T.C. Boyle: Drop City

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Wie wäre es mit  einem Roman, am besten im Vorfeld der Reise zu lesen, damit man sich klar macht, was Alaska vom Rest der Vereingiten Staaten ( den „Lower 48“) unterscheidet? Was also geht ab in Drop City?

Norm Sender, ein durch Erbschaft betuchter aber ausgeflippter Enddreißiger ist der Gründer von „Drop City“, einer  Kommune in Kalifornien,  in der alle ihre Lebensmittelmarken von der Wohlfahrt zusammenlegen, rumhängen, diskutieren, vögeln und kiffen. Kein Wunder, dass junge Leute aus dem ganzen Land herbeigereist kommen, um sich die Kommune anzusehen,   manche nur  kurz, um sich durchzufuttern, andere aber bleiben. Auch Ronnie und Star erscheinen am Ende einer monatelangen Vagabundage im Hippiezentrum – er ein selbstverliebter Egomane, der am liebsten mit jeder neuen Frau im Camp erst mal eine Nummer schiebt, seine Begleiterin Star dagegen eine  junge Frau, die schnell merkt, dass das Herumgefiffe und Rudelbummsen auf Dauer auch nicht das Wahre ist. Marco, der die Schule geschmissen hat und in der Nachfolge von John Steinbecks „Tortilla Flat“ durch die Staaten reist, verkörpert den eher den Typ des arbeitswilligen Aussteigers, der überall anfasst, wo  Not am Mann ist –  schnell tut er sich mit der schönen Star zusammen,  was  ärgerlich für Ronnie ist, denn die übrigen Bräute von Drop City sind so gar nicht sein Fall „weder vom Charakter noch von der Figur her, das waren Angehörige der humorlosen Schule: Kampfparolengesänge früh, mittags und abends, behaarte Beine, säuerlicher Geruch, maulfaul wie die Fische, es sei denn, das Thema Emanzipation kam aufs Tapet.“ So weit, so bedenklich. Wer aber hängt noch rum in Drop City? Zum Beispiel  Franklin, Lester und Sky Dog, drei Halbkriminelle, die sich wie Aussatz an die Kommune hängen, mitfuttern, schnorren und vergewaltigen. Zum Rollenzirkus von Drop City aber zählen auch noch Alfredo, der Vizeboss, seine drahtige Frau Reha und ihre beiden zugekoksten Kinder, Lydia, Merryl, Mendocino Bill  und viele andere, die ihre permanente Nähe eigentlich nur durch eine Dauerdröhnung Dope ertragen können.

Es kommt wie es kommen muss – eines Tages erscheinen die Planierraupen der Nachbargemeine und machen das zugeschissene Camp dem Erdboden gleich. Der Traum von Drop City scheint ausgeträumt, hätte nicht Norm Sender in Alaska, drei oder vier Stunden von Fairbanks entfernt, ein Grundstück am Thirtymile-River geerbt, ein Refugium im Norden, in dem „Drop City North“ entstehen soll. Gesagt, geplant, getan.  Als „vereinigte Washo-Schamanen“ macht man sich auf den Weg, durchquert Britisch Columbia und Yukon ehe man in Boyton im hohen Norden den letzten Ort vor der Wildnis erreicht. Hier treffen die Kommunarden natürlich auf einen gänzlich anderen Menschenschlag, so anders, dass man meinen könnte, es handele sich um eine eigene Spezies – auf den aufrechten Sess Harder, einen Fallensteller und Jäger, der gerade die wunderbare Pam geheiratet hat, eine Frau aus Anchorage, die vor der absehbaren Katastrophe der urbanen Zivilisation in die Wildnis floh, auf den Ex-Marine Joe Bosky, den Drecksack vom Dienst, der mit Sess Harder in einer herzlichen Todfeindschaft verbunden ist und jede Menge  anderer Alaska-Käuze.

Zunächst aber scheint das Leben der Kommune seinen gewohnten Gang zu gehen: es wird gebechert und gekifft wie immer, gearbeitet wird nur von wenigen, aber das macht ja nichts, weil der Winter noch weit ist. Ronnie schießt hier und da ein Wild, Marco repariert, bastelt, und die zahlreichen Frauen des Camps organisieren wenigstens die Mahlzeiten  inmitten „der vielen Leute die überall verstreut herumlagen wie Gepäckstücke. Sie spielten  Karten, meckerten über das Wetter, kifften sich voll und verwandelten das Haus in ein Dreckloch.“.  Aber der Winter kommt,  der Thirtymile River friert zu, die Hüten sind nicht richtig isoliert  das Essen  reicht nicht und sogar der Dope droht zur Neige zu gehen. Ronnie, der Geld veruntreut hat, wird aus der Kommune ausgeschlossen, Marco und Star schließen sich dem Waldläuferehepaar Sess und Pam an, während nach der Fahnenflucht von Norm Sender  Drop City  auseinander bricht.

Das Buch endet abrupt nach einem etwas spektakulär herausgeputzten Showdown zwischen dem guten Waldläufer Sess und dem bösen Bosky, doch nach dem Happyend in der verschneiten Wildnis weiß man nicht recht:  Was ist die Moral von der Geschicht? Der Autor selbst gibt dem Leser keinerlei Wertungshinweise, er springt wie in all seinen Werken als allwissender Erzähler von einer Innenwelt  die nächste, was für den Leser auf Dauer recht beschwerlich ist. Geht es um das Portrait einer Hippie-Kommune? Dann ist die Parallelgeschichte von Sess Harder überflüssig. Geht es um die Suche nach neuen Lebensformen, um die Möglichkeiten jenseits der Städte nur aus der   Natur zu leben? Dann musste es ja nicht gerade Alaska sein. Um psychologische Charakterstudien geht es ganz bestimmt nicht, dazu sind die Figuren wie immer bei T.C. Boyle viel zu grobkörnig gezeichnet. Worum also handelt es sich bei dem vorliegenden Buch? Um einen flott geschriebenen und gut lesbaren Schmöker, in dem der Autor verschiedene Themen und Figuren nach einem Rezept vermischt hat das sein Geheimnis bleibt. Dabei ist ein Menü  entstanden, das man durchaus genießen kann, und das ist doch auch schon eine ganze Menge.  

 

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