Die Totenschädelpagode will niemand sehen

In der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh

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Es war eine Szene von beklemmender Symbolik: Während Hunderttausende Menschen aus der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh evakuiert, die Schulen, Krankenhäuser und Klöster geschlossen und die ersten tausend Gefangenen exekutiert wurden, detonierte am 18. April 1975 unter dem roten Eisenbeton-Gebäude der Zentralbank eine Serie von Sprengsätzen. Die Mauern flogen ebenso in die Luft wie die Tresore, und durch die Straßen der menschenleeren Stadt wirbelten unbeachtet und nutzlos Millionen von Geldscheinen wie das Herbstlaub einer ganzen Epoche. Unter dem Würgegriff der Roten Khmer versank die kambodschanische Gesellschaft in den Abgründen eines grausamen Steinzeitkommunismus, in dem für alles Menschliche, für Familie, Religion, Bildung, Kunst – und das Geld – kein Platz mehr war.

Welche unglaubliche Amplitude von Untergang und Neuanfang das Volk der Khmer im Zeitraum von etwas mehr als zwanzig Jahren durchmessen hat, zeigt ein Blick auf die Hauptstadt eine knappe Generation nach der Sprengung der Zentralbank. Telefone und Fernschreiber funktionieren wieder, es gibt Kinos, Theater und Tanzveranstaltungen, süßliche Popmusik scheppert aus übersteuerten Lautsprechern, und die Marktfrauen feilschen nicht anders als in Rangun oder Vientiane mit ihren Kunden. Das Geld ist mit Macht zurückgekehrt und mit ihm die Freiheit und die Kriminalität, der Individualismus und der Egoismus, die Kultur und der Kitsch – der ganze Kosmos des Zukunftsträchtigen und des Unerfreulichen also, der unvermeidlich zu sein scheint, wenn sich ein ganzes Volk nach einem Albtraum ohnegleichen auf eine große Aufholjagd begibt.

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Kambodscha 1994 (P)

 

 

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