Canal du Midi

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 Himmel, Hügel und Wein so weit das Auge reicht

       Ein Weltkulturerbe, auf dem man reisen kann:  Auf dem Canal du Midi                                                                          zwischen Beziers und Carcassonne

(Panorama-Animation der Hausboote von Christoph Witzani am Ende der Seite)

Drei  Gründe gibt es, den Canal du Midi mit dem Hausboot zu befahren: den Wein, den Wein und noch mal den Wein –  ein Glas  Wein  zur Begrüßung, wenn man auf dem Boot eincheckt, ein Glas Wein,  wenn  man die erste Schleuse gemeistert hat und eine Flasche, wenn das Abendessen an Bord serviert wird.  Wem diese Meinung der einheimischen Winzer zu dionysisch klingt, der sollte bedenken, dass wir uns im Languedoc befinden, im größten Weinanbaugebiet der Welt, wo Mourvrédre, Syrah, Cinsault, Carignan  und Grenache an den Hängen eines gewaltigen geographischen Amphitheaters gedeihen, das sich von den Ufern des Mittelmeeres in Richtung  Toulouse erstreckt.

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Gehört neben dem Wein und der Landschaft auch die Abenteuerlust zu den Gründen einer Bootsfahrt durch den Midi? Ja und nein. Niemand wird eine Bootsfahrt auf dem Kanal mit einem Segeltörn nach Korsika vergleichen, aber die Fortbewegung mit Hausbooten auf einem unbekannten Gewässer  enthält für den  Touristen unserer Tage offenbar so viel Anregungspotential, dass sich  Bootsreisen auf dem Canal du Midi einer wachsenden Beliebtheit erfreuen – und das um so mehr, als weder ein Bootsführerschein noch Vorkenntnisse  erforderlich sind, um die Hausboote zu steuern. Sogar die Passage der zahlreichen Brücken erfordert keinerlei seemännisches Geschick, und das Anlegen an platanengesäumten Ufern ist überall erlaubt.   So hat sich der Canal du Midi  dieses Paradeprojekt aus dem Jahrhundert Ludwig XIV, von dem  nach dem Ende seiner ökonomischen Bedeutsamkeit niemand mehr so recht gewusst hatte, was man mit ihm anfangen sollte,  seit zwei Generationen zu einer  touristische Sehenswürdigkeit erster Ordnung entwickelt – manche sagen: zu einem Weltkulturerbe, auf dem man reisen kann.

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Der zweifellos reizvollste Teil dieses Weltkulturerbes führt auf einer Strecke von knapp einhundert Kilometern von Beziers nach Carcassonne. In Columbiers, einem kleinen Ort nur wenige Kilometer von Beziers entfernt, besteigen die Reisenden an der Basisstation die Hausboote und erhalten neben einer kurzen  Einführung in die Technik der Bootssteuerung spätestens hier die ersten Einblicke in die  Geschichte des Kanals  Es war der  geniale Kaufmann Paul Riquet aus Beziers gewesen, dem es  gelang, Finanzminister Colbert und König Ludwig XIV für die Idee einer Kanalverbindung zwischen Atlantik und Mittelmeer   zu gewinnen. Über zwanzigtausend Arbeiter gruben ab 1667 fünfzehn  Jahre lang an den  Kanalgräben zwischen Toulouse und dem Mittelmeer,  einhunderttausend Platanen wurden an den Kanalufern gepflanzt, unzählige Schleusen konstruiert, bis die Wasserverbindung kurz nach dem Tode Riquets 1681 feierlich eröffnet werden konnte. In einer Zeit, in der nur bessere Trampelpfade die Handelszentren verbanden, war eine Wasserstraße diesen Ausmaßes eine Sensation. Der Austausch von Textilien, Gebrauchswaren und Holz, später von Wein und Nahrungsmitteln wurde im Languedoc erheblich intensiviert, der allgemeine Lebensstandard stieg, und erst als der Bau der Eisenbahnenlinien begann, verlor der Kanal seine wirtschaftliche Bedeutung

Die Reise auf dem Hausboot beginnt jenseits von Columbiers  jedoch ziemlich genau an jenem Ort, an dem das ganze Kanalprojekt zu scheitern drohte. Bereits dreizehn Jahre waren vergangen, Riquets private Mittel waren nahezu aufgebraucht, als der Berg von Malpas im Jahre 1680 kurz vor Beziers den Weg zum Mittelmeer versperrte.  Riquet löste das Problem, indem er den Berg durchtunneln ließ und damit bewies, das es möglich ist, einen Kanal auch durch einen Berg zu führen.  Heute  stellt die Durchfahrt von Malpas auch für Bootsnovizen kein Problem mehr dar, und wer etwas Zeit mitbringt, kann vor oder nach dem Tunnel anlegen und nur einen Kilometer vom Kanal entfernt den Hügel von Enserune besichtigen, ein altes keltisches Oppidum, von dem aus die Gallier den südlichen Zugang zum Tal der Aude kontrollierten.

