USA 2014

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               EXPLORING  US 2014

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Einleitung

In wenigen Tagen beginnt meine sechste Reise in die Vereinigten Staaten. So wie es im Augenblick aussieht, wird sie in New Orleans/Louisiana  beginnen, dann geht es den Mississippi aufwärts über Baton Rouge, Natchez und Vickburg nach Memphis und dann nach  Nashville. Über St. Louis und Hannibal am werden wir Chicago erreichen. Von dort aus wenden wir uns westlich – zu den Badlands, dem Yellowstone- und dem Tetonpark, ehe wir, dem Snake River folgend Oregon passieren. Im Umfeld der Mündung des Columbia, ungefähr dort, wo auch Lewis und Clark 1805 den Endpunkt ihrer Reise markierten, werden  wir den Pazifik erreichen. Ob dann noch Zeit sein wird für Seattle, Mount Reiner oder den Pudget Sound wird sich zeigen. Die ganze Reise wird fünf Wochen dauern, am 29.6. werde ich wieder in Deutschland sein.

IMG_5787  (11)Da ich jetzt eine Homepage besitze, habe ich mir vorgenommen, meine Erlebnisse nicht nur in meinem Reisetagebuch festzuhalten sondern dann und wann auch etwas über die einzelnen Reise-Etappen  auf dieser Seite zu schreiben. (Nachtrag: Das hat sich als schwierig herausgestellt, da sich mit dem Tablett doch nicht so gut schreibt und man außerdem die gerade erst geschossenen Fotografien nur komprimiert ins Netz stellen kann. Die miesten Texte sind also nachträglich bearbeitet.

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Die Reiseroute von New Orleans nach Seattle (Mai/Juni 2014)

 

New Orleans

Der Langflug über den Atlantik war problemlos. Schlafen, träumen, lesen, essen. Obwohl wir 40 Minuten vor der avisierten Ankunftszeit in Washington ankamen, hätten wir den Anschlussflug nach New Orleans beinahe verpasst, weil kein reguläres Transitverfahren existierte und weil die US-Bürger bei der Passkontrolle auf skandalöse Weise bevorzugt wurden. Erstaunlich der Fatalismus, mit dem die Leute diese Handhabung ertrugen. Völlig indolent die Angestellten, die jeden Vorschlag, doch die Leute mit einem knappen Anschlussflug vorzulassen, zurückwiesen. IMG_1730Dann noch einmal endlose Schlangen vor der Security-Control. Drei Minuten bevor das Boarding nach New Orleans geschlossen wurde, erreichten wir gerade noch unseren Anschlussflug. Er  war nicht ausgebucht und dauerte zweieinviertel Stunden. Von der amerikanischen Hauptstadt Washington war beim Start nichts zu sehen, alles verschwamm im Dunst eines sonnigen, schwülen Tages. Erster Eindruck von Louisiana während des Landeanfluges: ein Holland voller Sümpfe, flach wie eine eine Flunder mit einem großen braunen Strom in seiner Mitte. Wasser und Sumpf soweit das Auge reichte, hier und da eine auf Steintrassen über den Sümpfen errichtete Autobahn. Amerika wir kommen.

IMG_1760Cajunburger am Mississippi, linde Luft, ein hell erleuchteter Schaufelradbagger fährt in die anbrechende Dämmerung den Fluss hinunter. Jazztrompeten hallen über den Strom. Wie eigenartig schnell man sich in eine fremde Welt versetzen kann. Als wäre man eine Pfanne, in der sich alles braten lässt. Ein langer Tag, und wir saßen auf einem anderen Kontinent, in einer anderen Luft, an einem anderen Strom, sahen Menschen mit einem anderen Gehabe, anderen Körperformen, anderer Hautfarbe und anderem Essen. Nur wir waren noch die Gleichen. Ist das erfreulich oder bedauerlich? Bleiben wir auch in der Fremde die gleichen Tränentassen, oder kommt es zur jener eigentümlichen „Verjüngung“ von der Herder in seinem Reisejournal spricht? Als ich an diesem ersten Abend in den Spiegel blickte, kamen  mir allerdings Zweifel.IMG_1768

Die Uferpromenade zwischen der großen Stahlbrücke und dem French Quarter ist als Promenade ausgebaut. Hotelhochhäuser, ein Aquarium im Umbau, Palmen, kleine Skulpturen, ein Hauch von Florida, wenn nur nicht die hässlichen Industrieanlagen auf der anderen Flussseite gewesen wären. Die Plaza de Armas, der städtische Zentralplatz mitsamt der IMG_1787Kathedrale gleich am Mississippi, gehört für mich zu den schönsten Plätzen Amerikas, auch weil durch den Uferdamm die andere Flussseite aus dem Blick verschwand. Hoch bäumte sich das steinerne Ross General Andrew Jacksons mitten im Park, auf ihm der zweifelhafte Held des Südens, der New Orleans 1815 vor einer britischen Invasion bewahrte und später als Präsident zum Indianermörder wurde.

Das eigentliche French Quarter war ein gepflegtes karibisch anmutendes Viertel mit Dutzenden schachbrettartig angelegter Straßenblocks, die mit vorkamen wie eine Symphonie aus Balkonen, und zwar nicht irgendwelcher Balkone, sondern von Balkonen aus Blumen und Eisen, was die Spannweite der

IMG_1844Geschichte der Stadt ganz gut symbolisiert. Arkadenartige Vorbau-ten, kunstvolle Schmie-degitter und eine über-schwängliche Begrü-nung verwandelten die ersten Stockwerke des French Quarters in ein Fest für die Augen. Ein Fest für die Ohren war die Stadt sowieso. Auf der Royal Street spielten die Jazzbands auf den Straßen, die Besucher setzten sich auf die Bürgersteine und hörten zu, manche tanzten zu der Musik und verhielten sich insgesamt genauso, wie man es von Touristen in New Orleans erwartete. Überhaupt IMG_1936entsprach das Erlebnis der Stadt in den ersten Stunden unserer Begehung so vollständig meinen Erwartungen, wie ich es noch nie erlebt habe. Es kam mir fast so vor, als täten die Besucher ihr Bestes um als enthusiasmierte Besucher ihren Teil zum Klischee dieser Stadt beizutragen. Aber es war ein Klischee, dass der Wirklichkeit recht nahe kam. Die Stimmung war tatsächlich so entspannt wie man es von „Big Easy“ erwartete, nichts war davon zu erkennen, dass New Orleans unter einer der höchsten Kriminalitätsraten der USA leiden sollte. war. Die Verwüstungen des Hurricans „Katrina“ schienen vergessen, das French Quarter war von dieser Katastrophe ohnehin kaum betroffen worden. In den Geschäften gab es alles Mögliche zu kaufen: Vodoo-Ausrüstung, Jugendstil-Imitate, kreolische Tomaten, Musik und Käppis aber auch „Recycelted Condoms for Cheapfucker.“  Das Essen war deftig, ganze Teller voller Speck, Rührei und Würsten standen auf den Tischen, aber auch mehr Obst und Gemüse , als man es sonst in den USA antraf.

IMG_1889Die Canal Street von New Orleans, so sagt man, sei die Grenze zwischen dem franzö-sischen und dem englischen Amerika. Ein ansehnlicher, weiträumiger Boulevard mit Palmen und einer begrünten Mitte, mit schmucken Straßenbahnen und stattlichen Hochhäusern auf beiden Seiten. Noch weiter zurück in die englische Geschichte von New Orleans führte die Trambahnfahrt entlang der St. Charles Avenue, einer platanengesäumten Straße mit Hunderten  alter Südstaaten-häuser. Nicht alle waren Herrensitze, aber allen war der Wille zum Stil anzumerken. Umgeben von einem gepflegten Rasen führte meist eine kurze Treppe zu einem überdachten Portikus, flankiert von Veranda oder Arkade, über die sich wieder ein Balkon erhob. Überall war das Streben nach  Absonderung und  Unverwechselbarkeit erkennbar, auch wenn hier und da der Zahn der Zeit an den Fassaden nagte.  Vielleicht wäre Friede in der Welt, wenn es allen Menschen vergönnt wäre, in einer solchen Straße zu leben.

IMG_2019Es gibt Sehenswürdigkeiten, die einfach dazugehören, auch wenn man zu ihnen keine rechte Lust verspürt. Die Riverboattour auf der „Natchez“ war ein solcher Event. Seit Mark Twains „Leben auf dem Mississippi“ repräsentierten die malerischen Schaufelradbagger mehr als alles andere den Geist des Südens, und wenn sie mit Dixieland Musik an der IMG_1993Skyline der Stadt vorüberzogen- wer mochte da am Ufer abseits stehen? Wir nicht, weswegen wir uns für 28 USD auf der „Natchez“ einschifften und genau das bekamen, was wir erwarteten.: Das Panorama der Stadt, das man nur auf diese Weise als Ganzes in den Blick bekommen kann, sodann Impressio-nen der Landschaft  zwischen der Stadt und dem Golf von Mexiko. Zwei alte Kriegsschiffe, eine Raffinerie, die aussah wie nach einem Atomschlag und reichlich durchrostete Frachtkähne, die scheinbar für alle Zeiten an den Ufern herumdümpelten, dazu fröhliche Kinder, die auf dem Boot Nachlaufen spielten, bräsige Eltern, die sich am Buffet gütlich taten und die unvermeidliche Dixielandband, die wie eine Endlosplatte immer wieder den „St Louis Blues“ spielte.

So vergingen die Tage in dieser Stadt zwischen Flanieren, Herumsitzen, Essen, Nachdenken, Lesen und Schlafen. Was ist mein Resüme? Zuerst und vor allem: New Orleans ist eine Stadt, die von der absoluten Negation des Landes lebt, zu dem sie gehört. Das mag man sympathisch finden oder nicht.  Sodann ist New Orleans IMG_1868auch bei weitem nicht so spektakulär wie Chicago, San Francisco oder New York, und doch ist die Stadt faszinierend auf ihre ganz eigene Weise. Sie  besitzt mit dem French Quarter neben Quebec die schönste Altstadt Nordamerikas. Und sie liegt am Ol´Man River, an Amerikas großem IMG_1856Strom, der mitten durch die Stadt fließt und auf der Uferpromenade eine viel zu mickriges Denkmal besitzt. Schließlich befindet sich New Orleans inmitten einer Welt der Sümpfe und der Reservate, in denen Krokodile, Schlangen und Moskitos auf den Besucher warten. Und die Musik.  Wie ich es bei einer Stadt noch nie erlebt hatte, „klang“ New Orleans – nicht vor Lärm, sondern vor lauter Jazz- und Blues Combos, die an allen Ecken Proben ihres Könnens zum Besten gaben. Wir haben zu Füßen der Louis Armstrong Statue “What a wonderful World” auf dem MP3 Player gehört und während wir die die Pirouetten beobachteten, die die Kinder auf ihren Fahrrädern zu Füßen der Statue drehten, erlebten wir einen magischen Moment, in dem das Wesen der Dinge und der Augenblick zusammenfielen. Allein das hat den Besuch in dieser Stadt gelohnt.

 

 Von New Orleans nach Memphis

Die erste Woche ist vorbei, und die Reise durch den Sueden lief rund, wenn man einmal vom Wetter absieht. Zwischen New Orleans und Baton Rouge kamen wir in einen Tornado und mussten tiefe Wasserlachen durchqueren. Die Feuchtigkeit hier ist hier die zweite Haut der Natur, sie ist allgegenwärtig, in Gestalt des großen Flusses, der Sümpfe, die von der Straße aus z sehen waren und des Regens – aber die Menschen scheinen gut damit klar zu kommen. Der Mississippi ist ohnehin eine Nummer für sich – ein derartig monumentales Flussbecken in einer flachen Landschaft habe ich noch nie gesehen. Blickt man von Natchez oder Vicksburg über die Landschaft und den großen Strom, ist es, als fließe ein Meer vorbei.

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Der Mississippi bei Natchez

Zweiter Eindruck – nicht nur die Feuchtigkeit ist allgegenwaertig, sondern auch die Musik. Die Reise den Mississippi entlang zu den Urspruengen von Jazz, Blues und Rock gleicht einer Reise in die eigene Vergangenheit. Die Musik dieser Region gehört zur Biographie meiner Generation, sie hat schon in mir gehallt und Gefuehle koloriert, als ich die Stätten, in denen sie entstanden war, noch gar nicht gesehen hatte. Nun, wo ich in New Orleans, Memphis und Nashville diese Orte sehe, kommt es mir vor, als schliesse sich ein Kreis.

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Gestern und heute haben die Residenzen zweier bekannter Persönlichkeiten besucht – das William Faulkner House in Oxford/Mississippi und Graceland, Elvis Residenz in Memphis/Tennessee, und der Kontrast hätte kaum grösser sein können. In Oxford liegt das kleine Anwesen von Faulkner fast versteckt auf einem Huegel, und wir hätten es beinahe nicht gefunden. Wenige Besucher, intime Atmosphaere, keine Giftshops, eine Begegnung mit der Stimmung von „Licht im August“ und anderen Buechern. In IMG_2537Graceland dagegen ein geradezu durchindustrialisier-tes Massenprogramm – abgestimmt auf die Instinkte des Massengeschmacks. Das soll jetzt nicht abgehoben klingen, aber im Vergleich zu Stimmung von Faulkner Mansion  war das Elvisprogramm in Graceland ein Schuss in den Ofen. Obwohl mir „In the Ghetto“ ode „Suspicious Mind“ noch immer nach gingen.

In der Beale Street von Memphis entstand vor etwa knapp einhundert Jahren der Blues. Auch wenn diese Straße in den Reiseführern als eine Art Reeperbahn verschrieen ist, gehört ein Besuch in der Beale Street zu den Höhepunkten jeder Reise in den Süden. In den Courtyards spielten Bluesgruppen, Western- und Country’Saenger und Rockpoeten,  genau wie es dem Klischee entsprach, und doch war es die Wirkichkeit. Ich habe gar nicht mehr gewusst, wie gut ein scharfes Guitarrensolo dem erschlafften Gemüt tun kann. Eine unglaubliche Vitalität lag in der Luft, und obwohl reichlich gebechert wurde, blieb die Szene voellig frei von Aggressitvität. Viel haben die Afroamerikaner dem Land gegeben, und nicht das geringste war ihre Musik.

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Beale Street in Memphis

IMG_2157Geschichte, überall Geschichte. In Oak-Alley sahen wir Sklavenhütten und Herrenhäuser, das Gelbfieber aber holte Herren und Geknechtete gleicher-maßen.

In Vicksburg am Mississippi befuhren wir eine sechzehn Meilen lange Strasse über das neben Gettysburg grösste Schlachtfeld des amerikanischen Bürgerkrieges. In extrem blutigen Kaempfen gelang des den Truppen des Nordens zwischen Mai und Juli 1863  Vicksburg, das „Gibraltar des IMG_2290Südens“ zu erobern und  damit die Südstaaten zu spalten. General Shermans Sturm auf Altanta und die Niederlage der Südstaaten folgte. Red Buttler lässt grüßen. Über vier-tausend Artefakte, Kanonen, Statuen, Büsten, Gedenkhallen. Inschriften beschworen auf eine kuriose weise die Tapferkeit beider Seiten, und Generäle aus Stein blicken stumpfsinnig über die Schlachtfelder.

 

Gottesdienst in der New Gospel Tabernakel Church in Memphis-Süd

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Die New Gospel Tabernakel Church wurde von von Bischof Al Green im Jahre 1976 in Memphis gegruendet. Ehe Bischof Al Green den Ruf dem Herrn folgte, war er mit mittelmäßigem Erfolg  als Kellner, Straßenbahnschaffner und Musiker in der Beale Street von Memphis tätig. Als Kirchengründer aber hatte er entschieden mehr Fortune – mit seinem rhethorischen Talent, seiner ausgezeichneten Bluesstimme und dem von ihm gegründeten Tabernakel Gospel Chor wurde er schnell überregional berühmt – so berühmt, dass seine Adresse schließlich sogar im Lonely Planet Guide „USA“ als Eventtip der besonderen Art erschien. Da wir das Glück hatten, uns an einem Sonntag in Memphis aufzuhalten, wollten wir uns seinen Gottesdienst nicht entgehen lassen.

Das Zentrum der New Gospel Tabernakel Church befand sich in einer südlichen Vorstadt von Memphis. Von außen ein unscheinbarer Bau mit dem Charme eines Jugendheimes, war es im Innern gediegen ausgestattet. Das  Zentrum des Gebaeudes bildete eine mittelgroße Halle mit einer Empore an der Stirnseite, auf der sich ein Schlagzeug, ein Klavier und ein Ledersessel mit der Aufschrift „Bischop Al Green“ befand.  Da wir sehr früh eintrafen, wurden wir Zeuge der sonntäglichen Bibelstunde, die von einem Assistenten des Bischofs abgehalten wurde. Anwesend waren etwa ein Dutzend afroamerikanischer Männer und Frauen, die den Ausführungen des Assistenten hingebungsvoll lauschten und ihn ab und an mit  zustimmenden „Yeah, Yeah“ Rufen unterstützten. Inhaltlich liefen die Erläuterungen des Assistenten darauf hinaus, dass Gott „alles wisse“,“ „alles verstehe“  und folglich auch „alles verzeihe.“ Er varrierte diese Aussage immer aufs Neue und gebärdete sich dabei so, als würde er ein Welträtsel nach dem nächsten lösen.   Alle Teilnehmer der Bibelstunde waren voll  bei der Sache,  bis auf zwei kleine Jungen, die unbeeindruckt neben ihrer jungen Mutter saßen und mit ihren Smartphones spielten. Am Ende standen alle Gemeindemitglieder auf und lauschten einem improvisierten temperamentvollen Finalgebet. Dann wurde ausgiebig geklatscht, und die Bibelstunde war vorüber.

Inzwischen hatte sich der Andachtsraum fast vollständig gefuellt. Adrett angezogene afroamerikanische Familien waren ebenso erschienen wie Gäste aus Los Angeles und Denver. Sogar ein Motorradclub aus Paris war anwesend und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Es dauerte auch nicht lange, da betraten die Musiker die Empore, ein Klavierspieler, ein Schlagzeuger und ein Gitarrist, dazu ein Dutzend prachtvoll herausgeputzter afroamerikanischer Chordamen, die etwas erhöht Platz nahmen. Dann war es endlich so weit: der Bischof erschien im prächtigen Ornat und hob unter dem Jubel seiner Gemeinde die Arme zu einer imaginären Umarmung. Ein stattlicher Mann, fürwahr, eine Mischung aus James Brown und Denzel Washington, der jetzt behände die Kanzel erkletterte, das Mikrophon zur Hand nahm und einen Willkommensgruss ins Mikrophon röhrte, den auch BB King nicht rauchiger hätte ausstoßen können.

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Obwohl er schon um die Siebzig Jahre alt sein musste, trug er seine Haare wie einen rabenschwarzen Helm, hatte grosse Zähne und verfügte über eine ausdrucksstarke Stimme, mit der er ohne Einleitung gleich loslegte. „One Day in Time, Sweet Jesus“ hieß die erste Nummer, die der Bischof mit gutturalem Bass anstimmte, woraufhin seine Musikercombo mächtig in die Tasten griff und die Andachtshalle in Nullkommanichts in ein Rockauditorum verwandetle. Sofort sprangen die Zuhörer von den Sitzen, begannen zu tanzen, zu klaschten und zu jubeln, während sich die Stimme des Bischofs bis ins Falset emporschraubte,  ehe das Eröffnungsstueck nach einem Klaviersolo abrupt abbrach.

Die nun folgende Predigtpassage bestand im wesentlichen aus einem vielstimmigen „Amen“ „Hallelujah“, „God bless you“ and „Jesus will forgive us all“ in immer neu variierter Reihenfolge, was die Gemeinde schier zur Raserei brachte. Schluchzen, Jubeln, Klatschen waren allenthalben  zu hören, sogar die beiden Knaben hatte ihre Smartphones weg gelegt und begonnen,  mitzutanzen. Nur die Gäste aus Los Angels und Paris waren etwas hüftsteif und kamen nur schlecht von ihren Sitzen hoch. Unvermittelt wechselte der Bischof von der beschwörenden Ansprache in Gesang, der Schlagzeuger fiel ein, dann der Pianist und schließlich der Gitarrist.  „Oh Lord, Oh Lord“ war der Titel des zweiten Stücks, das in  seinen  Rockqualitäten das erste womöglich noch übertraf. Der Bischof wuchs über sich hinaus und erwies sich als ein Entertainer von hohen Graden, wechselte vom Bass- in die Kopfstimme und taumelte auf der Empore dermaßen hin und her, als sei der Heilige Geist in ihn gefahren. Als der Gitarrist zu einer verwegenen Rifffolge ansetzte, gab der Gospelchor richtig Gas verwandelte den Andachtsraum in einen religioesen Klangkörper, an dem vom Bischof bis zum skeptischen Stationsleiter alle beteiligt waren.
Das zweite Stück endete wieder mit Klatschen und Jubeln, untermischt nunmehr von erschöpftem Keuchen. Die Chrodamen im Hintergund sanken entweder ermattet auf ihre Stühle oder hoben die Blicke zur Andachtsdecke, als sei dort die Lösung aller Fragen verzeichnet. Bischof Al Green brüllte nun laut auf, womit er  sofort ein echoartiges Brüllen seiner Gemeinde hervorrief, was offenbar der Startpunkt für die zweite Predigtpassage sein sollte. Mal laut schreiend, mal appellativ insistierend, verkündete der Bischof, dass Gott uns jede Stunde, jeden Tag immer wieder aufs Neue „rufe“, dass wir aber nicht „hören“ wollten, wozu gut passte, dass sich plötzlich der Schlagzeuger wieder mit Macht Gehör verschaffte und die dritte und finale Musikpassage einleitete. Den Titel dieses Stückes habe ich nicht erfahren, aber musikalisch war es dichtester, kompaktester Rock, eingeübt und perfekt abgespielt von einer routinierten Band vor einer durchtrainierten Gemeinde und bewundert von den anwesenden Weißen, die sich nicht hätten träumen lassen, wie unterhaltsam ein Gottesdienst im 21. Jhdt. sein konnte. Wieder agierte Bischof Al Green wie ein perfekter Bandleader bei einem Popkonzert, wobei die Performance von Al Green stark an die Auftritte von Bob Geldorf und Bono erinnerte, nur dass der Bischof besser war.

 

Nashville – oder: Der Folk des kleinen Mannes

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Nashville als Stadt ist alles andere als eine Schönheit. An einem kleinen hässlichen Fluss gelegen, mit zugewachsenen Uferpassagen und unansehnlichen Brücken stimuliert die Stadt auf den ersten Blick genau jene Unwirtlichkeit, die zur Abfassung melancholischer Country-Songs motivieren mag. Nashvilles Zentrum beseht immerhin aus einigen respektablen Wolkenkratzern, einer Musikstraße, dem sogenannten „Broadway“, dazu einer „Hall of Fame“, die aussah wie der Tempel des Volkes in Chongking und einem lächerlichen „Fort Nashborough“, vor dem der Besucher sich daran erinnern soll wie hier die ersten Trapper vor über 200 Jahren die erste Siedlung gründeten. Keine Besucher würde es länger als nötig in der Stadt aushalten wenn nicht, ja wenn nicht Nashville die IMG_2810Welthauptstadt der Country Musik wäre. Wobei es für den Europäer nicht ganz einfach zu begreifen ist, was eigentlich unter Countrymusik verstanden werden soll. Die einen sagen, Country Musik sei der „Blues der Weißen“, andere halten sie für die Folklore des kleinen Mannes – oder gar für das amerikanische Äquivalent der europäischen Schnulze, ebenso verlogen und anspruchslos wie diese. Das erste dürfte der Wahrheit dessen recht nahe kommen, was Countrymusik sein  soll, das zweite aber dürfte die kommerzialisierte Wirklichkeit der gegenwärtigen Countrymusik ganz gut beschreiben.

Auf dem Broadway war ganz Amerika unterwegs, die derben Südstaatendialekte waren ebenso zu hören wie das nasale Nordwestamerikanisch der Pazifikküste. Auch an den Nummernschildern der Fahrzeugen aus Kentucky, Florida, Maine und Texas war zu sehen, dass etwas Großes Überregionales anrollte, in unserem Fall der „Country Music Award 2014“, der größte Countrysänger Wettbewerb des Landes. 70.000 Gäste und alle IMG_2817berühmten Bands des der USA wurden über Pfingsten zum CMA erwartet, aber auch schon während unserer Anwesenheit wurde auf großen Bühnen kräftig gesungen und gefieldet. Ein Banjospieler, der aussah wie Brad Pitt, eine blonde Lady in Leggins und Hosenträgern, ein Fiedler, der mit seinem Instrument gegen die elektrische Gitarre nicht ankam, wechselten sich nacheinander ab, während die Zuschauer kamen und gingen. IMG_2550Nirgendwo waren Afroamerikaner zu sehen, dafür stapften herbe Altrocker mit Z-Z-Top-Bärten vorüber, fette Freuen und breite Kerle mit kahl geschorenen Glatzen tranken ihr Dosenbier, manche waren auch schon volltrunken und schwankten bedenklich im Rhythmus der Musik. In dieser Menschenmenge, die beständig fluktuierte, konsistenter und lückenhafter wurde, wirkte der ordentlich angezogene und unbeweglich vor der Bühne der Musik lauschende Frank wie eine Lichtgestalt aus einer anderen Welt.

Auch jenseits der Live Acts gab es jede Menge Musik, vor allem in den Musikbars auf dem Broadway. Sie hatten ihre Fenster geöffnet, so dass die Life-Musik bis auf der Straße zuhören war, und die Schlepper vor ihren Eingängen taten ihr Bestes, die Flaneure für ihren Laden zu interessieren.  Wir aßen in einem Laden einen Hamburger und hörten in einem anderen einem Pärchen zu, dass von Acker und Krume, Liebe und Leid sang und die Zuhörer mit anbiedernden Moderationen nervte. Wie zu erfahren war, lebten die Musiker in den Musikbars auf dem Broadway von Nashville von nichts anderem als von den Trinkgeldern, die die Gäste ihnen in einen Behälter warfen, von Freibier und vielleicht einem Spare Rip, den ihnen der Wirt spendierte. Manche ihrer Zuhörer waren selber arme Kerle, die wenig Geld übrig hatten, die Kellnerinnen wirkten abgearbeitet, die Zurufe und Kommentare hatten etwas Aggressives. Die Härte des Lebens kam eben nicht nur in den Liedtexten zum Ausdruck.

IMG_2732Den Ausflug nach Ophryland hätten wir uns sparen können. Wir erreichten einen riesigen Parkplatz neben der Ophryhall, vor der Familien vor Riesengitarren im Country Look posierten. Falls sie ohne das passende Outfit angereist waren, hätten sie sich in den Giftshops von Ophryland mit Johnny Cash-Gürteln, Hank Willliams- Hüten und Woody Guthrie-T-Shirts einkleiden können. Die Atmosphäre der Kommerzialisierung lag wie eine Membrane über Ophryland, nichts war authentisch, nichts war ergreifend an diesem Ort – alles schien wie zum Einmalbenutzen und Wegwerfen gemacht, genauso wie die uninspirierte Country-CD „Best off“, die wir in einem Anfall von Kauflaune erwarben.

In der Nähe von Ophryland passierten wir  „The Hermitage“, das Wohnhaus von „Sharp Knife“ Andrew Jackson, dem 7. Präsidenten der USA, der sich ab 1830 mit den Indianervertreibungsgesetzen einen  üblen Namen erworben hatte. Er war der Hauptverantwortliche dafür, dass ab 1838 die fünf zivilisierten Indianerstämme, die zum Teil ein eigenes Schul- und Pressewesen besaßen, unter schrecklichen Opfern bis hinter den Mississippi vertrieben wurden. Dieses Haus zu besuchen hatte ich keine Lust – aus den gleichen Gründen, aus denen ich auch in Cordoba/Argentinien das Ché-Museum nicht betreten hatte. Von geschichtlichen Gestalten, die ich verachte, will ich nichts Privates wissen.

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Zum einhundertjährigen Jubiläum der Gründung des Staates Tennessee errichteten die Stadtväter von Nashville im Jahr 1897 den Cennentarial Park und erbauten in ihre Mitte nicht mehr und nicht weniger als eine Kopie des Athener Parthenons im Verhältnis 1: 1. Was in Athen in Trümmern fiel, als ein türkisches Militärdepot explodierte, kann man also IMG_2764heute in Nashville als exzellentes Fake betrachten: die schwellenden Säulen, die prachtvollen  Giebel mit ihren Skulpturenschmuck, die Metopen und die Cella, die leider an diesem Tag (Montag!) geschlossen war, so dass wir die Staue der Athena im Innern der Cella nicht besuchen konnten.  Zu Füßen dieser Tempelkopie legte ich mich aufs Ohr uns döste eine Stunde. Ein kühler Wind strich durch den Park, Liebespaare bummelten über die Wiese, ein kleiner Junge mit einer Brille stoppte mit seinen Roller neben mir und blickte mich fassungslos an. Warum, war mit schleierhaft, denn als ich mich erhob, fuhr er schnell weg.

 

 

Happy Birthday, St Louis

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„Die 27. Stadt“ nennt der amerikanische Romancier Jonathan Franzen die amerikanische Stadt St. Louis. Einst war St. Louis am Zusammenfluss von Mississippi und Missouri die viertgrößte Metropole  der Vereinigten Staaten und galt manchen, was ihre geographische Lage und ihrer wirtschaftlichen Perspektiven betraf, als die natürliche Hauptstadt des Landes. Heute befindet sich  St. Louis, sowohl als Stadt wie als  County, im freien Fall. Der stolze St. Louis Arch ragt über einem Ort, der landesintern auf den Platz 27 auf damit auf den Rang einer amerikanischen Allerweltsstadt abgestürzt ist.

Nach einem langen Reisetag und der Passage von Schnellstraßen in Nord-Tennessee, Kentucky, Illinois und Missouri erreichten wir St. Louis von Osten kommend in den frühen Abendstunden. Und das Beste, was es in dieser Stadt zu sehen gab, sahen wir gleich am Anfang, als wir auf der Autobahnbrücke in die Stadt einfuhren: Wie eine gigantische, gebogenen McDonalds-Fritte aus Stahl ragte ein einhundertsechzig Meter hoher, halb IMG_2875elliptischer Bogen in den Himmel. Aber das war es dann zunächst auch. Schöner, eindrucksvoller und vor allen Dingen vollständiger bekamen wir das riesenhafte Gebilde in der Stadt nicht mehr vor die Linse. Es war unmöglich, den Arch angemessen zu foto-grafieren, da konnte ich mich noch so lang auf den Rücken legen oder eine distanzierte Perspektive vom Flussufer aus suchen. Das Ding war einfach zu groß für ein vernünftiges Bild. Wenn man wollte, konnte man darin immerhin ein Gleichnis sehen: aus der Nähe betrachtet bekommt man die USA einfach nicht auf ein Bild.

Der Tag war schweineheiß, und ich setzte mich unterhalb des Stahlgebildes in den Schatten und versuchte, zu verstehen, was ich sah. Der „Gateway to the West“ oder – wie er auch genannt wird-  das “Jefferson Expansion Memorial“ wurde im Jahre 1960 erbaut, um an die von  Präsident Jefferson veranlasste epochale Westreise von Meriwether Lewis und William Clarke zu erinnern. An der Spitze einer Expedition von 33 ausgewählten Leistungsträgern hatten Lewis und Clarke zwischen 1804 bis 1806 den gesamten Nordwesen der heutigen Vereinigten Staaten bereist und damit das Tor für eine Ost-Westwanderung aufgestoßen, die die Grenzen der Vereinigten Staaten innerhalb von nur zwei Generationen bis zum Pazifik vorschieben sollte. Die Indianer werdend rückblickend über diese Reise nicht ganz so glücklich sein. Heute dagegen erscheint der Gateway Arch wie ein Indikator für den Zustand des Landes. Blickt man von Osten nach Westen, also auf die Stadt und den Arch von der Autobahnbrücke aus, erschließt sich das bekannte beeindruckende Bild. Blickt man aber von Westen nach Osten, in Richtung auf die Ursprungsgebiete der Vereinigten Staaten, sieht man nichts als hässliche IMG_2829Industrie-landschaften und ein kümmerli-ches Kasino auf der anderen Uferseite. Mit kam der Gedanke, dass der Arch mit dem gleichen Recht auch den Mississippi in Süd-Nord-Richtung überwölben könnte, denn damit würde er an die zweite große amerikanische Binnenwanderung erinnern, nämlich an die „Great Migration“, die Millionen Afroamerikaner im 20. Jhdt. aus den Südstaaten an St. Louis vorbei in den Norden führte.

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Auf die Fahrt zum obersten Aussichtspunkt des Arch verzich-tete ich. Was hätt ich von oben auch anderes sehen können, als flaches Land? Dafür besuchte ich das „Lewis and Clarke Westward Expansion Museum“ unterhalb des Arch, eine rotundenartige Bild- und Figurenausstellung, die den Besuchern den Ablauf der Entdeckungsreise verdeutlichen sollte. Wandfüllende Fotographien, jede Menge Karten, sprechende Trapper und Indianerfiguren aus Pappe, ausgestopfte Biber, Büffel und Pferde und ein Original-Indianer-Wigwam wurden durch chronologisch angeordnete Zitate aus den Reiseaufzeichnungen ergänzt. Den Schlusspunkt bildete eine große Fotoausstellung zum Pazifik, besonders vom  Cannon Beach in Oregon, zu dem auch meine Reise am Ende führen sollte.

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Sonst war nichts los in der Stadt. Zweihundert Meter boulevardartige Washington Avenue, eine Touristenstraße in Flussnähe, das war´s. Der Rest ist menschenleere Downtown oder prekäre Peripherie, in die man sich besser nicht verirrt. Wieder fiel mir Jonathan Franzens Roman „Die 27. Stadt“ ein. Irgendwo in einer Vorortsiedlung von St. Louis war die Frau der Hauptperson entführt und erschossen worden. Da blieben wir doch lieber in Hotelnähe und aßen ein rotlackiertes Chlorhühnchen zum Abendessen,

IMG_2909Trotzdem fassten wir uns am nächsten Morgen ein Herz und fuhren noch einmal über die Brücke zurück auf die andere Seite des Mississippi. Die Stadt  auf der anderen Flussseite nannte sich „East St. Louis“ und gehörte schon zum Staat Illinois.  East St. Louis war noch trostloser als die Peripherien von St. Louis auf der anderen Seite.Lange kurvten wir auf schlagloch-übersäten isten herum, passierten verrottete Holzhäuser, Abfallhaufen an den Kreuzungen und Zusammenrottungen von Eckenstehern, ehe wir mit einiger Mühe die Uferstraße fanden, auf der sich neben einer Zementladestation unwahrscheinlicher-weise ein Veteranen-Memorial befand, das über eine Aussichtsplattform verfügte, von der IMG_2920aus sich endlich der lange ersehnte Königsblick auf St. Louis ergab: Der Arch in seiner vollen Majestät über dem Capitol, der Uferpromenade und den Hochhäusern der Innenstadt. Wenn ich die diversen Inschriften auf dieser Aussichtsplattform richtig deutete, dann war dieser Lookout, von dem in keinem einzigen meiner Reiseführer die Rede war, erst in diesem Jahr 2014 ganz aktuell zum 250. Geburtstag der Stadt aufgebaut worden. Jedenfalls befand sich ein steinerner Kuchen mit einer stilisierten Kerze auf der Aussichtsplattform, auf dem zu lesen war: “Happy Birthday St. Louis“. Auch von uns die besten Wünsche!

Hannibal/Missourie: Zu Gast bei Tom Saywer and Huckleberry  Finn

Die wirklich  guten Bücher kann man in jedem Alter lesen, heißt es. Auch wenn sich das wie eine Werbefloskel für „Harry Potter“ anhört –  für „Tom Saywers Abenteuer“ trifft dieses Diktum tatsächlich zu. Ich hatte im Vorfeld der reise „Tom Saywers Abenteuer“ noch einmal gelesen, weil ich auf einer Amerikareise Hannibal/Missourie auf der Agenda hatte, jene Stadt am Mississippi, in der der junge Samuel Clemens alias Mark Twain zwischen 1844 bis 1853 im Alter von 9 bis 18 Jahren seine Knaben- und Jugendzeit verbrachte. Hier lernte er Tom Blankenship kennen den verwahrlosten aber liebenswerten Sohn eines alten Trinkers (Huckleberry Finn läßt grüßen), der später zu einem angesehenen Richter in Montana wurde  – ebenso wie Laura Hawkins, die reale Blaupause der  zauberhaften Becky Thatcher, mit der sich Tom Sawyer indem vorliegenden Buch in der Unschuld seiner jungen Jahre verlobt.

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Ein Bronzedenkmal im „Twain Town“ von Hannibal  erinnerte an Tom und Huck, eine weitere Skulptur zeigte den jungen Samuel Clemens/Mark Twain als Lotse auf dem Mississippi und auf der anderen Seite des großen Stroms war ein Insel zu erkennen, die gut und gerne der Ort gewesen sein könnte, auf der die Ausreißer Tom, Huck und Joe als vermeintliche Seeräuber gegen das Heimweh kämpften.

In „Tom Saywers Abenteuer“ heißt Hannibal „St Petersburg“. Es handelt sich um  eine kleine amerikanische Gemeinde, wo jeder jeden kennt und leben lässt, mit Kirche, Schule und öffentlichen Festen – und jeder Menge wilder Buben, die sich in der Schule furchtbar langweilen und in einem fort Blödsinn anstellen. Was sich in dieser Beschreibung wie das Bühnenbild eines langweiligen Jugendbuches anhört, ist die Tribüne für einen der schönsten amerikanischen Romane, den man tatsächlich in jedem Alter neu lesen kann. Aus der Perspektive eines nachsichtigen, weisen Erzählers berichtet der alte Mark Twain von den Tom Sawyers Abenteuern, seiner Tante Polly, dem strebsamen Bruder, seinen Erfahrung und seiner pittoresken Weltsicht, und was mir als Knabe wie eine kunterbunte und unterhaltsame Lebenswelt erschienen war, kam mir nun im reiferen Alter wie eine Utopie vor, wie die Utopie einer lichtdurchfluteten, liebevollen, unschuldigen Jugend mit all ihren Ideen, ihrer Tiefe und sogar der ersten Liebe, die  – wie das in den meisten Utopien der Fall ist – ganz ohne Sex abgeht. Es kommt sogar zur Konfrontation mit dem Bösen, dargestellt in der Figur des Halbblutes „Indianer Joe“, das keineswegs weichgespült daherkommt, aber am Ende – auch das ein Kennzeichen der Utopie – seiner gerechten Strafe nicht entgeht. Alles, was geschieht, wird mit so viel Anschauungskraft und Poesie beschrieben, dass der Leser meint, mitten zwischen den Jungs zu sein. Das ganze Buch ist ein einziger Genuss, auch wenn der eine oder andere einige der Szenen und Geschichten ganz besonders liebt. Meine Lieblingspassagen: der Käfer und der Hund beim Sonntagsgottesdienst und die Abenteuer der Ausreißer Tom, Huck und Joe auf der Insel im großen Strom.

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Mark Twain-Lotsendenkmal in Hannibal/Missourie

 

Chicago – Stadt der Vertikalen

Als ich in Downtown Chicago aus der Metro stieg, verschlug mir der Anblick der Straenschluchten schier den Atem. Der Chicago Novize wird in der zweitgrößten Stadt Amerikas zum „Hans-Gluck- in-die-Luft“, der sich mit steifem Nacken über die Bürgersteine bewegt. An der Daley Plaza wurde in einer Höhe von 200Metern eine Kirche einfach aufgesetzt – wenn man will. die höchste Kirche der Welt, Mies van der Rohes Stahlbau an der Madison Avenue –  ein hunderte von Meter hohes Ausrufezeichen aus Stein. Dann in den Nischen der Betongiganten große Kunst, die aus der Nähe frappiert – Picassos übverlebensgrosse Staue „Untitled“ blickte wie das skelettierte Monster der Moderne auf Tausende von Angestellten, die tagaus tagein zu seinen Füßen ihren Mittagsnack herunterschlingen, um dann wieder zu ihrer Arbeit zu rennen.

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Der Milleniumspark und der Grantpark ermöglichen dann aus der Distanz ein erstes Aufatmen aus der bedrängenden Unmittelbarkeit der Vertikalen. Anders als die Vielzahl der Hochhäuser in New York, die mitunter wie ein steinerne Horde wirken, ragen die Wolkenkratzer in Chicago wie die gut erkennbaren Mitglieder eines hochklassigen Ensembles in den Himmel – hier der Willis Tower, dort das Trump Building, daneben der neogotische Block der „Chicago Tribune“, am Horizont das John Hancock Builing – lauter Unikate der Architektur.

Überhaupt die Distanz – man muss den Stadtvätern Chicagos auf immer dankbar sein, dass sie die Bebauung der Stadt bis an die Ufer des Michigansees verhinderten, so dass sich im Bezirk der großen Parks am Ufer des Sees ein urbaner Gesamteindruck ergibt, in dem sich Höhe und Weite auf eine Weise ergänzen, wie ich es noch nie gesehen habe. Der große Platz am Buckinghambrunnen im Grantpark mit der Kulisse der gesamten Skylinie gehört für mich deswegen zu den gandiosesten Plätzen der Welt.

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Der Buckinghambrunnen im Grantpark, einer der schönsten Plätze der Welt

Über Chicago würde es sich lohnen, ein eigenes Buch zu schreiben, denn eine so vielfältige, lebensfrohe und faszinierende Stadt wird man lange suchen müssen. Herrlich, der Anblick der Skyline von den Volleyballfeldern des Golden Beach im Norden, erhaben der Pfingstgottesdienst in der Rockefeller Kirche im Universitätsviertel, eigentlich viel ergreifender als die „Bishop Al Green Show“ in Memphis.  Obamas Frisör haben wir im Süden Chicagos vergeblich gesucht, doch das Straßenleben im ukrainischen Viertel war klasse, ebenso unsere kleine Suite im „House oft wo Urns“, die ich nur wärmstens weiterempfehlen kann. In Chicago hieß es auch Abschied nehmen von Frank, der mir in den beiden ersten Wochen der Reise ein weit besserer Partner gewesen war, als ich es jemals erwartet hätte.

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Frank flog mit der gleichen Lufthansa-Maschine nach Düsseldorf zurück, mit der Lilia aus Deutschland kam, um mit mir den zweiten Teil der Reise, die große Fahrt nach Westen, zu erleben. Fast wäre sie der amerikanischen Security zum Opfer gefallen und in Düsseldorf nicht mitgenommen worden. Aber das ist eine andere Geschichte. Nun war sie da!

Lilia ist da!

Durch die Prärie zu den Badlands und den Black Hills

Wisconsin, das Land der Deutschen und des Käses, hatte etwas abgeschrubbt Idyllisches. Es glich einer fetten und gesunden Speise, die niemand ohne Not ein zweites Mal ißt. Unidyllisch waren allerdings die zahlreichen Rehe, Biber und Waschbaeren, die plattgefahren am Rande des Highways lagen und um die sich niemand zu kümmern schien. Madison, die Hauptstadt Wisconsins besaß ein Capitol, so groß und prächtig,  als würde von hier aus ein Weltreich regiert. 

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La Crosse am Mississippi, an der Grenze von Wisconsin und Minnesota, war eine gesichtslose Stadt. Außer dem Mississippi, der sich in der Umgebung des Ortes in unzählige Seitenarme aufteilte, gab es hier nichts zu sehen. Auf der Mississippibrücke nahm ich Abschied vom großen Fluss, der hier im Norden die Besonderheit, die ihn im Süden auszeichnet, verloren zu haben schien. Im Umkreis von La Crosse glich er einem großen See mit lauter kleinen Inseln, die so aussahen, als würden sie jeden Moment im Wasser verschwinden. 
Minnesota roch selbst in der Nähe des Highways nach Schwein und Schaf. Dann endlose Felder, Bewaesserungsanlagen, monströse Traktoren.  Hinter Albert Lea verwandelte sich die Landschaft in ein Meer aus Wiesen und Feldern, auf dem sich, Schiffen gleich, im weiten Abstand voneinander die Farmen erhoben. Wie Masten ragten die Getreidespeicher in den Himmel, weise Zäune umfriedeten die Wohnhäuser. Teilnahmslos doesende Kühe auf den Weiden.  Hinter Sioux Falls wurde die Landschaft noch eintöniger. Dafür erzählte der Himmel immer neue Geschichten. Breitwand-panoramen aus weißer Watte vor hellem Blau. Der Kornpalast von Mitchell war eine Mischung aus Langeweile, Kitsch und Marketing, an dem die Leute nur anhielten, weil es im Umkreis von 500 Kilometern sonst nichts zu sehen gibt.

Dann plötzlich der Missourie- riesig, ein ganzes Tal erfüllend, floss der gewaltige Strom nach Suedosten, wo er sich bei St Louis mit dem Mississippi vereinigen wird. Blau das Wasser, mit einem Stich ins Türkise. Satt und gruen die Ufer. Unmittelbar IMG_3401hinter dem Missourie huegeliges, begrastes Land. Indianerland. Nach einer weiteren Tagesetappe von 700 km waren und Rapid City, die Tore zu den Badlands, erreicht.
In der Nacht zog ein Wirbelsturm über die Prairie. Das ganze Haus wackelte, und es schüttete wie aus Eimern. Am Morgen spannte sich ein grauer Himmel ueber dem Land, es war schneidend kalt und windig. Im „Wounded Knie“ Museum von Wall wurde das letzte grosse Indianermassaker aus dem Jahre 1890 dokumentiert. Beschämend die Kopien der Tapferkeitsurkunden für die Soldaten, die mit Hotchkiss Geschützen Frauen und Kinder niedergemacht hatten.

Das Wetter erzählt in der Prärie jeden Tag eine andere Geschichte, gottlob ändert es auch stündlich seine Meinung. Zu unserer Freude verschwanden am Mittag die grauen Wolken, und ein strahlender Himmel entstand über den Badlands. Die Badlands, nach einem Wort von Frank Lloyd Wright, der Ort, an dem die Natur selbst zum Architekten wurde, sind eine Ansammlung geheimnisvoll geformter kalkweißer Berge und Schluchten, eingebettet in ein Meer aus Gras.

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Und wieder eine Rückkehr in die eigene Biographie. War es im Süden die eigene Jugend, die anhand der Musik wieder lebendig wurde, so revitalisierte das Erlebnis der Badlands die Phase der imaginierten Indianer- und Cowboylektüre aus der Kindheit. Dass es Winnetou und Old Shatterhand niemals gegeben hatte, hatte mich in jungen Jahren schwer enttäuscht, aber wenigstens gab es in Gestalt der Badlands die Bühne, auf der der Wilde Westen wild gewesen war. 
Durch eine Galerie aller 50 Staatsflaggen der Vereinigten Staaten erreicht man in Mount Rushmore die große Aussichtsterrasse,  von der aus man  die weltberühmten  Präsidenten-köpfe sehen kann. Alles Amerikanische muss groß und monumental sein, meinten die Initiatoren des Projektes, als sie 1927 damit begannen, zuerst George Washington und später Jefferson, Theodore Roosevelt und Lincoln in den Granitberg zu sprengen. Eine Idee aus der Glanzzeit der USA, die heute merkwürdig unzeitgemäß wirkt.

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An die dunkle Gründerzeit der USA erinnerte nur eine Autostunde südlich das im Bau befindliche Crazy Horse Monument, eine Monumentalstatue, deren Konzeption nicht nur alle Maßstäbe sprengte, sondern die auch durch und durch unindianisch  ist. Bisher ist nur der hochhaushohe Kopf des Indianerhelden Crazy Horse aus dem Fels herausgesprengt- fertiggestellt soll die Riesenskulptur des Helden von Little Big Horn 200 Meter über die Black Hills herausragen. Bis es so weit ist, tanzen die Lakota Sioux zur Freude der Touristen ihre Tänze zu Füßen des Berges und lassen sich ihre Gesänge gut bezahlen.

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Rodeo in Cody oder: Das Geheimnis der Hodenklammer

Ich habe mich immer schon gewundert, warum die Pferde und die Bullen beim Rodeo derartige Bocksprünge vollführen. So schlimm kann es doch nicht sein, dachte ich, wenn sich ein Reiter auf ihren Rücken setzt. Außerdem staunte ich darüber, dass die Tiere auch dann weiter herumbockten,  wenn der Reiter längst abgeworfen war. In Wahrheit verhält es sich so, dass die Hoden der Tiere mit Klemmvorrichtungen versehen werden, die sie so schmerzen, dass sie wie panisch hin und herspringen und selbstverständlich in ihrer Not mir der Hopserei auch nicht aufhören, wenn der Reiter im Staub liegt.

Das wie einen Tropfen Essig in den Wein vorneweg geschickt, war der  Besuch des Cody Rodeos trotzdem eine interessante Erfahrung – vielleicht weniger als ein artistisches denn als ein kulturelles Ereignis. Dazu muss man wissen, dass sich die Stadt Cody in Wyoming zwischen Rapid City in South Dakota und dem Eingang des Yellowstone-Nationalparks an der Grenze von Wyoming und Montana befindet und berühmt dafür ist, ihren Besuchern zwischen Juni und September eine allabendliche Rodeo Veranstaltung für einen Eintrittspreis von 20 Dollar anzubieten.

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Das Rodeo, das wir am Freitag, dem 13.6., in Cody besuchten, begann auch typisch amerikanisch mit dem Aufmarsch von fünf Reiterinnen, die zur Musik von „Legenden der Leidenschaft“ fünf große amerikanische Fahnen trugen.  Dann erhoben sich  alle Besucher von ihren Sitzen, falteten die Hände und folgten dem Gebt des Moderators, das über Lautsprecher verstärkt übe den Platz klang. Oh Lord, vergib unsere Sünden, oh Lord bewahre uns Deine Gnade, Oh Lord, schütze unsere Truppen und erleuchte unsere politischen Führer. Anschließend blieben alle Stehen, legten die rechte Hand auf ihr Herz und sangen die Nationalhymne.

Nach diesem obligatorischen Einleitung begann das eigentliche Rodeo-Programm. Zuerst wurde ein Zeitrennen veranstaltet, bei dem junge Frauen und Mädchen auf ihren Pferden quer durch die Arena um zwei Tonnen rasten. Beim „Cattle Catching“ versuchten zwei Cowboys von ihren Pferden aus, ein davonlaufendes Rind gleichzeitig das Lasso über den Kopf und die Hinterbeine zu werfen, was nur drei Teams gelang. Bei der Mehrzahl der Versuche raste das Rind einfach geradeaus durch die Arena, und die Cowboys galoppierten unter dem Hohngelächter des Publikums lassoschwingend aber erfolglos hinterher. Das Pferderodeo konnte ich nur begrenzt genießen, weil ich wusste, wie schmerzhaft sich die Prozedur für die Pferde darstellte. Immerhin gebärdeten isch die Pferde  so rasend, dass sie bis auf einen Reiter sämtliche Cowboys in hohen Bogen von den Schultern warfen.

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Die Königsdisziplin des Rodeos aber ist das „Bull Ridung“. Dabei muss der Cowboy versuchen, ohne Sattel mindestens sechs oder sieben Sekunden auf dem Rücken des mächtigen Tieres zu bleiben, was nur einem einzigen Reiter gelang. Bull Riding geht auf die Knochen, denn die Cowboys flogen nicht nur meterweit durch die Gegend, sondern bekamen mitunter auch noch einen Tritt oder eine Stoß mit den Hörnern ab. Alle Reitversuche wurden von einem Moderator ausgiebig kommentiert, im Erfolgsfall  vom Publikum bejubelt und über großen Lautsprechern musikalisch untermalt. So beeindruckend aber die Reitkünste mancher Cowboys auch waren, am besten gefiel mit die Kindernummer ganz am Ende des Abends. Durch einen Clown wurden alle anwesenden Kinder  in die Arena gerufen und aufgefordert, mit bloßen Händen zwei kleine Kälbchen zu fangen, die in die Arena hereingetrieben wurden. Sofort rasten sechzig oder siebzig Knirpse auf die kleinen  Kälbchen los, die erst verblüfft und dann erschrocken Reißaus nahmen. So klang das Rodeo unter großem Gelächter aller Erwachsenen aus, die mit wachsender Begeisterung zusahen, wie ihre Sprösslinge den kleinen Rindern hinterherjagten. Dieser liebenswerte Abschluss des Cody-Rodeos hätte einen fast mit der Unsitte der Hodenklemmerei versöhnen können, wenngleich ich trotzdem der Ansicht bin, es wäre vielleicht ganz gut, nicht nur die Rinder sondern auch die Reiter mit einer Hodenklemme zu versehen, weil dann das allgemein Gezappel von Tier und Mensch ganzheitlicher und ganz gewiss gerechter würde.

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 Wyoming

Wer durch Wyoming reist, insbesondere durch die Region von Big Horn und Cody oder wer das Glück hat, die großen Parks zu besuchen und die Natur in ihrer Pracht und Weite zu erleben, kann leicht zu der Auffassung kommen, hier wäre endlich eine Landschaft gefunden, die dem Menschen ein ihm gemäßes Leben erlaubt.

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Selten habe so stark empfunden, wie notwendig es ist, zusätzlich zu diesen Impressionen die Literatur von Menschen vor Ort zu lesen, um die oberflächlichen Reiseeindrücke zu ergänzen. Denn in Annie Prouxl´ „Hinterlandgeschichten“ begegnet dem Leser ein ganz anderes Wyoming: “Die Trockenheit wurde immer schlimmer“, heißt es etwa in der Geschichte „Was für Möbel Jesus aussuchen würde“, „Heuschrecken tauchten bereits im April auf, was eine Plage im August verhieß. Das Gras knackte unter seinen Füßen wie Eierschalen. Die Landschaft war farblos, der alkalische Staub entfärbte Gras, Steine und sogar den Erdboden. Wenn ein Fahrzeug auf der Straße vorüberfuhr, breitete sich eine feine Staubwolke aus, die sich nur langsam legte. Die Hitze hatte jeden Geruch in der Luft erstickt bis auf die schwache Ausdünstung alten Pappkartons, die der Kalkstaub absonderte.“(S. 79f)

Der Rancher Gilbert Wolfscale, die Hauptfigur dieser Geschichte, wird durch diese Natur in die Knie gezwungen. Zugleich erlebt er die verhängnisvollen Zeichen einer neuen Zeit: Methangasbohrungen, Grundwasservergiftung, Scheidung, verweichlichte, anspruchsvolle Kinder, die das Rancherleben hassen und sich kaum gerade auf den Pferden halten können, verbittern ihm den Alltag. Am Ende ist er ein Relikt, ein alter, verlassener Mann, von dem die Zivilisation abfällt „wie Federn von einem gerupften Huhn.“

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Ausflug nach  Urerde: Yellowstone

Wenn ich aus dem Abstand einiger Wochen an den Yellowstone-Park zurückdenke, erinnere ich mich an Viererlei. Zuerst denke ich an den grandiosen Yellowstone-River, der breit und majestätisch zwischen Cody und dem Parkeingang dahinfloss. Zu beiden Seiten des großen Flusses ragten die Berge amphiteatralisch in den Himmel, jeder von ihnen ein Unikat, begrünt, zackig, von prächtigen  Wolken wie mit einer Aura weißer Watte umgeben, ein Fluss wie ein König, an dessen Ufern Menschen und Tier nichts anderes waren als Gäste der Natur.

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Dann führte die Straße höher. Eine Welt aus Eis und Schnee ist meine zweite Erinnerung an Yellowstone.  Tiefschwarze Wolken lagen über dem Yellowstone-Lake.  Im Süden waren, von einem verirrten Sonnenstahl illuminiert, die Ausläufer der Grand Teton Range zu sehen. Dann begann es zu schneien, denn wir befanden uns schon auf einer Meereshöhe weit über 2000 Metern. Den Bisons und Antilopen am Wegesrand schien der weiße Vorhang, der sie vor den Blicken der Menschen verbarg, willkommen. Auf der Continental Divide war die Straße vereist, die Douglastannen waren mit Rauhreif bedeckt.

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Meine dritte Erinnerung an Yellowstone sind die Geysire, die kleinen Kochtöpfe des Erdinnern, die überall im Park Dampf und Schwefel ausstießen. Gelb, grün, weiß und braun waren die Ränder der blubbernden Wasser, weißer Dampf nebelte die Besucher ein. Abgestorbene Baumskelette standen über der Schwefelerde, die weiß und rissig war wie eine Decke aus Eierschalen. Alle dreißig Minuten stieß der größte aller Geysire, der Old Faithful mächtige Dampffontänen in die Luft, ein Uhrwerk der Schöpfung, zu dessen Betrachtung lange Sitzbänke am Rande des Geysires einluden.

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Meine vierte und prägendste Erinnerung an Yellowstone ist die Landschaft im Norden des Parks, die weiten Täler, die wir vom Rande des Mount Washborne aus sehen konnten, die endlosen Wälder, die sich im konturlosen Grün des Horizontes verloren, und das Gefühl einer urweltlicher Weite, in der ich mir vorkam wie ein Hobbit in einem überdimensionierten Auenlanld. Als ich in der Nähe der Tower Falls über die Täler und Berge sah, erblickte ich ein Bühnenbild der Schöpfung, wie es nur noch in diesem Teil Nordamerikas existiert: sich selbst genügend in seiner Pracht, so groß,  um hunderttausend Pflanzen und Tieren Raum zur Entfaltung zu bieten und so ewig, dass es alles Leben überdauern wird.

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Yellowstone-Schlucht

Soweit die Naturpoesie. Aber auch geografisch ist der Yellowstonepark eine der Achsen Nordamerikas, genauer gesagt: eines seiner wichtigsten Quellgebiete. Hier entspringen der Madison und der Jefferson, die  sich im Norden bei Great Falls in Montana zum Missouri vereinigen. Der Yellwostone-River entspringt dem Yellowstone Lake, fließt breit und majetätisch nach Osten, vorbei an Cody, um 1000 Kilometer weiter nordöstlich sich in Nord-Dakota mit dem Missouri zu  vereinigen, wobei es ihm ironischerweise genauso ergeht wie dem Missourie mit dem Mississippi bei St. Louis. Obwohl der Yellowstone-River am Ort des Zusammenflusses weit mächtiger ist als de Misssouri, verliert er seinen Namen. Der Snake River verlässt den Yellowstone Park südlich, durchließt den Tetonpark, um nach einem bizarren Verlauf mit kuriosen Flussschleifen sich nach 1600 km in den Columbia zu ergießen, der seinerseits in den Pazifik entwässert. Soweit die Theorie. In der Praxis aber gab es so viele Quellen, Seen, Bäche oder Flüsse in diesem durchfeuchteten Hochland, dass man nie genau wissen konnte, ob dieses oder jenes Gewässer in den Atlantik oder in den Pahzifik entwässert. Auf dem Weg in die Ozeane aber waren sie alle.

 

Wo die Elche überwintern: Der Grand Teton Nationapark

Als wir Yellowstone verließen, schneite es.  Auf der Continental Divide zwischen dem Yellowstone Lake und Great Faithful tobte ein regelrechter Schneesturm. Am Parkausgang war der Schnee in Dauerregen übergegangen, und eine dicke Suppe lag vor uns, als wir,  in Richtung Jackson Hole fuhren. Erst in Colter Bay am Jackson Lake endete der Niederschlag, der Himmel zeigte schon wieder die ersten Konturen, hier und da waren auf der anderen Seite des Snake Rivers sogar dei Berge zu erkennen.

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Der kleine Ort Colter Bay am Jackson Lake trägt seinen Namen nach John Colter, einem Teilnehmer der Lewis und Clarke Expedition, der ab 1806 als erster Weißer die Gebiete des heutigen Yellowstone- und Tetonparks bereiste. Amerikaweit berühmt ist John Colter  für „Colters Run“, seine Flucht vor den Blackfoot Indianern, denen er mit beachtlicher Ausdauer einfach so schnell davonlief, dass ihn kein Blackfoot Indianer mehr erreichen konnte. Von den Blackfoot war am Ufer des Jackson Lakes nichts mehr zu sehen, dafür tummelten sich selbst bei diesem durchwachsenen Wetter Touristen aus den gesamten Vereinigten Staaten im Visitor Center von Colter Bay. Auf großen Fotografien und Texttafeln wurde die Geschichte des Parks entfaltet, zuerst das Leben der Indianer, dann seine Erschließung durch Trapper und Jäger  und schließlich die Gründung des Grand Teton Nationalparks durch die Landgeschenke des Milliardärs John D. Rockefeller II – übrigens der gleiche Rockerfeller, der in Chicago aus den Erträgen seiner Unternehmungen den Bau der Rockefeller-Kirche und der Universität finanziert hatte. Komisch, dachte ich, in meiner linken Studentenzeit hatten wir Figuren wie Rockefeller, Vanderbilt oder Carnegie immer als Schufte gesehen, während uns Lenin und Ho als Helden erschienen waren. Sollten wir da etwas grundlegend missverstanden haben?

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Als wir das Ufer des  Jackson Lake erreichten, hatte sich die Wolkendecke gehoben.  Nun sahen wir sie doch noch: die Teton-Range, eine Galerie von eisbedeckten Drei- und Viertausendern, die die Grenze zwischen Wyoming und Idaho markierten und mit den Ebenen und Seen zu ihren Füßen zu den schönsten Landschaften der USA zählen. Die Teton-Range erinnerte mich an die Banff-Jasper Straße in Britisch Columbia, sie war kompakter, eine auf wenige IMG_4451Quadratkilometer konzentrierte Naturschönheit, in der sich Seen und Berge, Horizontale und Vertikale wie bei einer beabsichtigten Naturkomposition vereinigten. Nicht weniger berückender war die Anblicke der weiten Ebenen, deren Wiesen sich, trunken vor Bewässerung, in einen einzigen  gelben Butterblumenteppich verwandelt hatten. Am Jenny Lake stürzten die Berge womöglich noch eine Spur dramatischer in die See als am Jackson Lake. Unbekümmert und ganz im Augenblick verfangen, spazierten wir die Uferpfade entlang und organisierten ein Picknick direkt am See, wobei mir erst später einfiel, dass sich gerade deswegen am Jenny Lake des öfters Braunbären und Grizzlys herumtreiben.

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Da das Wetter aber schon wieder umschlug, blieben die Bären, wo sie waren, und wir kamen ungeschoren davon. Weiter ging die Reise den Snake River entlang in Richtung Jackson Hole, in dessen Umgebung sich jeden Winter eines der bemerkenswertesten Naturschauspiele der Welt ereignet. Da den Winter in den höheren Lagen der Tetons kaum ein Tier überleben kann, ziehen sich Tausende von Elchen ab Oktober in das sogenannte „Elk Refuge“ nordöstlich von Jackson Hole zurück, wo sie – beobachtet und betreut von Rangern und Tierschützern – in der kalten Jahreszeit ganz gut über die Runden kommen.  Als wir jetzt, im Juni, am Eingang des Elk Refuges vorüberkamen, mussten wir uns mit dem Bronzestandbild drei Elche begnügen, lebendig war nur ein kleiner Maulwurf, der uns von der Basis der Skulpturengruppe aus aufmerksam beäugte.

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Wer kennt schon IDAHO?

Wer kennt schon Idaho? Den 43.Staat der USA, eingeklemmt zwischen Montana, Wyoming, Utah, Washington State und Kanada, in dem auf einer Fläche von knapp 215.000 qkm qkm nur 1,5 Millionen Menschen leben? Idaho, das unbekannte Land des Snake River, in dessen Namen die Anmutung von Exotik und Fremde mitschwingt und dessen NickName „Gem State“ auf die reichlich vorhandenen Bodenschätze hiweist. Idaho war zuerst von Lewis und Clark auf ihrer transkontinentalen Westreise im Jahr 1805 entdeckt worden, dann war es vorwiegend Transferland für die Siedler gewesen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts auf dem Oregon Trail zum Pazifik wollten. Im 20. Jahrhundert wurde der bis dahin eher bäuerliche Staat durch die Ansiedlung neuer Industrien wohlhabend.

Wir erreichten Idaho auf der Gebirgsstraße zwischen Jackson Hole/Wyoming und Idaho Falls, einer imposanten Strecke, die den Reisenden über zwei Stunden hinweg in eine alpine Welt entführt. Schnee soweit das Auge reichte, weiß bepuderte Tannenwälder, einsame Adler am Himmel.

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Dann senkte sich die Straßenführung,  und schon wieder änderte sich das Klima.  Mächtig rauschte der Snake River Stromschnellen über die regulierten Wasserfälle unterhalb der großen Mormonenkirche von Idaho Falls.

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Dann der nächste Klimawechsel. Nur eine Autostunde nordwestlich von Idaho Falls durchfuhren wir eine topfebene Wüstenlandschaft. Links und rechts nichts zu sehen außer einsamen Hügeln am Horizont.  Kaum sichtbar am Horizont die Bergzüge der Rocky Mountains, knackige Sonne brannte auf staubigen Grund. Keine Fliege könnte hier überleben.

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Mitten in dieser Wüste befand sich der Nationalpark „Crater of the Moon“, in dem die ersten Astronauten vor der Mondlandung die Fortbewegung auf unserem Trabanten trainiert haben sollen. Nichts ist langweiliger als der Anblick schwarzen Gesteins unter sengender Sonne, dachte ich, war aber überrascht über die bezaubernden Ansichten, die es Im Vulkanpark zu sehen gab. Die extrem mineralienhaltige Vulkanasche hatte die Landschaft trotz der Trockenheit wieder zum Leben erweckt und ein Naturbild in seltener Farbkombination entstehen lassen. Das Grün der üppig sprießenden Pflanzen, das Schwarz der Vulkanerde und das makellose Blau des Wüstenhimmels wirkten wie eine ins Gigantische übertragene Chagallkomposition.

In Twinfalls trafen wir wieder auf den Snake River, den wir in Idaho Falls verlassen hatten.  Auf einer Strecke von über 1600km durchquert der Snake River Idaho in einem weit geschwungenen südlichen Bogen, ehe er sich im Hells Canyon, der tiefsten Schlucht Nordamerikas, den Durchbruch nach Norden erkämpft, wo er sich mit dem Missourie vereinigt.  Kurz vor Twin Falls stürzte der Snake River sechzig Meter in die Tiefe und bildete eine Riesenschlucht, über die sich eine der größten Stahlbrücken der USA wölbte.

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An Boise, die Hauptstadt Idahos, werde ich mich nur noch wegen des schlechten Wetters IMG_4693und wegen des Unfalls erinnern, den ich in der Innenstadt gebaut habe ( vgl. Crash in Boise), vielleicht noch an das große Kapitol und das Gefängnismuseum, in dem gezeigt wurde, wie man in den aldvorderen Zeiten die ganz schweren Jungs in düsteren Blocks verrotten ließ.

Meine ursprüngliche Idee, von Boise aus in einem großen Bogen  nach Ketchum und Sun Valley zu fahren und dort dem Grab von Ernest Hemmingway die letzte Ehre zu erweisen, musste ich wegen des schlechten Wetters aufgeben. Auch aus dem Abstecher nach Idaho City, einer ehemaligen Goldgräberstadt würde nichts werden. bei katastrophalem Wetter ohne ede Aussicht in den bergen herumzukurven, hatte ich keine Lust.

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Crash in Boise

Ich hatte mich schon den ganzen Tag schlecht gefühlt. Durch die langen Tagestouren der letzten Tage war ich doch erschöpfter als ich dachte, außerdem ging mir das Wetter auf den Wecker. Ein brutaler Landregen hatte unsere Reisepläne durchkreuzt, so dass wir anstatt in die Berge nach Stanley zu fahren,  gleich nach Boise, der Hauptstadt von Idaho, weiterreisten.

Dort ist es dann passiert. Wir hatten gerade das Capitol besichtigt, ich  suchte in der Innenstadt den Weg zum Fluss und bog plötzlich und unvorschriftsmäßig rechts ab. Da rauschte mir ein Van in die Seite. Es gab einen hässlichen Bums, und die schockartige Empfindung: jetzt ist die Reise zu Ende.

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Es ist aber dann doch ganz anders gekommen – derartig anders, dass der Unfall sich fast zu einer sozialen Erfahrung auswuchs. Drei junge Afroamerikaner stiegen aus dem anderen Fahrzeug, blickten etwas überrascht auf die Beulen an ihrem Van, waren aber keinesfalls unfreundlich oder gestresst. „Keep cool Man“, sagte einer der drei und klopfte mir auf die Schulter. „If you want, we can organise it without Police.“ Dieses Angebot konnte ich natürlich nicht annehmen, auch und gerade, weil ich den Unfall verursacht hatte und für die Abwicklung mit der Mietwagenfirma einen Polizeibericht brauchte. Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich ein Mann mit einem Fahrrad neben uns, eine freundlich-pyknische Erscheinung in kurzer Hose mit Fahrradhelm und einer gelben Weste, die ihn als städtischen Parkwächter auswies.

Er erledigte für mich alle Anrufe, informierte die Polizei und schaffte es  sogar, über die Stadtverwaltung von Boise das Mietwagenbüro von Alamo zu erreichen, wo man mich anwies, mit dem verbeulten Wagen einfach die Reise fortzusetzen. In Seattle würde man schon sehen. Anschließend warteten wir eine Viertelstunde auf die Ankunft der Polizei, was vollkommen entspannt ablief. Die drei Afroamerikaner schienen alle Zeit der Welt zu haben, sie scherzten miteinander, setzten sich auf den Bürgersteig, tranken einen Saft und fragten mich, woher ich komme und wohin ich wolle. Eine junge Schwarzafrikanerin kam in einem Cabrio vorbei und winkte den dreien zu, die lachend zurückgrüßten. Inzwischen hatte der Parkwächter meine Wagenunterlagen eingehend studiert. „Dont worry Man,“ sagte er, als er mir die Papiere zurückgab. „You have an extended Protection. Be happy.“

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Kurz darauf erschien der Cop in seinem Wagen, ein bulliger Mensch mit schwellenden Oberarmen, eng sitzender Hose  und ungesund rotem Gesicht. Er nahm den Unfall auf, sprach zuerst mit dem jugendlichen Warenhalter, dann mit mir, überprüfte Ausweise und Führerscheine und schrieb sodann seinen Bericht, von dem er mit eine Kopie samt Fallnummer übergab. Wie es sich herausstellte, hatte er drei Jahre in Augsburg gelebt und hegte seit dieser Zeit für Deutschland nur die freundlichsten Empfindungen, so dass er sogar darauf verzichtete, mir die verdiente Knolle wegen verbotenem Abbiegens zu verpassen. Dafür erklärte er mir sehr eingehend den Weg zum Fluss, wünschte mir alles Gute und entschwand.

Soweit, so gut. Wie aber würde der Schaden reguliert werden? Nach Studium meiner IMG_4715Unterlagen stellte sich heraus, dass ich einen so genannten CDW, einen „Collateral Dammage Weaver-Schutz“ besaß, nach dem ich gegen Blechschäden prinzipiell versichert war. Zur Abdeckung möglicher Schäden an anderen Fahrzeugen oder Personen hatte ich vor Beginn der Fahrt sogar eine aufwändige Zusatzversicherung abgeschlossen, so dass ich eigentlich davon ausgehen konnte, dass mich die Kosten, die mit diesem Unfall verbunden sein würden, nicht umhauen würden.

Trotzdem lag der Unfall wie ein Schatten über dem Rest der Reise. Zwar  gewöhnten wir uns an die Beule in der rechten Fahrertüre und sahen auch jetzt erst so richtig, wie viele Autos mit derartigen Schäden durch die Gegend fuhren, doch die Ungewissheit blieb. Im Internet war nichts Genaues zu erfahren – nur soviel, dass drei verschiedene Arten von Haftungsschutz mit drei unterschiedlichen Selbstbeteiligungen existierten. Welche für mich in Frage kam, konnte ich nicht IMG_4785herausfinden. So führte mich mein erster Weg gleich nach unserer Ankunft in Seattle zum Flughafenbüro von Alamo. Dort war ich den Wagen innerhalb von zwei Minuten quitt, ein Angestellter nahm ihn entgegen, schrieb beim Anblick des Schadens einen Code auf die Scheibe und sagte nur „They will call you, if you have to pay“.

Bis heute habe ich keinen Pfennig für den Schaden bezahlt. Als ich nachhause kam und mein Kreditkartenkonto überprüfte, sah ich, dass nur der vereinbarte Mietbetrag abge-bucht worden war. Kein Cent mehr. Ein Experte in Deutschland erklärte mir, dass Alamo prinzipiell bei Vermietungen an Ausländer nur Pakete ohne jede Selbstbeteiligung ver-kauft. Alamo sei Dank. Diese Firma werde ich immer wieder buchen.  Und Dank auch an die drei fröhlichen Fahrer des gegnerischen Fahrzeuges. Mein Dank auch an den Park- wächter und den deutschfreundlichen Polizisten. Und die Moral von der Geschicht´: Sei freundlich zu Ausländern, denn Du weißt nicht, wann Du einmal einen Unfall im Ausland baust.

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Columbia oder: Der unbekannte Riesenstrom

Bald hinter Boise wurde die Landschaft wüstenähnlicher. Nackte rotbraune Hügel von beträchtlichen Dimensionen erstreckten sich zu beiden Seiten der Straßen – wie von Ewigkeit zu Ewigkeit gemeißelt lagen sie unter der prallen Sonne und würden noch ein paar Millionen Jahre brauchen, ehe sie zu Staub zerbröselt wären.  Den Plan, im IMG_4723Nordwesten von Boise dem Lauf des Snake Rivers durch den Hells Canyon zu folgen, mussten wir aus Zeitmangel aufgeben. Die tiefste Schlucht der USA würde ich wohl in diesem Leben nicht mehr sehen, aber so ist das mit jeder Reise. Erst am Ende weiß man, was man verpasst hat. Bald  weitere sich die Landschaft, wir durchfuhren eine staubtrockene Ebene, an deren Rändern die Ausläufer der Berge nur noch als dunkle Barrieren zu erkennen waren. Oregon, einer der jüngsten Bundesstaaten der USA, war erreicht. Vor uns lag Baker City, eine der zentralen Etappen des Oregon-Trails, über den sich im 19. Jhdt. ein Großteil der Besiedlung des pazifischen Nordostens vollzogen hatte. Entstanden war der Oregon Trail im Jahre 1846, als sich die USA und Kanada im sogenannten Oregon-Kompromiss auf eine verbindliche Grenzziehung  am Pazifik  Westen geeinigt hatten. Der Trail führte von Wyoming aus die Rocky Mountains und folgte im Wesentlichen dem Verlauf der heutigen Interstate 84. Nördlich von Utah zweigte der  Mormonen Trail ab und noch weiter südlich entstand kurz darauf der  California Trail, der nach San Franzisco führte. Jahr für Jahr strömten auf diese Weise Zehntausende Menschen nach Westen – 35.000 Personen auf 700 voll beladenen Planwagen waren zum Beispiel alleine im Jahre 1853 unterwegs. Das Ende des Oregon Trails kam übrigens schlagartig mit der Fertigstellung der transamerikanischen Eisenbahnlinie im Jahre 1869. „Once upon a Time in the West“ lässt grüßen. Heute ist aber auch die Glanzzeit der Eisenbahn längst vorüber, mehr als kümmerliche Schienentrassen, auf denen ein- oder zweimal am Tag endlose Eisenbahnzüge im Zeitlupentempo vorbeirollten, waren von der Straße aus nicht zu sehen.

IMG_4723a  (5) Jenseits von Baker City fuhren wir im Norden auf mächtige Eisriesen zu, deren Ausläufer jene  idyllischen Ansichten zeigten, die die europäischen Trailer im 19. Jhdt. an ihre europäische Heimat erinnert haben mochten. Westlich des Interstate 84 begann der sogenannte „Scenic Byway through Time“, eine 460 km lange Route, deren verschiedene Sehenswürdigkeiten den Reisenden das prähistorische Oregon näher bringen sollten. Vorbei an farbenfrohen „painted Hills“ führt die Straße zum John Day Saurier Park, so benannt, nach John Day, einem Begleiter der Lewis und Clarke Expedition, der nach 1810 Oregon bis zum Pazifik bereiste. Wir aber gaben Gas, und auf der fast schnurgeraden Interstate flogen die Entfernungen nur so dahin.

Da wir in Oregon schon wieder eine neue Zeitzone erreicht hatten (für mich die vierte seit Washington), erreichten wir nach Oregon-Ortszeit schon frühen Nachmittag den Umkreis des Columbia Rivers. Und da war er plötzlich, der große Strom. Rechts von der Autobahn eröffnete sich unvermittelt eine gigantische Aussicht auf ein blaues Riesengewässer, das kilometerbreit zwischen rotbraunen Granitbergen dahinfloss.

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Der Columbia ist mit knapp 2000 km Länge der größte Strom des amerikanischen Nordwestens. Er entspringt in Kanada, nimmt den Spokane, den Snake und Yakima in sich auf und entwässert ein Territorium von über 700.000 qkm. Als einer von nur drei großen nordamerikanischen Strömen ( die anderen beiden sind der Fraser in Kanada und der Colorado in Kalifornien) durchstößt der Colorado die Küstengebirge und mündet nach der Passage einer etwa einhundert Meilen langen Schlucht bei Astoria in den Pazifik, ein geographisches Alleinstellungsmerkmal, das es dem Besucher erlaubt,  auf einer lagen Tagesreise sämtliche Vegetationszonen der Erde nacheinander abzufahren. Wenn man den Columbia zum ersten Mal, von Osten kommend, erblickt, befindet man sich noch in der Wüste, schon einige Stunden später wird es grüner – Getreide- und Gemüseanbau ernähren das Land, ehe der Columbia  in seinem Mündungsgebiet in die Zone des feuchten, IMG_4802amoderaten Regenwaldes eintritt. Wir hatten die hyperaride Zone noch gar nicht verlassen, da erhob sich plötzlich im Westen wie ein Spuk der  3.400 Meter  hohe schneebedeckte Mount Hood am Horizont, eine gewaltige Pyramide, die den Anblick der ohnehin schon spektakulären Landschaft in Bizarre steigerte. Dabei  ist der Mount Hood nur einer von zahlreichen Vulkanen, die von der kanadischen Grenze bis nach Norkalifornien die Küstengebirge, die so genannten Cascade Moutains, wie eine Galerie von Eispyramiden schmücken. Der höchste von ihnen ist mit 4.300 m der Mount Rainier,  der König der Kaskaden, gleich südlich des Mount Hood befindet sich der Mount Jefferson.

Je weiter wir der Coloradoschlucht nach Westen folgten, desto öfter passierten wir gewaltige Staudämme, mit deren Hilfe die Gewässer des Columbia zur Stromerzeugung genutzt wurden. Zuletzt erreichten wir die gewaltigen Dammanlagen von The Dallas, wo wir in einem urigen Bikerhotel übernachten. Südlich von The Dallas auf dem Hochplateau stießen wir zu unserer Überraschung auf  intensiv genutztes  Kulturland. Gelbe Weizenfelder bis zum Horizont, Kornspeicher, blitzblanke Farmen, Pferde- und Rinderweiden auf sanft geschwungenen Hügeln erweckten den Eindruck, als sei ein Teil Frankreichs am Rande des Pazifiks IMG_4745wiedererstanden. Dreißig, vierzig Kilometer weiter südlich veränderte sich das Land ins Steppenartige. Sandfelder, Beifussgewächse, Creeks, weitläufige Täler vor der Kulisse des Mount Jefferson: So hatte ich mir den Wilden Westen vorgestellt, vielleicht ohne die Vulkane und mit mehr malerisch gezackten Monolithen wie man sie in Utah bewundern kann. In dem kleinen Ort Shaniko, neunzig Kilometer südlich der Columbiaschlucht, schien die Zeit seit dem Wilden Westen stehen geblieben zu sein. In der am besten erhaltenen Ghost Town ganz Nordamerikas, so die Eigenwerbung, befanden sich ganze Straßenzüge in einem Zustand, als würden die Cowboys und Cowgirls nur gerade ein Schläfchen halten und gleich auf die Straßen treten. Ein Hotel mit einer wackeligen Veranda, eine Bank und ein Gefängnis, beide aus Holz und so baufällig, dass sie zu Überfällen und Ausbrüchen geradezu einzuladen schienen, ein Kramladen, eine Kirche und was das schönste war: überhaupt kein Rummel: das war das geisterhafte Widerschein der  wilden Zeiten in Zentraloregon. Gerade einmal vier Touristen streifen im Licht des späten Nachmittags durch die verlassene Stadt.

Hinter The Dallas führte der Highway 84 auf der Oregonseite des Columbia schnurstracks nach Westen. Lastwagen, lang wie Schlachtschiffe, rasten an uns vorüber. Kein Blick für die Schönheiten der Natur. Leider war auch für uns vom Columbia von der Autobahn aus nur wenig zu sehen, so dass wir ab und zu vom Highway abfuhren und die Küstenstraßen benutzten. Kleine, unabgeschlossene  Holzhäuser am Ufer des riesigen Gewässers, das menschliche Maße zu sprengen schien, dunkle Tannenwälder, uralte Traktoren und weit und breit kein Mensch zu sehen: Alaska-Feeling am Ufer des Columbia.

Längst hatten wir die Grenze zwischen der hyperariden und der feuchten Zone überquert. Die Abhänge der Berge auf beiden Seien des Columbia waren mit dunklen Nadelwäldern dicht bewachsen – der wahre Norden, das Imperium der Tanne, war erreicht. Wolken verdeckten nun den Ausblick auf Washington State auf der anderen Flussseite. Wie schmutziges Lametta hing der  Nebel über den Abhängen. Prasselnder Regen, nieselige Schauer und praller Sonnenschein wechselten sich so schnell nacheinander ab, als wäre die Natur erpicht darauf, sich dem Reisenden in allen nur denkbaren Lichtszenarien zu zeigen.

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Wo so viel Feuchtigkeit vom Himmel kommt, stürzen unzählige Rinnsale die Berge herab, die größeren von ihnen besitzen als stattliche Wasserfälle eigene Namen und Geschichten, allen voran die Multnomah Falls, die in zwei Etappen über einhundertneunzig Meter in die Tiefe stürzen. Hatten wir uns gestern nach Frankreich versetzt gefühlt, so kam es uns beim IMG_4920Anblick der Multnommah Falls so vor, als befänden wir uns auf einer Südseeinseln: feucht die Luft, lückenlos bemoost die Bäume,  morastig der Untergrund – der Regen regierte jeden Winkel dieses Landes. Als wir auf der Multnomahbrücke auf halber Höhe des Wasserfalls standen, umgaben uns die feuchten Schaden wie eine zweite Atmosphäre, hinter der alle Konturen in einem nassen Dunst verschwanden.

An einem der wenigen Aussichtspunkte in der Columbiaschlucht war ein großes Holzschild angebracht, das an die Expedition William Broughtons erinnerte, der im Oktober 1792 von Cptn. Vancouver vom Pazifik aus ausgesandt worden war, den Columbia zu erkunden. Broughton war genau bis zu dieser Stelle gekommen, hatte eine Nachricht vergraben und war dann m Pazifik  zurückgekehrt.  Leider war er damit in der Entdeckungsgeschichte des Columbia nur zweiter Sieger, denn schon im Mai 1792 hatte der amerikanische Seefahrer Robert Gray den Columbia River vom Pazifik aus entdeckt und kurzerhand nach seinem Schiff benannt. Cptn Vancouver war peinlicherweise bereits vorher an der Columbiamündung vorbeigesegelt, ohne sie zu bemerken, ein peinliches Missgeschick, das ihm bei der Mündung des Fraser Rivers in Kanada noch einmal wiederfuhr, so dass er in der Geschichte der nordamerikanischen Entdeckungen insgesamt  eine unglückliche Figur macht und historisch als Namensgeber der wunderbaren Stadt Vancouver noch ganz gut weggekommen ist.

