Alicia Dujovne Ortíz: Evita Perón. Die Biographie

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Argentinien zwischen Wahn und Wirklichkeit

Es ist immer ein Wagnis, ganze Nationen anhand einzelner Personen verstehen zu wollen, aber manchmal hat es auch seine Berechtigung – wie eben im Falle Evita Perons, deren geschichtliche Wirksamkeit  die argentinische Gesellschaft bis heute polarisiert – für die einen war Evita ein Engel der Armen, eine menschgewordene Madonna, für die andern waren die Perons Faschisten, die auch vor Mord und Folter nicht zurückschreckten, und Evita nichts weiter als das teuflische Aushängeschild des Regimes.

Alicia Dujovne Ortíz, deren Eltern unter der peronistischen Diktatur verfolgt wurden, die aber selbst als kleines Mädchen beim Tode Evita Perons im Jahre 1953 bittere Tränen vergoss, hat in dem vorliegenden Buch versucht, der widersprüchlichen Gestalt Eva Perons Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Wer genug Geduld und Interesse mitbringt, sich auch durch die kaum zu überblickende Zahl der Akteure, Spekulationen, Zitate und Anekdoten hindurch zu arbeiten kann auf immerhin 433 Seiten den Aufstieg eines unbegabten, nicht sonderlich reizvollen unehelichen Kindes bis zur Präsidentengattin miterleben und dabei tief in das Unterfutter der argentinischen Gesellschaft und Geschichte hineinzublicken. (Die Einzelheiten des Buchinhaltes sind im Folgenden kapitelweise  zusammengefasst)

1 – UNEHELICHE GEBURT – Eva Perón wurde als eines von fünf unehelichen, aber anerkannten Kindern der unverheirateten Juana Ibarguren (1894–1971) und ihres verheirateten Liebhabers, des wohlhabenden Großgrundbesitzers Juan Duarte (1872–1924) geboren (Dieser unterhielt zwei Familien, eine legale und eine illegale, was nichts Ungewöhnliches war). Evita wuchs in Los Toldos in der Nähe von Junin auf. Ihre kindliche Erfahrung wurde geprägt durch die Ausgrenzung der Unehelichkeit. (Die ehelichen Kinder Juan Duartes verweigern Dona Juana und ihren Kindern nach dem Tod des Vaters eine würdige Teilnahme an der Beerdigung) Die Mutter Dona Juana  Ibarguen war eine umtriebige, aber freizügige Frau, die 6 Kinder durchzubringen hatte und die sich so gekonnt mit der Männerwelt zu arrangieren wusste (Nicolini), dass die Familie wegen allgemeiner Ablehnung Los Toldos verlassen musste.

Interessante Anmerkungen der Autorin zur Atmosphäre Argentiniens in dieser Zeit. Die Weite der Landschaft, die paradoxerweise ein Gefühl  des Gefangenseins erzeugt  – der Gaucho als Sohn vergewaltigter Frauen, der nur die Zunge essen will und den Rest des Rindes den Raben überlässt ( S. 24) Die Herrschaft der 1804 Familien in Argentinien, die den Boden besitzen, die sie von den Indianern gestohlen haben. Das traurige Schicksal des einfachen Argentiners, der es fertig bringt, den ganzen Tag an eine Mauer gelehnt herumzustehen ( Ortiz: Der einsam wartende Mann). Andeutung innerer Spannungen, als der Reformpräsident Yirigoyen 1916 und 1920 die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Gegen ihn bringen die Oligarchen General Ubiburu in Stellung, der das Land in den dreißiger Jahren regiert („Die infame Dekade“)

In Junin bringt Evitas Mutter Dona Juana sich und ihre Kinder durch, indem sie für den Direktor des Gymnasiums und zwei Anwälte den Mittagstisch zubereitet. Ob es sich dabei um eine Art Bordell mit Beköstigung gehandelt hat, wie Borges vermutete, bleibt unbekannt, auch jeden Fall war es ein Verkupplungszentrum, denn zwei ihrer hübschen Töchter heiraten zwei der Mittagsgäste. Evita aber hat Höheres im Sinn, orientiert sich an den Traumbildern des Kinos und der kanadischen Schauspielerin Norma Shearer, der auch der Aufstieg aus einfachsten Verhältnissen gelungen war.  Mit 14 oder 15 Jahren versucht sie  mit Estanzio-Söhnen anzubändeln, wird von ihnen aber auf einer Fahrt nach Mar del Plata vergewaltigt und nackt auf die Straße geworfen. Dergleichen war im Argentinien dieser Zeit kein großes Ding, jede unverheiratete Frau in der Öffentlichkeit, vor allem solche, die sich einladen ließen, war den Zudringlichkeiten der Männer hilflos ausgeliefert. Da Evita Schauspielerin werden will, geht sie im Alter von 15 Jahren 1935 mit Hilfe eines „Provinz-Gardells“, des Tangosängers Augustin Magaldi nach Buenos Aires, wo sie ihren Bruder Juancito trifft.

2 – SCHAUSPIELERIN – Buenos Aires, ein „Riesenkopf auf einem gigantischen leeren Leib“, ist für Evita eine Offenbarung.  Als wenig begabte, insgesamt unscheinbare, dünne, in ihrer Sprache vulgäre Person gelingt es ihr aber nur, sich durch bedenkenloses Prostituieren mit allen nur erdenklichen Regisseuren oder Journalisten für winzige Rollen ins Spiel zu bringen. (vgl.  S. 46 „Wenn du nicht mit mir schläfst, bist du gefeuert“ -vgl. auch die Episode, wie der Regisseur „Sapo der Frosch“, eine fette Molluske, in einem Cafe Hof hält und eine endlose Reihe von Mädchen am Hintern betatscht, die eine Rolle suchten.). So war es alles andere als außergewöhnlich, dass Evita mit Freundinnen vor Theatern, Radioanstalten und Restaurants rumlungerte und sich von Leuten, die ihrer Karriere nutzen konnten einladen ließ, wobei sie noch nicht einmal besonders erfolgreich war, denn auf einem Sexwochenende im Paranadelta verschmähte sie ein Galan wegen ihrer Vulgarität. Sie lebte in billigen Pensioen, z. T. auch zeitweise in Wohnungen, wenn sie jemanden fand, der sie finanzierte, sie nahm an miserabel bezahlten Tourneen teil, ihr einziger Vertrauter war ihr Bruder Juancito, ein stutzerhafter Kleinkrimineller, der unter anderem Gelder in einer Sparkasse unterschlug.   Dass Evita in den bitteren Jahren 1935-1939 nicht vollends unterging,  verdankte sie wahrscheinlich der Affäre mit dem Journalisten Emilio Kartulowicz, dem Herausgeber der Kinozeitschrift „Sintonia“, der sogar ein Bild von ihr bringt, so dass sie eine gewisse Bekanntheit erlangt.  Evita entwickelt sich in dieser Zeit, so ihre Umgebung, zu einer Art Männerhasserin, zu einer kalten Person, von der kein Sexappeal ausging. Wenn sie aber liebte, war sie aufdringlich und nervig, so dass die Männer schnell das Weite suchen. Ab 1940 tritt eine leichte Wende zum Besseren ein, als Evita Sprechrollen im Radio erhält.

Das Radio war  damals gerade erst dabei, sich gesellschaftlich zu etablieren. Da es noch keine Transistorradios gab, schickten die Radiostationen Wagen mit Lautsprechern in die Dörfer und vor die Fabriktore und ließen dort die Radio-Soaps abspielen. Diese Soaps variierten das immergleiche Aschenputtelthema, volkstümlich gestaltet auf der Grundlagen der Skripte von Hector P. Blombergs, eines national engagierten Autors, der bereits peronistische Ideen vor Peron vertrat.

In den Jahren 1940-43 bewohnte Evita eine gute Wohnung in einem besseren Viertel, die von einem Verehrer, möglicherweise einem Oberst aus der Armee, finanziert wurde. Im Nachherein wurde ihr von ihren Gegnern nachgesagt, sie habe in dieser Zeit für die Nazis spioniert, was aber unwahrscheinlich ist.  Auf jeden Fall scheint sie sich Offizierskreisen angenähert zu haben, die damals bereits einen Putsch planten.

3 – GELIEBTE – Am 4. Juni 1943 griff die Armee ins politische Geschehen ein, bezog Position gegen die korrupte Oligarchie und setzt einen neuen Präsidenten ein.  Evita  erhält  unter der neuen Führung durch die Vermittlung Nicolinis, des Geliebten  ihrer Mutter aus Junin, eine ständige Radiosendung,  in der sie berühmte Frauen darstellen soll. Die Begegnung Evitas mit dem neuen Arbeits- und Kriegsminister Peron war die Folge einer Wohltätigkeitsveranstaltung, die die Regierung am 22.1.1943 für die Opfer des Erdbebens von San Juan veranstalte. Obwohl Evita zu dieser Veranstaltung gar nicht eingeladen war, gelang es ihr, sich Zugang zu verschaffen  und Peron kennen zu lernen.

