Leseprobe 4: Der Kaplan ( aus Kapitel 22)

Der  erste Zugriff in einem Wald zwischen Danzig und Warschau misslang, weil Lotkowski misstrauisch wurde. Als plötzlich Personen auf der Fahrbahn standen und den Wagen anhalten wollten, gab der Chauffeur Gas und entkam.

  Popiełuszko nahm diesen Vorfall nicht ernst, ganz im Unterschied zu Primas Glemp, der vertrauliche Hinweise erhalten hatte, dass das Leben des Priesters gefährdet war. Wie Andrzej Górski von einem Spitzel aus dem erzbischöflichen Palais erfuhr, hatte der Primas Popiełuszko empfohlen, sofort zu einem Studienurlaub nach Rom aufzubrechen. 

  Dass Popiełuszko dieses Angebot ablehnte, passte zu dem Bild, das sich Andrzej Górski von Popiełuszko machte. Er war ein ahnungsloses Lamm, dem nicht klar war, dass die Wölfe schon auf ihn warteten.

  Zwei Wochen später reiste der Kaplan wieder mit dem Auto nach Bydgoszcz, um an einer Messe und einem Rosenkranzgebet teilzunehmen. Den Wagen steuerte Leszek Lotkowski. Ausweislich der Berichte der örtlichen SB-Agenten sollte der Besuch mit einem gemeinsamen Abendessen abschließen. Andrzej Górski, Dariusz Wenzel und Zygmunt Rolkowicz gingen davon aus, dass der Priester wie immer noch am gleichen Abend zurückfahren würde. Deswegen parkten sie ihren Fiat 125p direkt an der Schnellstraße in einem Waldgebiet zwischen Bydgoszcz und Toruń und warteten.  Alle drei trugen Uniformen der Verkehrspolizei und Gummiknüppel am Halfter. Im Kofferraum lagen Stricke und Säcke bereit.

  Langsam wurde es dunkel. Es war Freitagabend, und es herrschte nur wenig Verkehr.

  Dariusz Wenzel war nervös und rauchte eine Zigarette nach der nächsten. Zygmunt Rolkowicz  zog einen  Flachmann in der Brustasche und nahm einen kräftigen Schluck.

  „Hör auf zu saufen“, knurrte Andrzej Górski. „Wir brauchen für das, was wir vorhaben, einen klaren Kopf.“

  „Wenn wir einen klaren Kopf hätten, dann würden wir das, was wir vorhaben, überhaupt nicht tun“, warf Wenzel ein und steckte sich eine neue Zigarette an. „Wenn wir uns den Priester wirklich greifen, dann geht es uns ans Leder. Dann verschwinden wir für immer im Gefängnis oder springen gleich über die  Klinge.“ 

  „Blödsinn“, widersprach Andrzej Górski  „Wir folgen einem Befehl von Major Boranzeff, und der empfängst seine Order direkt vom Innenminister. Der wird seine Hand über uns halten, da mache ich mir keine Sorgen“, fügte Górski hinzu. „.Aber wenn ihr Zweifel habt, dann brechen wir hier ab, und ich berichte Broanzeff von euren Bedenken.“

  „Nein, ist schon in Ordnung“, lenke Zygmunt Rolkowicz  ein und steckte den Flachmann wieder in die Tasche. „Führen wir unseren Auftrag durch. Wir sind Soldaten des Vaterlandes, und was wir tun, ist das Richtige.“ Dariusz Wenzel zog an seiner Zigarette und blies den Rauch aus dem Fenster. 

  Die Zeit verging und es wurde dunkel. Da sie die Fahrzeuge, die aus Bydgoszcz kamen, nicht genau erkennen konnten, mussten sie jeden einzelnen Wagen stoppen. Ihre Tarnung als Verkehrspolizei funktionierte. Die Fahrzeuge, die vorüberkamen hielten an und wurden gleich weitergeschickt.

  Endlich tauchte Popiełuszkos Fahrzeug auf. Andrzej Górski trat mit der roten Kelle auf die Straße und winkte. Einen Moment sah es so aus, als wolle der Wagen weiterfahren, dann stoppte er. Andrzej Górski trat an das Fahrzeug heran und sah, dass der Kaplan auf dem Rücksitz saß. Leszek Lotkowski hatte die Fensterscheibe heruntergekurbelt und schaute den Polizisten fragend an. Blitzschnell griff Andrzej Górski in das Wageninnere und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. Dann öffnete er die Fahrertüre  und riss den Chauffeur vom Sitz. „Endstation“, sagt er und stieß den überraschten Lokowski in die Arme von Wenzel und Rolkowicz, die aus dem Dunkeln aufgetaucht waren.