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Der Name der Stadt Portland, der Hauptstadt von Oregon,  war das Resultat eines Münzwurfes. Die ersten Siedler, die am Willamette River am Ende des Oregon Trails eine Ortschaft gründeten, hatten „Boston“ und „Portland“ zur Auswahl, und Portland gewann. Die Skyline von Portland lag im satten Nachmittagslicht, als wir nach einer komplizierten Anfahrt auf einer der zahlreichen Brücken in die Stadt einfuhren. Wie viele Städte des pazifischen Nordwestens ist auch Portland ein Kind der Goldrausch-Euphorien des 19. Jhdts. Die Stadtgeschichte verzeichnete gute und schlechte Zeiten und hat heute, nach einer dunklen Periode in den Achtziger Jahren des 20. Jhdt, einen recht wohlhabenden Level erreicht. Spazierte man durch die Parks, die Ufer, Geschäfte und Cafés in der Innenstadt entlang, empfand man das Gefühl einer gehobenen Unstimmigkeit, gerade so, IMG_4994als besuche man ein leicht unordentliches aber hochklassiges Jugendlichenzimmer, wobei der Papa in Gestalt der Polizei überall sichtbar war. Am meisten Leben herrschte im Umkreis des Pioneer Squares,  einem großzügig gestalteten Atrium mit liebevoll angelegten Stufen und Sitzgelegenheiten, auf denen die Portländer ihnen Mittagssnack einnahmen oder einfach ihre Pause verbrachten. Der Platz war durch antikisierende Säulen und eine ganze Galerie Hochhäuser umgeben, sein Wahrzeichen war der gusseiserne lebensgroße „Mann mit dem Regenschirm“, der das schlechte Wetter in Portland karikierte. Die Leute, die auf den Stufen herumsaßen,  waren bei weitem nicht so fett wie ihre Landsleute in Louisiana oder Mississippi, sie trugen legere Kleidung und bewegten sich locker und cool durchs Gelände. Viele Asiaten waren unter ihnen, kein Wunder, denn Portland liegt ohnehin näher an Peking, Tokyo oder Seoul als an Berlin oder London.

Der Traumstrand des Nordens: Cannon Beach

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Cannon Beach, einhundert Kilometer von Portland entfernt, ist Oregons schönster Strand. Er ist das, was alle Welt von Oregon sieht, wenn der Staat für sich Tourismuswerbung macht: eine prachtvolle kilometerweite, breite Sandbucht mit pittoresken Felsen vor der Küste, an denen sich die Wellen brechen und auf denen die Vögel brüten. Eine derart perfekte Bucht hatte ich in meinem Leben bisher nur einmal in Manuel Antonia in Costa Rica gesehen. Im Unterschied zu Manuel Antonio war die Bucht von Cannon Beach durch

IMG_5062 (2)sanft geschwungene Berge und Laubwälder umschlossen und durchsprenkelt von kleinen Stelzenhäusern und Hotels in unmittelbarer Nachbarschaft des Ozeans. Diese Wohlgestalt ist das eine, die Geographie und das  Wetter aber ist das andere.  Ganz Oregon gilt als IMG_5236-001Tsunamiküste, das heißt: die Bodengestalt des Meeres steigt vor der Küste so abrupt an, das ein heran-rollender Tsunamis katastrophale Folgen hätte. Auch wenn es bisher noch keine großen Tsunamis in Oregon gegeben hat – auf das schlechte Wetter kann man sich voll verlassen.  Mitunter fegt selbst im Hochsommer ein eisiger Wind über die Strände des Nordpazifik, im Herbst und Winter toben beängstigende Stürme vor den Küsten, ganze Tannenwälder werden umgeweht, stürzen in die Fluten und werden von der entfesselten Natur wie Rammböcke  gegen die Küste geschleudert. Und selbst im Sommer ist gutes Wetter Mangelware – wenn es zwischen Juni bis August drei oder vier sonnige Wochenenden gibt, dann danken die Bewohner von Oregon dem Wettergott. Kaum zu glauben, aber wir hatten ein solches Glück bei unserem Aufenthalt am Cannon Beach. Es war zwar frisch und windig, doch die Luft war makellos, und drei Tage lang war keine Wolke war am Himmel zu sehen. Womit hatten wir das verdient?

IMG_5147Unter diesen Traumbedingungen fand während unseres Aufenthaltes am Strand von Cannon Beach der größte Strandburgenwettbewerb der USA statt – und das zum 25.mal. Schon am Morgen strömten Tausende Besucher und Aktivisten aus ganz Oregon, Washington und Kalifornien nach Cannon Beach,  um zwischen 11 und 16 Uhr gegen ein bescheidenes Startgeld zu versuchen, mit einer selbstgebauten Burg den Sieg zu erringen. Die offensichtliche Lust an der Teilnahme bei geringen Siegeschancen, der Teamgeist, die Werktreue und die ungebremste Freude an der öffentlichen Zurschaustellung und der starke Familienzusammenhalt der Burgenbauer hatten etwas ungemein Amerikanisches, was allen bewusst war, so dass die Veranstaltung wie ein IMG_5208großes Gemeinschaftsfest wirkte.  Als wir gegen 16 Uhr die fertigen Resultate betrachteten, sahen wir allerdings, dass es sich mit dem Sandburgenbau ähnlich verhält wie mit den Plänen des Lebens: die meisten werden aufgegeben und nur die wenigsten erwachsen zu respektablen Werken. Um 17 Uhr war dann alles vorüber. Tausende stiegen wieder in ihre Autos und verschwanden, wir sahen es vom Balkon unseres Hotels, während wir ein Glas Rotwein als Präludium zum Sundowner tranken.

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Wiedersehen mit Lewis und Clarke in Fort Clatsup

Keine Reise in den amerikanischen Westen ohne Lewis und Clarke. Schon in St. Louis hatte ich unter dem Gateway Arch eine Dokumentation dieser Reise gesehen, aber es war doch etwas anderes, auf unserer eigenen Westreise immer wieder mit den geschichtlichen Zeugnissen dieser Tour in Kontakt zu kommen. Lewis und Clarke waren 1804 dem Missourie bis zu den Great Falls gefolgt, wo es ihnen gelang, mit Hilfe eines IMG_5371indianischen Führers  die Rocky Mountains zu überqueren. Mit Ausnahme der Sioux gestalteten sich die Beziehungen zu den Indianer überwiegend friedlich. Dem Lauf des Snake Rivers folgend gelangte die Expedition durch das heutige Montana und das nördliche Idaho bis zum Columbia, auf dem man schließlich im November 1805 den Pazifik erreichte. Wie unwirtlich diese Ankunft im feuchtkalten Nordwesten ohne jede zivilisatorischen Hilfsmittel gewesen sein mochte, wollte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Zur Überwinterung errichtete die Truppe Ende 1805 ein kleines Fort, das Fort Clatsup, das nach dem Abmarsch der IMG_5389Expedition im nächsten Frühjahr spurlos verschwand, dass man aber in jüngster Zeit so originalgetreu wie möglich in der Nähe der Columbiamündung wieder aufgebaut hatte. Für drei Dollar Eintritt konnte man  eine kleine Palisadensiedlung besuchen, über die die amerikanische Flagge wehte und in deren engen Räumen man sich probeweise in die  rustikalen Schlafkojen legen konnte. Fest angestellte Parkranger erklärten, wie man aus Talg Wachs herstellte, das Pulver trocken hielt und wie eine der urtümlichen Flinten geladen und abgefeuert werden konnte. Zusammen mit uns folgten etwa ein Dutzend Amerikaner und Kanadier diesen Vorführungen mit Begeisterung und Aufnahmefähigkeit. Alles jubelte, als herauskam, dass mit uns auch zwei Europäer anwesend waren. Welcome Folks. So sind sie eben.

 

Mount Rainier oder: Ein Schuss in den Ofen

Astoria, die älteste nordwestamerikanische Siedlung jenseits der Rockies, wird über die längste Brücke der Welt mit der anderen Seite des Columbia, d.h. mit Washington State, IMG_5398a  (1)verbunden. Ob es sich wirklich um die längste Brücke der Welt handelte, konnte ich nicht beurteilen, aber wir fuhren fast eine Viertelstunde über endlose Wasserflächen, bis wir am anderen Ufer ankamen. Washington State war erreicht, der nordwest- lichste Staat von Mainland US, zugleich auch einer der regenreichsten und wohlhabendsten. Wie passt denn das zusammen?

IMG_5441Wie zur Begrüßung zog eine mächtige Regenwolke zog von Pazifik her ins Land, dunkel und schwarz hing sie eine Zeitlang über uns, um sich dann wie ein gewaltiger Eimer Wasser über uns auszuergießen. Unter diesen Umständen fuhren wir weiter und weiter, verzichteten auf den Abstecher zum Mout Helen, weil es kaum etwas unfotogeneres gibt als einen Vulkan im Regen und fuhren gleich weiter zum Boss, zum Mount Rainier, dem prachtvollsten und höchsten Berg der Kaskaden.  Bei klarem Wetter ist der 4.300 Meter hohe Mount Reinier über Hundert von Kilometern hinweg als weiße Eispyramide selbst von Seattle aus zu sehen. Leider war das Wetter bei unserer Ankunft in der Nisqually Lodge bewölkt, aber noch so vertretbar, dass wir noch am späten Nachmittag eine Rundfahrt durch den Mt. Rainier Nationalpark unternahmen. Es war eine Fahrt durch düstere Wälder voller Douglastannen, die so hoch waren, dass kaum Licht auf die Straße fiel. Aber auch wenn wir freie Flächen befuhren, waren die Gipfelgrate des Mount Rainier hinter dem Nebeldunst kaum zu erkennen. Immer höher schraubte sich die Parkstraße, bis wir nach einer Stunde Fahrt den Paradise-Lookout erreichten, ein Plateau, von dem aus an guten Tagen halb Washington State zu überblicken ist. Wir aber befanden

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uns in einem nebelverhangenen Nirgendwo, von dem aus wir nur die Schlünde und Abstürze in unserer näheren Umgebung überblicken konnten. Nur manchmal wehte ein scharfer Windzug die Wolken für einen Moment auseinander und offenbarte einen Blick auf eine ganze Truppe wunderlich geformter Berge, die den Mount Rainier wie eine gesehen, auch hier werde ich bis zu meinem nächsten Leben warten müssen, ehe ich diesen Ausblick bei klarem Sonnenschein werde genießen können. Vielleicht sollte ich mal eine Liste der Sehenswürdigkeiten erstellen, die mir in meinem Reiseleben entgangen sind, weil die Fähren ausfielen, die Busse streikten oder das Wetter verrücktspielte. Da käme Manches zusammen: Die Insel Flores in Indonesien, der Mount Kenia in     Ostafrika, Kap Horn in Patagonien, die Tepuis in Venezuela, die Marquesas in Polynesien, Palawan auf den Philippinen – und jetzt auch der Mount Rainier.

Aber nein, wieder zuhause angekommen, erhielt ich von meinem Freund Hubert Weyers, der zusammen mit seiner Frau Beatrix Washington State nur zwei Wochen nach uns bereiste und viel besseres Wetter hatte, diese Luftaufnahmen. Sie zeigen den Mount Rainier vom Fenster eines Kleinflugzeuges aus. Am Steuer dieses Flugzeuges saß Lucius Fleuchaus, fotografiert hat Hubert Weyers.

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Anflug auf den Mount Reinier (Im Vordergrund links auf dem Hügel befindet sich der                                          Paradise Lookout (Copyright Hubert Weyers)

 

So richtig schön ist es im Regenwald erst dann, wenn es gerade mal nicht regnet: Die Halbinsel Olympia

Die Halbinsel Olympia ist die kleine und unbekannte, aber nicht minder reizvolle IMG_5553Schwester der großen kanadischen Insel Vancouver Island. Die Halbinsel liegt westlichvom Mt. Reinier Nationalpark  und Seattle und ist von diesen Standorten aus in zwei oder drei Fahrstunden bequem zu erreichen. Das Zentrum der Halbinsel wird durch einen mächtigen Höhenzug gebildet, der aus der Ferne einen imponierenden Anblick bietet, zugleich aber auch dafür sorgt, dass selbst in diesem regenreichen Teil der Welt der Niederschlag auf der Halbinsel Olympia noch einmal um einiges ausgeprägter ist. Kein Wunder, dass es ohne Unterlass goss, als wir von Nisqually nach Quinault fuhren. Die Reise ging durch fettes, grünes Land mit bunt angestrichenen Häusern, über denen die windzerzausten Nationalflaggen der USA im kalten Nordwestwind wehten. Kühe und Pferde, an die Nässe lebenslang gewohnt, standen stoisch auf den Feldern, und hoch spritzte das Wasser, wenn die Pickups durch die Riesenpfützen fuhren. Merkwürdig war nur, dass trotz des Dauerregens die Bewässerungsanlagen auf den Feldern unablässig in Betrieb waren.

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Quinault war ein kleiner Ferienort im Süden der Halbinsel Olympia,  gesäumt von Hotels und Pensionen der unterschiedlichsten Art, deren Preise sich danach bemaßen, wie weit sie vom  Quinaultsee entfernt waren. Der ganze Ort glänzte vor Feuchtigkeit, die Gräser, die Blätter, die Karosserien – alles putzte der Regen, und wohin wir auch kamen, überall IMG_5576herrschte das erdverbundene Ferienambiente der hintersten amerikanischen Provinz: Dicke Ranger, die sachte schwankend wie Bierkutscher langsam über die Straße liefen, kreischende Kinder am Seeufer, Paddler, die zwischen den Landungsstegen der Hotels hin- und herfuhren und kleine Restaurants, in denen jeder aufschreiben musste, wie gut oder wie schlecht einem der Hamburger geschmeckt hatte, um diese Info dann auf einer großen zettelübersäen Pinnwand anzuheften. Auenland im Dauerregen.

