Kapitel 4: DER KAPLAN (aus Kapitel 22 – im Buch S.697-710)

1983: Nach der Ausrufung des Kriegsrechts herrscht der Ausnahmezustand. Andrzej Górski beobachtet im Auftrag der Spezialabteilung von Major Boranzeff den Priester Jerzy Popiełuszko, dessen „Messen für die Heimat“ in Warschau Żoliborz  massenhaften Zuspruch finden. Die Leseprobe beschreibt die Entführung und Ermordung des Kaplans in enger Anlehnung an die Fakten, die  Cesare G. Zucconi in seinem Buch „Jerzy Popiełuszko“ (Würzburg  2020)  über den konkreten Ablauf des Mordes zusammengetragen hat.

Mitten in Warrschau-Żoliborz befand sich die Kirche St. Stanisław Kostka, ein weiß gekalktes Gebäude mit zwei Kirchtürmen und einem angeschlossenen Friedhof. Hier wirkte ein junger Kaplan namens Jerzy Popiełuszko, der den Behörden schon mehrfach aufgefallen war. Jerzy Popiełuszko war ein schlanker, hochgewachsener Geistlicher, der als Seelsorger im örtlichen Krankenhaus arbeitete, Wallfahrten organisierte und die Solidaritätskomitees für die politischen Gefangenen unterstützte. Als sei das noch nicht genug, hielt er neuerdings an jedem letzten Sonntag im Monat eine sogenannte „Messe für die Heimat“ ab, während der er die Regierung kritisierte, als gäbe es keinen SB und keine ZOMO.  Dieser Geistliche war der Partei ein Dorn im Auge, denn sein Zulauf wuchs. Wenn man hier nicht früh genug eingriff, konnte die Anhängerschaft des Kaplans schnell ins Unkontrollierbare wachsen.

  Andrzej Górski begab sich zu einer dieser Messen und stellte fest, dass die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt war. Die äußere Erscheinung des Kaplans wirkte wenig beeindruckend, seine Stimme war nicht besonders kräftig, aber was er sagte, war präzise und eindeutig. Akribisch berichtete er über die Polizeieinsätze und Verhaftungen des letzten Monats, verlas Briefe, die Gefangene aus den Internierungslagern geschrieben hatten und sammelte Spenden zur Unterstützung der Familien, die ohne ihre inhaftierten Väter über die Runden kommen mussten. Wenn er sich nicht gerade mit konkreten Vorfällen beschäftigte, verlor er sich gerne ins Philosophieren, was bei seinen Zuhörern besonders gut anzukommen schien  Immer wieder kam er in seinen Predigten auf das zu sprechen, was er „Wahrheit“ nannte. Um seelisch frei zu bleiben, muss man in der Wahrheit leben“, predigte er.  „Leben in Wahrheit bedeutet, die Wahrheit äußerlich zu bezeugen, sich zu ihr zu bekennen und in jeder Situation nach ihr zu verlangen. Die Wahrheit ist unveränderlich. Unsere Gefangenschaft beruht darauf, dass wir uns der Herrschaft der Lüge ergeben, statt sie zu demaskieren oder gegen sie täglich zu protestieren.“    

  Ein andermal sprach er über die Lüge und Angst. „Die Angst ist der größte Makel des Apostels“, rief er. Sie schnürt das Herz ein und drückt den Hals zu. Jeder, der gegenüber den Feinden seiner gerechten Sache schweigt, ermutigt sie. Zum Schweigen durch die Angst zu zwingen, ist die  erste Aufgabe einer gottlosen Strategie.  Das Schweigen hat erst dann seine apostolische Aussage, wenn ich mein Gesicht vor Schlagenden nicht abwende.“

  Andrzej hörte gut zu und fragte sich, wie strafbar diese Aussagen waren. Kein Zweifel, dass der Kaplan mit denjenigen, die die Wahrheit bekämpften und Angst verbreiteten, Parteimitglieder meinte. Das war schon an den zustimmenden Reaktionen seiner Zuhörer zu erkennen. Aber er sagte es nicht ausdrücklich.

   Zu seiner Überraschung traf Andrzej Górski bei einem seiner Besuche Dana Kolicki. Sie saß in einer der hinteren Reihen der Kirche und hörte der Predigt zu. Sie war etwas schwerer geworden, hatte aber ihre Schmetterlingsaugen behalten, ebenso wie ihre feinen Gesichtszüge, auch wenn bereits die ersten Falten sichtbar wurden.  

 Nach dem Ende des Gottesdienstes ging Andrzej Górski zu ihr und begrüßte sie. Dana Kolicki benötigte einige Sekunden, ehe sie ihn erkannte.

 „Andrzej“, sagte sie, „was machst du hier?“

 „Das frage ich dich“,  erwiderte Andrzej, griff Dana an den Ellenbogen und zog sie aus der Menge.  Schweigend gingen sie eine Weile durch die Straßen. In einem einfachen Café kehrten sie ein.   Als Dana ihren Mantel ablegte, sah Andrzej, dass sie ihre gute Figur behalten hatte. Ihr Körper war weniger gealtert als ihr Gesicht, und auch das kam ihm merkwürdig vertraut vor.

  Ohne dass Andrzej Górski ausdrücklich fragte, begann sie zu erzählen. Sie habe Nowolipie verlassen, weil das Leben bei ihren Eltern unerträglich geworden sei, sagte sie. Eine Zeitlang habe sie in Warschau mit Waldeck gelebt, aber dann habe sie sich von ihm getrennt, weil er sie schlug und zu viel trank. 

