Nur auf der Speisekarte begegnen sich die Kulturen

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Das malaysische Dilemma in Kuala Lumpur

Wo ist das höchste Gebäude der Welt am höchsten? Auf seinem Dach? Am obersten Punkt seines angebauten Dachaufsatzes oder sogar erst an der Spitze seiner Antenne? Diese Fragen, die eher zweitrangig erscheinen könnten, haben in den letzten Jahren für Wirbel gesorgt, denn von ihrer Beantwortung hängt es ab, welche Stadt von sich behaupten kann, das höchste Gebäude der Welt zu besitzen.

Alles war noch ganz einfach, als die Superlative aller drei Kategorien im 420 Meter hohen World Trade Center zusammenfielen. Dann aber wurde der Sears Tower in Chicago gebaut, der den New Yorker Giganten mit einer Dachhöhe von 443 Metern um 23 Meter überragte. Nun begann man plötzlich, die Gesamthöhe des World Trade Center neu zu berechnen, und da man die Spitzen der beiden Antennen zu der bisherigen Gesamthöhe addierte, blieb der Titel des höchsten Gebäudes der Erde weiter am Hudson. Dann aber, als 1997 mit großem Aplomp die beiden gigantischen Petronas Towers in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur fertig gestellt wurden, schien die Rivalität von New York und Chicago der Vergangenheit anzugehören. Mitten im asiatischen Wirtschaftsboom der neunziger Jahre sollte der knapp 452 Meter hohe Gebäudekomplex nicht nur das unbestritten höchste Gebäude der Erde, sondern auch ein unübersehbares Zeichen dafür sein, dass die asiatischen Zivilisationen endgültig aus dem Schatten des Westens herausgetreten waren – mit Malaysia gleichsam als Schrittmacher.

Ganz ohne Trick funktionierte die Rekordjagd allerdings auch in Kuala Lumpur nicht. Da das Dach der Petronas Towers noch immer niedriger lag als das Dach des Sears Tower waren zwei 63 Meter hohe Masten aufgesetzt worden, von denen die Stadtväter behaupteten, es handele sich nicht um Antennen, sondern um stilisierte islamische Minarette. Nun geht es der Welt mit ihrem höchsten Gebäude ein wenig wie mit dem Weltmeistertitel im Schwergewichtsboxen: Es gibt drei davon.

Bald nach der Fertigstellung der Petronas Towers aber brach die Asien-Krise über Malaysia herein. Der malaysische Ringgit erlebte seine schwärzeste Stunde, die Börsenkurse brachen ein, und wahrscheinlich haben nur die flugs eingeführten Kontrollen des Kapitalverkehrs einen vollständigen Kollaps der aufgeblähten Ökonomie verhindert. Wie in ganz Südostasien gerieten auch in Kuala Lumpur die Bauprojekte ins Stocken: Die großen Entwürfe, die die Konturen der Zukunft gleichsam in die Gegenwart hineinzwingen wollten, entpuppten sich plötzlich nicht nur als fantastische Träume, sondern als Karikaturen eines staatlichen Gigantomanismus, der dabei war, die wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen des Landes gänzlich aus dem Auge zu verlieren. „Nun besitzen wir zwar das höchste Gebäude der Welt“, höhnte die Opposition, „doch unsere Währung ist nicht mehr frei konvertierbar.“

