Dabrowska: Nächte und Tage

IMG_0936

Dabrowska: Nächte und Tage

Die maßgeblichen Werke der polnisch sprachigen Literatur sind leider nur sehr unvollständig ins Deutsche übersetzt. Das trifft nicht für den polnischen Nobelpreisträger Reymont ( „Die Bauern“, „Das gelobte Land“) sondern auch für Sienkiewicz (u.a. „Quo Vadis“) Boleslaw Pruz und Maria Dombowska zu. Das bekümmert mein liebes polnischstämmiges Weib, die es sich zur lebenslangen Aufgabe gemacht hat, mich mit der polnischsprachigen Literatur bekannt zu machen.
So hat sie das vorliegenden Werk ( und auch noch Band III und IV, die mir noch bevorstehen!) in einer gebrauchten Ausgabe erworben und mich zur Lektüre verdonnert. Dieser Aufforderung bin ich nachgekommen und zwar gleich mit mehrfachen Gewinn. Zuerst und vor allem habe ich ein Tausendseitenwerk kennengelernt, in dem mit großer Liebe zum Detail und nicht minder großer Anschaulichkeit die Geschichte einer polnischen Familie zwischen dem polnischen Aufstand von 1863 bis zur Wiederentstehung Polens nach dem Ersten Weltkrieg im literarischen Zeitlupentempo beschrieben wird. Im Mittelpunkt des Romans stehen Barbara und Bogumil, die Abkömmlinge gebildeter, aber verarmter Adelsfamilien, die im russisch besetzten Teil Polens ihre Felder bestellen und ihre Kinder großziehen. Wenn man will, kann man Barbara und Bogomil durchaus in die Reihe der großen Liebespaare der Weltliteratur einreihen – von Romeo und Julia, Äbelard und Heloise oder Pater Ralf und Maggie unterscheiden sich aber Barbara und Bogumil durch eine charakteristische Disparität der Emotionen: denn Barbara liebt den Bogumil nicht ganz so sehr wie der Bogumil seine Barbara, was den wackeren Bogumil zwar bekümmert, aber dann doch lebenslang bei der Stange hält.
Das ganze erzählerische Gebirge mit seinen hundert literarischen Seitentälern zu beschreiben, würde hier zu weit führen. Wer aber wirklich ein ausdauernder Leser ist, reichlich Chardonnay-Vorräte zur Hand hat und sich für die Entwicklung Polens in der erzählerischen Elektronenrastermikroskopperspektive interessiert, wird bei dem vorliegenden Riesenwerk auf seine Kosten kommen. Ich jedenfalls habe die ersten beiden Bände des Werkes mit Gewinn gelesen und noch einen zusätzlichen Profit eingeheimst: denn nach der Bekanntschaft mit der komplizierten Barbara bin ich in der Lage, meine eigene polnischstämmige Ehefrau noch besser zu verstehen (ohne deswegen schon ein Bogumil zu sein). Das ist als Ertrag einer Lektüre doch auch schon was.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert