Ein Denkmal für die Plünderer der Staatskasse

Vientiane, die kleinste Hauptstadt Asiens

Vientiane

Wer das Fahrradfahren in asiatischen Hauptstädten lernen möchte, sollte in Vientiane beginnen. Kann man als durchschnittlicher Radler in Delhi leicht an den zahlreichen Kühen scheitern, riskiert man in Saigon die Karambolage mit einer heranrasenden Honda, braucht man sich in der laotischen Hauptstadt Vientiane vor Kühen und Hondas nicht zu fürchten. Und wo man sich in Peking oder Hanoi, eingesponnen in ein Kollektivgeschöpf aus Tausenden von Fahrradfahrern wie ein artistischer Schwarmfisch auf Rädern fortbewegen mus, fährt man in Vientiane mit reichlich Platz über die geräumige Bühne des laotischen Straßenverkehrs.

Zwar wird es den Einheimischen ein Rätsel bleiben, warum sich die steinreichen Gäste aus dem Westen nicht lieber komfortabel und preiswert mit einer Rikscha durch die Hauptstadt fahren lassen wollen, ­doch wenn eine Nachfrage entsteht, entwickelt sich seit der marktwirtschaftlichen Wende der Neunziger Jahre nun auch in Laos das passende Angebot. Diese Angebote zur Befriedigung der touristischen Strampellust kommen vorwiegend aus China und sind als Fahrräder eigentlich nur daran zu erkennen, dass sie über eine Sattel, Pedale und zwei Gummireifen verfügen. Sie besitzen außerdem ein Körbchen und ein Schloss, aber dafür leider kein Licht und in der Regel auch keine funktionstüchtige Bremse. Aber das macht nichts, denn Vientiane ist wahrscheinlich die einzige Hauptstadt der Welt, in der man mit einem Fahrrad ohne Bremse ganz gut über die Runden kommt. Wegen der zumeist nur notdürftig geteerten Straßen wird man ohnehin nicht so schnell fahren können, und eventuelle Verkehrshindernisse kann man bequem und weiträumig umkurven.

Von Verkehrshindernissen aber konnte an diesem Morgen noch keine Rede sein. Lediglich die Bettelmönche, die nach Auskunft sämtlicher Reiseführer so zuverlässig zum laotischen Morgen gehören wie der Briefträger in unseren Breitengraden, liefen in ihren verkehrssicheren organgefarbenen Kutten, durch die Straßen, blieben hier ein wenig ratlos stehen, blickten dort fragend über die Auslagen eines Marktstandes hinweg, bis ihnen eine Handvoll Klebreis, ein wenig Obst oder auch einige Geldscheine in ihre Opferschalen gelegt wurden. Einige der frommen Männer zogen während der Spende genüsslich an seiner Zigarette, was ihnen die tolerante buddhistische Weltanschauung unter anderem auch deswegen gestattet, weil sich sie ansonsten tagaus tagein im Dienste des allgemeinen Kharmas mit der Befolgung von nicht weniger als 227 Verhaltensvorschriften plagen müssen. Auch dass die kahl geschorenen Mönche sich gleich nach dem Erhalt der Gaben brüsk abwenden und zielgerichtet weiten marschieren, muss man verstehen, tickt doch sogar im religiösen Leben des südostasiatischen Mönches die Uhr: bis etwa 11.00 Uhr: zu einer Zeit, in der mancher touristische Langschläfer gerade sein Frühstück beendet hat, muss die buddhistische Betteltour abgeschlossen und die einzige Tagesmahlzeit beendet sein. Gerne hätte ich über diese Merkwürdigkeiten ein wenig weiter nachgegrübelt, doch leider sprang mir schon bald die Kette vom Fahrrad ab, und am Beginn der Thanon That Luang kullerte mir sogar ein Pedal vom Fuß. Doch was in unseren Gefilden das Ende einer Fahradfahrt bedeuten würde, muss man in Laos als lässliche Pause begreifen, in der man unter gefälliger Anteilnahme der Bevölkerung die Ketten und die Schrauben immer aufs Neue befestigen und mit den Passanten ein Schwätzchen halten kann. Sogar ein Mönch mit seiner Bettelschale nickte mir während der Reparaturarbeiten aufmunternd zu, was ich als gutes Omen werten wollte, erreichte ich doch trotz aller Unwägbarkeiten meines Gefährtes schließlich nach einer guten Stunde den nordöstlichen Hügel der Stadt, von dem aus ich den großen Platz erblickte, auf dem sich die That Luang, das laotische Nationalheiligtum, erhebt.

Hat Ihnen dieser Anfang gefallen? Interessiert Sie der Ort, die Landschaft, die Geschichte? Weiter geht es in dem Buch „Der Garten der Welt. Reisen in Thailand, Burma, Laos, Kambodscha und Vietnam“, S. 164ff. 

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