Mehr noch als die Petronas Towers repräsentiert der „Kuala Lumpur International Airport“ die hoch gespannten Ambitionen des modernen Malaysia. Denn weil sich lange vor der Asien-Krise nahezu alle maßgeblichen Auguren in Ost und West darüber einig waren, dass das einundzwanzigste Jahrhundert ein asiatisches Jahrhundert werden würde, ließ Premierminister Mohammed Mahatir knapp fünfzig Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt entfernt für acht Milliarden Dollar einen derart überdimensionierten Flughafen errichten, als sollte der Luftverkehr ganz Südostasiens hier abgewickelt werden. Shopping Malls, Glasaufzüge, automatisch verkehrende Shuttlezüge zwischen den weit auseinander liegenden Terminals und ein verschwenderisch gestaltetes Angebot an Abfertigungsschaltern sollten die europäischen und amerikanischen Konkurrenten in den Schatten stellen. Hoch wachsen nun die künstlichen Palmen in den kathedralenartigen Hallen, überall wienern ganze Regimenter von Reinigungskräften Böden, Wände und Fenster, doch weil sich auch nach dem Ende der Asien-Krise das hinreichende Flugaufkommen nicht einstellen will, wirkt die Gesamtanlage auf den Besucher, als hätte Gulliver im Land der Zwerge gebaut. Selbst die Taxifahrer, die über einen derart weit abgelegenen und verkehrstechnisch ungünstig angebundenen Flughafen eigentlich dankbar sein sollten, schütteln die Köpfe über das neueste Werk ihres ehrgeizigen Chefministers. Die Anfahrt von der Stadt bis zum Flughafen ist zwar recht lange – noch viel länger aber sind die Wartezeiten auf Passagiere für die Rückfahrt. „Was macht ein Taxifahrer in Kuala Lumpur, wenn ihn ein Tourist auffordert, eine absolut ungünstige Tour zu übernehmen?“, lautet deswegen eine unter den Ausländern der Stadt gern erzählte Anekdote. Die Antwort: „Wenn der Taxifahrer ein Inder ist, erzählt er seinem Kunden, das Ziel sei geschlossen, abgebrannt oder die Betreiber hätten ihren Laden dicht gemacht. Der Malaie, weniger findig, aber ehrlicher, schüttelt traurig den Kopf, steigt in seinen Wagen und fährt ohne ein weiteres Wort einfach davon. Nur der chinesische Taxifahrer übernimmt die Fuhre – allerdings ohne seine schlechte Laune über die ungünstige Fahrt auch nur eine Sekunde zu kaschieren.“

Diese kleine Geschichte enthält übrigens mehr Wahrheit über Kuala Lumpur, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Zunächst sind die Taxifahrer von Kuala Lumpur, ganz gleich ob Malaien, Inder oder Chinesen, natürlich darüber erbost, dass sie in einer Stadt, die sich rühmt, das höchste Gebäude der Erde zu besitzen, zu staatlich verordneten Tarifen fahren müssen, für die kaum ein Rikschafahrer in Neu-Delhi in die Pedale treten würde. Sodann aber bringen die unterschiedlichen Antworten die landläufigen Stereotypen über die drei großen Ethnien Kuala Lumpurs auf eine zugespitzte Pointe: Die Inder sind schlitzohrig, die Malaien gemütlich und genussfreudig und die Chinesen unfreundliche Arbeitstiere. Dass sich diese überzeichneten Wesenszüge im Miteinander auf der malaiischen Halbinsel zum Positiven ausgleichen könnten, hat schon Sommerset Maugham vergebens gehofft – in der Wirklichkeit funktioniert das multikulturelle Nebeneinander in Kuala Lumpur nur auf der Speisekarte der besseren Restaurants, auf denen man einträchtig nebeneinander Aste Adam, Peking-Ente und Thai-Food findet.

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Diese kulinarische und ethnische Vielfalt samt der damit verbundenen Probleme ist das Produkt einer wechselvollen, wenngleich kurzen Geschichte, die in Kuala Lumpur noch nicht einmal einhundertfünfzig Jahre zurückreicht. Denn wie Johannesburg oder Dawson City ist auch diese Stadt ein Produkt von jenen Zufällen, die die Plätze im Nirgendwo in Hauptstädte und Metropolen verwandeln. In diesem Fall stand eine zerlumpte Horde von Glücksuchern und Abenteurern, die 1857 in den Mangrovensümpfen des Sungai Klang nach Zinnvorkommen suchte, Pate. Von den 87 Expeditionsmitgliedern war nur ein einziger ein Malaie, alle anderen waren Chinesen, die als Einwanderer ins Land gekommen und fest entschlossen waren, in ihrer neuen Wahlheimat jede Chance zu Reichtum und Fortkommen zu nutzen. Und sie wurden fündig. Nachdem man am Zusammenfluss von Sungai Klang und Sungai Gombak wegen des geringen Wasserstandes zu Fuß hatte weiterziehen müssen, wurden im Umkreis der heutigen Vorstädte Kuala Lumpurs in nur zwei bis drei Metern Tiefe ergiebige Erzfelder entdeckt, mit deren Ausbeutung man auf der Stelle begann. So entstand an der Stelle, an der die Männer die Boote verlassen hatten, der Ort, dessen Name nichts anderes bedeutet als „sumpfige Flussmündung“.