  Andrzej Górski überging die Erwähnung seines Bruders und fragte: „Was ist mit deinem Sohn?“

 „Es  ist auch dein Sohn“, erwiderte Dana und schüttelte den Kopf. Dann sah sie Andrzej Górski in die Augen. “Aber ich will ganz offen sein“, erklärte sie. „Dein Sohn ist ein Ungeheuer. Er war ein Monster vom ersten Tag seiner Geburt an. Er quält die Tiere ohne Grund und hat Spaß daran, die Kinder meiner Brüder zu piesacken. Auf mich hat er noch nie gehört, und der einzige, den er fürchtet, ist mein Vater, weil der ihn mit dem Riemen verprügelt. In ihm steckt der Teufel, und ich weiß nicht, wie meine Familie in Nowolipie mit ihm zurechtkommen soll.“

  Andrzej hatte sich eine Zigarette angezündet und Wodka bestellt. Was er hörte wunderte ihn nicht. „Und wovon lebst du?“ fragte er, ohne auf seinen Sohn einzugehen.

  „Ich habe eine Stelle im Krankenhaus gefunden“, antwortete Dana. „Nicht als Krankenschwester, sondern als Hilfskraft. Ich mache die Betten, verteile das Essen und bringe den Abfall zu den Mülleimern. Viel verdiene ich nicht, aber ich lebe in einer Gemeinschaftsunterkunft für ledige Frauen und komme zurecht.“

  „Und du bist gläubig geworden“, fügte Andrzej hinzu.

 „Gläubig? Nein. Aber ich bin gerne unter Menschen, und der junge Priester hat eine so schöne, angenehme Stimme.“

  „Aber was er sagt, ist gefährlich“, wandte Andrzej ein.

  „Davon verstehe ich nichts.“

  Andrzej trank ein Glas Wodka nach dem nächsten. Danas Gesicht verschwand vor seinen Augen.  Sie war die Mutter seines Sohnes und verrottete in irgendeinem Winkel der Großstadt. Sein Bruder war ein Trinker und würde in der Gosse enden. Seine Eltern lagen in einem verwilderten Grab. Alles auf eine sehr einleuchtende Weise traurig, ohne dass es ihn berührte. 

  Der Abend endete damit, dass er Dana Kolicki mit in seine Wohnung nahm und mit ihr mit ihr schlief. Sie ließ es geschehen wie eine Pflicht, gegen die man nichts unternehmen kann. Sie war weich und willig und blieb über Nacht.

  Bald kam sie regelmäßig, säuberte seine Wohnung, erledigte seine Wäsche und stand ihm als Konkubine zur Verfügung. Sie war da, wenn er nach ihr verlangte und forderte nichts. Schließlich blieb sie über die Wochenenden, kochte für ihn und erledigte alle notwendigen Einkäufe. In der Nacht lag sie an seiner Seite wie ein gehorsames Haustier, dessen Anwesenheit ihm gut tat. Schließlich zog sie bei ihm ein.

  In der Zwischenzeit hatte Major Boranzeff die Berichte über Jerzy Popiełuszko gelesen und das Kirchenamt der Partei informiert. Eine offizielle Beschwerde über den Kaplan erging an den vorgesetzten Bischof. Der Bischof bestätigte den Erhalt des Schreibens, ermahnte Popiełuszko, unternahm aber nichts weiter.

  Bei der nächsten „Messe für die Heimat“ sprach Popiełuszko über die päpstliche Enzyklika laborem exercens. „Es kann doch nicht sein“,  rief der Priester von Tausenden von Zuhören, „dass die Arbeit das Material veredelt und die Menschen ausgelaugt zurücklässt.  Gerade dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, ist doch der Sozialismus angetreten. Nun ist es so weit gekommen, dass  Material  und der Mensch gleichzeitig zuschanden gehen“

  Andrzej sah sich um und schätzte, dass weit über fünftausend Menschen anwesend waren. Die Leute standen bis auf die Straße und hingen an den Lippen des Priesters, als käme Gold aus seinem Mund. Die Zuhörer gehörten allen Altersklassen und Bevölkerungsschichten an. Viele Jugendliche waren anwesend, von denen Górski nicht glauben mochte, dass es nur die Religion war, die sie an diesen Ort führte. 

  Am nächsten Tag befahl Major Boranzeff Popiełuszkos Vorladung.  Andrzej Górski fuhr zum Pfarrhaus nach Żoliborz, um den Priester abzuführen, traf aber zu seiner Überraschung auf Arbeiter, die den Zugang zum Haus bewachten. Es handelte sich um Schweißer aus dem Stahlwerk Huta Warszawa, die eine schriftliche Vorladung der Staatsanwaltschaft verlangten, ehe sie Andrzej Górski ins Haus lassen wollten. Andrzej überlegte, ob er sich den Weg frei schießen sollte, besann sich aber, als der Kaplan herauskam. Popiełuszko war genauso groß wie Andrzej Górski, aber wahrscheinlich nur halb so schwer. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, der Mund war weich, das Gehabe höflich, aber ohne Angst. Als er den Grund für Andrzej Górskis Besuch erfuhr, sagte er zu,  freiwillig  zum Verhör in der Behörde zu erscheinen. 