Peron war zu diesem Zeitpunkt 48 Jahre alt, seit 4 Jahren Witwer und der Geliebte einer minderjährigen rachitischen  Schönheit. Er wirkte wie ein Bild von einem Mann, wie ein Stier, war aber in Wahrheit „ein Ochse“, hatte ein gewinnendes Auftreten  und soziale Reformvorstellungen. Väterlicherseits entstammte er einer guten Familie  sein Großvater war Arzt und Senator gewesen, sein Vater jedoch entwickelte sich zu einem erfolglosen Estanziero in Patagonien und war mit einer Kreolin ( die in Wahrheit eine Indio war)zuerst liiert und dann verheiratet. Unter den Dumpfbacken der argentinischen Armee machte aber sogar der mäßig begabte Peron eine passable Figur, stieg schnell auf und wurde als Militärattaché  nach Europa entsandt, wo er den italienischen Faschismus und Mussolini bewundert.  Nach Argentinien zurückgekehrt, schließt er sich der Reformgruppe GOU an, ist am Putsch des Jahres 1943 beteiligt und wird Arbeits- und Informationsminister.

Peron war ein unsinnlicher Mann, der nur für die Politik leben wollte und der eine Frau suchte, die treu und nützlich war: obwohl es attraktivere (aber anstrengendere und riskantere) Optionen gab, entschied er sich für eine Affäre mit der Radiosprecherin, die bald publik wurde. Evita wird nun Teil der Öffentlichkeit und begann ihre Erscheinung, beraten durch ihren schwulen Frisör Hugo  del Caril zu verändern. Sie blondierte sich die Haare, entwickelt den Haarknoten und die perfekten schwarzen Kleider, was alles zusammen ihr Aussehen total verändert. Aus der unattraktiven Brünetten war eine blonde Madonna geworden, die sich trotzdem bei ihren Radiosendungen als fähig erwies, die Sprache der armen Leute zu sprechen. (In dieser Phase Episode der Ohrfeige durch eine etablierte und bessere Schauspielerin, die deswegen später nach Mexiko emigrieren musste)

4 – ANERKENNUNG Gleich nach dem Beginn ihrer Affäre mit Peron sorgt Evita für die Ausbootung der Hauptdarstellerin des Filmes „Die Verschwenderin“, indem Peron der Filmgesellschaft den Entzug der Zelluloidlieferung androht. In dem Film ist ihre spätere Rolle als „La Senora“, die Mutter der Armen, vorweggenommen. Sodann schildert die Autorin reichlich Spekulatives zur Verbindung der Nazis nach Argentinien, u.a. mit schweren Fehlern (S. 123Canaris) und der Behauptung, zwei U Boote hätten gewaltige Geldmengen nach Argentinien gebracht und zugunsten untergetauchter Nazis unter dem Namen Peron bei einer Bank eingelagert. Gesichert ist allerdings die starke Sympathie Perons für Deutschland, die Freundschaft der Perons mit Nazideutschen in Argentinien und deren Unterstützung bei der zunehmend aufwendigeren Lebenshaltung und den anstehenden Wahlkämpfen.

Der Durchbruch Perons zur Alleinherrschaft begann mit einer Krise des Jahres 1945, die seinen Sturz einzuleiten schien. Peron hatte die Löhne erhöht, die Mieten gesenkt, Arbeitsgerichte und Sozialgesetze geschaffen, was den Offizieren zu weit ging. Auch die Liberalen, Oligarchen, Kommunisten und Sozialisten begannen als Vertreter der Opposition gegen das autoritäre Militärregime zu protestieren. (September 1943 200.000 Menschen „Marsch für die Freiheit“ – Trauermarsch der Studenten für einen von den militanten Peronisten erschossenen Studenten ) Als Evita in dieser Situation Nicolini, den ehemaligen Geliebten ihrer Mutter, zum Direktor des Post- und Fernmeldewesens berufen lässt, verwahren sich die Mitoffiziere gegen den Einfluss Evitas und sorgen – als Peron die Besetzung des vakanten Postens mit einer anderen Person ablehnt – für seine Entlassung durch Präsident Farell. (8.10.1945 – Perons 50. Geburtstag) Vor seiner Absetzung führte Peron noch den Mindestlohn ein, der den Kleinbauern enorm schadete. Nach einer aufrüttelnden und rebellischen Rede vor Arbeitern flieht er auf die Inseln des Tigre Deltas, während Evita in Buenos Aires zurückbleibt und bei einer Fahrt durch die Stadt, wo sie von Studenten erkannt wurde, verprügelt wird. Die Polizei findet Peron im Delta und nimmt ihn am 12.10. fest. Ein Liebesbrief Perons aus dem Gefängnis zeigt einen resignierten Peron, der an das Aufgeben denkt (Behauptung später: Finte, um die Militärs irrezuführen).  Derweil planen die Gewerkschaften Protestdemonstrationen und einen Generalstreik zugunsten Perons –  hier bedeutende Rolle der Gewerkschaftssekretärin Isabel Ernst, die später von Evita kaltgestellt wird. Evita selbst war nicht die Leiterin des Austandes sondern eher eine planlose Getriebene. Am 17.10.1945, dem Tag der „peronistischen Revolution“, zogen Hunderttausende aus den Vorstädten in die Innenstadt, begünstigt durch die mit ihnen sympathisierenden Polizisten (vgl.S. 164: Zwei Argentinien: das auf der Straße Demonstrierende, und das erschrocken das aus den Fenstern Schauende) . Da es heiß war, zogen die Demonstranten  ihre Hemden aus, woher sich der Name „Die Hemdlosen“ für die Peronisten herleitete (vgl. Sansculoten). Eine Abordnung der Arbeiter besucht Peron im Krankenhaus, wo er sie im Pyjama empfängt und nicht recht weiß, was er tun soll. Schließlich, von Evita angespritzt („Wenn Peron nicht aufstehen will, trete ich ihm in die Eier“) erscheint er vor Hunderttausenden auf dem Balkon des Präsidentenpalastes auf dem Plaza de Mayo und hält eine schwabbelige Rede über die Mütter, die die Massen anspricht. Am Abend des Tages ist er frei, die Generäle erkennen dass sie nichts gegen ihn ausrichten können und lassen ihn zu den anstehenden Präsidentschaftswahlen zu.

5DIE GATTIN Unmittelbar nach diesen Ereignissen, am 22.10.1945 heiraten Evita und Juan Peron, wozu Evita ihre Geburtsurkunden fälschen lässt (Unehelichkeit ausgemerzt, Alter: drei Jahre jünger ) Gleichzeitig gründet Peron eine Sammlungsbewegung (Partido Unico de la Revolution), die bald zu „Partido Peronista“ wurde. Er reist mit dem Eisenbahnwaggon auf Wahlkampf in den Norden und lässt entweder einen Doppelgänger oder Evita am Eisenbahnfenster den Massen zu winken. Seine politische Botschaft orientiert sich an der Päpstlichen Enzyklika, die Gerechtigkeit und Ausgleich fordert („Auch die Herren können gut sein“) Ein erster Redeauftritt Evitas am 4.2.1944 geht völlig schief ( vgl. Detail S. 187: die Frauen heben ihre Höschen hoch und rufen:„Wir wollen ein Kind von Peron“ ) Zwei Umstände begünstigen Peron bei dieser Wahl: die Stellungnahme der US-Botschaft für die Gegenseite und die Wahlempfehlung der Kirche. Am 24.2. siegt Peron mit 52 % der Stimmen.

Für Evita bedeutet die neue Rolle als Präsidentengattin nun, dass sie andere Freundinnen braucht und sich anders kleiden muss, wobei sie sich von ausgewählten Damen beraten lässt – Als die etablierten Damen der Oligarchie ihr den Vorsitz im Wohltätigkeitskommittee verweigerten, ließ sie es auflösen. Nicolini offeriert ihr ein Büro im Zentrum von Buenos Aires, wo Evita in einem eigenen Büro Delegationen des einfachen Volkes  empfängt und sich als effektiver Transmissionsriemen zwischen den Massen und dem Präsidenten etabliert. Sie platzt in die Sitzungen des Senates herein und sorgt über Peron dazu, dass ihr Rausschmiss zurück genommen wird, sie ist eine unermüdliche Besucherin aller nur denkbaren Veranstaltungen, Eröffnungen, Feierlichkeiten, Gedenkveranstaltungen.  Dann erfolgt am 31.5.1944 ihr erster richtiger Redeauftritt, wobei deutlich wird, dass ihre Stimme ebenso schlecht ist wie ihre Intonation, sie hatte überhaupt nichts zu sagen, aber sie merkt bald, dass die bloße Wiederholung (Peron, Perooon ) von Schlagworten genügte. Wenn es überhaupt eine Botschaft gab, dann die: „Ihr müsst wollen, ihr müsst fordern, ihr habe ein Recht auf Reichtum.“  Parallel zu diesen Aktivitäten betätigt  sich Evita als unermüdliche Schmuckeinkäuferin und  Zusammenrafferin  von Reichtümern aller Art, wobei ihr ihre fette Mutter, die inzwischen nach Buenos Aires gekommen ist, nicht nachsteht. Als die Presse ihre Anfeindungen gegen Evita nicht aufgibt (Fahrstuhl-Witz mit der Hure und dem General), gründet Peron eine eigene Zeitung, die „Democrazia“, die wegen Evita-Bildern sich gut verkauft. Unglaublicher Anklang der Präsidentengattin bei den Unterschichtenfrauen, die ihr vor der Abreise nach Europa raten, die Haare als Haarknoten zu tragen.

6 – BOTSCHAFTERIN Nach dem zweiten Weltkrieg war Argentinien im Vergleich zum abgebrannten  Europa ein so reiches Land, dass eine lateinamerikanische Alternative zum  US-Marshallplan diskutiert wurde. Jedenfalls vergab Argentinien an Spanien und Frankreich üppige Kredite, damit Getreide und Fleisch eingeführt werden konnten. In diesem Zusammenhang ist die Rundreise Evita Perons zu sehen, die zwischen Juni und August 1947 Spanien, Italien, die Schweiz und Frankreich bereist. (Peron konnte außerdem die Einladung Francos, der als „Faschist“ geächtet war, nicht annehmen). Nachdem sie Hunderttausende Arbeiter am Flughafen verabschiedet haben, empfängt sie Franco samt Gattin und Tochter. Sie absolviert ein Besichtigungsprogramm, besteht aber immer darauf auch die Elendsviertel zu sehen (Granada Besuch –  der Kissenabdruck und das schwerere Gehirn der Königin Isabella). In Rom kommt es zu einer Zwanzigminuten Audienz mit Pius XII, was sie in der Schweiz will, bleibt schleierhaft (Autorin munkelt über Nazi Millionen). Frankreich empfängt sie mit einem Nacktbild auf der Titelseite von „France Soir“ ( Die argentinische Oligarchenfamilie Bemberg muss das später bitter büßen), wieder besucht sie die Elendsviertel, vergisst aber auch schon mal die Elenden wegen einer Modenschau, Proteste der Kommunisten bleiben ohne Effekt, Begeisterung der Massen, Reden über das Frauenstimmrecht und das Verbot der Scheidung, Gespräch mit dem späteren Johannes XIII, der sie zu vollem karitativen Einsatz ermahnt, üppiges Treffen mit Onassis, der argentinischer Staatsbürger ist. Peinliche Unkenntnis („Was ist ihr Lieblingsautor? Plutarch. Haben sie ihn gelesen? Nein“) Museen interessieren sie nicht. Der Louvre wird nicht besucht. In Paris fliegen Tomaten auf sie nieder – Essen mit dem Staatspräsidenten, England winkt ab. Triumphale Heimkehr, weil in Buenos Aires über jeden Schritt Evitas in Europa berichtet worden war.

7 – STIFTUNGSGRÜNDUNG Nach ihrer Rückkehr verfestigt sich ihre Frisur (ewiger Haarknoten) und der Autoritarismus. Gründung einer Stiftung „Eva Peron“, die wie ein Füllhorn die Ressourcen des Landes im Habitus der Mildtätigkeit ausschüttet. September 47: Erlass des Frauenwahlrechtes, das aber schon vor Peron geplant worden war, Verhaftung der ersten widerspenstigen Gewerkschafter (Cirpirano Reyes, der in eine Verschwörungsfalle hineintappt)  die u.a. bis zum Sturz Perons im Gefängnis bleiben (Bei der Diskussion über die Bestrafung schmeißt Evita Perons Hut aus dem Fenster) Geheime Wiedereinführung der Folter, die 1813 in Argentinien ebenso wie der Stierkampf verboten worden war. Verstaatlichung der Telefongesellschaft, Frauen, die sich weigerten der Pertido Peronistata  beizutreten, werden inhaftiert und gefoltert (S. 286). Tageszeitungen werden behindert, indem man ihre Papierkontingente  kürzt – das Radio muss bei den Nachrichten immer mindestens 5 Minuten (natürlich positiv) über Peron berichten, Borges verliert seine Stelle als Bibliothekar uns soll Geflügelkontrolleur in Buenos Aires werden was er ablehnt (Borges über Peron: „Natürlich ist er sympathisch, wäre der Teufel nicht sympathisch, wäre er nicht der Teufel“). Bald werden die ersten Zeitungen ( La Prensa) geschlossen, die Provinzzeitungen gehen ein, das Radio wird verstaatlicht , im Informationsamt arbeiten 1000 Angestellte am Lob der Perons, Luxuswaren werden nun zentral importiert und an die Günstlinge des Regimes verteilt, Herstellung von Abertausenden von Anstecknadeln und Aschenbechern, Feuerzeugen und Notizbüchern mit dem Konterfei des Präsidentenpaares. Im Kino wurde ein Vorprogramm für Künstler eingeführt, das von regimetreuen Künstlern gestaltet wurde. 50 % der Musik musste argentinisch sein. Evitas lässt den Chef des Obersten Gerichtshofes feuern, weil er ihr zumutete, neben seiner eigenen Gattin Platz zu nehmen, Besetzung des Obersten Gerichtes mit ihren Günstlingen – all diesen Schattenseiten aber stehen auch Wohltaten gegenüber, deren Merkmal aber ist, dass sie nicht als Rechte sondern als Geschenke von einer Frau gewährt werden, die diese Geschenke andere bezahlen lässt. Entstehung von Riesenwarenlagern, in denen Evita genau die Geschenke für das Volk anhäufte (Nähmaschinen, falsche Zähne, Puppen, Fußbälle, etc) , die die Bittsteller von ihr verlangten, Gleichstellung der ehelichen und unehelichen Kinder (Streichen dieses Faktums von der Geburtsurkunde) Gründung von Altenheimen, Kinderdörfern, Schulen für Krankschwestern, die über das Land fahren und die Leute kostenfrei behandeln müssen, Fußballwettbewerbe „Evita“ für die Kleinen, die vor Tausenden um Stipendien spielen, Einrichtung von Altersversorgungen,  Neubau von Krankenhäusern mit nur 3Bett-Zimmern, Enteignung von Großgrundbesitzern und dafür Einrichtung öffentlicher Parks (S. 305), Ausbau und Neugründung von Gewerkschaften ( Dienstmädchengewerkschaft) Unerwartete Besuche Evitas überall im Land. Jeden Tag erhielt sie 1200 Briefe, die sie mit einem ganzen Stab bearbeitet, dann empfing sie endlose Besucherkohorten (vgl. S. 313),  dabei ist sie nachsichtig gegenüber Schmarotzern, küsst Kranke und Stinkende und muss regelmäßig  abgepudert werden. Finanziert werden die Ausgaben durch die Devisenreserven, durch erpresste Abgaben oder Beraubung von Begüterten, ( Impfstoffe, Bonbonkampagne ), aber auch durch die Abgaben der Arbeiter, die einen Teil ihre Lohnerhöhungen an die Partei abgeben müssen – bei Protesten der Arbeiter und bei Streiks  erscheint Evita selbst vor Ort und liest den Arbeitern die Leviten. Wenn das Geld auf ihrem Schreibtisch bei ihren Audienzen alle ist, müssen die Umstehenden „Krawattenträger“ ihre Geldbörsen öffnen (die kommen deswegen mit leeren Geldbörsen zum Dienst)

8 – VERZICHT   Peron bleibt hinter allem die entrückte, zögerliche, väterliche Figur im Hintergrund, der gerne seine Hosen selber bügelt, Mayonnaise sehr gut schlagen kann und der es liebt, seine Schuhe mit einer bestimmten Technik blitzblank zu putzen. Seine Mutter, die sich nach dem Tod des Vaters mit einem jüngeren Mann wieder verheiratet hatte, will er nicht sehen, ebenso wenig seinen Bruder. So sympathische Züge Peron zeigen konnte, so war er doch habsüchtig und lolitaaffin, so dass die eigentliche Ehe der beiden bald faktisch nicht mehr existierte. Im Grund ging Peron Evitas Gehabe auf den Wecker, aber er ließ sie zu seinem Nutzen gewähren. Ihren Vorschlag eines reinen „Frauensenats“ tat er als Quark ab, immerhin erlaubte er die Gründung einer innerperonistischen Frauenorganisation. Evitas Krebserkrankung wollte er zunächst nicht wahrhaben, er drängte sie auch nicht, sich operieren zu lassen, am Krankenbett besuchte er sie mit einer Gesichtsmaske gegen den Geruch.

Als Anfang 1950 anlässlich einer Blinddarmoperation Unterleibskrebs festgestellt wurde und der zuständige Minister dies Peron mitteilt, schlug Evita dem Minister mit der Handtasche ins Gesicht und weigerte sich, sich sofort behandeln zu lassen. Innenpolitisch wurden diese Jahre 1950/1 auch durch Den Streit um eine Verfassungsänderung geprägt, die es Peron ermöglichte, doch noch einmal als Präsident anzutreten, wozu er sich nach langem Herumheucheln schließlich überreden ließ.   In einem öffentlichen Schmierentheater, in dem am 22.8.1951 Perons Kandidatur bekannt gegeben wurde, forderten Hunderttausende Evita zur Vizepräsidentschaft auf, was sie ablehnt, weil sie merkt, dass Peron das nicht will. Die kurz darauf abgehaltenen Wahlen führen aufgrund des Frauenstimmrechts zu einem triumphalen Wahlsieg Perons. Als Peron am 3.11.1951 mit dem offenen Wagen zur Amtseinführung fuhr, war Evita nur noch Haut und Knochen, doch man hatte ihr eine Gipsstütze gebastelt, damit sie neben ihrem Mann im Wagens stehen und winken konnte. Anschließend verschwand sie aus der Öffentlichkeit, während im ganzen Land für ihre Genesung gebetet wurde. Am Ende schien sie an ihrem Krankbett immer einsamer zu werden, und als sie in ihrer Todesangst  Peron einmal nachts in seinen extra weit abgelegenen Schlafzimmer aufsuchte, schrie der laut um Hilfe. Am 26. 7. 1952 starb sie, nicht ohne vorher noch Tausende von Handfeuerwaffen und Maschinengewehren in den Niederlanden eingekauft zu haben, mit dem Peron in der Stunde der Gefahr das Volk bewaffnen sollte. Bei ihrem Tod (Jubel bei der Oligarchie, Weinen bei den Dienstboten) -kam es zu organisierten Trauerexzessen, in deren Verlauf  Menschen, die weder das schwarze Abzeichen noch die schwarze Trauerkrawatte tragen wollten, ihre Stellung verloren oder Verhaftung und Folter riskierten. Ihren Nachlass hatte Evita dem „Volk“ vermacht ( später sollte die raffgierige Mutter darum prozessieren), ihre Testament („Meine Botschaft“) wurde nie ganz verlesen.

Derweil stand die zweite Amtszeit des Präsidenten unter keinem guten Stern. Die Inflation begann zu galoppieren, es kam zur Entfremdung mit den Militärs und den Linken der eigenen Bewegung (Zehntausende weißer Stimmzettel bei letzten Wahl 1951) . Auch der Kontakt zu den Massen bricht mangels Evita ab – Peron, der sich an ihrem Schreibtisch ablichten ließ, wirkte wie eine Karikatur seiner selbst. Der Tod von Evitas kriminellem Bruder Juan Duarte offenbarte das ganze Ausmaß von Korruption, das sich inzwischen breit gemacht hatte. Nachdem die Devisenreserven verschleudert waren, warf Peron das Ruder herum und buhlte um ausländische Investitionen, was viele seiner Anhänger irritierte. Sein Ansehen sank rapide aufgrund seiner Liebschaft  zu einer 13jährigen Lolita, die im Palst mit Evitas Kleidern herumstolzierte. Das bisher durch Pater Benitez so gut vermittelte  Verhältnis zur Katholischen Kirche verschlechterte sich, als Peron, der schon die Scheidung legalisierte hatte, nun auch noch die Prostitution erlaubte und den Religionsunterricht in den Schulen abschaffte. Katholische Prozessionen werden von Peronschlägertruppen gesprengt, die Jockey Clubs der Oligarchie werden gestürmt und verwüstet, bald antwortet auch die Opposition mit Gegenterror. Schließlich wird Peron am 16.6.1955 von Pius XII offizielle exkommuniziert.  Ein Militärputsch gegen Peron am gleichen Tag scheitert, obwohl die Putschisten mit Kampflugzeugen den Präsidentenpalast  angreifen und Hunderte von Zivilisten töten. Erst der zweite Putsch am 16.9.1955 hatte Erfolg, Peron weigerte sich zu kämpfen, floh  sofort und befahl erst den Widerstand, als er sich in Sicherheit  befand.  Seitdem wuchert der Peronismus wie eine Krankheit in Argentinien, besonders in Gestalt des Linksperonismus und der terroristischen Montoneros ( Verteilung von Suppen in den Armenvierteln) destabilisiert er das Land – vernichtet wurde er erst durch die Militärdiktatur ab 1976.

