. Besonders sympathisch ist, dass die Autorin sich dabei nicht den Hut der Singapur-Kennerin aufsetzt, sondern immer aus ihrer Novizenperspektive berichtet, womit Erstaunen und Überraschung auch für den Leser erhalten bleiben.

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So sah die Skyline von Singapur vor 25 Jahren aus

Das Jahr in Singapur beginnt ganz elementar: Die Autorin und ihr Ehemann, der den es beruflich nach Singapur verschlagen hat, begeben sich auf Wohnungssuche und lernen sofort die Fallstricke des Lebens in einer Millionenstadt kennen: Lärm, Hitze und permanente Belästigung durch Baustellen. Gerade in eine doch noch ganz passable Wohnung in einer Expat-Siedlung eingezogen, bekommen sie Behördenbesuch, mit dem der hygienisch einwandfreie Zustand der Wohnung kontrolliert wird. Gibt es etwa Wasser im Blumentopf, in dem Moskitos leben könnten? Genauso effektiv ist die Kontrolle durch die Hausverwaltung. Kaum steht das Fahrrad falsch im Hof, erscheint ein mahnendes Foto am schwarzen Brett der Hausgemeinschaft. Auch Termitensäuberungskommandos und  Sprühaktionen gegen Schädlinge („Foggen“) sind an der Tagesordnung. Geradezu schockierend ist der Bußgeldkatalog, der für Spucken oder Abfallwegwerfen angedroht wird. Dafür ist der Straßenverkehr für asiatische Verhältnisse moderat, denn jeder Autofahrer in Singapur muss erst einmal für eine saftige Gebühr eine Lizenz erwerben, dass er überhaupt ein Auto in Singapur fahren darf.  Um die Verarmung der eigenen Bevölkerung durch den Casinobetrieb zu verhindern, wird von allen Singapurianern (im Unterschied zu Ausländern) ein Eintrittsgeld von 100 Singapur Dollar verlangt. Soweit so bedenklich, mag da der eine oder andere denken.  Erstaunlicherweise lässt sich aber unterhalb dieser Regeln ganz gut leben – eben, weil sie befolgt werden! Kaum hat die Autorin das entdeckt, beginnt sie die rätselhafte Stadt zu genießen. Sie liegt an den weißen Stränden von Bintam und Batam und sieht die Riesentanker vorübereziehen. Sie besucht die Vogelmärkte, buddhistische Klöster und lernt den entspannenden Wert einer Fußmassage kennen. Bald wird das Essen an den „Food Courts“ (überdachte Garküchen ) oder den „Hawker Centers“ (unüberdachte Garküchen ) ihre Leidenschaft, vor allem, da sie wegen des permanenten Schwitzens nicht zunimmt (Größe 40 ist eh kaum zu bekommen!) Erstaunlicherweise besteht genug Raum für individuelle und ethnische Besonderheiten, die niemanden interessieren, wenn nur die öffentliche Ordnung nicht gestört wird: etwa die Verwendung von Deos mit Weißer-Effekt (der Chinese wandelt gerne mit möglichst weißer Haut einher) oder die Teilnahme an allen möglichen Feste. Weihnachten wird in Singapur als großes Beleuchtungsspektakel gefeiert, während das Thaipuram Fest ( das indische Büßerfest) als eine Mischung zwischen öffentlicher Selbstkasteiung und Karneval daherkommt.  Richtig gehend Lust auf Singapur bekommt man, wenn man vom McRichie Naturreservat oder dem „Singapore Flyer“ liest, einem 165 m hohen Riesenrad, in dessen Kabinen man sogar dinieren kann. Am Ende kehrt die Autorin nach Deutschland zurück, nicht ohne ein Quäntchen Sehnsucht nach dieser ungewöhnlichen Stadt im Herzen zu bewahren.   Für mich war die Lektüre bei Vorbereitung einer Singapurreise ein echter Gewinn.   Als Freund der Geschichte kam mir zwar die Historie etwas kurz, aber man kann ja auch nicht alles haben.

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Sun Kum Lun Bum klagt über die fehlenden geschichtlichen Infos in dem vorliegenden Buch

 

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