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Am Nachmittag brach dann endlich die Sonne durch, und die satt durchfeuchtete Landschaft erstrahlte in einem irisierenden Glanz. Im Unterschied zu den Tropen, in denen nach Regengüssen alles dampft, so dass man die Umgebung kaum erkennen kann, bleibt in den gemäßigten Zonen die Feuchtigkeit auf den Blättern noch eine Weile erhalten und erzeugt ein tausendfaches Glitzern, als sei der ganze Wald mit Millionen Spiegeln versehen. Merke: So richtig schön ist es im Regenwald erst dann, wenn es nicht mehr regnet.  Die Tannen waren über und über  mit Moos bedeckt, und manche waren so hoch, wie ich es noch niemals gesehen hatte. Grotesk geformte, grün bepelzte Äste schienen wie die Arme von Trollen nach unserem kleinen Wagen zu greifen, die Holzbrücke knirschten, und in den Mulden am Wegesrand verwandelte sich das Holz der umgestürzten Bäume in Moder und Moss.

Noch fremdartiger wurde das Naturerlebnis, als wir von Quinault aus die lange Reise zum Kap Flatterly im äußersten Nordwesten der Halbinsel Olympia antraten. Der Regenwald mit all seinen bizarren Auswüchsen, seinen giftigen, aber doch so eindringlichen Farben, IMG_5669seinen Knorpel und Krümmungen, Buckeln und Sümpfen reichte nun bis an den Rand des Ozeans. Dieses Ufer bestand über einhundert Kilometern hinweg aus nichts anderem als aus einem endlosen Kies- und Sandstrand, der von der Brandung so lange unterspült wird, bis immer neue Riesentannen ins Meer stürzen.  Wo immer wir im Westen der Halbinsel Olympia auch hielten, überall erblickten wir einen Friedhof der Bäume, ein Schlachtfeld der Natur, auf dem unzählige knochenbleiche Baumstämme im kalten Wind verwitterten. Am Ruby Beach, wo sich diese Szenerie in besonders bedrückender Eindringlichkeit präsentierte, verschluckte der graue Himmel alle Farben außer dem Giftgrün des Regenwaldes, der nach und nach ins Meer stürzen werden.

Gerne hätte ich im Norden der Halbinsel Olympia über die Juan de Fuca Straße hinweg die Insel Vancouver am Horizont wieder gesehen, doch daraus sollte nichts werden. Ja näher wir der Küste kamen desto mehr verbarg sie sich. Ein dichter grauer Eisnebel waberte vom IMG_5642Meer heran,  verschluckte Dörfer und Strände und zwang uns, am helllichten Tag mit Abblendlicht durch diese  feuchtkalte Suppe zu fahren. Neah Bay, an der Nordspitze Olympias, ist wahrscheinlich selbst bei Sonnenschein ein tristes Nest, im Eisnebel sah der Ort aus wie das Ende der Welt. Kap Flatterly, vor dem selbst Cptn. Cook 1778 beinahe auf Grund gelaufen wäre, war ein so dunkler Platz im Wald, als IMG_5736würden sich in ihm die Gespenster verstecken. Von der Aussichtsplattform des Kaps hoch über dem Meer sah man die Umrisse gezackter Riffe und die eine oder andere  verkrüppelte Pflanze, die sich an den Abstürzen festgesetzt hatte. Hier und da kreiste ein Papageientaucher über der Plattform ehe er sich ins Meer stürzte, und jede Menge Möwen, die nicht zu sehen sondern nur zu hören waren, kontrastierten mit ihrem schrillen Gekreische die dumpf tosende Brandungsmusik.  Ich blickte in den bodenlosen Nebel und dachte: Hier ist die Reise zu Ende. Jetzt geht es nur noch nach Hause.

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Seattle, Mekka der Nerds

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Seattle war die letzte Station unserer Reise. Nach 10.000 km gaben wir den Wagen bei der Alamo-Station am Flughafen ab und fuhren mit der Monorail in die Stadt.  Über weite Strecken führte der Zug als Hochbahn über Häuser und Lagerhallen hinweg, vorbei an Werbeflächen und Autobahnzubringern IMG_5954und gab den Blick frei auf eine entfesselte Geschäftigkeit. Seattle und das südliche Tacoma waren längst zu einer einzigen urbanen Agglomera- tion zusammengewachsen, in der eines der Kraftzentren der ameri- kanischen Wirtschaft pulsierte. Boeing, Microsoft, Starbucks und andere Weltfirmen haben in Seattle und Umgebung ihre Zentralen. Hier besitzen noch immer Hundert-tausende Hochqualifizierter anspruchsvolle und gut bezahlte Jobs, und jedes Jahr  werden Tausende neuer Arbeitsplätze geschaffen. Dicht besiedelten Industrie- und  Dienstleistungsviertel wurden von zehnspurigen Autobahnen durchschnitten, auf denen die Autos wie Raketen von Portland über Seattle nach Vancouver und zurückrasten. Von dem Niedergang der industriellen Struktur, die im  Osten der USA unübersehbar ist, war hier nichts zu spüren.

IMG_5814Seattles Wahrzeichen ist der Space Needle, ein fernsehturmartiges Gebilde, über dessen Ästhetik man streiten kann. Der Space Needle war war 158 Meter hoch und besaß ein Observationdeck, das man für 22 USD besuchen konnte. Rund um den Space Needle war jede Menge los, ein  immerwährender gehobener Karneval der Einheimischen und Zugereisten vor der Kulisse zahlreicher Skulpturen und Kunstwerke, deren gemeinsamer Nenner ihre Unverbundenheit war.  In schillernden Farben glänzte Paul Allens „Rock n´ Roll Museum“, gleich nebenan befand sich ein System großer roter Röhren in Baumhöhe, ein indianischer Totempfahl erinnerte an den Indianerhäuptling Seathl, von dem die Stadt ihren Namen hatte und vier artifizielle Blümchen ragten in Haushöhe in den Himmel. Die Abfalleimer waren je nach Abfallsorte dreigeteilt, und selbst die herumschleichenden Drogensüchtigen bemühten sich redlich, ihren Müll in die richtigen Schlünde zu stecken. Da sage noch einer, die Zivilisierung des Prekariats sei hoffnungslos. Direkt am Ufer des Pudget Sounds stießen wir  am Pier 70 ( eine Anspielung IMG_5873auf Pier 42 von San Francisco) auf  die überlebensgroße  Gipsskulptur „Heads up“, das Denkmal den langköpfigen Nerds, der mit geschlossenen Augen auf so dargestellt wurde, wie er wahrscheinlich auch war: alles vollzog sich in seinem Kopf, die Außenwelt interessiere ihn nicht und doch veränderte er sie so, wie wenige Menschengruppen vor ihm.  Auf dem Pudget Sound, der von den Emporen der Hafengegend aus wie ein großer Binnensee wirkte, kreuzten die Segelschiffe im Nordwind, Fähren legten ab oder kamen von der anderen Seite der Bucht herüber. Im Bus kamen wir mit einem Amerikaner ins Gespräch, der stolz berichtete, dass er eine deutsche Frau geheiratet hatte. Das konnte ich von mir nicht sagen. Ein Journalist mit Parkinson Syndrom mischte sich ein und erzählte mit zittriger Stimme, dass er deutsche Literatur übersetze. Als er aus dem Bus ausstieg, verlor er einen vollgekritzelten Notizzettel, wollte ihn aber nicht mehr annehmen, als ich ihm hinterherlief. Vor dem Public Market spielte eine Banjoband Bayoumusik aus Louisiana, was mir vorkam wie eine musikalische Reminiszenz an den Beginn meiner langen, langen Reise. Und auch die weltbekannten Fischverkäufer waren da, jubelnd und grölend spielten IMG_5889sie den Besuchern des Public Markets Lebensfreude und Arbeitslust vor, indem sie sich gegenseitig dicke, glitschige Fische über die Köpfe der Touristen hinweg zuwarfen. Eine Fortbildung aus meinem Berufsleben fiel mir ein, bei der ein Moderator Videoaufnahmen dieser Fischwerfer vorgeführt und uns als Quintessenz seines Anliegens aufgefordert hatte, uns an der Arbeitsauffassung dieser Fischverkäufer ein Beispiel zu nehmen.

IMG_5989Im Aufzug, der uns auf den 73. Stock des Columbia Towers brachte, trafen wir eine Frau, die in Köln Bergheim aufgewachsen war. Wäre sie in Deutschland geblieben, hätte sie wahrscheinlich eine hinreichende Figur behalten, so aber hatte sie sich durch das amerikanische Essen zu beträchtlicher Korpulenz entwickelt, was sie aber nicht daran hinderte, uns behände und schnell zur Aussichtplattform des Columbia Towers zu führen. Der Rundblick vom Columbia Tower umfasste die gesamte Umgebung Seattles, von den Umrissen der Olympiahalbinsel bis zum Mount Reinier Nationalpark im Süden, der allerdings noch immer unter dichten Wolken verbogen lag. Erst jetzt erkannte man den wahren Umfang der gigantischen Industrie- und Dienstleistungszone im Süden Seattles, die sich bis zum 20 Kilometer entfernten Internationalen Flughafen hinzog.

Unser Rundgang durch Seattle endete am Pioneer Square, dem  historischen Ursprung der Stadt. Viel war von diesen historischen Ursprüngen nichts mehr zu sehen, wenn man davon absah, dass immer neue Stadtführer gestikulierend im Fünfminutentakt mit ihren Gruppen vorüberzogen. Endlich war die Sonne herausgekommen, und ein frischer Wind wehte über die Uferpromenade. Schiffe legten ab, Riesenräder drehten sich, Familien zelebrierten auf den Rasenflächen des Pike Place Market ihre Picknicks, und  die Obdachlosen pennten den Schlaf derer, die keine Termine mehr haben. Ein vietname- sischer Zauberkünstler, die seine Schnüre auf magische Weise band und löste und jede 

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Menge Münzen verschwinden und wieder auftauchen ließ, scharte eine Zuschauermange um sich, gleich nebenan konnte man sich die Sterne deuten oder die Haare schneiden lassen. Eine heruntergekommene Gestalt, die sich von Gruppe zu Gruppe bewegte und Drogen anbot, verschwand in der Menge als berittene Polizisten auftauchten. Jedermann schien im freundlichen Gewusel eines Juninachmittags sein eigenes Ding zu drehen, was mir vorkam, wie das Motto dieser jugendlichen Stadt, in der jeder nach seiner Fasson selig werden konnte – wenn er nur das nötige Kleingeld besaß.   Das war unser letzter Abend in Amerika.   

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                                        Danke an meine Reisepartner Lilia und Frank

 Ende

 

Anhang: Reiseitenear

So 25-5    Flug Washington/New Orleans

Mo 26-5- New Orleans

Di 27-5      New Orleans

Mi 28-5-   New Orleans – Natchez  (300km)

Do 29-5   Natchez- Vicksburg   (200km)

Fr-30-5    Vicksburg – Memphis (400 km)

Sa 31-5     Memphis

So 1-6      Memphis – Nashville (500km)

Mo 2-6     Nashville

Di 3-6        Nashville -St. Louis (500km)

Mi 4-6       St.-Louis  – Hannibal  (200km)

Do 5-6       St. Louis- Chicago  (450 km)

Fr 6-6-       Chicago

Sa 7-6        Chicago

So 8-6       Chicago

Mo 9-6    Chicago

Di 10-6    Albert Lea  (700km)

Di 10-6      Albert Lea Crosse- Wall (750km

Mi 11-6     Wall s – Badlands Rapid City   (100km)

Do 12-6    Black Hills Mount Rushmore (200km)

Fr 13-6      Rapid City – CODY (550 km)

Sa 14-6     CODY Yellowstone  (200km)

So 15-6     Yellowstone Circuit (300km)

Mo 16-6   Yellowstone . Tetonpark (250km)

Di 17-6      Tetonpark  – Twin Falls (650km)

Mi 18-6    Twin Falls –Stanley  Boise (200km)

Do 19-6    Boise – The Dallas    (650 km)

Fr 20-6     The Dallas- Portland Cannon Beach (350km)

Sa 21-6     Cannon Beach

So 22-6    Cannon Beach

Mi 23-6   Cannon Beach – Mount Reiner (250km)

Di 24-6      Mount Reiner – Olympia Halbinsel (250km)

Mi 25-6    Amanda Park Olympia Halbinsel   (300km)

Do 26-6    Amanda Park – Port Angeles- Seattle (300km)

Fr  27-6    Seattle

Sa 28-6    Seattle  13.35  Heimflug

So 29-6    Ankunft Frankfurt

2 Gedanken zu „USA 2014

  1. Für Naturen wie die von Goethe ist eine Reise unschätzbar: sie belebt, berichtigt, belehrt und bildet. Im besten Falle tut sie es auch dann, wenn man sie nicht selbst unternommen hat, sondern sie sich schildern lässt. So verhält es sich bei diesem Erlebnisbericht über eine Reise, bei der allein schon der Blick auf den Routenverlauf den Wunsch aufkommen lässt, es LW gleichzutun (was man nicht von jeder Reise behaupten kann). Der flott und mit leichter Hand geschriebene Text tut ein übriges. In einem Zug rast man durch die verschiedenen Staaten, hält nicht an, drängt weiter, ermattet nicht, weil das rechte Maß (zumeist) gefunden wird bei der Beschreibung des aufgesuchten Ortes und des persönlich Erlebten sowie bei der Zugabe von nützlichen, verblüffenden oder erheiternden Informationen. Allein der Text jedoch ließe einen nicht in der gleichen Weise mitreisen, wie es die Kombination mit den Photographien tut. Diesen gelingt zusammen mit dem Text das oben Erhoffte und Beschriebene: Man hat das Gefühl, wieder etwas mehr erfahren zu haben über Teile der Vereinigten Staaten, nun manch Erstaunliches (eine Kopie des Parthenon steht in Nashville) und manch Nützliches ( nach Ophryland muss ich wohl wirklich nicht) zu wissen.
    Auch wenn man den Eindruck hat, dass das Bedürfnis, das Erlebte niederzuschrieben, von Tag zu Tag variierte , und zwar nicht immer im Interesse des geneigten Lesers – etwas mehr von Chicago ( kein Spiel der Cubs oder der Sox und kein Hausbesuch bei Al Bundy?) und etwas weniger Beschreibung eines Gospelgottesdienstes wäre mir lieber gewesen -, so bleibt unter dem Strich ein die Nachreiselust weckendes, instruktives, informatives und im besten Sinne unterhaltsames Leseerlebnis

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