Fahren Sie bloß nicht nach Bangkok

Eklektisch oder elektrisch? Eine Erkundung

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,,Den ganzen Tag sieht man Buddhas“ schreibt Ces Nooteboom über Bangkok ,,In der Halle des Hotels, im stinkenden Bus oberhalb des Rückspiegels, im Süßwarenladen, in der Vitrine.“ Ach, wenn es doch so wäre! Die Wahrheit ist: in Bangkok sieht man viel mehr Automobile als Buddhas. Scheppernde, lackierte, rostige, zerbeulte, aufgemotzte, überfüllte, hupende Fortbewegungsmittel auf zwei, drei oder vier Rädern, die sich wie eine1 (21) bösartige Prozession über die Hauptverkehrsstraßen quälen – das ist der erste Eindruck, den der Besucher auf seiner Fahrt vom Don Muang Airport in die Innenstadt erhält. Wo er das Land des Lächelns erwartete, empfangt ihn der permanente Verkehrskollaps, und statt des ewigen Frühlings erwartet ihn die Schwüle einer Zehn-Millionen-Stadt.

Bangkok, Du Schöne, wo dereinst die keusche Anna mit dem König flirtete-  was ist aus Dir geworden? ,,Ein gigantischer mobiler Parkplatz“, sagen die einen, denn die Gesamtheit der zugelassenen und nicht zugelassenen Fahrzeuge ergibt aneinandergereiht zwanzigfache 1 (06)Länge des städtischen Straßensystems. ,,Die Welthauptstadt der üblen Gerüche“ ergänzen die anderen, denn wo früher am Chao Phraya Grünflächen die schmucken Häuser umgaben, da stinkt der träge Strom heute beinahe so zum Himmel wie die Abgase aus Millionen Auspufftöpfen. Hochstraßen, die entweder nicht fertig werden oder wegen der Mautgebühren nur von wenigen befahren werden können, Hochhausruinen, die aus Kapitalmangel verrotten, Energie-, Müll- und Abwassersysteme, die unter der Beanspruchung der Millionen regelmäßig zusammenbrechen – man kann es drehen und wenden wie man will: aus Bangkok, der zauberhaft-verschlafenen Hauptstadt der siamesischen Hinterwelt, ist ein urbaner Moloch geworden, der im eigenen Blech und Beton zu ersticken droht. Trotzdem besuchen alljährlich Millionen ausländischer Touristen vollkommen fteiwillig und ganz ohne Bezahlung die Stadt. Wie ist das möglich? Mit den 1 (59)Touristen, die eine Stadt besuchen, verhält es normalerweise wie mit den Gästen, die in einem Lokal verkehren – man passt irgendwie zusammen, ohne dass man recht weiß wieso. Nicht so in Bangkok, das zwar millionenfach besucht wird, mit seinen Touristen aber in Wahrheit genauso wenig am Hut hat wie diese mit der Stadt. Die meisten Pauschalurlauber erleben von Bangkok ohnehin nur die Prospektfassade: Tempelbesuche, Klong-Ausflüge, Sightseeing-Touren und der Besuch der unsäglichen schwimmenden Märkte von Damnoen Saduak verifizieren in ihrer Gesamtheit genau die Klischees, die die Besucher vom exotischen Siam erwarten. Gehorsam wie eine Herde Lämmer verspeisen sie in Touristenlokalen ihr grotesk überwürztes Thai-Food, lassen sich von ihren Fremdenführern in Souvenirläden schleppen und sind heilfroh, 1 (22)endlich ihren vorgebuchten Badeurlaub in Phuket oder Kosamui anzutreten. Die Individualtouristen haben mit der Stadt genauso wenig im Sinn. Als würden ganze Nester dieser juvenilen Spezies in Bangkok ausgebrütet, wohnen sie zu Tausenden in und um die Khan San Road, legen vor oder nach anstrengenden Reisetappen durch Java, Burma oder Vietnam in der exzellent organisierten Travellerszene von Bangkok die Beine lang und lassen sich vom musikalischen, sprachlichen und kulinarischen Ambiente der fernen Heimat verwöhnen. Je mehr Länder diese weitgereisten Westler auch gesehen haben, desto mehr scheinen sie sich zu gleichen: ärmelloses T-Shirt, Germanenschwänzchen, Reispflückerhose, Sandalen und Bauchtasche – so sitzen die Kinder von Tony Wheeler und Paul Theroux in den Restaurants und achten mit Argusaugen darauf, dass kein Baht zu viel in den Taschen der Frauen landet, die ihnen die Wäsche waschen, das Essen kochen und die Zimmer schrubben.

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Werden die Pauschalurlauber mit ihren eigenen Klischees und die Individualreisenden mit den Vibrationen ihres eigenen Mileus befriedigt, bleiben für die Sextouristen, die in unbekannter aber sicher beachtlicher Zahl tagaus tagein in Bangkok einfallen, nur die Fiktionen. Im Umkreis des Rotlicht- und Vergnügungsviertels rund um die Patpong Road ist nichts wirklich das, was es zu sein vorgibt: die Thai-Boxer, die sich in großen Boxringen oberhalb der langen Biertheken gegenseitig gegen Köpfe und Schultern treten, kämpfen nur im Konjunktiv, es wird geklatscht und gestöhnt, doch alle Muskelkraft verpufft in eine artistische Leere. Die Sextouristen, die an die Tresen sitzen, tun so, als würden sie den Thai-­Boxern zuschauen, und die kleinen Mädchen, die die Getränke ausschenken, gebärden sich, als könnten sie sich spontan in jeden westlichen Dickbauch verlieben Umlagert von rösigen Junggesellengemeinden aus Bombay, Hamburg oder Taipeh tanzen blutjunge Mädchen in völlig verspiegelten Sälen, die Lichtorgel flackert, die Bässe dröhnen und über der ganzen Szene liegt eine derartige Aura der Tristesse dass man heulen könnte: wie seelenlose Barbiepuppen agieren die Frauen, und die Gier seht der internationalen Kundschaft wie ein Kainsmal im Gesicht geschrieben.

Hat Ihnen dieser Anfang gefallen? Interessiert Sie der Ort, die Landschaft, die Geschichte? Weiter geht es in dem Buch „Der Garten der Welt. Reisen in Thailand, Burma, Laos, Kambodscha und Vietnam“, S. 20ff. 

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