Conde: Segu

Conde - SeguMein Leben lag wollte ich nach Mali und an den Niger, nach Segu, Djenne und Timbuktu. Eine Zeitlang fehlte mir das Geld, und nun wo das Geld da ist, wütet am mittleren Niger der islamistische Terror. Deswegen begnügte ich mich einstweilen mit dem vorliegenden Roman „Segu“ von Maryse Conde, und das war keine schlechte Idee. Denn bei diesem Buch handelt es sich tatsächlich  um eine belletristische Einladung nach Westafrika, die nicht nur spannend sondern auch ungemein informativ zu lesen ist.  „Segu“ spielt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts  und beschreibt die Verwandlung Westafrikas in einen Teil der mohammedanischen Weltgemeinde. Im Mittelpunkt des Romans stehen die Traores, eine adlige Bambarafamilie aus Segu, deren Angehörige die unterschiedlichen Kräfte dieser Zeit repräsentieren. Das Familienoberhaupt Dusika Traore ist der Ratgeber des Königs von Segu. Er lebt noch ganz innerhalb der Traditionen der Fetischreligion, befragt die Magier vor allen wichtigen Entscheidungen und sieht mit Unbehagen, wie sich sein ältester Sohn Tiekoro dem Islam zuwendet. Im weiteren Verlauf der Handlung wird Tiekoro zu einem islamischen Marabut aufsteigen, zu einer Leuchte des Glaubens – aber auch zu einem Ärgernis für andere Familienangehörigen wie seinem Cousin Tiefolo, die dem alten Glauben verhaftet bleiben. Der jüngere  Bruder Naba Traore  wird noch als Kind von Sklavenhändlern entführt, über Gore nach Pernambucco verschleppt und stirbt nach einem wechselvollen Schicksal auf einer Plantage im Norden Brasiliens. Siga Traore, der Sohne einer Sklavin, absolviert eine Karriere als Transsaharahändler, heiratet eine vornehme Braut aus Fes in Marokko und kann sich weder für noch gegen den Islam entscheiden.

Am Ende bricht das ehrwürdige Reich von Segu zusammen, die Gotteskämpfer des Islam zerstören die alten Tempel, töten die Ungläubigen und vertreiben die Magier.  Zweierlei habe ich aus dem Buch gelernt. Zunächst war mir unbekannt, dass sich die Massenislamisierung Westafrikas erst im 19. Jahrhundert  vollzog – hier wie fast überall auf der Welt im Wesentlichen mit Gewalt.  Vorher waren nur Teile des Adels in einigen Königreichen Mauretaniens  moslemisch gewesen  Sodann war mir neu, wie stark die Kultur  Westafrikas mit der des nordöstlichen Südamerikas zusammenhängt.  Ähnlich wie aus Nordamerika gab es auch aus Südamerika Rückkehrbewegungen von verschleppten nach Westafrika, die allerdings zu erheblichen Problemen führten.  Anhand zahlreicher (in einem Glossar erklärten) Fachbegrifflichkeiten erhält der Leser zugleich einen Einblick in die verwickelte Welt der westafrikanischen Völker, der Bambara, der Ashanti, Fulbe, Wolof, Mandinkas, Yoruba und vieler andere mehr,  übrigens auch der Weißen, die im Buch als vorwiegend Skalvenjäger, Seefahrer, Missionare und Händler auftreten.

Der Stil des Buches ist durchweg anschaulich und erreicht bei manchen Naturschilderungen durchaus poetische Qualitäten. „Kein Stern am Himmel“ heißt es auf S. 55. „Über den Terrassendächern der Häuser, die wie ängstliche Tiere aneinanderklebten, erhoben sich die Kronen der Zebrabäume, der Baobabs und darüber der schlanken Palmyrapalmen. Der Geruch von Austern und Flussschlamm war von einer frischen Brise vertrieben worden. Diese Milde, die die Dunkelheit den müden Leibern gewährte, trug zum Zauber dieser Stadt bei.“ Bemerkenswerterweise hält sich die fiktive Romanhandlung sehr genau an die geschichtlichen Fakten: so klopft am Beginn des Romans der schottische Entdeckungsreisende Mungo Park im Jahre 1797 vergeblich an die Tore von Segu, und im Mittelteil des Buches wird der Leser zum Zeuge der verheerenden Jihads von Amadou Hammadi Bubu und El Hadsch Omar, die am Ende zum Untergang des Reiches von Segu führen.

Alles in allem ein lehrreiches und unterhaltsames Buch, ideal als eine etwas gehobenen Ergänzung von „Roots“ von Alex Haley an der Küste Westafrikas – und zugleich eine Einstimmung für einen irgendwann hoffentlich wieder möglichen Besuch der großen westafrikanischen Metropolen am Niger. Betrüblich allerdings, dass dort schon wieder der Jihad wütet, was dem Leser am Ende des Buches  fast wie eine unbeabsichtigte Fortsetzung des Romans in der Wirklichkeit vorkommt.