Isabel Allende: Mein erfundenes Land

IMG_8018Man mag sich über den Feminismus und den literarischen Rang Isabel Allendes streiten, doch mit ihrem „Geisterhaus“ und „Ines meines Herzens“ hat sie unzweifelhaft zwei Bücher geschrieben, die jedem, der sich für Chile interessiert, auf einer unterhaltsamen Weise die Geschichte und die Kultur Chiles näherbringen. Deswegen habe ich mir  in der Vorbereitung meiner zweiten Chileriese Isabel Allendes  „Mein erfundenes Land“  gekauft und gelesen.

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine Mischung aus Satire, Landeskunde und Biographie, das mit der klaren Intention verfasst wurde, den Leser nicht nur zu informieren, sondern auch zu unterhalten. Die chilenische Landschaft, Küche, Familie, der chilenische Macho, die chilenische Frau, das Wetter, das Geld, die Angeberei, die Armut, der Hochmut, die Liebe und der Hass – es gibt kaum einen Aspekt des Allgemeinmenschlichen, über den Isabel Allende nicht  humorvoll zugespitzte Geschichten präsentierte. Etwa die vom Inquisitor, der in den altvorderen Zeiten zur Kontrolle der Sexualmoral nach Santiago de Chile kam und den man kastriert und ohne Hoden nach Lima zurückschickte, oder die Anekdote über die Geltungssucht des gemeinen Chilenen, der im Supermarkt mit vollem Einkaufswagen zwischen den Regalen herumfährt, und , nachdem ihn alle gesehen und bewundert haben, sich ohne Wagen davonschleicht. Die Unterwürfigkeit der chilenischen Frau unter ihren Ehepascha erklärt Allende geschichtlich dadurch, dass die chilenische Bevölkerung aus der Vermischung von rüden Konquistadoren und willigen Indianerinnen hervorging, so dass auch heute noch der chilenische Mann als Nachfolger der Konquistadoren auf die Frauenwelt wie von einem imaginären Pferderücken wie auf eine allzeit dienst- und begattungsbereite Weiberhorde heruntersieht. Über die Redefreude der chilenischen Männer etwa heißt es: “Sie haben als erste herausgefunden, dass der G-Punkt der Frau an den Ohren sitzt und es folglich Zeitverschwendung ist, ihn weiter unten zu suchen.“(S.129)  Die beiden Aphorismen passen zwar nicht zusammen, aber das macht nichts – Hauptsache sie sind einigermaßen witzig.

Diese heitere Stippvisite durch die chilenische Gesellschaft wird immer wieder unterbrochen von Passagen, denen man anmerkt, dass sie der Autorin wichtig sind und bei denen sie  keinen Spaß versteht.  Dabei handelt es sich um das beunruhigende Bevölkerungswachstum, die zunehmende  Einkommensungleichheit, den sich ausbreitenden Alkoholismus und die Gewalt in der Familie –  vor allem aber um die traumatische Allende- und Pinochetzeit, an deren Bewertung sich bis auf den heutigen Tag die Geister scheiden. Wirklich ernstnehmen wir man Allendes Darstellung der Regierungszeit ihres weitläufigen Verwandten nicht:  – über die widerrechtlichen Enteignungen, die im ganzen Land vorgenommen wurden, die offensichtlichen Verfassungsbrüche Salvador Allendes, die planmäßig herbeigeführte Inflation, die die Ersparnisse der Mittelklasse vernichtete und die bedrohliche Bewaffnung der Linksradikalen  wird man nichts lesen (ich empfehle dazu die entsprechenden Passagen in dem Patagonienbuch von Bruce Chatwin). An den Besuch Fidel Castros, der wochenlang in Chile herumreiste und Allende zur offenen Gewaltherrschaft überreden wollte, erinnert sie sich nur noch, weil die Kubaner so lustig und so musikalisch waren. Auf der anderen Seite  wundert sie sich bei ihrer Heimkehr 17 Jahre nach dem Putsch, als Pinochet die Diktatur aus der Hand gegeben hatte, darüber, wie aufgeräumt und sauber es in Chile aussah. ( Man fragt sich als Leser unwillkürlich, wie es nach 17 weiteren Jahren Allendesozialismus in Chile ausgesehen hätte). Auch dass mindestens ein Drittel ( wahrscheinlich waren es erheblich mehr) der Chilenen die Militärdiktatur bejahten, kann sie nur mit den zweifelhaften Volkseigenschaften des Chilenen erklären.

Zwischen Satire und Landeskunde durchzieht ein dritter, ein biographischer Faden das Buch. Man erfährt Einiges über Isabel Allendes  Verhältnis zum gewaltigen Großvater ( dem Vorbild des Estanziabesitzers Trueba aus dem „Geisterhaus“, was nicht ohne Reiz ist), über ihre Journalistenkarriere, ihr Exil in Venezuela, in dem sie es wundervoll fand ( auch wenn in ihre Wohnung 17mal eingebrochen wurde), über das Scheitern ihrer ersten Ehe und ihre neue Heimat Kalifornien an der Seite ihres zweiten Ehemannes, der drei drogensüchtige Kinder mit in die Ehe brachte (dieses Detail wird in dem Buch nicht erwähnt).

Alles in allem ein uneinheitliches Buch, dass zwischen den Genres hin- und herschwankt, und in dem sich die Autorin nicht recht entscheiden kann, ob sie eine Satire, eine Landeskunde oder eine Biographie schrieben möchte. Außerdem wirken die Witze auf Dauer doch etwas bemüht, die Sachdarstellung ist etwas einseitig, und die biografischen Passagen sind nichts weiter als Streiflichter. Auch die Haltung der Autorin zu ihrem Land bleibt zwiespältig: mal macht sie ihre Landsleute nieder, dann entdeckt sie an sich genau die gleichen Züge, die sie soeben noch verdammte.  Wenn man es positiv sehen möchte, könnte man immerhin sagen, dass gerade diese Unentschiedenheit und Ratlosigkeit, die Autorin gegenüber Chile empfindet, ein adäquater Ausdruck der Vielfältigkeit dieses Landes ist, das einfach nicht auf einen Nenner zu bringen ist.

 

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