  „Überfall“,  schrie Lotkowski, „Vater Popiełuszko, fliehen Sie!“ Wenzel zog ihm mit dem Knüppel einen Schlag über den Kopf, und der Chauffeur sackte zusammen. Zygmunt Rolkowicz schleppte ihn zum Fiat, warf ihn auf den Rücksitz und legte ihm Handschellen an.

   Der Kaplan hatte die Szene beobachtet und stieg aus dem Wagen. Er trug eine Soutane und ein Kreuz auf der Brust.  „Was geht hier vor?“  fragte er Andrzej Górski. „Darf ich bitte Ihren Ausweis sehen?“

  Ohne zu antworten, griff Górski den Priester am Kragen und zerrte ihn zum Polizeiwagen. Zuerst wunderte er sich, wie widerstandslos sich der Kaplan abführen ließ, dann aber, kurz vor bevor er in den Fiat geschoben werden sollte, riss sich Popiełuszko los und versuchte, in den Wald zu flüchten. Seine Soutane behinderter hin, und in wenigen Schritten hatten Górski und Wenzel ihn eingeholt. Beide hatten plötzlich Knüppel in den Händen und begangen auf den am Boden liegenden Priester einzuschlagen. Immer wieder, langsam, konzentriert und mit aller Wucht zielten sie auf Knochen, Schulter, Kopf,  Knie und Unterleib des Priesters. Popiełuszko schrie im Takt der Schläge und hielt die Hände schützend sein über seinen Kopf. Mit voller Wucht traf ihn Andrzejs mit seinem Knüppel ins Gesicht, und er wurde ohnmächtig.

  Górski und Wenzel schleppten den Priester zurück zum Wagen und warfen ihn in den Kofferraum. Zygmunt Rolkowicz hatte inzwischen Leszek Lotkowski auf dem Rücksitz bewacht.

  „Ihr wisst nicht, was ihr tut“, keuchte der Chauffeur, als Górski und Wenzel in den Wagen stiegen.  „Wenn ihr Vater Popiełuszko etwas antut, wird euch ganz Polen verfluchen.“

    „Die wichtigen Leute in Polen werden uns preisen, du Dummkopf“, antwortete Rolkowicz und verpasste Latkoswki eine Ohrfeige. „Und jetzt halts Maul, du hast ohnehin nicht mehr lange zu leben.“

  Mit Vollgas verließen sie den Ort des Überfalls. Sie mussten noch in der gleichen Nacht in Warschau sein, um weitere Instruktionen zu erhalten. Der ganze Wagen wurde erschüttert, als Wenzel durch ein Schlaglock fuhr

  „Fahr nicht so schnell“, mahnte Andrzej Górski, „sonst hält uns eine echte Verkehrskontrolle an.“  Wenzel knurrte etwas Unverständliches und reduzierte die Geschwindigkeit. Plötzlich rammte Lotkowski auf dem Rücksitz seinen Ellbogen gegen den Türgriff. Die Seitentüre sprang auf, und der Chauffeur warf sich aus dem Wagen. Andrzej Górski sah im Rückspiegel, dass sich der Chauffeur trotz seiner Handschellen auf der Straße abrollte, aufsprang und im Wald verschwand.

  Wenzel verführt eine Vollbremsung. Im Kofferraum war der Priester aus seiner Ohnmacht erwacht und schrie um Hilfe.

  „Wir müssen zurück und den Kerl wieder einfangen“ stieß Wenzel hervor.

  „Den finden wir in dieser Dunkelheit im Wald nicht mehr“,  widersprach Rolkowicz.

  „Warum haben wir keinen verfluchten Hund dabei“ stöhnte Dariusz Wenzel. Der Kaplan schrie immer lauter und pochte gegen die Innenverkleidung des Kofferraues.

   Ein Wagen tauchte in der Dunkelheit auf, fuhr in moderater Geschwindigkeit sie heran, passierte den parkenden Fiat  und beschleunigte wieder.

  „Es herrscht noch zu viel Verkehr auf dieser Straße. Wir können jetzt nicht zurückfahren“, entschied Andrzej Górski und blickte sich um. „Rolkowicz, du Idiot hast den Chauffeur entkommen lassen. Nun geh raus und bring den Priester zum Schwiegen. Dann fahren wir weiter“.

  Rolkowicz stieg aus, öffnete den Kofferraum und begann, auf den Priester einzuschlagen. Durch die geöffnete Kofferraumhaube sahen Górski und Wenzel nicht, was hinten geschah.. Sie hörten nur das dumpfe Klatschen der Schläge, das spitze Schreien des Priesters, das in ein Röcheln überging und schließlich verstummte.