Sehr viel anders als im Klondike-Territorium oder im Umkreis von Johannesburg wird es nach der Entdeckung der Bodenschätze auch im frisch gegründeten Kuala Lumpur nicht zugegangen sein – nur dass hier die chinesischen Akteure nicht als Statisten, Köche oder Eisenbahnarbeiter, sondern als Hauptdarsteller mit von der Partie waren. Der ehemalige Minenarbeiter Yah Ap Loy, genannt „Captain China“, bestimmte als eine Mischung aus Al Capone und dem „König von Kalifornien“ John Sutter die erste stürmische Etappe der Stadtgeschichte. Bretterbuden und Salons, Opiumhöhlen, Bordelle, Gefängnisse und Lagerhäuser waren Schauplatz für Moritaten und Bandenkriege, die erst mit dem Einzug der Briten ihr Ende finden. Diese hatten, angelockt durch die Zinnvorkommen auf der malaiischen Halbinsel, von ihren Niederlassungen in Penang und Melakka aus damit begonnen, die etwa ein Dutzend mohammedanischen Sultanate in dieser Region unter ihre Kontrolle zu bringen. 1895 erzwangen sie mit Waffengewalt die erste Föderation der malaiischen Kleinstaatenwelt und bestimmten das zentral gelegene Kuala Lumpur zum Verwaltungszentrum ihres neuen Protektorats. Während das Hofleben der mohammedanischen Sultane weiterging, als habe sich nichts geändert, kamen Inder und vor allem Chinesen zu Hunderttausenden in das Land. Bald gerieten gegenüber den händelsüchtigen, anstelligen und extrem arbeitswilligen Einwanderern aus dem Land der Mitte die „Bumiputra“, die Söhne der Erde, wie sich die Malaien nennen, hoffnungslos ins Hintertreffen und wurden schließlich zu einer Minderheit auf eigenem Boden.

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Will man sich heute in Kuala Lumpur, das mit autobahnähnlichen Hauptverkehrsstraßen, englisch anmutenden weiten Rasenflächen, großen Freizeitgehegen in der unmittelbaren Nähe der Stadt und dem Gewusel der Märkte in den Seitengassen der Chinatown, das Singapur nicht unähnlich ist, ein Bild von der multikulturellen Vielfalt machen, beginnt man am besten am ältesten Platz der Stadt – dort, wo die Mitglieder der ersten chinesischen Zinnexpedition landeten. Hier steht jetzt eine indische Moschee. Sie ist gewissermaßen ein Indiz dafür, dass in einer Zeit, in der sich die Übervölkerung des indischen Mutterlandes immer beängstigender bemerkbar machte, viele Menschen ihr Glück als Lohnarbeiter, Lastenschlepper oder Kleinhändler in jedem auch nur halbwegs verlockenden Winkel des britischen Weltreiches suchten. Im Unterschied zu Mauritius oder Fidschi, wo die Einwanderer schnell zur ökonomisch und sozial maßgeblichen Bevölkerungsgruppe aufstiegen, blieben sie auf der malaiischen Halbinsel jedoch nur eine kleine Gruppe, deren Nachkommen vor allem als Textilproduzenten und Stoffhändler tätig sind. Als die Masjid Jami 1909 erbaut wurde, lag sie wie ein Duplikat der Perlenmoscheen in den großen Mogulfestungen von Agra und Delhi noch im Grünen. Inzwischen ist sie von klobigen Glaspalästen und Schnellstraßen umzingelt. Noch „indischer“ allerdings wirkt der hinduistische Sri-Mahamariamman-Tempel, dessen Ursprünge auf das Jahr 1873 zurückgehen und der in den achtziger Jahren grundlegend renoviert wurde. Die überbordende Skulpturenvielfalt auf dem Gopuram, die barocke Figur des Elefantengottes Ganesh und das Glockengeläut, das der alltäglichen Puya vorausgeht, atmen den Geist des indischen Südens, vor allem der Provinz Tamil Nadu, aus der die meisten indischen Bürger Kuala Lumpurs stammen. Wie in Trivandrum oder Rameswarn reichen die Brahmanen den Gläubigen das Prasada und wie in Madurai schwingt Lord Shiwa sein Tanzbein. Doch viele der jüngeren Tempelbesucher kennen die Städte ihrer Vorfahren nur noch vom Hörensagen.

Auch die Chinesen pflegen ihre religiösen Bindungen. Ob im schwer zugänglichen Sze-Yah-Tempel, dessen Ursprünge noch auf „Captain China“ zurückgehen sollen, im Khoon-Yam- oder im Chan-See-Shu-Yuen-Tempel – überall werden die Räucherkerzen entzündet, die Ahnen verehrt und vor den grell bemalten Götter- und Geisteridolen um Glück und Segen gebetet. Diese Gemeinsamkeit kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die unterschiedlichen Landsmannschaften aus Hokkien, Hainan oder Kanton oft auf das Heftigste verfeindet waren, bis sie seit den sechziger Jahren unter dem Druck der politischen Verhältnisse enger zusammenrückten.

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Südlich der Chinatown, gleich hinter dem Hauptbahnhof von Kuala Lumpur, wo die Züge auf ihrem Weg von Singapur nach Bangkok halten, steht die Masjid Negara, die malaiische Nationalmoschee, die schon durch ihre Ausmaße keinerlei Zweifel daran aufkommen lässt, dass es sich hier um das größte und maßgebliche Gotteshaus Kuala Lumpurs handelt. Wie ein gigantisches Wüstenzelt wölbt sich das achtzehnfach gefaltete Dach über einer Halle, die zum Freitagsgebet annähernd zehntausend Menschen Platz bieten kann. Marmorfluchten, Teiche, kunstvoll verschachtelte Ebenen und Aussichtspunkte und ein zurückhaltendes Dekor machen die Masjid Negara zu einem erholsamen Refugium abseits des Großstadtverkehrs, der nur wenige Meter entfernt auf der Jalan Raja laut vorüberbraust. Auch wenn die Zeiten, in denen die Touristen mit kurzen Hosen und bloßen Armen durch die Moschee laufen konnten, längst vergangen sind, erlebt der Besucher eine tolerante Atmosphäre fern jeder fundamentalistischen Bigotterie. Freundlich werden die Gäste am Touristeneingang begrüßt, kostenlos wird der passende Umhang für die Frauen zur Verfügung gestellt, und bei Bedarf begleitet ein malaiischer Führer die Besucher auf ihrem Rundgang durch das Gebäude.

Nur ein Jahr nach der Fertigstellung der Masjid Negara wurde am 15. August 1957 auf dem nördlich gelegenen Merdeka-Platz die Flagge der britischen Kolonialmacht eingeholt. Aus Malaya, Singapur und den Dschungelgebieten Borneos wurde „Malaysia“. Auf dem großen Rasen, auf dem britische Cricketmannschaften gespielt hatten, trainierte nun die malaysische Nationalmannschaft, am höchsten Fahnenmast der Welt wehte fortan die malaysische Fahne, und in die zahlreichen Kolonialbauten rund um den Merdeka Square zogen die Angehörigen einer neuen nachkolonialen Elite ein. Doch die Bemühungen Tunku Abdul Rahmans, des ersten Premierministers dieser fragilen Föderation, die ethnisch dreigeteilte malaiische Halbinsel, die chinesische Enklave Singapur und den britisch besetzten Teil Borneos einschließlich Bruneis zu einem Vielvölkerstaat zu vereinen, schlug fehl. Das ölreiche Sultanat Brunei trat der Föderation erst gar nicht bei, schon 1965 verließ Singapur, der Bevormundung aus Kuala Lumpur überdrüssig, den neuen Staatenverband, und am 13. Mai 1969 führten die ungelösten Spannungen zur sozialen Explosion. Malaien und Chinesen gingen sich in den Straßen Kuala Lumpurs an die Gurgel,  Mord und Totschlag regierte in den Straßen der Hauptstadt, bis die Regierung den Notstand ausrief.