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Schon auf dem ersten Tag der Bootsreise mahnen überall gut sichtbare Schilder auf beiden Uferseiten zur Geschwindigkeitsbegrenzung. Obwohl die Boote gut 15 Stundenkilometer schaffen, sind nur acht Stundenkilometer erlaubt, da die Gefahr besteht, dass die Erzeugung eines zu intensiven Wellenganges die naturbelassenen Uferböschungen unterspült. Gottlob ist die Zahl der Raser und Überholer gering, denn die Bootsreisenden wissen, dass sie mit einem solchen Verhalten die touristische Substanz des Kanals langfristig gefährden. Aus diesem Grunde sind auch immer stärkere Bestrebungen im Gange, die Boote mit umweltgerechten Abwässertanks auszustatten, um eine übermäßige Verschmutzung des Kanals zu verhindern.

Der Ort Capestang ist die erste größere Siedlung nach der Basisstation von Columbiers. Wahrzeichen des Ortes ist eine weithin sichtbare Kathedrale, die eher zu einer Metropole als zu einer Kleinstadt passen würde. Auf dem Marktplatz kann man sich zwischen einem Cafe de la Paix und einem Cafe de la Grill entscheiden, was immer man zu dieser Entgegensetzung auch denken mag. Unterhalb der Kathedrale befindet sich die Altstadt, die mit ihren engen Gassen und  dem Putz, der malerisch von den Häuserfassaden bröckelt, unwillkürlich an den Schaubplatz des Chabrol Films „Blutige Hochzeit“ erinnert, in dem Michel Piccoli und Stepanie Audran ihre verhängnisvolle Leidenschaft hinter den zugezogenen Gardinen eines französischen Landnestes durchlebten.

Hinter Capestang gleichen die Ausblicke  auf die umgebende Landschaft einer Reise durch ein Renaissancegemälde.   Wie  auf einer Loge führt der Canal du Midi  durch eine Traumwelt aus harmonisch anmutenden Formen und zurückhaltenden Farben hoch über das Tal der Aude,  Straßen kommen näher und entfernen sich wieder, und wo entlang von Rhein und Mosel Ritterburgen hinter jeder Wegbiegung eine Geschichte von Raub und Macht erzählen, folgt in diesem Teil des  Canal du Midi ein Weingut auf das nächste.  Bis an die Grenzen des Horizontes beherrschen Myriaden von  Weinstöcken wie eine unbesiegbare Armee knorriger Zwerge die Szene.  Manche sind botanische Greise, die mehr als fünfzig Jahre auf dem runzeligen Holzbuckel haben, manche sind Frischlinge, die bald ihre ersten Trauben tragen werden, ihnen allen aber ist gemeinsam, dass sie von ihren Dienern, den Menschen, auf das Innigste umhegt werden müssen. Vielleicht ist im Languedoc nicht der Mensch die Krone der Schöpfung sondern der Wein, um dessen Werden und vergehen, Entwickeln und Veredeln sich alles dreht.

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Auch Argeliers, zwei Kanalstunden von Capestang entfernt, ist von Weinfeldern umgeben. Ein Ferienhaus nach dem nächsten säumt die  Peripherie des Ortes, aber Touristen sind zu kaum sehen.   Mit großen Traktoren fahren die Weinbauern  zwischen den Weinstöcken umher um das Unkraut auszujäten, wettergegerbte Gestalten wie einem Album mediterraner Klischees entsprungen – mit schlohweißen  Haaren und einer Freundlichkeit, die verbirgt, wie stringent die Winzer des Languedoc ihre Interessen in Paris und Brüssel bisher zu vertreten wussten. Nicht weit hinter Argeliers erreicht der Kanal die Kreuzung Port la Robine, an der es möglich ist, über den Canal de Robine durch fünf Schleusen in das Tal der Aude hinunterzufahren.   Der Hauptverkehr  verbleibt jedoch auf dem  Canal du Midi, wobei das Vergnügen je nach Jahreszeit durchaus unterschiedlich ist. Im Sommer reist  man praktisch niemals ohne Sichtkontakt zu einem entgegenkommenden oder vorausfahrenden Hausboot, im Frühjahr dagegen kann es passieren, dass man eine ganze Stunde auf keine anderen Boote trifft als auf die schweren Lastkähne, von denen noch immer einige wenige den Kanal befahren. Allerdings kommt ein  normaler Frachtkahn mit einer Länge etwa 3o Metern nur mit allergrößter Mühe um die Kurven – und dass auch nur, wenn er nicht voll beladen ist. Um einen wirtschaftlich lohnenden Frachtverkehr auf dem Canal du Midi neu aufzubauen, müsste der  Verlauf begradigt, ein großer Teil des Kanals tiefer ausgebaggert und etwa die Hälfte der Bückensdurchfahrten erweitert werden. Soll man froh sein, dass es dazu wohl niemals kommen wird? Den Touristen auf seinem Hausboot wird es freuen.