  Mit einem Knall schloss Rolkowicz den Kofferraum, stieg wieder ein und nahm einen Schluck aus dem Flachmann. Wenzel ließ den Motor aufheulen und gab Gas.

   Kurz darauf war Toruń erreicht. An einer Verkehrskontrolle stoppten sie, zeigten ihre SB-ausweise und durften weiterfahren.

 Hinter Toruń blinkte auf einmal eine Leuchte auf der Instrumentenanzeige. „Wir haben kein Öl  mehr“, fluchte Wenzel. „Es ist nicht zu fassen. So kommen wir nicht bis nach Warschau.“

  „Im Kofferraum befindet sich ein Kanister Öl. Halt an, wir füllen Öl nach“, sagte Górski.

  Der Wagen stand noch nicht richtig, da sprang der Kofferraumdeckel wieder auf. Blutüberströmt und halbtot kletterte der Priester aus dem  Kofferraum und wankte in Richtung Wald. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, ruderte mit den Armen und stöhnte.

  Die drei Polizisten erkannten sofort, dass der Priester nicht weit kommen würde. In aller Ruhe stiegen sie aus dem Auto und zogen ihre Knüppel aus dem Halfter. Ohne besondere Eile gingen sie hinter dem Priester her und holten ihn ein.  Kurz bevor sie ihn erreichten, drehte sich Popiełuszko um und breitete seine Arme aus, als wolle er sie umarmen. Sein Gesicht war von den schweren Schlägen geschwollen, die Augen waren weit aufgerissen mit einem Rest von Unverständnis über das, was mit ihm geschah. Andrzej blickte dem Kaplan in die Augen, als er ausholte und zuschlug. Es krachte, als sein  Knüppel den Kopf des Priesters traf. Popileuzsko wankte, da traf ihn ein zweiter Hieb von Wenzel. Sein Blick brach, als zu Boden fiel und bewegungslos liegen blieb. 

 „Er ist tot“, sagte Rolkowicz und stieß mit dem Fuß gegen den reglosen Köper. „Das wäre erledigt.“

  „Aber was machen wir jetzt?“ fragte Wenzel. „Es sollte noch so aussehen, als wäre er von Kriminellen überfallen und ausgeraubt worden.“

  „Die Zeit dafür haben wir jetzt nicht mehr“ sagte Górski. „Der Chauffeur hat bestimmt schon Alarm geschlagen. Wir müssen sofort hier weg und den Priester so schnell wie möglich loswerden, am besten so, dass er nie mehr gefunden wird.“

   Sie schleppten den Körper des Priesters wieder zum Wagen und warfen ihn erneut in den Kofferraum. Weil Andrzej Górski keine Überraschungen mehr erleben wollte, fesselte er den reglosen Körper an Händen und Füßen und legte dem Kaplan eine Schlinge so um den Hals, dass er sich würgen würde, wenn er erwachte. 

   Wenzel füllte Öl nach und fluchte, weil er sich dabei die Hände schmutzig machte. Dann fuhren sie weiter. Niemand kam ihnen entgegen. Die nächtliche Bewölkung hatte sich aufgelöst. Ein silberner Halbmond stand am Himmel.

  In einem Waldgebiet auf halber Strecke nach  Warschau, in der Nähe des Ortes Włocławek bogen sie von der Straße ab. Zygmunt Rolkowicz kannte eine Zufahrt zum Stausee eines Wasserkraftwerks und schlug vor, die Leiche des Priesters in den Stausee zu werfen.  Górski stimmte zu. Wenzel hielt den Wagen auf einer Piste oberhalb des Stausees.

   Weit und breit war kein Mensch zu Sehen. Es war so still, als hielte die Natur den Atem an, nur ein fahles Mondlicht erhellte die Konturen der Landschaft.

  Andrzej öffnete den Kofferraum und schob den Körper des Priesters in einen der großen Säcke.   Wenzel und Rolkowicz sammelten schwere Steine, die sie in den Sack verfrachteten. Dann ging Wenzel einige Schritte abseits und steckte sich eine Zigarette an. Auch Rolkowicz wandte sich ab. Sein Flachmann war leer. Wütend war er die Flasche in den See.

  Während Andrzej Górski den Sack zuband, spürte er eine Bewegung, ein Zucken, begleitet von einem kaum hörbaren Stöhnen, Der Priester ist nicht tot, durchfuhr es Andrzej. Zum Teufel mit ihm, das Leben will einfach nicht aus ihm weichen.

  Andrzej Górski stand auf und rief seine Gefährten. „Los, packt an. Bringen wir es zu Ende.“

  Zu dritt schleppt sie den Sack mitsamt dem zuckenden Körper und den Steinen zur Brüstung und warfen ihn über eine Höhe von 15 m in den Stausee.