DIE ODYSSEE EINES LEICHNAMS  Da Peron den Leichnam seiner Gattin politisch nutzen wollte, beauftragte er den Konservator Pedro Ara mit der Einbalsamierung, an der dieser drei Jahre ununterbrochen arbeite. Da Ara Angst vor einer Schändung seines Werkes hatte, ließ er drei Wachskopien anfertigen, die später für viel Verwirrung sorgen sollten (eine tauchte in Bonn auf). Der echte Leichnam wurde von den Militärs nach dem Putsch so gut es ging  vor den Peronisten versteckt (Diese sollten später Expräsident Umburu auf der Suche nach Evitas Leichnam ermorden). So lag der perfekt einbalsamierte Leichnam Evitas hinter einer Kinoleinwand, in einem Militärtransporter, schließlich in der Wohnung eines durchgeknallten Offiziers, der durchdrehte und seine Frau umbrachte, als die den Leichnam entdeckte. 1957 wurde Evita schließlich inkognito nach Italien verschifft, wo sie auf einem Friedhof in Mailand 14 Jahre lang unter falschem Namen ruhte, Dann ließ Ex-Diktator Peron sie in sein Exil nach Madrid überführen (zahlreiche Misshandlungen an der einbalsamierten Leiche wurde gefunden). Perons dritte Frau Isabel musste sich im ehelichen Schlafzimmer neben dem einbalsamierten Leichnam Evitas ausstrecken, damit sich ihre Seele auf Isabel übertrug, was allerdings misslang.  Erst zwei Jahre nach Perons Tod 1974 fand Evita, inzwischen nach Argentinien überführt,  im Jahre 1976 ihre letzte Ruhestätte:  sie wurde auf den Friedhof La Recoleta in der Familiengruft der Arrietas (Familie von Elisa Duartes Mann) beigesetzt und ruht dort in einer Meter tiefen Gruft.  Auch Juan Domingo Peron entging  den Reliquienjägern nicht: 1987 brachen Diebe in sein Mausoleum ein und trennten die Hände vom Leichnam ab („Mir sollen die Hände abfallen, wenn ich jemals mit den Gringos paktiere“). 50 000 Menschen protestierten im Zentrum von Buenos Aires gegen diese Vandalen; die Hände sind bis heute verschwunden.

Kommentar zum Peronismus : Überblickt man die Geschichte Argentiniens im 20. Jhdt. hat man das das Gefühl, das Volk sei vom Wahnsinn befallen worden.  In den durch und durch mediokren Figuren Juan und Eva Perons verfiel ein Volk in ein Delirium an Selbstbetrug, Bereicherung, Fanatismus und Raserei, wobei kaum etwas mehr erstaunte, als die Differenz zwischen der Erregung der Millionen und der Durchschnittlichkeit der Hauptfiguren, an denen sich diese Erregung abarbeitete. Wie Borges vermerkte, war nichts echt an Juan und Eva Perons Massenwirksamkeit, sie waren Schattenfiguren, die nach einer ihnen selbst nicht einsichtigen Regie einen kollektiven Totentanz tanzten, an dessen Ende das Land ruinirt war. Abschreckend war die Pöbelhaftigkeit der handelnden Figuren, versöhnlich stimmte zeitweise, dass es in guten Zeiten ein „lachender Faschismus“ war, was aber über die zunehmende Brutalität des Regimes in seiner Endphase nicht hinwegtäuschen darf. Als besonders verhängnisvoll erwies sich, dass Evitas Credo: „Ihr müsst fordern, ihr habt ein Recht auf Reichtum!“ bei den unteren Schichten eine Kompromisslosigkeit und Terrorbereitschaft erzeugte, die – zusammen mit einer ähnlichen Reaktion auf Seiten der Oligarchie  – einen nationalen Ausgleich bis heute verhindert hat.

Kommentar zum Buch: Eine lohnende Einführung in die argentinische Mentalität mit zahlreichen interessanten Einzelheiten zu Geschichte und Literatur des Landes, z. T. sehr detailliert dargestellt, wenngleich nicht ohne Fehler.  Was die begleitende Schilderung der Zeitumstände betrifft, wird das Buch allerding am Ende immer lückenhafter, so dass man für ein wirkliches Verständnis der Abläufe andere Quellen heranziehen muss. Auch die Einstellung der Autorin gegenüber ihrem Gegenstand schwankt zwischen Verurteilung und Anerkennung. („Größe ist eine Eigenschaft, die Schäbigkeit nicht ausschließt“ S. 433)

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