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Der malerische kleine Ort  Le Somail gilt als eine der Bilderbuchstationen auf dem Kanal, in dem die Geschichte wie die schöne Prinzessin im Märchen zur andauernden Begutachtung erstarrt ist Eine palmenbestandene  Brücke bildet das Zentrum des Dorfes, sie wird flankiert durch eine winzige Kirche und pittoreske Cafes mit Klappstühlen unter Aleppokiefern, Croissants und Plate du Jour  zu jeder Tageszeit. Früher mussten die Passagiere auf dem langen Weg von Toulouse nach Sete hier umsteigen, zu ihrem Komfort gab einen großen Turm mit eingelagertem Eis, der auch heute noch zu besichtigen ist, ebenso wie ein weithin gerühmtes und ungewöhnlich reichhaltiges Antiquariat, vor dessen Eingang die Portraits von Flaubert, Baudelaire, Hugo und anderen literarischen Geistesgrößen den Besucher einladen, sich für die fernsehfreien Abende auf den Booten mit Lesestoff zu versorgen.

Wer nicht am Ufer von Le Somail übernachten will, kann nach  Ventenac,  Paraza oder Roubia weiterfahren,  lauter Postkartenidyllen mit Palmen an den Uferpromenaden,  winzigen Marktplätzen, kleinen Boulangerien und  leeren Blumentöpfen auf den Fensterbänken. Dass sonderliches Passantenaufkommen in diesen Dörfern herrscht, wird man nicht sagen können, hier und da läuft  ein kleiner Hund kläffend über die Straße, und  auch von den Großmütter, von denen man doch im Süden als sicher annimmt, sie säßen permanent vor dem Haus und würden die Leibchen für die Enkel häkeln, ist nichts zu sehen.

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Kurz vor Argens d`Minervois  taucht plötzlich die erste von  insgesamt 16 Schleusen auf, die  auf der Strecke von Beziers nach Carassonne  den Kanalverlauf um  etwa 75 Meter erhöhen.  Dabei handelt es sich um überwiegend noch von Paul Riquet konstruierte, etwa  40 Meter lange und 20 Meter breite Steinwannen,  die mit Hilfe eisenbeschlagener Holztore verschließbar sind und durch Flutungen an den Wasserstand vor und hinter der Schleuse angepasst werden können.  Ist man einmal in der Schleuse, kommt es darauf an, das Boot sachte an eine der Wände heranzufahren und es mit  Seilen vorne und hinten an Poller zu befestigen, um zu verhindern, dass das  Schiff bei der Flutung hin und her geworfen wird.  Das hört sich sehr einfach an, ist es aber leider nicht, da man bei der Einfahrt in das schmale Schleusentor langsamer werden muss, womit man sofort erheblich an Manövrierfähigkeit verliert, so dass sich das Boot manchmal vor der Einfahrt in die Schleuse zur Gaudi der Zuschauer erst einmal um die eigene Achse dreht. Der einzige, der bei diesen manchmal recht turbulenten Ein- und Ausfahrten  die Ruhe behält ist der französische Schleusenwärter, der zwischen 9.00 und 16.00 Uhr seine 35 Stundenwoche ableistet und den man niemals in seiner Mittagspause zwischen 12.30 bis 13.30 stören sollte. Dazu muss man wissen, dass der französische Schleusenwärter  in seiner lebenslang unkündbaren und allzeit streikbereiten Position zum  Weltkulturerbe  Canal du Midi gehört wie die Weißwurst zum Oktoberfest.  Er ist einer der letzten Erben der neuzeitlichen Emanzipationsbewegung und lässt in seiner Erscheinungsform als zeitgenössischer Sansculotte die  wohlhabenden Feuillantes und Girondisten unserer Tage in ihren Hausbooten vor den Schleusen mitunter reichlich warten, bis er  ihnen als staatlicher Hoheitsträger gnädigst Durchlass gewährt. Die meisten Wärter sind  schweigsam wie Trappisten, sie erscheinen wie die Überraschungsgäste auf der Bühne des Geschehens,  drücken auf die Startknöpfe ihrer elektrischen Schleusen, um dann  gruß- und wieder geräuschlos zu entschwinden. Ihren Dienst versehen sie übrigens ohne Ausnahme mit einem vierbeinigen Freund an ihrer Seilte, der, gerade so, als besetze er eine reguläre Planstelle als Schleusenhund, die Bootsbesatzungen je nach Laune mal freundlich wedelnd, mal knurrend angeht.  Mitunter gibt es auch Wein und Honig beim Schleusenwärter zu kaufen, eine Gelegenheit, die man tunlichst nutzen sollte, nicht so sehr wegen der Qualität der Waren, die dabei verlauft werden, als wegen des Umstandes, dass man jede Schleuse, die man von Beziers aus in Richtung Carcassonne meistert, auf der Rückweise wieder passieren muss.

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Es dauert jedoch nur einen Tag, bis auch die sensibelste Crew mit  Schleusen und Wärtern gut zurechtkommt. Anfahren, Reinfahren, Andocken, Sichern, Fluten, Lösen und Rausfahren – wie von selbst gehen diese Sequenzen bald von der Hand. Puicheric, Laredorte, Marsaillette und Trebés  ziehen vorbei, Kirchtürme sind in der Ferne zu sehen, dazu sachte Bergkämme bis zum Horizont und von morgens bis abends endlose Weinfelder so weit das Auge reicht. Wie Tranquilizer senken sich diese Szenerien in das Gemüt, und die wunderbaren Effekte der Langsamkeit, mit der die Bootsbesatzungen durch diesen gesegneten Teil Frankreichs kreuzen, erzeugen eine geradezu vormoderne Gelassenheit und Entspannung. Tag für Tag liegt das hypertransparente Licht des Midi wie ein durchsichtiges Netz  über dem  Land,  illuminiert durch die funkelnden Zwischenräume im Blätterdach, die sich nach der Regie des Windes von Sekunde zu Sekunde verändern. Natürlich tragen auch die stetig anwachsenden Weinvorräte das ihre zum allgemeinen Wohlbefinden bei, und manche Crew ergänzt die visuellen Eindrücke des Tages in  der Stunde der Abenddämmerung durch einen Corbiers  oder einem Vin de Pay aus der  Domaine de Guerry zu einem Gesamterlebnis der intensiven Empfindung.   Wenn dann  nach einer halben Woche die Umrisse der gigantischen Burg von Carcassonne  im Südwesten erscheint, ist das Ziel erreicht. Hoch über dem Tal der Aude türmen sich die Wälle und Türme über der größten mittelalterlichen Stadtanlage Europas, und der weitere Verlauf des Canal du Midi verliert sich im Abendlicht. Wohl dem, der jetzt noch einen Ankerplatz findet und zur Feier des Tages einen 1996er Ventenac de Minervois entkorken kann.

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Reisehinweise: Eine Reise auf dem Canal du Midi wird  in der Saison zwischen April bis Oktober von verschiedenen Anbietern offeriert, wobei die Preise je nach Ausstattung der Hausboote beträchtlich differieren. Empfehlenswert sind die sehr gut ausgestatteten und gewarteten Hausboote des Schweizer Touristikkonzerns Hapimag, die entweder auf der Grundlage von Partnerbeteiligungen (Informationen unter  www.hapimag.com oder telefonisch unter +41 (0)41 767 80 10.) oder neuerdings auch für Nicht-Hapimag-Mitglieder direkt buchbar sind ( Infos für Direktbuchungen  über : Hapimag France; Tel: +33 4 94 26 72 72.)  Diese Hausboote besitzen eine komplett eingerichtete Küche, zwei Schlafzimmer, einen geräumigen Wohnbereich und ein Oberdeck. Gesteuert werden kann das Boot entweder vom Oberdeck oder, bei schlechtem Wetter von einem zweiten Steuerdeck im Wohnbereich. Es werden zudem Fahrräder gestellt, mit denen während der Kanalreise Ausflüge in die umgebenden Ortschaften unternommen werden können. Mit im Preis inbegriffen ist eine Einführung in die Technik der Bootssteuerung am Beginn der Reise sowie ein Sofortservice bei möglichen Pannen und Problemen. Die Preise variieren   je nach Saison zwischen 900 bis 1600 Euro pro Woche und Boot bei einer möglichen Belegung zwischen 2-5 Personen.

Beste Reisezeit: April bis Juni und Herbst, in der Hauptsaison ist mit regem Verkehrsaufkommen zu rechnen. Empfohlene Reiselektüre: Bernd-Wilfried Kiessler: Canl du Midi, Edition Maritim, Hamburg, 2003 4. Auflage ISBN 3-89225-172-X

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Hapimag Hausboot Kugelpanorama #1
Hapimag Hausboot Kugelpanorama #2

 

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