Seitdem ist nichts mehr, wie es früher war. „Die Chinesen sind verstummt“, notierte Paul Theroux, der nur wenige Jahre nach den Ausschreitungen des Jahres 1969 im Hauptbahnhof von Kuala Lumpur den Zug nach Singapur bestieg, „und es wäre unvorstellbar gewesen, dass eine Gruppe von Chinesen sich im Salonwagen aufgehalten und wie die malaiischen Soldaten ,Roll Me over in the Clover‘ gesungen hätten. Ein Malaie in der dritten Klasse war privilegierter als ein Chinese.“ Die Lehren, die die politische Elite aus dem offensichtlich fehlgeschlagenen Versuch der Malaysischen Föderation zog, waren in der Tat verblüffend. Anstatt sich um eine wirkliche Integration zu bemühen, wurde von dem heutigen Premierminister Mohammed Mahatir die Theorie des „Malaian Dilemma“ entwickelt, nach der der Malaie auf Grund seiner Erziehung, seiner Umwelt und nicht zuletzt auf Grund seines noblen Charakters dem rein arbeits- und erwerbsorientierten Lebensstil des Chinesen hoffnungslos unterlegen sei. Eine so genannte „New Economic Policy“ sollte deswegen das Problem durch konsequente Privilegierung der „Bumiputra“, der Söhne der Erde, lösen. Nicht genug damit, dass Bahasa Mailaia zur einzigen Nationalsprache erklärt wurde – selbst bei chinesischen Familien, die schon ein ganzes Jahrhundert im Land lebten, entstanden plötzlich bei Einbürgerungsbegehren unüberwindbare bürokratische Schwierigkeiten -, sondern mehr als die Hälfte aller Angestelltenpositionen wurden über ein rigides Quotensystem für malaiische Bewerber reserviert. Zudem müssen die Mehrheitsanteile der Unternehmen auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen in der Hand von Malaien liegen, und seien es nur Strohmänner, die für ihren Dienst fürstlich entlohnt werden. So glaubt man den Weg in eine großartige Zukunft gefunden zu haben – sichtbar gemacht im so genannten „Golden Triangle“ von Kuala Lumpur, wo sich die Entwicklungsvisionen der Zentralregierung in Glas und Beton übersetzten. Dutzende Hochhäuser, von Botschaften, Fluggesellschaften, Freizeit- und Shopping-Centers besetzt, wurden in den vergangenen Jahren mit Hilfe staatlicher Kredite errichtet, jedes für sich ein imponierendes Gebäude, doch allesamt Zwerge gegenüber den mächtigen Petronas Towers und dem immerhin 421 Meter hohen Kuala Lumpur Tower, dem vierthöchsten Fernsehturm der Erde. Von dessen Aussichtsplattform bietet sich ein verwirrendes Panorama: hier das alte koloniale Zentrum und das Häusergewirr der Chinatown, und dort die himmelstrebende Silhouette der Neuzeit. Noch sieht es so aus, als hätte man zwei Städte aus gänzlich verschiedenen Epochen zu nahe aneinander gerückt, doch niemand braucht über prophetische Gaben zu verfügen, um die Prognose zu wagen, dass sich der Gesamtanblick Kuala Lumpurs in zehn Jahren vollständig anders darstellen wird. Sollten nicht neue Asien-Krisen dazwischenkommen, wird die städtebauliche Zukunft dem asiatischen Hochhauswald gehören, wie man ihn heute schon in Hongkong betrachten kann und wie er derzeit in den Boomtowns der chinesischen Ostküste in den Himmel wächst.

So wird Kuala Lumpur durch die vom Staat forcierte Entwicklung paradoxerweise den chinesisch geprägten Riesenstädten Ostasiens immer ähnlicher. Und die malaysische Ökonomie, deren einziges Gesetz das Wachstum ist, kann heute weniger als jemals zuvor auf den Sachverstand und die Verbindungen des chinesischen Bevölkerungsteils verzichten. Zwar ist in den letzten zwanzig Jahren eine malaiische Mittelschicht entstanden, aber wohin man auch blickt: in die Konzerne, in die Banken, in die Handelsunternehmen oder auf die Straßenmärkte – die wirtschaftliche Macht, wenn auch manchmal geschickt kaschiert, ist auch nach einer ganzen Generation der wirtschaftlichen und sozialen Diskriminierung ungebrochen.

Mutmaßungen darüber, warum sich das „malaiische Dilemma“ trotz jahrzehntelanger staatlicher Privilegierung noch immer nicht hat lösen lassen, gibt es viele. Aufschlussreicher als die meisten Abhandlungen und Studien, die man zu diesem Thema zu lesen bekommt, ist die kleine Geschichte, die der Journalist Tiziano Terzani in seinem Asienbuch „Fliegen ohne Flügel“ erzählt. „Inhaber, Angestellte und Zimmermädchen der Herberge waren Chinesen“, berichtet er anlässlich eines Aufenthalts in Kuala Lumpur, „nur der Mann, der als Türsteher und Gepäckträger für die Kunden da war, war Malaie. Kaum hatten wir ein paar Worte miteinander gesprochen, begann er auch schon von dem Problem zu reden, das Malaysia entzweit: die Rasse. ,Schau mal‘, sagte er und machte ein ausladende Bewegung. ,Die Wolkenkratzer gehören den Chinesen, die Karren, die Läden, die Supermärkte gehören den Chinesen – sag mir: Ist das Malaysia?‘ Vor dem Hotel hatte derweil ein Motorrad nebst Handkarren angehalten. Ein Mann nahm seinen Helm ab und machte sich an die Arbeit. Innerhalb weniger Minuten war aus dem Karren ein kleines Restaurant geworden mit zwei Gaskochern und einem hübschen Tischchen voller appetitlicher, auf kleine Tabletts verteilte Leckereien. Schon blieben die Leute stehen und holten sich Hackfleischspießchen, Tintenfischhappen, Leberscheiben, Würstchen und Hühnerflügel. Alles war sauber, verlockend und bestens organisiert. Der Mann war Chinese.“

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