  Tatsächlich erschien der Priester in seiner Soutane am nächsten Tag in der Polizeistation und wurde verhört. Anwesend war ein kirchlicher Anwalt, Popiełuszko selbst, Andrzej Górski und ein Vertreter der Staatsanwaltschaft, ein junger, übereifriger Mann, der dauernd in seinen Papieren auf dem Tisch herumkramte. „Sie werden beschuldigt, staatsfeindliche Hetze zu betreiben und den Sturz der Regierung anzustreben“, sagte der junge Staatsanwalt 

  Der Priester hörte zu und schwieg, der Anwalt verlangte Beweise.

  Der junge Staatsanwalt legte Mitschriften der Predigten auf den Tisch, deren Wahrheitsgewalt der Anwalt anzweifelte. Als ihm einige Passagen vorgelesen wurden, bestätigte  der Anwalt die Richtigkeit, behauptete aber, dass nichts von dem Gesagten die Grenzen der Meinungs- und Religionsfreiheit überschreite. Außerdem  habe Vater Popiełuszko  in seinen Predigten den Sozialismus immer nur positiv hervorgehoben. Allerdings, das sei richtig, habe er bedauert, dass seine Umsetzung in Polen noch nicht optimal verlaufe Mit diesem Einwand konnte der junge Staatsanwalt nichts anfangen. Er verhaspelte sich und verlor den Faden, während Popiełuszko schweigend und gütig lächelnd dem Gespräch folgte. Was für eine Farce, dachte Andrzej Górski. Nach zweistündigem ergebnislosen Verhör wurde der Priester entlassen.

  Sofort nachdem Popiełuszko ins Pfarrhaus zurückgekehrt war, veranlasst er eine gründliche Untersuchung seines Wohnbereiches. Schon nach kurzer Suche fand man  westliche  Zeitungen,  Dollarnoten und Pornozeitschriften unter seinem Bett. Außerdem fehlte eine silberne Marienstatue. Mit Leszek Lotkowski als Zeuge und einigen Anwohnern, die einen Einbruch gesehen hatten wollen, begab sich der Kaplan zur nächsten Polizeistation, präsentierte die Fundstücke und erstattete Anzeige.   

  Major Bornazeff tobte. „Welcher Idiot hat diesen Einbruch durchgezogen?“ fragte er. „Am helllichten Tag ohne Sichtschutz!“

  Kleinlaut erklärte Andrzej Górski, dass er eine Bande aus dem Warschauer Rotlichtmilieu mit dem Einbruch beauftragt hatte. Leider hatten sie sich mehr für die Silberstauen als dafür interessiert, die belastenden Dokumente sicher zu verstecken.  

   In der nächsten „Messe für die Heimat“ waren auch Musiker und Dichter anwesend. Es wurde rezitiert und gesungen, ehe der Priester erschien. Die Zahl der Zuhörer war derart gewachsen, dass man die Messe mit Lautsprechern auf den Platz vor der Kirche übertrug.  Andrzej Górski sah, dass auch Priester aus den Nachbargemeinden anwesend waren. Der Kaplan war dabei, eine landesweite Berühmtheit zu werden.

  Ein Raunen lief durch die Menge, als Popiełuszko erschien. Er trug sein langes Priesterornat,  erkletterte die Kanzel und erzählte von seinem Verhör auf der Polizeistation. Er lobte den Staatsanwalt, der sich korrekt verhalten habe und berichtete von dem Einbruch in seiner Wohnung. Eine kleine Statue der Madonna sei gestohlen worden, die ihm besonders am Herzen gelegen hatte. Aber nun sei sie bei den Räubern und vielleicht würde sie dort ihre segensreiche Wirkung entfalten. Er vergebe den Räubern, sagte der Priester, weil sie nicht wirklich wüssten, welcher Macht sie folgten. Diese Macht sei der Teufel. „Der Teufel ist nicht tot“, fuhr Popiełuszko fort, und es wurde still in der Kirche. „Er hat nur gelernt, sich zu verbergen. Sein Reich ist die Verlogenheit, der Hass und die Furcht. Er triumphiert über uns, wenn wir uns nicht täglich in Gott stärken und für uns für unsere in den Gefängnissen leidenden Brüder und Schwestern einsetzen.“

  Dieser Priester ist lebensmüde, schoss es Andrzej durch den Kopf. Er vergleicht die Partei öffentlich mit dem Satan. Und die Tausende, die ihn an diesem Sonntag zuhörten, schienen ihm zu glauben.

  Zwei Tage später deponierte Andrzej Górski in der Nacht einen mit Sprengstoff präparierten Ziegelstein vor der Türe des Pfarrhauses. Am frühen Morgen explodierte der Stein mit großem Getöse und zerschmetterte die Fensterscheiben der Vorderfront. Popiełuszko blieb unbeeindruckt, zeigte den  Anschlag bei der Polizei an und fuhr mit seinen Predigten fort.

  Inzwischen war seine Zuhörerschaft auf über 20.000 Menschen angewachsen. Eine Tribüne musste auf dem Vorplatz der Kirche errichtet werden,  Selbst die Absperrungen der Polizei in den umliegenden Straßen konnten den Zustrom der Gläubigen nicht stoppen

   Andrzej Górski hatte Dana verboten, die Predigten des Priesters zu besuchen. Dana gehorchte, denn sie hatte ja nun eine andere Gesellschaft. Ihre Stelle im Krankenhaus hatte sie beibehalten, weil es ihr Freude machte, anderen Menschen zu Diensten zu sein. Andrzej Górski hörte ihr zu,  was sie aus ihrem arbeitsalltag erzählte, auch wenn das, was sie erzählte, nicht besonders erbaulich war. In einem Straßenzug am Rand der Weichsel war die Ruhr ausgebrochen, und die Erkranken blockierten eine ganze Etage des Krankenhauses. Jeden Tag wurden Männer mit Knochenbrüchen einliefert, die sie sich bei der Arbeit, bei Verkehrsunfällen oder Auseinandersetzungen mit der Polizei zugezogen hatten. Ein achtzehnjähriger Junge war von der Polizei grün und blau geschlagen worden und im Krankenhaus an den Folgen der Misshandlungen gestorben.

  Andrzej Górski wurde hellhörig. Dariusz Wenzel hatte ihm von der Verhaftung einiger Jugendlicher berichtet, deren Eltern in den Solidaritätskomitees arbeiteten. Man hatte sie, wie sich Wenzel ausdrückte, „ein wenig hart rangenommen“, um ihren Eltern einen Denkzettel zu verpassen. Wie es hieß, war einer von ihnen bewusstlos geschlagen worden.

   „Weist du, wie der Name des Jungen war?“ fragte Andrzej.

   „Nein, ich habe nur gesehen, wie er einen  halben Tag lang auf der Intensivstation lag und wie sich die Ärzte und Schwestern um ihn bemühten. Dann ist er plötzlich gestorben.“

    Bei der nächsten Messe für die Heimat standen die Zuhörer bis in die Seitenstraßen. Ein dumpfes Rauschen lag über dem Platz wie eine Ankündigung kommenden Übels.  Überall, wo Polizisten in Uniform auftauchen, empfing sie ein Zischen und Buhen. Andrzej Górski, der in Zivil anwesend war, wusste, dass die Situation jederzeit eskalieren konnte. Gegen diese Masse würde die Polizei ohne Schusswaffeneinsatz hilflos sein, und neue Tote wären eine Katastrophe für die politische Führung. Eine ältere Dame mit einem Fuchsfell auf den Schultern baute sich vor einem Polizisten auf und spuckte auf den Boden. Der Mann reagierte nicht, alle anwesenden Spezialkräfte hatten Anweisungen sich zurückzuhalten.

  Vor der Kirche war eine Tribüne mit Kränzen und Blumen aufgebaut worden. Auf einem Sockel  stand ein Portraitbild des ermordeten Jungen, das Abbild eines harmlos dreinblickenden Abiturienten mit wachem Gesicht und verwuschelten Haaren. Sein Name war Grzegorz Grzimek, er hatte vor wenigen Wochen das Abitur abgelegt und wäre in einigen Tagen 19 Jahre alt geworden.

  Popiełuszko trat vor und sprach ein Gebet. Dann begann er seine  Predigt mit der Anrufung der Jungfrau. Er erinnerte daran, wie oft die Madonna im Laufe der Geschichte zu Gunsten der polnischen Nation eingegriffen habe. „Heilige Madonna, du bist für uns heute mehr Mutter als Königin, du trocknest unsere Tränen und bis bei uns, wenn der Teufel zuschlägt“ rief er laut, aber ohne Zorn in der Stimme.  „Und er hat wieder zugeschlagen. Er hat uns durch die, die ihm dienen, neues Leid zugefügt. Es hat nicht ausgereicht, unschuldige Menschen mit Wasserkanonen zu traktieren, es hat nicht ausgereicht unschuldige Menschen, die nichts weiter wollten als Solidarität mit den politischen Gefangenen zu zeigen, zu misshandeln, nein, der Teufel und seine Helfershelfer haben ein unschuldiges Leben ausgelöscht.“

   Andrzej hielt den Atem an. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sich der Zorn der Menge im nächsten Augenblick in wilder Raserei entladen hätte. Doch es blieb ruhig, alle hingen an den Lippen des Priesters. „Was bleibt uns im Angesicht dieser Untaten?“, fragte Popiełuszko. „Uns bleibt das Gottvertrauen und die Zuversicht, dass der Teufel zu Schanden gehen wird. Halten wir an unserem Weg fest und lassen wir uns nicht vom Satan auf den Pfad der Gewalt führen, denn dann hätte der Teufel sein Ziel erreicht.“

 Ein Murmeln erhob sich, und Andrzej erkannte, dass die letzten Worte des Priesters nicht bei allen Zustimmung fanden. Popiełuszko spürte das und hob die Arme, als wolle er die Masse segnen. „Wir sind stark“, sagte er. „Der Teufel ist schwach. Er hat nur die Gewalt über unsere sterblichen Körper, nicht aber über unsere Seelen. Bleibt beieinander im Namen des Friedens.“

   In der nächsten Woche wurden die Ergebnisse der öffentlichen Untersuchung über den Tod von Gregorz Grzimek bekanntgegeben.  Das Fernsehen berichtete, dass ein drogenabhängiger junger Mann von der Polizei verhaftet und nach einer korrekten polizeilichen Vernehmung wieder freigelassen worden sei. Kurz  darauf sei er ins Krankenhaus eingeliefert worden und verstorben.  Eine Obduktion der Leiche habe ergeben, dass der Tod des Schülers nichts mit dem Polizeiverhör zu tun gehabt hatte. Vielmehr habe exzessiver Drogenkonsum zu schwerem Organversagen und zum Tod des Schülers geführt.  Alle Versuche, ihn zu retten, seien vergeblich gewesen. Allerdings habe man Versäumnisse bei der medizinischen Betreuung aufgedeckt und zwei Ärzte und zwei Krankenpfleger entlassen. Abweichende Zeugenaussagen hätten sich als unglaubwürdig erwiesen. Die Anwälte der Mutter waren verhaftet worden, weil sie Falschaussagen verbreitet hatten. Die beiden Polizisten wurden von jeder Schuld freigesprochen.

