Tomás Elroy Martinez: Der General findet keine Ruhe

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Alles in Argentinien ist eine Spur wilder, gröber, grandioser oder schrecklicher als in Europa, und es scheint fast so, als sei dieses Land, das noch vor einem guten Jahrhundert mit so vielen Hoffnungen in die Zukunft schaute, zugleich barbarischer und dekadenter als der Mutterkontinent. In kaum einer sozialen Erscheinung kommen diese argentinische Doppelsignatur von Rückwärtsgewandtheit und Fortschritt derart zum Ausdruck wie in der rätselhaften Erscheinung des Peronismus, jener  Melange aus Machotum, Militarismus, Sozialismus und Chauvinismus, ohne die sich die jüngere Geschichte Argentiniens nicht verstehen lässt. Juan Domingo Peron (1895-1974), einem weltweiten Musicalpublikum inzwischen bekannter als der Ehemann der berühmten „Evita“, war der Messias, der die Hoffnungen der Masse auf Wohlstand du Ordnung eine Zeitlang so erfolgreich verkörperte, dass sein Name bis heute die unterschiedlichsten politischen Bewegungen von der extremen Rechten bis zur extremen Linken vereinigt.

Tomas Eloy Martinez hat sich in dem vorliegenden Buch an einer Gesamtdarstellung dieses Phänomens versucht. Der Roman  beginnt im Jahre 1973, als sich der nach Spanien verbannte Peron Anstalten macht, triumphal in seine Heimat zurückzukehren. Millionen Menschen, Todesschwadronen und Gewerkschaftsverbände, Schlägertrupps und Fanclubs, Arme und Reiche, pilgern zum Flughafen Ezeiza in der Nähe von Buenos Aires, um den  Messias nicht nur in Empfang zu nehmen, sondern auch gleich noch für die eigenen Zwecke zu vereinnahmen – während in Madrid  bereits die Manipulatoren, Speichellecker, Spione und Geschäftemacher  den immerhin auch schon 78 jährigen Exilanten  umschwirren, noch bevor er das Flugzeug nach Buenos Aires überhaupt besteigen kann.

Das ist die Rahmenhandlung, des Buches, innerhalb derer Martinez aus nicht weniger als drei unterschiedlichen Perspektiven versucht, das Gesamtphänomen Peron in den Griff zu bekommen. Da ist zunächst der Reporter Zamora, der für die Zeitschrift „El Horizionte“ alle möglichen Wegeführten Perons interviewt, dann der Gewerkschaftsfunktionär Lopez Rega, der mit dem General dessen Memoiren redigiert und über die Peron-Gattin Isabell die Macht anvisiert – und schließlich der Autor Tomas Eloy Martinez selbst, der mit Peron immerhin einige Interviews durchführt und ( wie das bei einem avantgardistischen Autor unserer Tage natürlich nicht anders sein kann) den Leser so gleichsam zum Zeugen der Romanentstehung werden lässt. Zwischen diesen drei Erzählperspektiven kurvt der Roman auf fast 500 Seiten dann allerdings dermaßen hin und her, vor und zurück, dass dem Leser hören und sehen vergeht. Gerade sind wir noch Gast beim Abschiedsbankett von Franco und Peron, dann verschlägt es uns in die unwirtliche südpolare Pampawelt, wo der kleine Juan Domingo Peron an der Seite seines kauzigen Vaters eine rustikale Jugend verlebt. Es folgen Verschwörungspläne des peronistischen Gewerkschaftsbundes, ehe wir dem kleinen Peron  in der Militärakademie mit ihren sadistischen Ritualen wieder begegnen. So geht es weiter: Peron auf der großen Europareise 1939/40, Peron im trauten Zwiegespräch mit den sterblichen Überresten Evitas in Madrid, Peron als Militärattaché in Santiago de Chile, Peron als Bewunderer Napoleons, Clausewitz und Mussolinis – all angereichert mit einer kaum och überschaubaren Anzahl von Einzelheiten und Schilderungen aus der Gegenwart, in der  sich die links- und rechtsperonistischen Todesschwadrone  unmittelbar vor der Ankunft des Generals in Ezeira immer bedrohlicher in Stellung bringen.

Zweifellos eine kühne Werkarchitektur – wie aber ist sie umgesetzt?  Zunähst das Positive: wer sich für die Finessen der argentinischen Innenpolitik und die Geschichte dieses Landes in der ersten Hälfte des 20. Jhdts. interessiert, kommt voll auf seine Kosten. Auch wenn sich nicht jeder all die zungenbrecherischen Namen der Obristen, Generäle und Präsidenten wird merken können,  fühlt sich der Leser in den stärksten Stellen des Romans wie ein Beobachter Zentrum  eines gewaltigen geschichtlichen Orkans  Auf der anderen Seite fordern die Perspektiven- und Stilwechsel, die sich der Autor dabei erlaubt, auch dem fanatischsten Leser Einiges ab – und mitunter kollidiert  der Wille des Autors zur raffinierten Poetologie mit der Geschlossenheit des Werkes ganz erheblich. Das ist bedauerlich, auch deswegen, weil der Leser dieses Buches einen wirklichen geschlossenen Überblick über die Entwicklung des Peronismus auch dann gewinnen kann, wenn er zusätzliche Quellen  heranzieht. Dass Person selbst, der immerhin eine ganze Reihe von Morden auf dem Gewissen hat und sein ganzes Leben hindurch seinen eigenen Vorteil niemals aus den Augen verlor, vielleicht ein wenig gut wegkommt, ist ein weiterer Kritikpunkt an diesem etwas überausambitionierten Werk.

 

 

 

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