   Eine Welle der Empörung lief durch das Land, doch Major Boranzeff war hochzufrieden. „Wir hatten die Familie gewarnt“, sagte er. „Aber sie hat nicht hören wollen. Nun werden andere vorsichtiger sein.“

 Boranzeff hatte Andrzej Górski, Dariusz Wenzel und Zygmunt Rolkowicz eingeladen, dazu  Oberst Kirotkin der sicherstellen sollte, dass die Sichtweise des Innenministers zur Geltung kam.  „Nun ist die Zeit gekommen auch, mit dem Priester aufzuräumen“, fuhr Boranzeff fort.

  „Aber zum richtigen Zeitpunkt“, schaltete sich  Oberst ein. Er hatte eine knarrende Stimme und verwaschene Augen. Wieder bewegte sich sein massiger Kopf hin und her, wobei er einen nach dem anderen ansah. „Der Zeitpunkt ist ungünstig. Der Besuch des Papstes steht vor der Türe, und die Welt blickt auf Polen. Wir müssen noch warten.“

  „Warum lässt die Regierung den Papst überhaupt ins Land?“ fragte Boranzeff gereizt. „Seine Besuche lähmen uns und stärken die Opposition.“

  „Es ist der Wille der Regierung“,  antwortete der Oberst. „Unser Land leidet unter den Wirtschaftssanktionen. Wir brauchen dringend Devisen, und ohne Regierungsgespräche und Papstbesuche gibt es keine Kredite.“

  „Aber der Zeitpunkt wird immer ungünstig sein“, insistierte Boranzeff und blickte sich um.  Andrzej wunderte sich, wie offensiv der Major dem Oberst widersprach. „Wenn wir nichts unternehmen, dann entsteht wir in Żoliborz ein zweites Danzig. Irgendwann wird es zu spät sein“, bekräftigte Boranzeff.

 Der Oberst schüttelte langsam seinen kahlen Kopf. “Es gibt ein zu spät und ein zu früh“, sagte er.  „Wir warten den richtigen Zeitpunkt ab, und der ist noch nicht gekommen.“

   Der Papst kam nach Polen und sprach in Jasna Gora zu tausenden Jugendlichen. Überall wich er von den vereinbarten Redemanuskripten ab und fand deutliche Worte zur Lage des Landes.  Mehrfach stand der Besuch am Rande des Abbruchs. Dem Papst wurde verboten, nach Danzig zu reisen, dafür empfing er gegen den Willen der Regierung die Mutter des ermordeten Grzegor Grzimek und sprach ihr sein Mitgefühl aus. In einem abgelegenen Ort in der Tatra traf er sogar Lech Wałęsa, der inzwischen aus der Haft entlassen worden war. Im Fernsehen war zu sehen, dass Jaruzelskis Hand zitterte, als er den Papst begrüßte.

    Unmittelbar nach der Abreise des Papstes hob der erste Sekretär das  Kriegsrecht auf und verfügte eine Amnestie für die politischen Gefangenen. Nur ein knappes Dutzend Spitzenfunktionäre der Solidarność sollten bis zu ihrem Prozessen in Haft bleiben. Wieder trat General Jaruzelski im Fernsehen auf und sprach vom Dienst am Vaterland. Zögerlich begannen die Kredite aus dem Westen  wieder zu fließen.

Der Druck auf Popiełuszko aber blieb. Im Fernsehen und der Staatspresse wurde eine Kampagne gegen den Kaplan losgetreten, in der er beschuldigt wurde, ein Doppelleben voller Ausschweifungen und Schweinereien zu führen. Priester, die der Partei nahestanden, gaben Interviews, in denen sie behaupteten, Popiełuszko würde seine geistlichen Pflichten vernachlässigen  Der Regierungssprecher Jerzy Purban bezeichnete Popiełuszko als einen fanatischen „Politmagier“, der „bald verschwinden“ werde. Steine flogen nachts gegen das Haus des Priesters, und die Arbeiter verstärkten ihre Wachen. Leszek Lotkowski vergitterte die Fenster. Bald konnte Popiełuszko keinen Schritt mehr tun, ohne das der SB darüber informiert war, wo er sich gerade aufhielt.  

   Andrzej Górski wusste, dass die Zeit des Priesters ablief und zwar gerade deswegen, weil er sich für unangreifbar hielt.  Popieluzsko glaubte, dass ihn seine Bekanntheit schützen würde und begriff nicht, dass der Freispruch der beiden Polizisten, die den 18jährigen Gregorz Grzimek auf dem Gewissen hatten, sein Todesurteil gewesen war.  Wenn es in einem so offensichtlichen Fall möglich war, mit einem Nebelgespinst aus Lügen und Gewalt durchzukommen, dann gab es keinen Grund mehr, den Priester zu schonen. Unmerklich hatte Oberst Kirotkin genickt, als die Frage auf die physische Eliminierung des Priesters gekommen war. Major Boranzeff verstand den Wink und ernannte Andrzej Górski zum Leiter der Aktion, ihm zur Seite standen Dariusz Wenzel und  Zygmunt Rolkowicz. Entscheidende Leitlinie des Einsatzes war, dass kein Verdacht auf die Partei fallen durfte. Im Hinblick auf die Modalitäten ließ Major Boranzeff Andrzej Górski freie Hand.   

  Andrzej überlegte, dass der Mord am besten außerhalb der Hauptstadt stattfinden sollte, weit ab der zahlreichen Helfershelfer aus Warschau, die Popiełuszko im Ernstfall schützen würden. Da es die wachsende Bekanntheit des Priesters mit sich brachte, dass er in ganz Polen zu Gebetskreisen und Gottesdiensten eingeladen wurde, bot es sich an, ihn auf einer seiner Reisen zu ermorden.

  „Man könnte ihn in der Eisenbahn überwältigen und aus dem fahrenden Zug werfen“, schlug Wenzel vor, doch dieser Plan wurde fallen gelassen, weil sich im Zug zu viele Zeugen befanden. Die Idee, Popiełuszko zu töten und in einer kompromittierenden Situation in einem Freudenhaus abzulegen, wurde als zu plakativ verworfen.

  Aber eine andere, bessere Möglichkeit bot sich an. Seit Neuestem absolvierte der Priester seine Reisen in einem Fahrzeug, das sein Freund Leszek Lotkowski steuerte. Informanten hatten übereinstimmend berichtet, dass Popiełuszko es nach Möglichkeit vermied, außerhalb Warschaus zu übernachten und am liebsten noch in der Nacht heimfuhr.

  „Auf einer dieser nächtlichen Heimreisen werden wir ihn in einem Waldgebiet stoppen und erledigen“, entschied Andrzej Górski. „Die Umstände seines Todes müssen so gestaltet werden, dass alles auf einen kriminellen Überfall hindeutet.“

  Am sichersten wäre es gewesen, man hätte im Vorfeld des Attentats Leszek Lotkowski durch einen zuverlässigen Fahrer austauschen können, doch das ließ sich in der Kürze der Zeit nicht mehr bewerkstelligen.

  Der erste Zugriff in einem Wald zwischen Danzig und Warschau misslang, weil Lotkowski misstrauisch wurde. Als plötzlich Personen auf der Fahrbahn standen und den Wagen anhalten wollten, gab der Chauffeur Gas und entkam.

  Popiełuszko nahm diesen Vorfall nicht ernst, ganz im Unterschied zu Primas Glemp, der vertrauliche Hinweise erhalten hatte, dass das Leben des Priesters gefährdet sei. Wie Andrzej Górski von einem Spitzel aus dem erzbischöflichen Palais erfuhr, hatte der Primas Popiełuszko empfohlen, sofort zu einem Studienurlaub nach Rom aufzubrechen. 

  Dass Popiełuszko dieses Angebot ablehnte, passte zu dem Bild, das sich Andrzej Górski von dem Priester machte. Er war ein ahnungsloses Lamm, dem nicht klar war, dass die Wölfe schon auf ihn warteten.

  Zwei Wochen später reiste der Kaplan wieder mit dem Auto nach Bydgoszcz, um an einer Messe und einem Rosenkranzgebet teilzunehmen. Den Wagen steuerte Leszek Lotkowski. Ausweislich der Berichte der örtlichen SB-Agenten sollte der Besuch mit einem gemeinsamen Abendessen abschließen. Andrzej Górski, Dariusz Wenzel und Zygmunt Rolkowicz gingen davon aus, dass der Priester wie immer noch am gleichen Abend zurückfahren würde. Deswegen parkten sie ihren Fiat 125p direkt an der Schnellstraße in einem Waldgebiet zwischen Bydgoszcz und Toruń und warteten.  Alle drei trugen Uniformen der Verkehrspolizei und Gummiknüppel am Halfter. Im Kofferraum lagen Stricke und Säcke bereit.

  Langsam wurde es dunkel. Es war Freitagabend, und es herrschte nur wenig Verkehr.

  Dariusz Wenzel war nervös und rauchte eine Zigarette nach der nächsten. Zygmunt Rolkowicz  zog einen  Flachmann in der Brustasche und nahm einen kräftigen Schluck.

  „Hör auf zu saufen“, knurrte Andrzej Górski. „Wir brauchen für das, was wir vorhaben, einen klaren Kopf.“

  „Wenn wir einen klaren Kopf hätten, dann würden wir das, was wir vorhaben, überhaupt nicht tun“, warf Wenzel ein und steckte sich eine neue Zigarette an. „Wenn wir uns den Priester wirklich greifen, dann geht es uns ans Leder. Dann verschwinden wir für immer im Gefängnis oder springen gleich über die  Klinge.“ 

  „Blödsinn“, widersprach Andrzej Górski  „Wir folgen einem Befehl von Major Boranzeff, und der empfängst seine Order direkt vom Innenminister. Der wird seine Hand über uns halten, da mache ich mir keine Sorgen“, fügte Górski hinzu. „.Aber wenn ihr Zweifel habt, dann brechen wir hier ab, und ich berichte Broanzeff von euren Bedenken.“

  „Nein, ist schon in Ordnung“, lenke Zygmunt Rolkowicz  ein und steckte den Flachmann wieder in die Tasche. „Führen wir unseren Auftrag durch. Wir sind Soldaten des Vaterlandes, und was wir tun, ist das Richtige.“ Dariusz Wenzel zog an seiner Zigarette und blies den Rauch aus dem Fenster. 

  Die Zeit verging und es wurde dunkel. Da sie die Fahrzeuge, die aus Bydgoszcz kamen, nicht genau erkennen konnten, mussten sie jeden einzelnen Wagen stoppen. Ihre Tarnung als Verkehrspolizei funktionierte. Die Fahrzeuge, die vorüberkamen hielten an und wurden gleich weitergeschickt.

  Endlich tauchte Popiełuszkos Fahrzeug auf. Andrzej Górski trat mit der roten Kelle auf die Straße und winkte. Einen Moment sah es so aus, als wollte der Wagen weiterfahren, dann stoppte er. Andrzej Górski trat an das Fahrzeug heran und sah, dass der Kaplan auf dem Rücksitz saß. Leszek Lotkowski hatte die Fensterscheibe heruntergekurbelt und schaute den Polizisten fragend an. Blitzschnell griff Andrzej Górski in das Wageninnere und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. Dann öffnete er die Fahrertüre  und riss den Chauffeur vom Sitz. „Endstation“, sagt er und stieß den überraschten Lotkowski in die Arme von Wenzel und Rolkowicz, die aus dem Dunkeln aufgetaucht waren.

  „Überfall“,  schrie Lotkowski, „Vater Popiełuszko, fliehen Sie!“ Wenzel zog ihm mit dem Knüppel einen Schlag über den Kopf, und der Chauffeur sackte zusammen. Zygmunt Rolkowicz schleppte ihn zum Fiat, warf ihn auf den Rücksitz und legte ihm Handschellen an.

   Der Kaplan hatte die Szene beobachtet und stieg aus dem Wagen. Er trug eine Soutane und ein Kreuz auf der Brust.  „Was geht hier vor?“  fragte er Andrzej Górski. „Darf ich bitte Ihren Ausweis sehen?“

  Ohne zu antworten, griff Górski den Priester am Kragen und zerrte ihn zum Polizeiwagen. Zuerst wunderte er sich, wie widerstandslos sich der Kaplan abführen ließ, dann aber, kurz vor bevor er in den Fiat geschoben werden sollte, riss sich Popiełuszko los und versuchte, in den Wald zu flüchten. Seine Soutane behinderter hin, und in wenigen Schritten hatten Górski und Wenzel ihn eingeholt. Beide hatten plötzlich Knüppel in den Händen und begangen auf den am Boden liegenden Priester einzuschlagen. Immer wieder, langsam, konzentriert und mit aller Wucht zielten sie auf Knochen, Schulter, Kopf,  Knie und Unterleib des Priesters. Popiełuszko schrie im Takt der Schläge und hielt die Hände schützend sein über seinen Kopf. Mit voller Wucht traf ihn Andrzejs Knüppel ins Gesicht, und er wurde ohnmächtig.

  Górski und Wenzel schleppten den Priester zurück zum Wagen und warfen ihn in den Kofferraum. Zygmunt Rolkowicz hatte inzwischen Leszek Lotkowski auf dem Rücksitz bewacht.

  „Ihr wisst nicht, was ihr tut“, keuchte der Chauffeur, als Górski und Wenzel in den Wagen stiegen.  „Wenn ihr Vater Popiełuszko etwas antut, wird euch ganz Polen verfluchen.“

    „Die wichtigen Leute in Polen werden uns preisen, du Dummkopf“, antwortete Rolkowicz und verpasste Latkoswki eine Ohrfeige. „Und jetzt halts Maul, du hast ohnehin nicht mehr lange zu leben.“

  Mit Vollgas verließen sie den Ort des Überfalls. Sie mussten noch in der gleichen Nacht in Warschau sein, um weitere Instruktionen zu erhalten. Der ganze Wagen wurde erschüttert, als Wenzel durch ein Schlaglock fuhr

  „Fahr nicht so schnell“, mahnte Andrzej Górski, „sonst hält uns eine echte Verkehrskontrolle an.“  Wenzel knurrte etwas Unverständliches und reduzierte die Geschwindigkeit. Plötzlich rammte Lotkowski auf dem Rücksitz seinen Ellbogen gegen den Türgriff. Die Seitentüre sprang auf, und der Chauffeur warf sich aus dem Wagen. Andrzej Górski sah im Rückspiegel, dass sich der Chauffeur trotz seiner Handschellen auf der Straße abrollte, aufsprang und im Wald verschwand.

  Wenzel verführt eine Vollbremsung. Im Kofferraum war der Priester aus seiner Ohnmacht erwacht und schrie um Hilfe.

  „Wir müssen zurück und den Kerl wieder einfangen“ stieß Wenzel hervor.

  „Den finden wir in dieser Dunkelheit im Wald nicht mehr“,  widersprach Rolkowicz.

  „Warum haben wir keinen verfluchten Hund dabei“ stöhnte Dariusz Wenzel. Der Kaplan schrie immer lauter und pochte gegen die Innenverkleidung des Kofferraues.

   Ein Wagen tauchte in der Dunkelheit auf, fuhr in moderater Geschwindigkeit sie heran, passierte den parkenden Fiat  und beschleunigte wieder.

  „Es herrscht noch zu viel Verkehr auf dieser Straße. Wir können jetzt nicht zurückfahren“, entschied Andrzej Górski und blickte sich um. „Rolkowicz, du Idiot hast den Chauffeur entkommen lassen. Nun geh raus und bring den Priester zum Schweigen. Dann fahren wir weiter“.

  Rolkowicz stieg aus, öffnete den Kofferraum und begann, auf den Priester einzuschlagen. Durch die geöffnete Kofferraumhaube sahen Górski und Wenzel nicht, was hinten geschah. Sie hörten nur das dumpfe Klatschen der Schläge, das spitze Schreien des Priesters, das in ein Röcheln überging und schließlich verstummte.

  Mit einem Knall schloss Rolkowicz den Kofferraum, stieg wieder ein und nahm einen Schluck aus dem Flachmann. Wenzel ließ den Motor aufheulen und gab Gas.

   Kurz darauf war Toruń erreicht. An einer Verkehrskontrolle stoppten sie, zeigten ihre SB-ausweise und durften weiterfahren.

 Hinter Toruń blinkte auf einmal eine Leuchte auf der Instrumentenanzeige. „Wir haben kein Öl  mehr“, fluchte Wenzel. „Es ist nicht zu fassen. So kommen wir nicht bis nach Warschau.“

  „Im Kofferraum befindet sich ein Kanister Öl. Halt an, wir füllen Öl nach“, sagte Górski.

  Der Wagen stand noch nicht richtig, da sprang der Kofferraumdeckel wieder auf. Blutüberströmt und halbtot kletterte der Priester aus dem  Kofferraum und wankte in Richtung Wald. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, ruderte mit den Armen und stöhnte.

  Die drei Polizisten erkannten sofort, dass der Priester nicht weit kommen würde. In aller Ruhe stiegen sie aus dem Auto und zogen ihre Knüppel aus dem Halfter. Ohne besondere Eile gingen sie hinter dem Priester her und holten ihn ein.  Kurz bevor sie ihn erreichten, drehte sich Popiełuszko um und breitete seine Arme aus, als wolle er sie segnen. Sein Gesicht war von den schweren Schlägen geschwollen, die Augen waren weit aufgerissen mit einem Rest von Unverständnis über das, was mit ihm geschah. Andrzej blickte dem Kaplan in die Augen, als er ausholte und zuschlug. Es krachte, als sein  Knüppel den Kopf des Priesters traf. Popiełuszko wankte, da traf ihn ein zweiter Hieb von Wenzel. Sein Blick brach, als zu Boden fiel und bewegungslos liegen blieb. 

 „Er ist tot“, sagte Rolkowicz und stieß mit dem Fuß gegen den reglosen Köper. „Das wäre erledigt.“

  „Aber was machen wir jetzt?“ fragte Wenzel. „Es sollte noch so aussehen, als wäre er von Kriminellen überfallen und ausgeraubt worden.“

  „Die Zeit dafür haben wir jetzt nicht mehr“ sagte Górski. „Der Chauffeur hat bestimmt schon Alarm geschlagen. Wir müssen sofort hier weg und den Priester so schnell wie möglich loswerden, am besten so, dass er nie mehr gefunden wird.“

   Sie schleppten den Körper des Priesters wieder zum Wagen und warfen ihn erneut in den Kofferraum. Weil Andrzej Górski keine Überraschungen mehr erleben wollte, fesselte er den reglosen Körper an Händen und Füßen und legte dem Kaplan eine Schlinge so um den Hals, dass er sich würgen würde, wenn er erwachte. 

   Wenzel füllte Öl nach und fluchte, weil er sich dabei die Hände schmutzig machte. Dann fuhren sie weiter. Niemand kam ihnen entgegen. Die nächtliche Bewölkung hatte sich aufgelöst. Ein silberner Halbmond stand am Himmel.

  In einem Waldgebiet auf halber Strecke nach  Warschau, in der Nähe des Ortes Włocławek bogen sie von der Straße ab. Zygmunt Rolkowicz kannte eine Zufahrt zum Stausee eines Wasserkraftwerks und schlug vor, die Leiche des Priesters in den Stausee zu werfen.  Górski stimmte zu. Wenzel hielt den Wagen auf einer Piste oberhalb des Stausees.

   Weit und breit war kein Mensch zu Sehen. Es war so still, als hielte die Natur den Atem an, nur ein fahles Mondlicht erhellte die Konturen der Landschaft.

  Andrzej öffnete den Kofferraum und schob den Körper des Priesters in einen der großen Säcke.   Wenzel und Rolkowicz sammelten schwere Steine, die sie in den Sack verfrachteten. Dann ging Wenzel einige Schritte abseits und steckte sich eine Zigarette an. Auch Rolkowicz wandte sich ab. Sein Flachmann war leer. Wütend war er die Flasche in den See.

  Während Andrzej Górski den Sack zuband, spürte er eine Bewegung, ein Zucken, begleitet von einem kaum hörbaren Stöhnen, Der Priester ist nicht tot, durchfuhr es Andrzej. Zum Teufel mit ihm, das Leben will einfach nicht aus ihm weichen.

  Andrzej Górski stand auf und rief seine Gefährten. „Los, packt an. Bringen wir es zu Ende.“

  Zu dritt schleppt sie den Sack mitsamt dem zuckenden Körper und den Steinen zur Brüstung und warfen ihn über eine Höhe von 15 m in den Stausee.